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Warum die Wurst zu Hause besser mundet

Die Psychologin Kathrin Ohla hat untersucht, wie der Geschmackssinn durch die übrigen Sinne beeinflusst wird.

Ein Wassereis in der winterlichen Schneehütte mundet uns möglicherweise weniger gut als im Freibad bei 40 Grad. Ein Schweinebraten mit Knödeln schmeckt einfach leckerer, wenn wir ihn in der Dorfkneipe im Herbst einnehmen statt im 5-Sterne-Hotel an der von der Frühlingsonne umschmeichelten Côte d’Azur. Wie das kommt? Das weiß Kathrin Ohla. Sie ist Psychologin am Institut für Neurowissenschaften und Medizin – Kognitive Neurowissenschaften im Forschungszentrum Jülich.

Frau Dr. Ohla, „was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“. Was ist dran an diesem Spruch?

Der Geschmack lässt sich stark von anderen Sinneseindrücken, aber auch von unserer Kognition beeinflussen. Bei der Beurteilung, wie mir etwas schmeckt, spielen die Augen eine wichtige Rolle. Aber auch Erinnerungen oder Informationen darüber, wie gut ein Lebensmittel ist, sind entscheidend. All diese Faktoren bringen wir mit ein, wenn wir ein Produkt verkosten und beurteilen, wie gut es uns schmeckt. Bei einem Stück Schokolade im Mund schicken die Rezeptoren im Mundraum Geschmackssignale an das Gehirn. Dieses interpretiert alle Sinneswahrnehmungen und versucht abzugleichen: Kenne ich das schon und mag ich das, um zu entscheiden: Soll ich mehr davon essen oder mir etwas anderes suchen? Wenn ich schon vorher eine positive Einstellung zu dem Produkt habe, dann schmeckt es mir besser. Ob mir etwas schmeckt, ist also keine bewusste Entscheidung und basiert auch nicht auf einer objektiven Sinneseindruck unserer Rezeptoren.

Es gibt Japaner, die unseren von vielen Asiaten als stinkend verpönten Käse lieben, und Europäer, die genussvoll für uns „eklig“ aussehende Hühnerfüße verspeisen. Wie kommt das?

Solche eher unerwarteten Vorlieben für außergewöhnliche Speisen können in der Persönlichkeit begründet sein. Meistens handelt es sich dabei um Menschen, die risikofreudiger, unvoreingenommener und mutiger im Probieren neuer Speisen sind. Das andere Extrem ist die Lebensmittelneophobie, sprich die Angst vor neuen Nahrungsmitteln. Das betrifft die Leute, die sagen: „Alles Neue lehne ich erst einmal ab.“ Die Persönlichkeit entscheidet darüber, wie mutig man ist, Neues auszuprobieren. Es könnte auch sein, dass die Risikofreudigen sich eher auf ihre Sinne verlassen können, um zu beurteilen: Was ist denn das hier eigentlich? Während die Ängstlichen eher dazu neigen, zu denken: Das möchte ich gar nicht probieren, selbst wenn es gut schmecken würde. Sie können ihre Emotionen und Vorurteile hier nicht abschalten.

Wir Menschen verfügen über fünf Sinne und sind überzeugt davon, dass diese unabhängig voneinander funktionieren. Sie sagen, dass das beim Schmecken so gar nicht zutrifft. Warum?

Bei den anderen Sinnen funktioniert das auch nicht. Zum Beispiel, wenn ich auf der Straße irgendwo eine Hupe höre. Ich würde mit meinen Augen versuchen, dieses einem der in der Nähe befindlichen Autos zuzuordnen. Mein visueller Eindruck würde also meine Interpretation des Gehörten beeinflussen. Beim Schmecken ist das auch so. Was wir essen, hat eine Geruchskomponente und ein Mundgefühl. Eine Erdbeere ist idealerweise süß. Aber nur der Geschmack „süß“ hilft mir nicht, eine Erdbeere zu erkennen. Dazu muss ich mir die Erdbeere ansehen, ich brauche den typischen Geruch und das Mundgefühl der Erdbeertextur. Diese Sinneseindrücke zusammen machen die Erdbeere zu dem, was sie dann für mich ist. Wenn wir sagen, etwas schmecke gut, meinen wir damit, dass alle Sinne hier gut zusammenpassen und unsere Erwartungen erfüllen. Also: Es schmeckt gut, es riecht gut, es sieht gut aus, es fühlt sich gut im Mund an.

Nehmen wir mal an, ein Berliner Urlauber sitzt am Swimmingpool in der Karibik und bestellt sich eine Currywurst – sein Lieblingsgericht. Würde die ihm dann gar nicht schmecken, weil ihm der Pommesbudengeruch und der Berliner Dialekt fehlen?

Es würde mich nicht überraschen, wenn er sagt: „Zu Hause schmeckt es besser“, selbst wenn Wurst und Soße mit der in Berlin identisch sind. Denn der Kontext, in dem wir etwas essen, hat großen Einfluss darauf, wie gut wir etwas finden. Zwar funktionieren unsere Sinne relativ stabil und objektiv, wenn sie ihre Informationen an das Gehirn schicken. Aber unsere Einstellungen und Gedanken entscheiden, wie diese Sinnesinformationen interpretiert werden. Es gibt eine Interaktion unserer Gedanken und Sinne, die letztlich zu einer Bewertung führt. Alles spielt sich im Gehirn ab.

Bedeutet dies im Umkehrschluss, dass man mir – mit dem richtigen Ambiente – vormachen könnte, dass ich einen Garnelencocktail verzehre, obwohl es sich eigentlich nur um ein einfaches, aber schön drapiertes Forellenfilet handelt?

Man kann durchaus getäuscht werden. Man sieht ein Produkt und hat eine Erwartung, wie es sich anzufühlen und zu schmecken hat. Das hat man gelernt und das ergibt Sinn. Denn wir müssen wissen, was essbar, verdorben oder potenziell giftig ist. Zwar kann ich aus einem Schnitzel keine Schokolade machen. Aber es ist möglich, durch das Ambiente, zusätzliche Aromen oder Farben ein eher minderwertigeres Lebensmittel als etwas Besseres wahrzunehmen. Viele Studien aus dem Getränke- und Weinbereich zeigen, dass selbst Experten mit einem feinen Geschmackssinn sich immer wieder täuschen lassen. Etwa wenn billiger Tetra-Pak-Wein in eine imageträchtige Flasche gefüllt oder Vanillepudding in Schokoladenpudding umgefärbt wird. Wie bei einem unserer Experimente mit dem Fernsehkoch Tim Mälzer. Der vermutete zwar, dass wir ihn reinlegen, aber meinte trotzdem: „Ich kann nichts dagegen tun, es schmeckt wie ein Schokopudding.“ Er sah den Pudding und hatte sofort die Erwartung, der müsse nach Kakao schmecken.

Unser Geschmackssinn kann sich im Laufe der Zeit verändern. Meist sprechen wir vom Verfeinern – etwa, wenn man vom süßlichen Amselfelder auf einen trockenen Côtes du Rhône umsteigt. Funktioniert das auch umgekehrt, von der Haute Cuisine zu derber Hausmannskost?

Es gibt gerade beim Schmecken, wie auch beim Riechen, eine recht große Spannbreite, wie gut oder schlecht der jeweilige Sinn ausgeprägt ist. Wobei die eigene Einschätzung, wie gut oder schlecht man riecht oder schmeckt, oft falsch ist. Was man subjektiv glaubt, entspricht tatsächlich nicht immer der Realität. Man wird nicht unbedingt als Sommelier oder Parfümeur geboren. Eine sehr feine Wahrnehmung trainiert und lernt man in der Regel. Das nimmt dann im Alter wieder ab. Denn je älter wir werden, desto mehr Zellen sterben ab, als dass diese erneuert werden. Das gilt auch für die Sinneszellen. Unsere Sensoren – beim Schmecken hauptsächlich auf der Zunge – erneuern sich einfach nicht mehr so schnell. Man kann also seinen Geschmackssinn im Laufe der Zeit verfeinern, wie dies bei Sommeliers oder Köchen der Fall ist. Im Alter nehmen der Geschmacks- und Geruchssinn jedoch recht deutlich ab.

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