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Wenn Umfragen gestürmt werden

Menschen online zu befragen, erleichtert die Arbeit von Meinungsforschern. Es sei denn, sie geraten ins Visier einschlägig interessierter Gruppen. Wohl dem, der ein Panel hat

Die sozialen Medien machen es möglich: Mit spontan aufgesetzten Umfragen und Erhebungen versuchen Sozialwissenschaftler aktuell mitzuschneiden, wie die Bevölkerung bestimmte Ereignisse verarbeitet. Corona löste einen regelrechten Umfrageboom aus. Eine unangenehme Überraschung erlebte dabei die Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Feufel, Leiter des Fachgebiets Arbeitswissenschaft an der TU Berlin. Ende März stellte sie eine Befragung online und bewarb sie unter anderem in den sozialen Medien. Menschen konnten sich täglich und anonym beteiligen. Es ging um die Risikowahrnehmung, um Informationsquellen und das persönliche Verhalten. Die Ergebnisse wurden täglich ausgewertet und auf der Website, auf Instagram und Twitter kommuniziert.

Man sei zunächst auf „viel Interesse“ in der Twittergemeinde und anderen sozialen Medien gestoßen, berichtet Feufel. Nach Ostern ließ die Beteiligung etwas nach. Dann wuchs sie wieder, doch steckte diesmal offenbar Absicht dahinter: „Ein Twitter-User machte uns Mitte Mai auf den Austausch einer Gruppe aufmerksam, die sich offenbar zusammengeschlossen hatte, um unsere Studie ,zu bearbeiten‘“, so Feufel. Binnen Wochenfrist kehrten sich die Umfrageergebnisse quasi um: War es bis zum 11. Mai noch eine kleine Minderheit von um die zehn Prozent, die sagte, das Risiko, schwere gesundheitliche Probleme durch das Coronavirus zu bekommen, werde abnehmen, so schoss ihr Anteil bis zum 16. Mai auf rund 80 Prozent.

Feufels Fachgebiet schloss daraufhin die Umfrage, mit einem entsprechenden Vermerk auf der Webseite und auf Twitter. Die Forschenden schrieben: „Leider müssen wir unsere Corona-Umfrage aussetzen! (…) Nach einigen Wochen mit abnehmenden Teilnahmezahlen stieg die Teilnahme an unserer Umfrage seit dem 11. Mai wieder stark an. Sowohl die Umfragewerte als auch die freien Kommentare legen den Schluss nahe, dass die Umfrage nicht mehr die Meinung einer breiten Öffentlichkeit abbildet, sondern die einer politischen Minderheit. Dies wurde durch den Hinweis eines Twitter-Users, der Screenshots aus dem Chat einer politisch agierenden Gruppe geteilt hat, nun bestätigt.“

Ende Juli starteten sie die Umfrage erneut, jetzt mit zusätzlichen Fragen zur Einstellung der Teilnehmenden gegenüber der Pandemie und den veranlassten Maßnahmen, um besser zu verstehen, mit welcher Motivation geantwortet wird. Risikowahrnehmung wird nun auch in Zusammenhang mit der politischen Bewertung der Corona-Pandemie untersucht.

WISSENSCHAFTLER FÜHLTEN SICH BEDROHT

Die Sache ist offenbar kein Einzelfall. Der DUZ-Redaktion ist ein Fall bekannt, bei dem eine Umfrage, bei der es um eine Verhaltensentscheidung ging, geradezu überflutet wurde – auf Facebook findet sich ein expliziter Aufruf zur massenhaften Teilnahme, um das Ergebnis zu beeinflussen. Auf die vorzeitige Schließung aus technischen und wissenschaftlichen Gründen folgte eine weitere Flut, diesmal eine vierstellige Zahl von Beschwerden über die Schließung. Die beteiligten Wissenschaftler fühlten sich bedroht und haben deshalb um Anonymisierung gebeten.

Der Münchner Kommunikationswissenschaftler Dr. Jörg Haßler sagt, dass die Teilnahme an Online-Debatten und Umfragen zum Repertoire der Strategien zur Einflussnahme des rechtsextremen Spektrums gehört und zum Beispiel in Strategiepapieren und Handbüchern zu finden ist. Neben dem Aufruf, sich in den sozialen Medien zu äußern, gehörten auch aggressivere Methoden wie das Überfluten prominenter Akteure (etwa Jan Böhmermann) mit Kommentaren dazu, oder gezielte Attacken auf junge Frauen. Haßler leitet am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU die Nachwuchsforschungsgruppe Digital Democratic Mobilization in Hybrid Media Systems (DigiDeMo). Sie untersucht, wie die Digitalisierung politischen Gruppierungen bei der Mobilisierung hilft und gezielt dazu genutzt wird. Eines der Ergebnisse: „AfD-Anhänger sind deutlich aktiver als die Anhänger etablierter Parteien und äußern sich überproportional viel verglichen mit dem Anteil ihrer Vertreter in Parlamenten“, so Haßler.

Wohl dem also, der Zugriff auf ein Panel hat, wie Dr. Sebastian Jäckle, der im Team des Online-Politikpanels Deutschland der Universität Freiburg arbeitet. Das Panel führt seit der Bundestagswahl 2017 in unregelmäßigen Abständen Befragungen durch. Die Teilnehmenden werden über Medienpartnerschaften in Regionalzeitungen rekrutiert, via Facebook sowie aus dem Bestand derjenigen, die sich an Vorläufer-Umfragen beteiligt haben. Das Panel ist also nicht repräsentativ. Doch die Teilnehmer kämen aus unterschiedlichen Ecken, sagt Jäckle. Und die Ergebnisse würden entsprechend der Repräsentativität gewichtet. Beteiligten sich beispielsweise im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich viele junge Männer, würden ihre Antworten entsprechend geringer gewichtet in der Auswertung. Man orientiere sich an den Zahlen des Statistischen Bundesamts und den Ergebnissen der Sonntagsfrage.

Vor Überraschungen ist man trotzdem nicht sicher. So beteiligten sich an der Sonderumfrage zur Pandemie im Mai statt der üblichen 2000 Menschen unerwarteterweise mehr als 9500. Jäckle erklärt sich das zunächst damit, dass viele Menschen durch die Pandemie ein verstärktes Bedürfnis haben, ihre Meinung zu äußern – und es zugleich im Frühjahr durch die Kontaktbeschränkungen weniger Möglichkeiten zum Austausch gab. Allerdings hätten knapp 500 Menschen – rund fünf Prozent – bei der sogenannten Sonntagsfrage nach ihrer aktuellen Parteienpräferenz die coronakritische Partei „Widerstand 2020“ angegeben. „Das entspricht vermutlich nicht dem Anteil in der Gesamtbevölkerung, wir haben das also heruntergerechnet“, sagt Jäckle.

IST EINEN UMFRAGELINK ZU TEILEN SCHON EINE ABSPRACHE?

Steckte eine Absprache dahinter? Der Übergang ist fließend: Da sich die Widerstand-2020-Anhänger geballt am siebten und achten Tag der Umfrage beteiligten, sei anzunehmen, dass sie den Umfragelink geteilt hätten, sagt Jäckle, gibt aber zu bedenken: „Der Link wurde auch von anderen geteilt, zum Beispiel von den Grünen im Landtag. Es ist schwer zu sagen, wann kollegiales Interesse dahinter steckt und wann es politische Absichten sind.“

So sehr die Onlinekommunikation die Arbeit von Meinungsforschern erleichtert, so herausfordernd ist sie auch. Sollte man also besser auf traditionelle Verfahren zurückgreifen – telefonieren, an der Haustür klingeln? Haßler und Jäckle äußern sich unabhängig voneinander skeptisch. „Repräsentativ ist keine Befragung mehr“, sagt Jäckle und meint mit Blick auf die Telefonumfragen der Forschungsgruppe Wahlen: „Da werden die Angaben von 2000 Leuten ausgewertet, die man nach Quoten ausgewählt hat – aber viele Menschen sind über Festnetztelefon kaum noch zu erreichen.“ Auch hinter den Ergebnissen dieser Telefonumfragen stünden – für Außenstehende letztlich nicht nachvollziehbare – Gewichtungen, genau wie bei Onlineumfragen. Jörg Haßler verweist auf die Zweiseitigkeit von Medaillen: „Früher sind die Meinungsforscher nicht gut an alle Gruppen herangekommen, jetzt äußern sich genau diese Leute im Übermaß.“ Man wird sehen, was das kleinere Übel ist. //

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