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„Wir werden Druck aufbauen“

Die Zeit der Reden ist vorbei, wenn es um die Schaffung des einheitlichen Forschungsraums in Europa geht. Das ist seit Jahren das Credo der EU-Forschungskommissarin Máire Geoghegan-Quinn. Die Mitgliedsstaaten sieht sie in der Pflicht. Bis die Werkzeuge der Kommission greifen, können aber Jahre vergehen.

duz: Frau Geoghegan-Quinn, Horizont 2020 geht nun an den Start, 79 Milliarden Euro beträgt das Budget für die nächsten sieben Jahre. Sind Sie zufrieden damit?

Geoghegan-Quinn: Natürlich könnte man immer noch mehr haben, aber es ist eine enorme Summe. Wenn man bedenkt, dass die Budgetentscheidung in einer Zeit fiel, in der viele Staatsregierungen ihre Haushalte kürzen mussten, grenzt ein Plus von nahezu 30 Prozent für den Forschungsetat fast an ein Wunder.

duz: Die nächste Herausforderung für Sie lautet nun der Europäische Forschungsraum, kurz ERA. Was kann Horizont 2020 zu ERA beitragen?

Geoghegan-Quinn: ERA ist ja nichts Neues, wir reden darüber schon seit zwölf Jahren. Bei meinem Amtsantritt im Jahr 2010 war ich nicht zufrieden damit, weil die Fortschritte nicht allzu groß waren. Es wurde sehr viel geredet, aber nur wenig gehandelt. Die Zeit der Reden ist vorbei. Das war meine Botschaft an alle beteiligten Akteure. Nun müssen Ergebnisse her.

duz: In diesem Jahr sollte ERA eigentlich fertig sein. Wurden die Ergebnisse geliefert?

Geoghegan-Quinn: Wir haben die EU-Staaten davon überzeugt, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden, dass auch sie zu ERA beitragen müssen. Es ist uns auch gelungen, gemeinsam mit Dachorganisationen aus der Wissenschaft ein Memorandum of Understanding zu unterzeichnen, um festzulegen, was sie für ERA machen müssen. Und die Kommission hat einen Fortschrittsbericht vorgelegt, in dem sie beschreibt, in welchen Bereichen Schwächen bei der Umsetzung liegen und wo noch mehr getan werden muss. Dafür müssen wir den Dialog mit Regierungen, Wissenschaftsorganisationen und Forschern fortsetzen.

duz: Wie weit ist man denn von der Vollendung noch entfernt?

Geoghegan-Quinn: Die Fortschritte sind schon jetzt ganz gut, wir wissen auch um die Probleme. Diese Schwächen zu beheben, liegt zumeist in der Kompetenz der EU-Staaten, nicht auf Seiten der EU-Kommission. Auch der EU-Rat ist wichtig. Die Regierungschefs müssen erkennen, wie es um ERA in ihrem Land bestellt ist und welche Gesetze ERA möglicherweise verhindern. Sie können dann – und ich bin sicher, die meisten werden das – darauf bestehen, mögliche Hindernisse zu beseitigen.

duz: Wo drückt aus Ihrer Sicht am meisten der Schuh?

Geoghegan-Quinn: Sehr entäuscht bin ich über die zu geringe Umsetzung der Gleichberechtigung von Wissenschaftlerinnen. Der Fortschritt reicht in keinster Weise aus. Da müssen wir noch sehr viel mehr machen. Ein Problem sehe ich auch beim Thema Personalmanagement an Hochschulen.

duz: Inwiefern?

Geoghegan-Quinn: Es fehlen immer noch Karrierewege, die es etwa talentierten europäischen Wissenschaftlern, die derzeit in den USA forschen, erleichtern, an eine europäische Hochschule zu kommen. Die Unterschiede in Europa sind von Staat zu Staat sehr groß, das verwirrt viele Wissenschaftler. Außerdem sind Ausschreibungs- und Auswahlverfahren nicht immer vollkommen transparent und offen.

duz: Was ist in den USA anders?

Geoghegan-Quinn: Wenn ich dort eine Karriere in der Wissenschaft einschlage, weiß ich, wo ich nach zehn Jahren stehe. Einheitliche Karrierewege möchte ich auch gerne in Europa sehen, dafür brauche ich ERA. Und noch ein anderes Beispiel: Es geht auch darum, Wissenschaftlern keine Hindernisse in den Weg zu stellen, ins europäische Ausland zu gehen, weil Stipendien oder Forschungszuwendungen nicht übertragbar sind. Mittlerweile ist es für europäische Forscher sehr viel einfacher, in den USA zu arbeiten, als innerhalb der EU zu wechseln. Das ist ein herber Verlust für Europa.

duz: Wer muss diese Probleme lösen?

Geoghegan-Quinn: Das sind Hausaufgaben, um die sich die EU-Mitgliedsstaaten kümmern müssen. Sie müssen sich überlegen, wie sie diese Hürden beseitigen können.

duz: Und was können Sie dazu in der Kommission tun?

Geoghegan-Quinn: Im Oktober werden wir dem EU-Rat einen ERA-Schlussbericht präsentieren. Basierend darauf wird der Rat dann Entscheidungen treffen. Vor diesem Hintergrund werden wir so viel Druck wie möglich auf die EU¬Mitgliedsstaaten und die Wissenschaftsorganisationen aufbauen und ihnen sagen, in welchen Bereichen wir noch dringenden Reformbedarf sehen.

duz: Womit ist in dem ERA-Bericht zu rechnen?

Geoghegan-Quinn: Der Bericht wird hoffentlich zeigen, dass wir uns in den Punkten, die wir in dem ersten ERA-Bericht noch als Schwächen ausgemacht haben, verbessert haben. Der Bericht wird aber einige EU-Staaten möglicherweise in Verlegenheit bringen. Sie werden sehen, dass sie bei der Umsetzung von ERA nicht an der Spitze liegen und dass es für sie viel zu tun gibt.

duz: Was planen Sie als Kommissarin zusätzlich, um ERA baldmöglichst zu einem Ende zu bringen?

Geoghegan-Quinn: Wir können mit gutem Beispiel voranschreiten, etwa beim Ungleichgewicht der Geschlechter. Wir haben bei Horizont 2020 das Ziel, mindestens 40 Prozent Frauenbeteiligung in unseren Expertenausschüssen für Projektauswertung zu erreichen. Für unsere spezifischen Beratergruppen war das Ziel sogar 50 Prozent. Das haben wir auf Anhieb erreicht.

duz: EU-Parlamentarier haben eine Richtlinie vorgeschlagen, um ERA zügiger umzusetzen. Ist das eine Option für Sie?

Geoghegan-Quinn:  Auf der einen Seite erkenne ich die Vorzüge, auf diesem Weg meine Ziele zu erreichen. Auf der anderen Seite sehe ich das aber auch pragmatisch: Es dauert zu lange, bis eine EU-Richtlinie in Kraft tritt. Ich würde eine Richtlinie aber nicht ausschließen.

duz: Werden Sie noch während Ihrer Amtsperiode den Prozess für eine Richtlinie ins Rollen bringen?

Geoghegan-Quinn: Nein. Wenn ich im kommenden Jahr das Amt an meinen Nachfolger übergebe, werde ich ihm konkret sagen, wie weit wir bislang gekommen sind und was er meiner Meinung nach noch unternehmen muss, wenn er mehr erreichen möchte. Dazu könnte dann auch eine Richtlinie zählen. In meiner Amtszeit werde ich aber kein Verfahren mehr einleiten.

duz: Sind Sie von ERA überzeugt?

Geoghegan-Quinn: Ja, ich glaube leidenschaftlich daran, und ich weiß, dass viele EU-Staaten und viele Wissenschaftler auch meiner Meinung sind. Wenn Europa die Abwanderung talentierter Wissenschaftler nach Nordamerika und Asien stoppen und seine Forscher zurückholen möchte, dann gibt es zu ERA keine Alternative.

duz: Wird ERA jemals vollendet?

Geoghegan-Quinn: Es wäre schön, wenn ich den Zeitpunkt erlebe, wenn ein EU-Forschungskommissar sagen kann, ERA ist vollendet. Das würde ich gerne hören.

Máire Geoghegan-Quinn

Máire Geoghegan-Quinn

Die 63-jährige Irin ist seit 2010 als EU-Kommissarin zuständig für Forschung, Innovation und Wissenschaft. Zuvor machte die studierte Lehrerin Karriere im irischen Parlament für die liberaldemokratische Partei Fianna Fáil. Sie war in den 80er- und 90er-Jahren unter anderem Justizministerin, Ministerin für Tourismus, Verkehr und Kommunikation sowie Ministerin für europäische Angelegenheiten.

Internet: http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/geoghegan-quinn/

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