„Machen statt darüber sprechen“
Es braucht Modelle, die zeigen, wie Transfer aus der Wissenschaft heraus funktionieren kann – meint Physiker und Wissenschaftsmanager Hans-Hennig von Grünberg
Beim ersten Treffen mit Hans-Hennig von Grünberg ist man ein wenig überrascht, dass ein Theoretischer Physiker und Wissenschaftsmanager so nahbar, so begeisterungsfähig sein kann. Wer den 1965 in Eckernförde geborenen Professor dann etwas länger kennt, der weiß: Hans-Hennig von Grünberg brennt für seine Ideen und er wird von seinen Ideen getragen – mit allen Konsequenzen. Bei dem fünffachen Vater geht das so weit, dass er seine Position als Präsident der Hochschule Niederrhein nach zehn Jahren aufgab, um seit April 2021 als Professor für Wissens- und Technologietransfer an der Universität Potsdam zu wirken. Denn den Transfer in Deutschland voranzutreiben, zu zeigen, wie wertvolles Wissen aus den Hochschulen heraus in die Unternehmen, aber auch in die Gesellschaft hineingetragen und für sie wirksam gemacht werden kann, betrachtet er als Lebensaufgabe. Mit viel Verve hat der einstige Professor für Theoretische Physikalische Chemie an der Universität Graz für die Gründung einer Deutschen Transfergemeinschaft geworben, um die anwendungsorientierte Forschung zu stärken. Diesem Ziel ist er mit seinen Mitstreitern von der Hochschulallianz für den Mittelstand nun ein Stück nähergekommen: Die neue Bundesregierung plant, eine Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) zu gründen.
Sie sind der erste Transferprofessor für Wissens- und Technologietransfer in Brandenburg. Warum haben Sie sich für diese Stelle entschieden?
Das Interessante an dieser Transferprofessur ist, dass ich aus ihr heraus ganz praktisch den Wissens- und Technologietransfer an der Universität entwickeln, fördern, managen und leiten kann. Gleichzeitig bin ich Präsidiumsbeauftragter für Wissens- und Technologietransfer und damit dafür zuständig, die Professorenschaft für den Transfergedanken zu begeistern und eine Transferkultur zu entwickeln. Zudem freue ich mich sehr, dass die Professur an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät angesiedelt ist und es dort ein Transferlabor geben wird. Dieses soll weder ein rein wissenschaftliches Dienstleistungslabor noch ein klassisches Forschungslabor sein, sondern allein dem Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden in die Anwendung und Nutzung dienen. Es ist gedacht als ein Labor zur Kooperationsanbahnung, Erprobung, Adaption und Weiterentwicklung einer wissenschaftlichen Methodik. Es gibt bereits ein Start-up, das sich aus diesem Transferlabor heraus entwickelt hat. Gemeinsam mit diesem Start-up aus dem Bereich der Photonendichtewellen-Spektroskopie wollen wir die dort entwickelten Technologien weiterentwickeln, um sie anschließend anderen Anwendungspartnern gezielt anbieten zu können.
Was sind Ihre Aufgabenbereiche und worin besteht das Alleinstellungsmerkmal Ihrer Professur?
Derzeit habe ich vier Aufgaben: Neben dem oben genannten Transferlabor fühle ich mich für den Transferstrategieprozess an dieser Universität verantwortlich. So dann habe ich die Leitung der Innovativen Hochschule Potsdam inne, die Ziele und Maßnahmen der Transferstrategie strategisch, strukturell und operativ auf die Universität zu übertragen hilft. Hinzu kommt der Bereich Transfer in der Lehre, der konzeptionelles Wissen vermitteln und den Teilnehmern nahelegen soll, ihre Forschungsprozesse zu öffnen und mit anderen in Hinsicht auf Anwendung und Verwertung zusammenzuarbeiten. Und last but not least habe ich den Ehrgeiz, große Transferausschreibungen zu bedienen.
Warum ist es heutzutage wichtig, eigens eine Professur für den Wissens- und Technologietransfer einzurichten?
Es gehört einfach zum Wesen der Wissenschaft dazu, nicht nur Erkenntnisse zu erzielen, sondern sich auch zu fragen, was aus diesen Erkenntnissen wird. Dieser Teil wird aus meiner Sicht noch immer zu stiefmütterlich behandelt. Ich bin nicht der Professor, der hauptamtlich den Transfer beforscht. Solch eine Stelle wäre der Hochschulforschung zuzurechnen und vielleicht eher an einer wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät anzusiedeln. Meine Professur hingegen ist eine Transferprofessur. Wie die Forschungsprofessur sich der Forschung, so soll sich die Transferprofessur dem Transfer widmen, also wirklich Transfer betreiben. Machen statt darüber sprechen. Vielleicht kann man sagen, dass ich so etwas wie ein „Entwicklungsleiter“ bin, der dafür sorgt, dass Ideen zu Technologien nicht in Schubladen landen, sondern wirklich aufgegriffen werden.
Sie waren Präsident der Hochschule Niederrhein. Wäre es für Sie da nicht zielführender gewesen, den Transfergedanken als Hochschulleiter voranzutreiben?
Nach zehn Jahren Repräsentation und reinen Managementaufgaben habe ich das Bedürfnis, praktisch und unmittelbar mit Hand anzulegen – zu sehen, wie Dinge entstehen und daran mitwirken, sie umzusetzen. Wir alle haben in den letzten Jahren so viel darüber diskutiert, wie wir den Wissens- und Technologietransfer voranbringen können. Aber es mangelt an Personen, die innerhalb des Systems entsprechend handeln. Das Anwenden von Wissen und der Transfer müssen an Hochschulen so relevant werden, dass man damit eine akademische Karriere machen kann. Wir fangen doch gerade erst an, auch im akademischen Milieu den Transfer ernsthaft in den Blick zu nehmen und entsprechende Stellen zu schaffen – wie etwa meine Professur in Potsdam. Würden andere Hochschulen ebenfalls solche Professuren einrichten, käme der Transfer wirklich voran.
Was behindert denn den Transfer so massiv?
Beim Thema Transfer treffen öffentliche Gelder auf private. Aus Gründen des fairen Wettbewerbs will das EU-Beihilferecht nicht, dass beide Geldsysteme sich unkontrolliert mischen. In der Praxis führt dies zu erheblichen Problemen. Es muss ein Mechanismus entwickelt werden, der beide Töpfe zwar zusammenbringt, aber ohne, dass sich die Mittel mischen und es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt.
Ein weiteres Problem liegt in der strikten Trennung von Forschung und Entwicklung: Die Forschung entfällt in der Regel auf die Hochschulen, die Entwicklung zur Marktreife liegt bei den Unternehmen, weil diese letztendlich daran verdienen. So die klassische Sichtweise. Doch die ist nicht mehr zeitgemäß. Nicht nur lässt sich Forschung und Entwicklung kaum mehr voneinander trennen – ist zum Beispiel Softwareentwicklung Forschung oder Entwicklung? –, sondern es hat auch das lineare Innovationsmodell ausgedient. An dessen Stelle ist der Netzwerkgedanke getreten. Nur wenn wir lernen, Forschung und Entwicklung gemeinsam mit Unternehmen zu organisieren und als einen Multi-Stakeholder-Prozess zu begreifen, kommen wir zu einer Anwendungsorientierung der Forschung. Das sollten wir nicht nur unseren großen Schiffen wie der RWTH Aachen überlassen, sondern in der gesamten Flotte der vielen mittleren und kleinen Hochschulen so praktizieren. Es freut mich, dass die Europäische Union und auch die neue Bundesregierung sich für diese neuen Kooperationsstrukturen einsetzen.
Warum sind Kooperationen mit Hochschulen auch gerade für die Wirtschaftsseite so wichtig?
Viele mittelständische Unternehmen haben schlichtweg nicht die Ressourcen und oft auch nicht mehr das notwendige Know-how, Innovationen zu entwickeln und zu erproben. Für ihre Wettbewerbsfähigkeit wäre das aber lebensnotwendig. Früher reichten dafür wenige Ingenieure aus, heute braucht man große Teams, die in offenen Prozessen an verschieden Orten via Internet oder Intranet zusammenarbeiten. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen benötigen die Ideentankstellen des Wissenschaftssystems. Und wir als Gesellschaft brauchen Innovationsökosysteme, für die die Expertise der Hochschulen unabdingbar ist. Das ist auch einer der Gründe, warum dieses Thema im neuen Koalitionsvertrag steht.
Apropos Koalitionsvertrag: Die neue Bundesregierung will eine Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) gründen – eine Idee, die Sie als langjähriger Vorstandsvorsitzender der Hochschulallianz für den Mittelstand in den letzten Jahren massiv angestoßen und weiterentwickelt hatten. Sind Sie zufrieden mit dem, was die Ampelkoalition vorhat?
Ich bin restlos begeistert. 2016 haben wir das erste Mal die Idee für so eine Agentur in die Debatte geworfen. Fünf Jahre später steht sie in einem Koalitionsvertrag. Unfassbar, dass diese Idee nun umgesetzt werden soll. Die DATI ist ein sehr ambitioniertes und gleichwohl längst überfälliges Projekt. Sie soll dafür sorgen, dass Innovationen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen aufgegriffen, entwickelt und schneller zur Marktreife gebracht werden und so zu neuen Geschäftsideen für Unternehmen werden können. Wir haben in Deutschland das Problem, dass wir die Grundlagenforschung zwar intensiv fördern, aber zu wenig Fördermittel zur Verfügung stellen, um die Schritte in die Anwendung konsequent zu fördern. Das ist zum Beispiel in Österreich anders. Dort erhält die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), das Gegenstück zur geplanten DATI, dreimal mehr Budget als der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), das Gegenstück zur Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Auch Unternehmen wie Siemens investieren wesentlich mehr Mittel in die Entwicklung als in die Forschung. Wir fördern die angewandten Wissenschaften zu wenig. Das kann sich jetzt mit dem neuen Koalitionsvertrag ändern. Jetzt kommt es allerdings darauf an, wie die Ideen umgesetzt werden.
Was muss geschehen, damit die DATI Wirkung erzielt?
Das Kernstück der DATI soll ein Begutachtungssystem sein, das grundsätzlich anders funktioniert als bei der DFG. Es ist wichtig, dass man das versteht. Förderziele setzt man nur durch ein auf sie hin angepasstes Begutachtungssystem durch. Wenn man eine Innovation generieren möchte – sprich eine nutzstiftende Verwertung wissenschaftlicher Ergebnisse – dann ist es erst einmal schwierig, herauszufinden, ob etwas tatsächlich innovativ und zukunftsfähig ist. Man kann dann nicht wie die DFG die Peers einer Scientific Community befragen, denn beides gibt es hier schlichtweg nicht. Ein möglicher Indikator, ob eine Idee oder ein Projekt, das die DATI fördern soll, wirklich innovativ ist, könnte die Kofinanzierung durch ein Unternehmen sein. Denn Unternehmen sind in der Regel nur bereit zu investieren, wenn sie an eine Idee glauben und vorab geprüft haben, ob diese Idee auch genügend Marktpotenzial hat. Zudem wäre für die Arbeit der DATI die Etablierung eines Innovationsrats sinnvoll.
Was wäre die Funktion eines solchen Gremiums?
Der Innovationsrat sollte aus einer Gruppe unabhängiger Experten bestehen, die Erfahrungen bei der Umsetzung von Innovationen gesammelt, ein Start-up gegründet, etwas erfunden oder Innovationen in Unternehmen entwickelt haben. Und er sollte unabhängig von Politik und Wissenschaft agieren. Das ist entscheidend für die Qualitätskontrolle – und dafür, dass die DATI eine Wagniskultur ermöglicht. Die brauchen wir dringend. Einfach mal was wagen und die Möglichkeit des Scheiterns zulassen, Vorhaben auch wieder abbrechen, wenn sie nicht funktionieren. Wir benötigen flexible Strukturen, die offen sind für neue Ideen und Risiken, dazu gehören eben auch Exit-Strategien. Das ist wichtig, denn mit unseren Entwicklungen übernehmen wir eine große Verantwortung für unsere Gesellschaft – erfüllen also eine Mission. Ideal wäre es nach meinem Dafürhalten, wenn wir eine missionsorientierte DATI hätten: Der Innovationsrat wäre dann das Gremium, das auf diese Mission achtgibt und sie umsetzt. Und die DATI würde Ideen und Projekte, die dieser Mission entsprechen, stärker fördern, als Bereiche, die missionsneutral sind. //
DUZ Magazin 12/2021 vom 17.12.2021