Universitätsverband legt Autonomie-Index vor
Für manche normal, für andere politisches Kampfgebiet: In Sachen Autonomie ist Europa ein Flickenteppich. Mitte November legt der Universitätsverband EUA (European University Association) eine Studie vor, die einem Ranking gleicht.
Brüssel Das Ringen um Hochschulautonomie ist und bleibt der wissenschaftspolitische Dauerbrenner. Nur wenige Themen bietet ähnlich viel Konfliktstoff zwischen Hochschulen und den für sie zuständigen Ministerien. Je autonomer, desto leistungsstärker und internationaler könnten sie agieren, argumentieren die Hochschulen in ihrem Freiheitsdrängen. Die Ministerien dagegen begründen Eingriffe in die Hochschulsteuerung mit ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung. In welchem Ausmaß diese tatsächlich stattfinden, offenbart in Kürze eine Studie.
Mitte November stellt der Dachverband der europäischen Hochschulen, die European University Association (EUA), einen Autonomie-Index vor. Ähnlich einem Ranking wird darin auf rund 100 Seiten verglichen, welche Freiräume den Universitäten in 28 verschiedenen Wissenschaftssystemen auf den Gebieten Struktur, Finanzen, Personal und Studienorganisation tatsächlich eingeräumt werden. Zentrales Ergebnis:
„Es gibt keinen EU-Staat, der in allen vier Bereichen topplatziert ist.“
Sagt Thomas Estermann, der das Projekt bei der EUA leitet. Durchwachsen fällt in der Studie die Bilanz für die drei Bundesländer Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen (NRW) aus, die sich aus Deutschland am Index beteiligten. Auf dem Gebiet der akademischen Autonomie, also etwa der Frage, wie selbstbestimmt deutsche Hochschulen Studierende auswählen oder Studienprogramme einführen dürfen, landeten Estermann zufolge alle drei Länder auf den vorderen Plätzen. Bei der Steuerung der Hochschulen schnitten NRW und Hessen sehr gut ab. Bei der Finanzautonomie schaffte nur NRW einen Platz im Mittelfeld. Laut EUA dürfen die Hochschulen in NRW anders als in Hessen und Brandenburg beispielsweise Kredite bis zu einer bestimmten Höhe aufnehmen (siehe Grafik). Durchgängig negativ fiel dagegen die deutsche Bilanz beim Personalmanagement aus. Alle drei Bundesländer landeten auf den hinteren Plätzen. Eine Erklärung dafür sieht EUA-Manager Estermann im deutschen Beamtentum: „Es hat relativ unflexible Regelungen für die Höhe und die Struktur der Gehälter zur Folge." Bei der Bewertung der Autonomie in der Personalplanung hatte die EUA insgesamt vier Indikatoren bestimmt: die Möglichkeit, Forscher und Studierende selbst zu rekrutieren, eigenständig über die Höhe der Gehälter zu verhandeln, Mitarbeiter zu entlassen und das Personalmanagement in die Hand zu nehmen.
Europaweit schnitten in der Gesamtbilanz erwartungsgemäß die skandinavischen Länder, Dänemark und Großbritannien gut ab. Doch der Index hält auch manche Überraschung parat: So steht etwa Tschechien in der Personalautonomie sehr weit vorne, weil die Prager Regierung den Hochschulen bei den Gehaltsverhandlungen mit ihren Beschäftigten relativ freie Hand lässt.
Für den Autonomie-Index, den die EU-Kommission aus dem Programm für lebenslanges Lernen finanziert, hatte die EUA für alle vier Bereiche Indikatoren definiert. Je selbstständiger Hochschulen nach Meinung des europäischen Hochschulverbands handeln können, um so mehr Punkte verteilte sie für die einzelnen Indikatoren. Zudem gewichtete die EUA die Kriterien unterschiedlich. Ein Beispiel: Die Möglichkeit einer Hochschule, eigenverantwortlich über die Wahl der eigenen Leitungsebene entscheiden zu dürfen, bewertete die EUA höher als die Amtsdauer eines Hochschulchefs. Den Grad der Autonomie in den vier Bereichen errechnete die EUA, indem sie jeweils die Punkte der einzelnen Indikatoren addierte. Die Summe aus den vier Teilbereichen zu einer einzigen Punktezahl als Gradmesser der Autonomie zu summieren, war nicht Ziel des EUA-Projekts. „Das macht keinen Sinn", sagt Estermann. Autonomie müsse differenziert betrachtet werden.
Adressiert ist der Bericht in erster Linie an die EU-Mitgliedsstaaten: „Vor allem jene, die in der Studie schlecht abgeschnitten haben, können nachlesen, wo mehr Autonomie herrscht", sagt Estermann. Genau darin sieht Prof. Dr. Peer Pasternack, Direktor des Instituts für Hochschulforschung Wittenberg, den Wert der Studie. „Die Länder können Rückschlüsse ziehen, welche Wirkungen ihre Hochschulgesetze möglicherweise hatten“, sagt Pasternack. Auch wenn es schwierig sei, Kausalitäten herzustellen, könne man doch Zusammenhänge erkennen. Allerdings verraten solche Studien nach Meinung des Hochschulforschers in der Regel nur wenig über die negativen Folgen der universitären Freiheiten. „Dass mit zunehmender Autonomie auch die Bürokratie deutlich zunimmt, wird selten erwähnt", sagt er.
Die EUA will mit der Studie vor allem den Wettbewerb in Sachen Autonomie befeuern. Begonnen hat der Verband damit bereits vor Jahren. So legte die EUA 2009 einen Autonomie-Bericht vor (duzEUROPA 07/09, S.4ff.). Damals beklagten die europäischen Hochschulchefs insbesondere die mangelnde Eigenverantwortlichkeit bei den Finanzen. An dem Befund hat sich auch zwei Jahre später wenig geändert. Ganz im Gegenteil, wie EUA-Projektleiter Esternann festgestellt hat: In Folge der Finanzkrise hätten vor allem jene Staaten, in denen die Hochschulen aus öffentlichen Kassen finanziert werden, die „Zügel weiter gestrafft“.
Internet: http://www.eua.be
Christian Zens
„Landespolitik lässt sich nur schwer beeindrucken“
Christian Zens, Kanzler der Viadrina Universität Frankfurt/Oder, über den Nutzen europaweiter Hochschulstudien für die Arbeit vor Ort.
duz: Können Ihnen Analysen wie der des Europäischen Universitätsverbands EUA zum Thema Autonomie als Argument gegenüber der Politik dienen?
Zens: Das ist sehr gut möglich, allerdings weniger gegenüber der Landespolitik. Die lässt sich nur schwer beeindrucken. In Brandenburg hat die Haushaltskonsolidierung absoluten Vorrang. Alle müssen sparen.
duz: Bei der EUA-Studie stehen die Finanzen aber nicht im Vordergrund.
Zens: Die Bereitschaft zur fachlichen Diskussion etwa beim Hochschulrecht ist durchaus vorhanden. Sobald es aber um Geld und damit um die Haushaltspolitik des Landes geht, sieht es anders aus. Da liegt die Priorität darauf, weniger für die Hochschulen auszugeben.
duz: Inwiefern lässt sich auf Bundesebene mehr ausrichten?
Zens: Die Studie könnte Einfluss haben auf die beginnende Diskussion um das Kooperationsverbot, weil es dem Bund nach der Förderalismusreform weitgehend verboten ist, die Länder im Hochschulbereich mitzufinanzieren. Vielleicht kann man auf diesem Weg einen Denkanstoß geben.
duz: Welchen Nutzen ziehen Sie aus europäischen Studien für die Praxis?
Zens: Ich verfolge diese Studien aufmerksam, da sie zum einen belegen, dass Europa ein einheitlicher Bildungsraum ist. Zum anderen geht es auch um die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Bei Rankings will ich wissen, in welchen Bereichen andere Unis besser abgeschnitten haben, um daraus möglichen Verbesserungsbedarf abzuleiten.
Die Fragen stellte Benjamin Haerdle.
DUZ Europa 09/2011 vom 04.11.2011