„Pauschale Abgrenzung wäre kontraproduktiv“
Die Hochschule Magdeburg-Stendal pflegt seit über 20 Jahren Beziehungen zu Russland und zur Ukraine. Rektorin Anne Lequy erklärt im Interview, welche Folgen Putins Krieg für ihre Hochschule hat und was dadurch alles verloren zu gehen droht
BMBF, DAAD und DFG haben die Zusammenarbeit mit Russland gestoppt und frieren laufende und geplante Maßnahmen ein: Welche unmittelbaren Konsequenzen hat das für Ihre Hochschule?
Es wird vorerst keine vom DAAD finanzierte Mobilität russischer Studierender mehr geben. Das gilt auch für den Austausch deutscher Studierender, die keine Förderung mehr für einen Aufenthalt in Russland erhalten.
Inwieweit wollen Sie sich diesem Stopp anschließen?
Die European University Association hat aufgrund der Putin-hörigen Statements ihrer Hochschulleitungen die Mitgliedschaft von zwölf russischen Universitäten suspendiert. Diesen Entschluss trage ich als Mitglied des Vorstands der EUA selbstverständlich mit. Unabhängig davon gibt es viele russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in einem Offenen Brief im Internet mutig gegen den Krieg positioniert haben. Den Dialog mit solchen Kolleginnen und Kollegen fortzuführen, halte ich für sehr wichtig. Studierenden aus Russland, die bereits jetzt Hochschulangehörige sind, wollen wir eine normale Teilhabe am Hochschulleben ermöglichen. Ausnahme ist die Forschung im Bereich der dual-use-Technologien – Technologien, die sowohl zu zivilen als auch zu militärischen Zwecken Anwendung finden. Russische Studierende, die nun finanzielle Probleme bekommen, sollen vorrangig durch die russische Botschaft und Konsulate unterstützt werden. Und wir warnen eindringlich davor, russische Studierende auf unserem Campus zu diskriminieren.
Was sollte man jetzt tun?
Das Gespräch mit Menschen, die sich für den Frieden einsetzen, muss weitergehen. Sie brauchen unsere Solidarität. Ich sehe darin die beste Chance, nach dem Krieg die positiven Kräfte zu stärken. Eine pauschale Abgrenzung wäre kontraproduktiv.
Welche Unterstützung wünschen Sie sich in dieser Situation von Politik, Ministerien und Verwaltung?
Ich halte es für wichtig, dass Deutschland sich auch auf Flüchtende aus Russland gut vorbereitet. Zusätzlich braucht es kurzfristig eine Klärung der finanziellen Unterstützung für ukrainische Studierende. Der Geldfluss ist unterbrochen. Sie benötigen eine Absicherung zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes in Deutschland. Darüber hinaus werden absehbar Integrationsangebote, Deutschkurse und psychosoziale Beratung vonnöten sein. Für diese Angebote muss eine Infrastruktur vorbereitet werden.
Warum war die bisherige Kooperation Ihrer Hochschule mit russischen Partnern wichtig, inwieweit hat sie davon profitiert?
Wir unterhalten sehr langjährige und aktive Partnerschaften mit russischen Hochschulen, die durch einen regen Studierenden- und Dozentenaustausch gekennzeichnet sind. Manche Partnerschaften sind älter als 20 Jahre. Im Zuge der Internationalisierung der Hochschule ist es immens wichtig, auch traditionelle Partner zu haben, die fest verankert sind, und mehr Studierende aus dem Ausland nach Magdeburg und Stendal zu holen. Aktuell haben wir drei Austauschstudierende und neun Vollstudierende aus Russland. Zudem kooperieren wir mit vier russischen Partnerhochschulen. Ich bedauere sehr, dass jetzt ein wichtiger Partner ausfällt. Eine traditionsreiche und nachhaltige Kooperation zu schwächen oder gar zu verlieren, wäre sehr schade. Es tut mir auch sehr leid für die demokratisch gesinnten jungen Leute.
Was waren bisher die Stärken und Schwächen der Kooperation mit Russland?
Eine ganz klare Stärke sind die regelmäßigen Studierendenaustausche, vor allem die russischen Studierenden, die zu uns kommen. Wenn eine Partnerschaft über 20 Jahre besteht, ist diese – auch wenn engagierte Lehrende weggehen – sehr nachhaltig. Sollten unsere russischen Partner eine Pro-Putin-Einstellung zeigen, müsste die Partnerschaft auf den Prüfstand gestellt werden. Dafür gibt es aber momentan keine Anzeichen.
Wie stellt sich die aktuelle Situation bezüglich des Austausches mit der Ukraine bei Ihnen dar?
Aus der Ukraine haben wir zurzeit zehn Vollstudierende. Zudem kooperieren wir dort mit zwei Partnerhochschulen. So unterhält der Fachbereich Soziale Arbeit, Gesundheit und Medien der Hochschule Magdeburg-Stendal eine langjährige Kooperation mit der philologischen Fakultät der State Pedagogical University Perejaslaw. Diese Kooperation wird aktiv gelebt, unter anderem im Rahmen der DAAD-Programmförderung Ost-West-Dialog. Im Zuge gemeinsamer Lehr- und Forschungsprojekte wurden wiederkehrende Aufenthalte ukrainischer und deutscher Studierendengruppen an der jeweils anderen Hochschule realisiert. Ein Projekt fand unter der Überschrift „Altern lokal-regional-international“ statt. Nennenswert ist darüber hinaus ein gemeinsames DAAD-Projekt zum Thema Demokratie und interkulturelle Kommunikation mit dem Ziel einer gemeinsamen Publikation.
Was schätzen Sie besonders an der Kooperation mit der Ukraine?
Die Stärken liegen im fachlichen und personellen Austausch von engagierten Lehrenden, Forschenden und Studierenden. Darin liegen gleichzeitig auch die Schwächen: Wechseln die Personen, die miteinander arbeiten, ist es manchmal schwierig, die Kooperationen erfolgreich fortzusetzen. Auch für die Ukraine lässt sich sagen: Traditionelle Partnerschaften sind ein „Anker“ der Internationalisierung. Eine junge Kooperation bringt gleichzeitig die Internationalisierung weiter voran und kann noch gestaltet werden. Was derzeit nicht gut funktioniert und eindeutig der aktuellen politischen Situation geschuldet ist: Kontaktaufnahme und Kommunikation sind sehr schwierig. So haben wir beide ukrainische Partnerhochschulen angeschrieben mit dem Hinweis, dass unsere Hochschule Studierende und Lehrende als Gaststudierende und -lehrende aufnimmt. Reaktionen blieben bisher aus.
Wie beschädigt der Krieg Ihre Zusammenarbeit mit beiden Ländern, was droht für lange Zeit verloren zu gehen?
Uns könnten Einblicke in zwei spannende Länder verloren gehen, die kulturelle Bereicherung und der wissenschaftliche Austausch. Der Fokus auf Osteuropa kommt im westlich geprägten Deutschland immer noch ein wenig zu kurz. Der Krieg verschließt Türen zu unserem langjährigen Partner und verhindert das Entfalten einer neuen Partnerschaft. Das ist sehr bitter. Die Leidtragenden sind aber in erster Linie die Studierenden und Mitarbeitenden unserer Partnerhochschulen. //
Prof. Dr. Anne Lequy
Prof. Dr. Anne Lequy ist seit April 2014 Rektorin der Hochschule Magdeburg-Stendal. Die gebürtige Französin engagiert sich besonders für die Stärkung der Internationalisierung und den Ausbau der europäischen Hochschullandschaft. So ist sie auch Mitglied im Board der EUA – European University Association.
Foto: Dawin Meckel / Agentur Ostkreuz
DUZ Magazin 03/2022 vom 18.03.2022