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„Du kannst leider kein Astronaut werden“

Harald Lesch ist vielen als polternder Moderator aus dem Fernsehen bekannt. Doch im Hauptberuf ist er Wissenschaftler – ein Lehrender, der eben nicht nur den Elfenbeinturm, sondern auch den Hörsaal verlässt

Eigentlich wollte er für das Telefoninterview in der Universitäts-Sternwarte München sein. Jetzt aber ist Prof. Dr. Harald Lesch noch auf den Fluren des Instituts für Astronomie und Astrophysik der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) unterwegs. Er war in einer wichtigen Institutssitzung, kurz vor dem zweiten Lockdown: „Wir sind sehr erfolgreich im Einwerben von Drittmitteln. Deswegen wachsen wir sehr schnell. Da müssen wir uns jetzt neu organisieren und zum Beispiel festlegen, bei welchen Entscheidungen Doktoranden und Postdocs mit befragt werden müssen. Und man muss aufpassen, dass man trotz Wachstum nicht Science Factory wird.“

In der Sternwarte forscht er, an der LMU hält Lesch eine Professur für Theoretische Astrophysik inne, nur zwei seiner vielen Jobs. Er ist außerdem Buchautor, Hörspielsprecher und lehrt Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München. Als Wissenschaftler ist er erfolgreich, hat zahlreiche Artikel in renommierten Fachzeitschriften publiziert, doch die meisten kennen ihn vor allem aus dem Fernsehen, aktuell aus dem ZDF. Eine gute Handvoll der populärsten Wissenschaftssendungen hat er moderiert. Vermutlich kein weiterer Moderator im deutschen Fernsehen kann von sich behaupten, so häufig seinen Namen im Titel der Sendung zu finden: „Leschs Kosmos“, „Frag den Lesch“, „Lesch & Co“ und „Harald kommentiert Kommentare“ heißen seine Sendungen und Youtube-Formate, mit denen er Millionen erreicht. Man könnte sagen: Er ist einer der Stars, wenn nicht sogar der größte Star unter den deutschen Wissenschaftskommunikatoren. Er selber sagt von sich: „Ich bin Lehrender. Im Hörsaal, im Fernsehen, im Internet, in Büchern.“

Seine Popularität hat er ein bisschen seinem Fachgebiet zu verdanken: „Astronomie ist eine Wissenschaft, die auf viele Menschen eine enorme Faszination ausübt. Das war bei mir auch nicht anders, ich habe schon als kleiner Junge alles gelesen, was ich über Astronomie in die Hand bekommen konnte.“ Sicherlich ist sein Fachgebiet für viele spannender als Bibelwissenschaften oder Pflanzenphysiologie und zudem sehr unpolitisch. Größere Fauxpas riskiert man da kaum, genauso wenig wie Anfeindungen. Aber Leschs Popularität allein der Faszination des Weltalls zuzuschreiben, wäre falsch. Denn das, was Lesch ausmacht, ist zum einen sein ganz eigener Moderationsstil, eine Mischform aus dozieren, kommentieren und einordnen, der für viele Menschen die Scheu vor der Grundlagenforschung dahinschmelzen lässt. Zum anderen begeistert seine Gabe, verschiedene Fachrichtungen und Gedankengänge zusammenzubringen. Immer wieder verknüpft er beispielsweise die Astronomie mit der Philosophie und der Religion. Ganz entscheidend ist aber auch, dass er die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft nicht nur nicht scheut, sondern sucht. In seinem 2016 erschienen Buch „die Menschheit schafft sich ab“, dessen Titel provokant an Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ angelehnt ist, erklärt er den Lesern ganz grundsätzlich, wie es zu unseren ökologischen Problemen gekommen ist. In seinem aktuellen Buch „Unberechenbar“, das Ende 2020 erschienen ist, beschäftigt er sich vor dem Hintergrund der Corona-Krise mit der sehr grundlegenden Frage, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Und 2018 widmete er dem AfD-Parteigrundsatzprogramm eine Sendung und prüfte das Programm bei den Themen Klimawandel und Energiewende Satz für Satz auf Richtigkeit. Als er daraufhin Hassmails bekam, konterte er mit einer Analyse zur Psychologie des Hasses.

Lesch ist ein Profi im Umgang mit Medien und Öffentlichkeit. Eines seiner Geheimrezepte: „Wenn man will, dass eine Botschaft ankommt, muss man kurze Franz-Müntefering-Sätze formulieren und die immer wieder wiederholen.“ Er gibt ein Beispiel zu einem Thema, das ihn gerade beschäftigt: „Wenn wir es nicht schaffen, die Digitalisierung in eine Nachhaltigkeitsstrategie einzubetten, dann wird sie zu einem Brandbeschleuniger des Klimawandels. Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern vom wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Umweltfragen. Normalerweise tun die sich schwer mit so plakativen Aussagen, das bedeutet also schon was, wenn die sich jetzt so äußern.“

Was Lesch im relativ sicheren Umfeld der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über die Jahre üben konnte, das mussten einige seiner Wissenschaftler-Kollegen im Corona-Jahr im Schnellverfahren lernen. Der Virologe Christian Drosten, aber auch andere Forscherinnen und Forscher wie Sandra Ciesek und Jonas Schmidt-Chanasit sind in diesem Jahr plötzlich zu Personen des öffentlichen Lebens geworden. Einen Prozess, den Lesch positiv, aber auch mit einer gewissen Sorge betrachtet: „Die durchdigitalisierte Öffentlichkeit reißt Wände ein und trifft auf die Stille des Labors. Das ‚sag was, sag was‘, das von diesen Wissenschaftlern gefordert wird, steht im Widerspruch zum Detailreichtum der Forschung. Insgesamt ist die Corona-Krise für die Wissenschaft gut, sie hat an Akzeptanz gewonnen. Aber die Krise hat auch sichtbar gemacht, dass Wissenschaft in großen Teilen nicht verstanden wird.“

Lesch sieht in der neuen Rolle der Wissenschaftler aber auch eine Chance, dafür müsse man aber noch einen Schritt weitergehen: „Über die Medien kommunizieren ist das eine. Aber schauen Sie sich die Menschen auf der Straße doch an, die erreichen wir ja nicht. Wir müssen noch mehr den direkten Dialog suchen, denn jemanden persönlich zu kennen, das schafft Vertrauen und Vertrauen brauchen wir für ein gutes Zusammenleben.“

Auch zur zukünftigen Rolle der Universitäten hat er eine klare Meinung. Vor allem lehnt er die zunehmende Anwendungsorientierung der Forschung ab: „Wenn Gesellschaft Universitäten bezahlt, dann kann sie von Universitäten etwas anderes erwarten als die Dinge, die die Gesellschaft schon selber produziert.“ Die Rolle der Forscher dabei: „Hinein ins Unbekannte, aber immer mit der Verpflichtung, zurückzukommen und davon zu berichten.“ Er selber hat eine ganzen Strauß an Projekten, mit denen er diesen Vorsatz einlösen will: „Umweltethik, Ethik in der Digitalisierung, die Beurteilungsfähigkeit von Algorithmen, Instabilität am Finanzmarkt und ganz saubere astrophysikalische Fragen wie zum Beispiel die danach, wie Galaxien ihre Winde betreiben.“ 2020 ist Lesch 60 Jahre alt geworden, bis zum Renteneintrittsalter wird er diese Forschungsvorhaben kaum umgesetzt haben, was aber auch nicht sein Ziel ist: „Die werden mich hier am Institut noch eine Weile ertragen müssen. Denn ich halte es da mit dem aktuellen Physik-Nobelpreisträger Reinhard Genzel, der die Frage, ob er nicht langsam mal an die Rente denke, so beantwortet hat: ‚Sind Sie verrückt? Ich werde im Sattel sterben!‘“

Wissenschaft, Religion und keine Wunder

Lesch ist gläubiger Protestant und sieht in Religion und Naturwissenschaften keinen Widerspruch. „Die Welt muss mehr als Messbares sein“, sagt er. Ihm selber wird in den Medien immer wieder ein mysteriöses Ereignis zugeschrieben: In der Schule war Lesch in Mathe so schlecht, dass er Förderunterricht benötigte. In der Oberstufe erlitt er bei einem Fahrradunfall einen Schädelbasisbruch und war fortan ein Spitzenschüler in der Mathematik. In einigen Artikeln wurde dies als Wunder dargestellt, das sich vielleicht wissenschaftlich mit der Neuverknüpfung von Nervenbahnen erklären ließe. „Alles Quatsch“, sagt Lesch. „Ich musste mehrere Wochen im Bett liegen, mein Kopf war so fixiert, dass ich ihn gar nicht bewegen und nur aus einer Schnabeltasse trinken konnte. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, was bei mir zu der Erkenntnis geführt hat, dass ein bisschen Anstrengung sich doch lohnt.“ //

Harald Lesch

Meine Traum-Universität

„Wenn ich mir eine Universität nach meinen Vorstellungen basteln dürfte, würde sie sich in der Mitte der Stadt befinden. Hochschulen müssen dahin, wo die Menschen sind, und sollten nicht auf Campus am Rande der Stadt verbannt werden. Die Studierenden müssten die ersten zwei Jahre die Möglichkeit bekommen, sich zu orientieren und unterschiedliche Fächer zu studieren. Ich würde die Fächer auflösen. Naturwissenschaften und Geschichte gehören zusammen, weil es bei einem großen Teil der Naturwissenschaften nämlich um den Ursprung geht. Die juristische Fakultät würde ich auch in der Nähe der Naturwissenschaften haben wollen, denn es gibt keine spannendere Frage als die nach den Unterschieden zwischen Naturgesetzen und den Gesetzen, die von Menschen und Göttern formuliert werden. Außerdem müssten die Künstler dabei sein, weil sie noch mal einen ganz anderen Blickwinkel reinbringen. Eigentlich müssen wir die Trennung der Fächer grundsätzlich aufheben. Sie hat für Monokulturen gesorgt, die die intellektuelle Durchdringung der Welt verhindern. Genau das brauchen wir aber, um Orientierungswissen für die Gesellschaft zu ­schaffen“

Mein größtes Erlebnis

„Am Vorabend meines 50. Geburtstages habe ich mit Neil Armstrong bei Servus TV gesessen und habe mit ihm über die Zukunft der bemannten Raumfahrt diskutiert. Dabei waren auch noch Aleksej Leonov, der erste Mensch, der sein Raumschiff verließ und frei im Weltall schwebte, und der Astronaut Thomas Reiter. Wir hatten den ganzen Nachmittag vor der Sendung Zeit zum Reden und ich habe die ganze Zeit nur gedacht: ‚Wahnsinn, was für ein Geschenk!‘“

Mein bewegendster Tag

„Ich habe 2020 an Goethes Geburtstag unter Goethes Ginkgo-Baum in Weimar meine zweite Frau geheiratet. Getraut hat uns mein Freund und Co-Autor Thomas Schwartz, der katholischer Pfarrer ist. Nur die wichtigsten Freunde und engsten Familienmitglieder waren dabei, das war ein wirklich toller Tag.“

Meine schönste Kindheitserinnerung

„Meine schönste Kindheitserinnerung hat mein Schwager in einem Schrank gefunden, als wir das Haus nach dem Tod meiner Mutter ausgeräumt haben. Ein Brief von der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA. Ich hatte der NASA im Alter von neun Jahren geschrieben und gefragt, was ich tun muss, um Astronaut zu werden. Die Antwort der Behörde: ‚Du kannst leider kein Astronaut werden, weil Du Deutscher bist und eine Brille trägst.‘“

LEBENSDATEN

Harald Lesch, Jahrgang 1960, wuchs in einem hessischen Dorf auf. Seine Familie betrieb einen Gasthof, in dem er als Kind viel Zeit verbrachte und die Lesezirkel-Zeitungen nach Astronomie-Artikeln durchstöberte. Er studierte Physik und Philosophie in Gießen und Bonn.

1987 promovierte er am Max-Planck-Institut für Radioastronomie. Zwischen 1988 und 1991 war Lesch Forschungsassistent an der Landessternwarte Heidelberg-Königstuhl, kehrte dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Max-Planck-Institut in Bonn zurück und habilitierte 1994 an der Universität Bonn. 1995 erhielt er den Ruf an die LMU in München.

Seine Medienkarriere startete Lesch beim Sender BR-alpha, zunächst mit alpha-Centauri, einer Bildungssendung, in der er Themen aus der Astrophysik behandelte. In den folgenden Jahren übernahm er die Moderation weiterer Wissenschaftssendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, im Spartenkanal Syfy und auf Youtube. Aktuell moderiert er die ZDF-Sendung „Leschs Kosmos“.

Für seine Arbeit hat er zahlreiche Preise aus den unterschiedlichsten Bereichen verliehen bekommen, darunter den Deutschen Fernsehpreis, den Bayrischen Verdienstorden und die Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft für seine Dissertation.
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