Die Ohnmacht der Dekane
Die Organisation von Universitäten beruht immer öfter auf machtvollen Präsidien. So sollen die Hochschulen schneller und effektiver agieren. Aber ist das gut? Nein, sagen zwei Professoren, die das untersucht haben – und plädieren gegen den Zentralisierungswahn.
Das Management von Universitäten ist weltweit im Umbruch. Die vorherrschende Organisationsform: zentralistisch. Die Entscheidungskompetenzen von Universitätspräsidenten und -rektoren sind inzwischen so umfassend, dass die Fakultätsleitungen in ihrer Bedeutung marginalisiert sind. Dahinter steht etwas, das man im Englischen mit „Corporatization“ bezeichnet. Darunter versteht man den Versuch, Universitäten in ihrer Logik, ihrem Aufbau und ihren Prozessen strikt an dem Bild eines Unternehmens mit zentraler Planwirtschaft auszurichten. Für Unternehmen ist dieses Bild schon lange nicht mehr zeitgemäß. Doch für Universitäten halten Gesetzgeber, Beratungslobbyisten und Universitätsleitungen fast zwanghaft an diesem Paradigma fest. Sie wollen durch übergeordnete Einrichtungen die Geschicke von Fakultäten, Departments oder Abteilungen zentral planen, steuern und kontrollieren.
Auslöser für diesen Zentralisierungswahn war Ende der 90er Jahre die Unzufriedenheit von Ministerien und Wirtschaft mit den aus ihrer Sicht uneffektiv arbeitenden Universitäten. Zudem wollen die Universitätsleitungen den 1999 vor allem in Deutschland unnötig rigoros eingeführten Bologna-Prozess absichern. Sie entwickeln daher auf breiter Front zentrale Steuerungs- und Kontrollsysteme.
Fakultäten und ihre Dekane werden danach ausschließlich als ausführende Einheiten angesehen. Legitimiert wird das gern durch negative Stereotypen, die mantraartig wiederholt werden: Fakultäten seien für Interdisziplinarität unzugängliche Elfenbeintürme, unwillig zu Wirtschaftlichkeit und Marktorientierung. Fakultäten gelten bei der Universitätsleitung umso mehr als Organisationsproblem, je mehr sie selbst an der Komplexität einer zentral gelenkten Universität zu scheitern droht. Die nachvollziehbare, aber dennoch falsche Reaktion: noch mehr Zentralismus, beispielsweise durch
- maximale Verlagerung von Entscheidungskompetenzen aus den Fakultäten in die Universitätsleitung, so bei der Planung von Kapazitätsgrenzen, Berufungen, Studienfächern und Studiengängen,
- extreme Vergrößerung der direkt an die Universitätsleitung angebundenen Steuerungseinheiten wie „Strategisches Controlling“ und „Planung“,
- konsequente und bis zur Zensur reichende Zentralisierung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ausschließlich bei der Universitätsleitung,
- durchgängige Verhaltenssteuerung durch leistungsorientierte Gehaltsbestandteile, die final ausschließlich durch die Universitätsleitung vergeben werden,
- massiver Anstieg der von der Universitätsleitung zu verteilenden Mittel zu Lasten der Budgets auf Fakultätsebene,
- Abbau von zentralen Serviceeinrichtungen für die Fakultäten und dafür Aufbau von Governance-Instanzen direkt bei der Universitätsleitung.
Die resultierende Machtfülle der Universitätsleitungen ist enorm: Sie reicht mittlerweile von strategischen Grundsatzentscheidungen – wie Kapazitäten, Lehrstuhlbesetzungen oder Fächereinrichtungen – bis hin zu operativen Eingriffen in Forschung und Lehre.
KONSEQUENZ: Degeneration
Das Ergebnis dieser Zentralisierung ist eine ausufernde Bürokratie mit unzähligen Steuerungseinheiten: Controlling, Pressestelle, Vorlesungsplanung, Hörsaalverteilung, Auslandsbüro, Wissenstransferstelle, Gebäudeverwaltung und Qualitätsmanagement – sie alle werden für zentrale Steuerung instrumentalisiert, verbunden mit explodierenden Kosten und sinkender Entscheidungsqualität der Zentrale. Wenn letztlich ein Unipräsident alleine entscheidet, wächst die Gefahr von Fehlentscheidungen: Effektivität und Effizienz nehmen also zentralisierungsbedingt ab.
Wie ohnmächtig Fakultäten inzwischen sind, zeigt das Beispiel der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes: Obwohl sie mit ihren rund 5000 Studierenden seit Jahrzehnten Spitzenreiter in Sachen Sparsamkeit und Erfolg ist, erfuhr sie Ende Januar 2014 über eine Pressekonferenz aus Berlin, dass sie de facto geschlossen und etwa die Betriebswirtschaftslehre gemeinsam mit einer lokalen Fachhochschule in eine neue Einheit zusammengeführt werden soll.
Bei derartigen Verfahren bleibt wenig übrig von einem vernünftigen universitären Miteinander, wenn ein augenscheinlich stark instrumentalisierter Wissenschaftsrat dem Unipräsidenten für zentralistische Entscheidungen den Rücken freihält. Hier werden Fakultäten, also Studierende, Dozenten und Dekane, nicht ernsthaft in die Entscheidungsfindung involviert. Vielmehr verweigert man ihnen Informationsrechte, Mitentscheidungsrechte und Selbstverteidigungsrechte. Wenn dann die Universitätsleitung noch zusätzlich Herr über Daten und Medienkontakte ist, wird die Ohnmacht der Dekane zur bitteren Alltagsrealität.
ALTERNATIVE: Korporatismus
Wohin eine übersteigerte Zentralisierung von Universitäten führen kann, zeigt der internationale Vergleich. Australien etwa sieht universitäre Bildung ausschließlich als Exportgut an und produziert Massenuniversitäten. Dort stehen die Fakultäten unter einem strengen Diktat der Leistungsmessung, die sich primär auf internationale Sichtbarkeit in Rankings ausrichtet. Forschungsoutput und universitäre Identität bleiben in diesen wie neo-tayloristische Bildungsfabriken wirkenden Universitäten auf der Strecke. Auch in Japan nimmt der Zentralisierungsdruck auf Fakultäten zu.
Internationale Vergleiche belegen, dass Spitzenuniversitäten ihre Position der umfassenden Fakultätsautonomie verdanken. So durchzieht die Unis in den Niederlanden ein faktisches Konsensprinzip zwischen „oben“ und „unten“. Das verleiht den Fakultäten, die sich zudem eine eigene finanzielle Basis schaffen dürfen, eine selbstbewusste Stimme. In den USA ist die Fakultätsautonomie das Erfolgsrezept der Eliteuniversitäten. Sie operieren überwiegend mit sehr starken und relativ autonomen Fakultäten, deren Exzellenz fachspezifisch dezentral entsteht.
Moderne Universitäten brauchen ein dezentrales, demokratisches Management, wie es der Korporatismus bietet. Korporatismus, dessen Bezeichnung fatalerweise eine verbale Nähe zum englischen „Corporatization“ hat, ist ein Strukturprinzip, das auf der – zumeist freiwilligen – breiten Beteiligung von Gruppen an politischen Prozessen basiert. Korporatismus sieht die Universität als zivilgesellschaftlich von unten nach oben organisiert an.
TRENDWENDE: Die einzig denkbare Lösung
Beim Management einer Universität geht es weder um das Ego von Universitätsleitungen noch um die Selbstfindungswünsche von Professoren. Es geht um den Wissenschaftsstandort Deutschland: Hier sind breite universitäre Bildung ebenso gefragt wie isolierte Leuchttürme. Beides ist Teil einer akademischen Tradition, die es innovativ weiterzuentwickeln gilt.
Dementsprechend kommt den Fakultäten eine hohe Eigenverantwortung zu. Anstatt schlicht Autonomie zu fordern, ist es ihre Aufgabe, intrafakultär Schicksal und Richtung der Fakultäten zu bestimmen, wie auch interfakultär die Gemeinsamkeiten im Auge zu behalten. Notwendige Effizienz und Flexibilität entstehen aus den dezentralen, kollegialen Entscheidungen derer, die diese später in Forschung und Lehre umsetzen und verantworten werden.
Bei einer solchen Trendwende kommt jedem Einzelnen eine hohe Eigenverantwortung zu. Denn die Gefahr bei einer feudalistischen Zentralsteuerung ist groß, dass einzelne Professoren eine Individualoptimierung suchen und den fakultären Korporatismus durch devote Unterwerfungsakte unterlaufen. Ein Selbstläufer ist dieser Transformationsprozess also nicht. Dennoch: Fakultäten, deren Steuerungsmechanismen den modernen Anforderungen der Offenheit, Kollegialität und Verantwortung entsprechen, sind nicht das Problem der Universität der Zukunft. Sie sind die einzig denkbare Lösung.
DUZ Magazin 05/2014 vom 25.04.2014