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„Das hat viel mit Übung zu tun“

Neue Stadt, neue Arbeitsstelle, neue Gesichter. Wenn man sich nur all die Namen merken könnte. Der Neurowissenschaftler Boris Konrad ist darin Weltmeister. 201 Namen kann er sich einprägen – in nur 15 Minuten. Sein Tipp für ein Supergedächtnis: Verwandeln Sie Worte in Bilder.

duz: Herr Konrad, Sie sind ein Meister im Namenmerken. Wie viele Namen können Sie sich einprägen und wie lange brauchen Sie dafür?

Konrad: Mein aktueller Weltrekord liegt bei 201 Namen in 15 Minuten.

duz: Ich trage den ungewöhnlichen Familiennamen Goddar. Wie würden Sie ihn sich einprägen?

Konrad: Jeden einzelnen Namen wandle ich in ein Bild um, um ihn mir zu merken. Wenn ich mir zum Beispiel Ihren Namen einprägen wollte, würde ich ihn in „God“ und „Art“ umwandeln. In einem nächsten Schritt würde ich mir vorstellen, wie Sie ein göttliches Bild malen und das dann vielleicht mit einem Bild der Sängerin Jeanette Biedermann verknüpfen. Dieses Bild würde ich, wenn ich Sie oder ein Foto von Ihnen sehe, dann wieder abrufen können.

duz: Die richtige Schreibweise bleibt dabei allerdings doch ziemlich gründlich auf der Strecke ...

Konrad: Die muss extra abgespeichert werden, das ist in der Tat eine zusätzliche Herausforderung. Allerdings stellt sich das Problem im Alltag kaum. Da ist in aller Regel entscheidend, dass Ihnen der Name eines Menschen wieder einfällt, dem Sie bereits einmal begegnet sind. Wenn Sie ihm oder ihr eine E-Mail schreiben, können Sie die Schreibweise ja noch einmal nachschauen. Im Wettbewerb würde ich mir einen Herrn Schmidt oder Schmitt jeweils mit einem anderen Beruf – beispielsweise als Hufschmied oder als Kunstschmied – vorstellen.

duz: Ist es nicht sehr viel umständlicher, mehrteilige Bilder zu entwerfen und zu behalten, als sich schlicht einen Vor- und einen Nachnamen mit ein paar Buchstaben zu merken?

Konrad: Einerseits: Ja. Aber dieses Verfahren bietet, kurz gesagt, die Chance, Bereiche unseres Gehirns zu nutzen, die über mehr Speicherplatz verfügen. Im Prinzip ist es so, wie wenn wir eine Autobahn nutzen: Die führt auch häufig am schnellsten zum Ziel, auch wenn der Weg weiter ist.

duz: Das müssen Sie erklären.

Konrad: Das eine Gedächtnis gibt es nicht, seine verschiedenen Teile sind in verschiedenen Bereichen unseres Gehirns niedergelegt. Und unser Gedächtnissystem für Namen und Begriffe ist evolutionär nicht sehr ausgeprägt. Unser episodisches und visuelles Gedächtnis ist sehr viel größer; damit ist es auch wesentlich besser imstande, die entsprechenden synaptischen Verbindungen für das Erinnern herzustellen.

duz: Manchmal hört man den Tipp, dass man sich Dinge besser merken kann, wenn man sie gedanklich in einzelne Räume der Wohnung platziert. Dann stellt man sich einfach vor, wie man durch die Zimmer spaziert und schon fällt einem alles wieder ein ...

Konrad: Das ist auch eine gute Methode – allerdings insbesondere, wenn Sie sich Dinge in einer bestimmten Reihenfolge merken müssen. Dann legen Sie jeden Schritt an einem bestimmten Ort ab. Damit Sie in Ihrer Imagination anschließend nicht immer wieder in Ihrer Drei-Zimmer-Wohnung im Kreis gehen, würde ich allerdings empfehlen: Teilen Sie die Wohnung einmal fest in beispielsweise 40 Orte auf: angefangen von der Haustür über den Garderobenhaken und den Schirmständer in den nächsten Raum etwa.

duz: Im Alltag begegnen wir häufig nicht nur einzelnen Menschen, sondern müssen uns gleich die Namen einer ganzen Gruppe merken. Wie fallen einem binnen weniger Sekunden zu so vielen Menschen Bilder ein?

Konrad: Das hat sehr viel mit Übung zu tun. Allerdings muss Ihnen das Bild nicht sofort einfallen. Wenn Sie Namen das erste Mal hören, reicht es, gut zuzuhören, auch daran hapert es oft. Tatsächlich ist es, wenn Sie sich viele Namen auf einmal merken müssen, nicht schlecht, sie zunächst auf einer Route abzulegen. Später gehen Sie diese dann ab und verbinden jeden Namen mit einem Bild.

duz: Und wenn es, wie unter Studierenden üblich, nur Vornamen zu merken gibt?

Konrad: Umso besser. Meist kennen Sie ja schon einen Christian oder eine Charlotte. Verknüpfen Sie die neue Bekanntschaft mit einem Menschen gleichen Namens.

duz: Ist es eine gute Übung, sich zum Beispiel nach der „Tagesschau“ noch einmal die Gesichter und Namen der Personen aus den Nachrichten ins Gedächtnis zu rufen?

Konrad: Sie müssen nicht bis zur Tagesschau warten. Schon während der Werbung können Sie überlegen: Wen habe ich heute getroffen; wie sah der oder die aus? Erstens übt das ohnehin. Zweitens hilft es, wenn Sie Namen länger im Gedächtnis behalten wollen. Mein System funktioniert länger, als man vielleicht denken würde. Nach einer Woche fallen Ihnen die Namen noch ein. Wenn Sie aber nach einem Jahr noch wissen wollen, wie jemand heißt, müssen Sie das Wissen gezielt reaktivieren.

duz: Was tun, wenn man sich Namen ganz gut, aber nur schwer Gesichter merken kann? Ich zum Beispiel versuche bei Tagungen regelmäßig, Menschen, die aus dem Publikum etwas Spannendes gesagt haben, hinterher anzusprechen. Und wenige Minuten später stehe ich da und denke: Ist die das wirklich?

Konrad: Tatsächlich sind verschiedene Gedächtnissysteme bei verschiedenen Menschen unterschiedlich ausgeprägt. In der Tendenz beobachten lässt sich ein Unterschied zwischen den Geschlechtern: Frauen können sich eher sprachliche Dinge einprägen, Männer räumliche Figuren und Formen. Um das visuelle Gedächtnis zu trainieren, können Sie versuchen, sich die Person, die gerade neben Ihnen auf einem Stuhl sitzt, in einer ganz anderen Situation vorzustellen: abends an der Bar oder beim Tennis.

duz: Inwieweit lässt die Gedächtnisleistung mit dem Alter nach?

Konrad: Vor allem die Geschwindigkeit, in der Menschen sich Dinge merken können, nimmt ab. Schon ab Ende 20 geht sie messbar zurück. Ein älteres Gedächtnis hat aber auch Vorteile: Ältere Menschen wissen mehr und verfügen über einen größeren Erfahrungsschatz. Dadurch erkennen sie Muster schneller und können, wenn sie darin geübt sind, besser assoziieren. Insgesamt gilt: Der Verlust der Merkfähigkeit lässt sich durch Training massiv aufhalten.

duz: Vor kurzem fand die Gedächtnisweltmeisterschaft in China statt. Muss man da mit chinesischen Namen rechnen?

Konrad: Nein, mit internationalen Namen. Chinesische Namen sind übrigens gar nicht so schwer, meist sind sie sehr kurz. Thailändische Namen sind eine echte Herausforderung, die haben häufig acht Silben und mehr.

duz: Und dann?

Konrad: Im Prinzip gilt das Gleiche. Zu einzelnen Bestandteilen schaffen Sie sich Bilder, notfalls müssen Sie leider Silbe für Silbe vorgehen. Dann haben Sie am Ende eine regelrechte Bildergeschichte im Kopf, die Sie wieder abrufen.

Die Fragen stellte Jeannette Goddar

 

Boris Konrad ist mehrfacher Weltrekordhalter im Gedächtnissport. Auch bei Weltmeisterschaften gewann er mehrfach, zuletzt 2013 in der Disziplin Namenmerken. Als Gedächtnistrainer bietet der 30-Jährige Vorträge und Seminare an – auch an Universitäten. Boris Nikolai Konrad hat Physik und angewandte Informatik studiert und in Neurowissenschaften promoviert. Derzeit forscht er als Postdoc am Donders-Institut für Gehirn, Kognition und Verhalten in Nijmegen in den Niederlanden.

Tipps zum Weiterlesen

Tipps zum Weiterlesen

Boris Nikolai Konrad: Superhirn – Gedächtnistraining mit einem Weltmeister: Über faszinierende Leistungen des menschlichen Gehirns; Goldegg Verlag 2013, 294 Seiten, 19,95 Euro.

Weitere Tipps sowie Auszüge aus Vorträgen, Hinweise auf Seminare und Kontaktdaten finden sich auf Boris Nikolai Konrads Website: www.namenmerken.de

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