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Schluss mit Hunger

Was bedeuten Hunger, Krieg und Vertreibung für Menschen, die unmittelbar davon betroffen sind? Mit dieser Frage befasst sich der Ökonom Tilman Brück. Seine Ergebnisse zeigen zum Teil überraschende Zusammenhänge.

„Zero Hunger“ – null Hunger – ist das zweite der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die bis 2030 erreicht werden sollen. Es scheint wenig realistisch, dass daraus etwas wird. Was also meinen die Initiatoren einer Plattform, wenn sie sich „Zero Hunger“ in den Namen und damit auf die Fahne schreiben? Der Ökonom Prof. Dr. Tilman Brück, der seit dem Sommer in Berlin das „Zero Hunger Lab“ aufbaut, gibt auf diese Frage zunächst allen Pessimisten recht. Doch, so erläutert er, sein wissenschaftlicher Blick ist nicht auf das große Ganze, sondern auf die Mikroebene gerichtet. Er erforscht, was sich regional und lokal, bei den einzelnen Menschen vor Ort verändert. Beispielsweise, sagt er, hat China, so umstritten es politisch sein mag, in den letzten 40 Jahren den Hunger praktisch besiegt. 

Im Juli 2022 wurde er als Heisenberg-Professor auf Lebenszeit an die Humboldt-Universität berufen, um zusammen mit dem Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ), wo er als Wissenschaftler tätig ist, das „Zero Hunger Lab“ aufzubauen. Hier wird er nach jenen Antworten suchen, die klein aussehen, aber wichtig sind, um die großen Fragen zu beantworten. Es gilt zu verstehen, wie Menschen auf der Mikroebene auf Krisen, Konflikte und Katastrophen reagieren. „Auf der obersten Ebene sind die Konzepte klar“, sagt Brück, „aber sie herunterzubrechen und zu konkretisieren, was sie für die Menschen bedeuten, das ist oft schwierig. Da gibt es Konflikte, Abhängigkeiten, politischen Widerstand. Da brauchen wir sehr viel mehr Wissen und müssen lernen, wie man die Konzepte umsetzt. Das möchte ich machen.“

Ein neues Forschungsfeld geschaffen

Mit dieser Forschungsperspektive stand er zu Beginn seiner Laufbahn allerdings etwas allein da. Er erinnert sich an seine Zeit in Oxford: „Als ich als Doktorand vor 25 Jahren auf der Mikroebene zu den Folgen von Krieg forschte, war ich der Einzige an meiner Uni und ein Exot. Es war schwierig, mit diesem Thema auf Konferenzen oder in Publikationen zu Wort zu kommen.“ Er gründete 2004 mit zwei anderen Wissenschaftlern das Forschungsnetzwerk „The Household in Conflict Network“ (HiCN). Mit regelmäßigen Treffen und Vernetzungen schafften sie es, das Thema voranzubringen. „Es ist ein Forschungsfeld entstanden“, sagt Brück heute. Er ist stolz drauf. Denn das ist wichtig für ihn: Forschung anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zugänglich zu machen und Austausch zu ermöglichen. 

Zero Hunger Lab 

Die Forschung über die Auswirkungen von Krieg auf die einzelnen Menschen ist einer der roten Fäden seiner wissenschaftlichen Arbeit, die jetzt im Zero Hunger Lab zusammenfließen. Die Forschung zu Ernährung und Kleinbauern ein anderer. Die Anfänge dieser Fäden finden sich im schottischen Glasgow, wo Brück Politische Ökonomie studierte und wo ein Professor sein Interesse für Agrarökonomie, Entwicklungsforschung und das Verhalten von Kleinbauern weckte. Brück erkannte: Das sind die Themen der Lebensrealität. Er begann sich mit der Mikroebene zu beschäftigen, wie Menschen auf Veränderungen, Krisen und Katastrophen reagieren; warum manche lieber in einem schäbigen Flüchtlingslager bleiben, als dahin zurückzukehren, wo sie herkamen, und wieso das Leben auf dem Land nur scheinbar idyllisch und in der Realität oft noch schlechter ist als die erbärmlichen Zustände in städtischen Slums. Einsam, weit draußen, ohne Strom, ohne Radio. „Ich will nicht die Welt erklären, sondern den Menschen verstehen“, sagt Brück. „Ich hätte auch Psychologie studieren können.“

Die Ökonomie von Krieg 

Als Postgraduate und Stipendiat in Oxford fand er das „Forschungsthema meines Lebens“: die Ökonomie von Krieg. Brück promovierte über die Nachkriegszeit in Mosambik und hatte dabei neben der inhaltlichen Forschungsarbeit ein Schlüsselerlebnis, als er die Berichterstattung der BBC über eine Flutkatastrophe in dem afrikanischen Land sah: „Da wurden Menschen interviewt, die gar nicht so viel Ahnung hatten – vermutlich, weil sie eben diejenigen waren, die die Journalisten schnell erreichen konnten. Ich habe mich trotzdem geärgert, denn ich hatte mehr Wissen und hätte bessere Informationen geben können.“  Seither ist Brück, wie er sagt, „erreichbar“ für die Medien, und das ist einer seiner Wege, mit seiner Forschung etwas zu bewirken: sie der wissenschaftlichen Community und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, oder Akteuren wie der Weltbank, Stiftungen oder Nichtregierungsorganisationen, die Geldgeber für viele seiner Projekte sind. Als beim Attentat auf die Wolkenkratzer des Word Trade Centers in New York am 11. September 2011 Tausende Menschen ermordet wurden, organisierte Brück einen Workshop zu den ökonomischen Folgen: Wie würden die Menschen mit der auf das Attentat folgenden Unsicherheit umgehen? „Die Ökonomie war sprachlos damals, es war der erste Workshop zu dem Thema und ich habe eine Menge Anfragen bekommen“, erzählt Brück. „So konnte ich meine Forschung sinnvoll anwenden und transferieren.“

Die Forschung zu Konflikten und den Folgen für die betroffenen Menschen mündete 2014 in die Gründung des ISDC – International Security and Development Center in Berlin, als dessen Direktor Brück bis heute arbeitet. Er hat sich inzwischen jedoch immer mehr dem Thema aus seinem Studium in Glasgow zugewendet, der Ernährung und den Kleinbauern. Ohne Essen ist alles nichts und in vielen armen Ländern sind noch 80 Prozent der Menschen in der Landwirtschaft tätig. Essen anzubauen ist umgekehrt eine der ersten Handlungen, mit denen Menschen auf Katastrophen reagieren. Und auch in reichen Ländern sind nicht alle Menschen in der Lage, sich gut, gesund und zuverlässig zu ernähren. Brück hat viele Untersuchungen dazu durchgeführt, begleitet oder ausgewertet. Es sind ganz kleine Befragungen vor Ort wie beispielsweise eine aktuelle Untersuchung in einem Stadtteil in El-Fasher, einer Stadt in Darfur im Sudan, wo er das Schicksal von geflüchteten und nicht geflüchteten Menschen vergleicht, die zu unterschiedlichen Zeiten in die Stadt kamen. 

Bildungschancen durch Flucht

Es kommen Ergebnisse dabei heraus wie die Erkenntnisse, dass die geflüchteten jungen Mädchen und Frauen trotz der tragischen Fluchtsituation in der Stadt von den Infrastrukturen und liberaleren Normen profitieren und eine Bildung erhalten, die sie auf dem Dorf nicht bekommen hätten. „Wir können sehen, wie Gewalt zu Strukturveränderungen beiträgt“, sagt Brück. Im Zero Hunger Lab werden viele Fäden zusammenkommen. Brück ist jetzt Anfang 50. Er schaue auf die zahlreichen Projekte, die er durchgeführt und ausgewertet habe, sagt er. Jetzt stehe es an, die Erkenntnisse zu aggregieren: „Ich habe das Gefühl, ich bin an einem Punkt angekommen, an dem ich sehr viel empirische Evidenz gesammelt habe. Ich versuche jetzt, die Puzzlesteine zusammenzuführen.“ //

Tilman Brück


Meine Forschung

Die Herausforderung: 

Wie gehen Menschen mit Veränderungen um? Warum verändern Menschen ihr Verhalten? Welche langfristigen Auswirkungen haben diese Veränderungen für die Gesellschaft? Das untersuche ich für Krisen wie Hunger, Krieg und Klimawandel.

Mein Beitrag: 

Ich übersetze die großen Narrative in konkrete Forschungsfragen, die die Rollen von Individuen untersuchen – und die empirisch umsetzbar sind. Dazu entwickele ich neue Forschungsmethoden und arbeiten mit Praktikern zusammen, um relevant und aktuell zu sein.

Drohende Gefahren: 

Menschen haben generell eine große Abneigung gegen schnelle Veränderungen. Mit Unterstützung können sie jedoch in kürzester Zeit viel bewegen. Unsere Institutionen in Deutschland und auf der ganzen Welt sind aber selber zu phlegmatisch, um dramatischen Wandel gestalten zu können. So rasen wir sehenden Auges auf den Abgrund zu. Das Glas ist nicht halb leer – es hat einen riesigen Sprung!

Offene Fragen: 

Wie werden wir schneller besser? Oder: Wie repariert man Glas?

Mein nächstes Projekt:

Hunger besiegen, Krieg beenden, die Klimakrise abwenden – dazu müssen wir Macht und Ungleichheit verstehen und bändigen. Dazu möchte ich mit dem Zero Hunger Lab beitragen.

Foto: privat

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