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Am Abgrund

Die deutsche Wissenschaft reagiert auf den Angriff Putins gegen das ukrainische Volk fast unisono: Die traditionell guten Beziehungen zu Russland sind auf Eis gelegt. Ebenso handeln viele andere Forschende in den EU-Mitgliedsstaaten

Weltweit stoppen Wissenschaftsorganisationen, Forschungsinstitute und Hochschulen ihre oft langjährigen Kooperationen mit ihren russischen Partnern. Mit öffentlichen Stellungnahmen verurteilen sie, wie in Deutschland die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, den kriegerischen Angriff der Russischen Föderation auf ihr Nachbar- und Bruderland als eklatanten Bruch des Völkerrechts, durch den es keine weiteren Außenwissenschaftsbeziehungen zu Russland geben könne. Mit seinem Statement zum Stopp der Wissenschaftsbeziehungen bringt DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee zum Ausdruck, was derzeit viele Wissenschaftler und Hochschulmitglieder bewegt: „Wir müssen erkennen, dass wir vor einer gewaltigen außen-, verteidigungs- und sicherheitspolitischen Herausforderung stehen. Eine Herausforderung, die es so seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa nicht mehr gegeben hat und die das europäische Wertefundament erschüttert. Auch die Außenwissenschaftspolitik muss sich fragen, welchen Beitrag sie zur Gesamtstrategie der Bundesregierung und der Europäischen Union zur Isolierung Russlands leisten kann.“

EU-weite Solidarität mit der Ukraine

Die European University Association (EUA) hat ihre Mitgliedsuniversitäten in ganz Europa dazu aufgerufen, ihre Bildungs- und Forschungskooperationen mit Russland möglichst einzufrieren, die Zusammenarbeit mit allen regierungsnahen Einrichtungen vorläufig zu beenden sowie Studierende und Wissenschaftler aus der Ukraine zu unterstützen. Und als Reaktion auf die Erklärung der Russischen Rektorenunion (RUR), in der diese sich auf Putins Seite stellt und die Invasion in die Ukraine rechtfertigt, hat die EUA zwölf russische Universitäten aus ihrer Vereinigung suspendiert. Diese Erklärung würde den europäischen Werten diametral widersprechen – so die EUA. Darüber hinaus empfiehlt sie ihren Mitgliedsuniversitäten und den Nationalen Rektorenkonferenzen, neue Kooperationsvereinbarungen nur noch mit Institutionen in Russland zu schließen, die fest auf der Grundlage gemeinsamer europäischer Werte agieren.

Russische Wissenschaftler rufen zum Frieden auf

Anfang März beschloss auch die oftmals eher zerstrittene EU-Kommission einhellig, die Zusammenarbeit mit russischen Einrichtungen in den Bereichen Forschung, Wissenschaft und Innovation auszusetzen. Zahlungen an russische Einrichtungen im Rahmen bestehender Verträge werden gestoppt. Alle laufenden Projekte, an denen russische Forschungseinrichtungen beteiligt sind, werden überprüft – auch die im Rahmen des EU-Forschungsprogramms „Horizont Europa“. Zudem wird die Kommission keine neuen Vereinbarungen mit russischen Organisationen im Rahmen von Horizont Europa abschließen.

Auch in Russland protestieren Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten gemeinsam gegen „die Entfesselung des Krieges für die geopolitischen Ambitionen der russischen Führung, getrieben von zweifelhaften geschichtspolitischen Phantasien“. In einem offenen Brief, der am 24. Februar in der Internetausgabe der Wissenschaftszeitschrift trv-science.ru veröffentlicht wurde, distanzieren sich die Unterzeichnenden ausdrücklich von Putin. Dort heißt es unter anderem: „Durch die Entfesselung des Krieges hat sich Russland selbst zur internationalen Isolation, zur Position eines Pariastaates verurteilt. … Die Isolierung Russlands von der Welt bedeutet eine weitere kulturelle und technologische Degradierung unseres Landes, die keine positiven Perspektiven bietet. Ein Krieg mit der Ukraine ist ein Schritt ins Nirgendwo. … Wir fordern die sofortige Einstellung aller Militäraktionen gegen die Ukraine. Wir fordern die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität des ukrainischen Staates. Wir fordern Frieden für unsere Länder. Lassen Sie uns Wissenschaft betreiben, nicht Krieg!“ Mehr als 380 russische Wissenschaftler unterzeichneten binnen 24 Stunden den Appell für den Frieden, darunter 65 Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Am 4. März waren es bereits mehr als 7500 Unterzeichnende.

Erste Sanktionen greifen schon

Weltweit ist es bereits zu erheblichen Beeinträchtigungen der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland gekommen. So wird das Journal of Molecular Structure Manuskripte russischer Institute nicht mehr begutachten. Das Bostoner Massachusetts Institute of Technology beendet seine Zusammenarbeit mit der Skolkovo-Innovationsstiftung, die Internationale Mathematische Union wird seine prestigeträchtige Fields-Medaille nicht mehr in Sankt Petersburg, sondern online verleihen. Die Raumfahrtagenturen Nasa und ESA gaben bekannt, die Zusammenarbeit mit Russland im Weltraum zu „beobachten“, nachdem die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos die längerfristige Zukunft der Internationalen Raumstation ISS infrage gestellt hatte. Betroffen ist auch das europäisch-russische Weltraumprojekt „ExoMars“, das Leben auf dem Mars aufspüren will. Der geplante Start in diesem Jahr wird wahrscheinlich nicht stattfinden.

Zu harten Maßnahmen greift auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Sie setzte mit sofortiger Wirkung alle von ihr geförderten Forschungsprojekte zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland und Russland aus. Förderanträge für neue Kooperationen und Fortsetzungsanträge werden bis auf Weiteres nicht angenommen. In den bestehenden Kooperationsprojekten sollen keine Daten, Proben und Geräte sowie anderes wissenschaftliches Material ausgetauscht werden. Die Finanzierung der russischen Anteile gemeinsamer Projekte wurde gestoppt, die deutschen Projektanteile werden indes weiterfinanziert. Insgesamt förderte die DFG in den letzten drei Jahren mehr als 300 deutsch-russische Forschungsprojekte mit insgesamt über 110 Millionen Euro.

Bisher galt Russland als attraktiver Partner

Anfang 2021 sah das noch ganz anders aus, da war Russland von besonderer Bedeutung für das deutsche Wissenschaftssystem und zählte zu den Schwerpunktländern des internationalen Förderhandelns der DFG. Das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi), das Erfahrungen verschiedener Wissenschaftsdisziplinen zu deutsch-russischen Kooperationen ausgewertet hatte, konnte viel Positives berichten. So wurde von deutscher Seite vor allem der sehr gute Ausbildungsstand des wissenschaftlichen Nachwuchses aus Russland und eine beständig hohe Verlässlichkeit gelobt. Schwierig sei es allerdings in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, da sei der Themenrahmen in den letzten Jahren spürbar enger geworden. Anders in den Naturwissenschaften. Die Modernisierung des russischen Wissenschaftssystems sei hier besonders sichtbar, wie in der experimentellen Physik und der Polarforschung mit hervorragenden Forschungseinrichtungen vor Ort. Der Ausbau der akademischen Zusammenarbeit in diesem Bereich sei deshalb besonders attraktiv. Doch all das wird nun für lange Zeit der Vergangenheit angehören.

Als die Allianz der Wissenschaftsorganisationen am 25. Februar ihren Mitgliedsinstitutionen empfahl, alle wissenschaftlichen Kooperationen mit staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen in Russland mit sofortiger Wirkung einzufrieren, bekundete sie zwar auch ihre Solidarität mit russischen Kooperationspartnern und Wissenschaftlern, die sich von Putin distanzierten. Doch was implizierte das genau? So kam schnell, nicht nur unter Journalisten, die Frage auf: Wurde damit allen Ernstes von russischen Forschenden und auch Studierenden in Deutschland, die von deutscher Seite aus gefördert werden, verlangt, dass sie sich offen gegen den Diktator stellen – was für sie und ihre Angehörigen sehr bedrohlich sein könnte? Und falls sie sich das nicht trauen sollten, würden sie dann keinerlei deutsche Unterstützung mehr erhalten? Auf Nachfrage der DUZ stellte sich die Hochschulrektorenkonferenz schützend vor diese Gruppe und antwortete: „Für sich gegenwärtig an deutschen Hochschulen aufhaltende Studierende und Wissenschaftler russischer Staatsbürgerschaft stehen personalisierte Sanktionen (etwa Abbruch des Aufenthalts o. ä.) nicht zur Debatte. Auch die Zuwendungsgeber wollen etwa die Zahlung laufender Stipendien an russische Staatsbürger, z. B. Studierende und Doktoranden, nicht einstellen. Vielmehr wird darüber nachgedacht, Unterstützungsfonds für diesen Personenkreis aufzulegen, soweit sie aufgrund der Sanktionen keinen Zugriff auf ihre Finanzmittel haben. Für an deutschen Hochschulen angestellte Personen gilt das deutsche Arbeitsrecht unabhängig von der Staatsbürgerschaft.“

Frontenbildung und Ausgrenzung verhindern

Auch in Österreich, wo sehr viele russische und ukrainische Wissenschaftler und Studierende an Hochschulen und Forschungseinrichtungen gemeinsam studieren und forschen, hat man sich für diplomatische Lösungen entschieden. So wird der Wissenschaftsfonds FWF – Österreichs größte Agentur zur Finanzierung der Grundlagenforschung – keine neuen Forschungsprojekte mit russischer Beteiligung mehr fördern und hat die Zusammenarbeit mit dem Russischen Wissenschaftsfonds RSF ausgesetzt. Einzelne Forschungsinstitute wiederum möchten keinen Bruch mit ihren russischen Hochschulangehörigen. Darunter das Institute of Science and Technology Austria (Ista) in Klosterneuburg: Am Ista, das Grundlagenforschung in Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik betreibt, studieren und forschen Menschen aus 79 Nationen, darunter auch zahlreiche Wissenschaftler und Studierende aus der Ukraine und Russland. „Das Ista ist auf internationaler Zusammenarbeit und friedlicher Verständigung aufgebaut. Den Krieg in der Ukraine verurteilen wir auf das Schärfste“, so Präsident Thomas Henzinger. Und er streicht heraus: „Gleichzeitig möchte ich klarstellen, dass ungeachtet ihrer Identität oder Herkunft absolut kein Platz für Hassreden oder Handlungen gegen Einzelpersonen oder Gruppen am Campus ist. Unsere Verurteilung ist eine Verurteilung der derzeitigen russischen Führung.“

Eine ähnliche Haltung nimmt das Institut für Molekulare Biotechnologie (Imba) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ein. „Unser Institut ist ein inklusives Umfeld, das das Recht auf ein freies und sicheres Leben unterstützt. Wir haben viele Talente aus der Ukraine und Russland, unsere Gedanken sind bei ihnen“ – heißt es auf der Homepage. In Solidarität mit den ukrainischen Forschenden hat die ÖAW ihr Austauschprogramm „Joint Excellence in Science and Humanities“ erweitert, um ihnen Forschungsaufenthalte in Österreich zu ermöglichen.

Auch die österreichischen Universitäten haben ein Bündel an finanziellen und organisatorischen Soforthilfemaßnahmen und Unterstützungsangeboten geschnürt. Diese reichen von Forschungsaufenthalten über einen unbürokratischen Studienzugang für ukrainische Studierende bis hin zu finanziellen und logistischen Unterstützungsleistungen für alle Studierenden und Universitätsangehörigen in Österreich, „die von den Auswirkungen des Krieges unmittelbar betroffen sind“ – so die Österreichische Universitätenkonferenz (uniko). Zugleich betont sie, dass es wichtig sei, „ein Signal an russische Studierende, Wissenschaftler und Aktivisten zu richten, die unter großer Gefahr ihre Stimme gegen den Krieg erheben und massiven Repressionen ausgesetzt sind“. Für uniko-Präsidentin Prof. Dr. Sabine Seidler steht außer Frage: „Wir lassen nicht zu, dass der Krieg unsere Universitäten spaltet. Wissenschaft, Kunst und ein friedliches Miteinander sind unsere gemeinsame Sprache.“ //


Traditionell gut

Die deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen galten bisher als resilient. Es gab zahlreiche Anknüpfungspunkte für gemeinsame Spitzenforschungsprojekte. Eine kleine Auswahl gemeinsamer Forschungsaktivitäten:

Mit der Unterzeichnung der „Deutsch-russischen Roadmap für die Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation“ vereinbarten 2018 die damalige deutsche Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und ihr russischer Amtskollege Michail Michailowitsch Kotjukow gemeinsam eine zehnjährige Kooperationsstrategie mit umfassender Beteiligung der Forschungs-, Förder- und Mittlerorganisationen beider Länder. Die Zusammenarbeit baute auf vier „Säulen“ auf:

Säule I: Ausbau der Kooperation bei Großforschungsanlagen zur naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung: Beide Länder sind die wichtigsten Träger des Freie-Elektronen-Röntgenlasers European XFEL in Hamburg und der im Bau befindlichen Multifunktions-Beschleunigeranlage FAIR in Darmstadt zur Forschung mit Antiprotonen und Ionen. Das von der EU seit Februar 2020 mit rund 25 Millionen Euro geförderte Projekt CREMLIN+ zur Kooperation europäischer und russischer Großforschungsanlagen wird vom deutschen Partner DESY koordiniert.

Säule II: u.a. Meeres- und Polarforschung – Höhepunkt der langjährigen Kooperation war die größte jemals durchgeführte Arktis-Forschungsexpedition, das Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate (MOSAiC). Russland war daran wissenschaftlich beteiligt und stellte Eisbrecher, Flugzeuge und Hubschrauber zur Versorgung des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern bereit.

Säule III: Stipendienprogramm für russische Nachwuchsforschende an Großforschunganlagen in Deutschland sowie für Berufsbildungszusammenarbeit.

Säule IV: Entwicklung von Maßnahmen, um den Transfer von Forschungsergebnissen und die Schnittstellen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zu verbessern.

Auch in der Raumfahrt arbeiteten beide Länder bisher eng zusammen. Höhepunkt war der Start der Weltraummission Spektrum-Röntgen-Gamma mit dem deutschen Röntgenteleskop eROSITA. Die Mission wurde von den beiden nationalen Raumfahrtagenturen gefördert und sollte voraussichtlich bis zum Jahr 2026 andauern. Darüber hinaus führten russische und deutsche Wissenschaftler auf der Internationalen Raumstation (ISS) eine Reihe gemeinsamer Experimenten durch. Zudem wurde Russland als wichtiger Partner in der Entwicklung und Umsetzung einer international wettbewerbsfähigen Bioökonomie für eine nachhaltige Form des Wirtschaftens gesehen. //

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