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Impfstoffe gegen die zehn tödlichsten Infektionskrankheiten finden: Das ist das Ziel der Virologin Marylyn Addo.

Morgenvisite auf der epidemiologischen Station im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE): Ärzte und Pfleger schieben einen Rollwagen mit Monitor vor ein Krankenzimmer. Es wird beratschlagt. Mittendrin steht Prof. Dr. Marylyn Addo. Die 48-Jährige leite die Station. Sie redet leise, wendet sich immer demjenigen zu, der das Wort ergreift. Dann geht sie in die Schleuse, die das Patientenzimmer vom Flur trennt, zieht sich Einwegkittel, Einweghandschuhe und einen Mundschutz an und zeigt auf einen Behälter, der randvoll ist mit Einwegmaterialien. „Das ist hier immer eine Materialschlacht“, sagt sie.

Bei jedem Patientenbesuch muss sie sich neu einkleiden, denn mit den Erregern, die ihre Patienten in die Klinik bringen, ist nicht zu spaßen. Gerade gibt es auf der Station einen Patienten mit Tuberkulose, mehrere haben Grippe, bei einem wurden Amöben nachgewiesen, einer hat sich mit Brucellose infiziert. Und am Vorabend wurde ein VFR eingeliefert. VFR ist die Abkürzung für „Visiting Friends and Relatives“, was in Addos Alltag meistens bedeutet, dass ein Afrikaner zu Besuch bei der Familie in der Heimat war und sich dort mit Malaria infiziert hat. „Diese unnötigen Malaria-Infektionen sind ein echtes Problem“, sagt Addo. „Einen Impfstoff für Reisende gibt es nicht, die Prophylaxe wird von den Kassen nicht erstattet. Deswegen nehmen viele sie nicht.“

Addo ist eigentlich Forscherin, spezialisiert auf die Entwicklung neuartiger Impfstoffe. Zwei Tage in der Woche ist sie auf Station am Universitätsklinikum, an drei Tagen arbeitet sie in ihrem Labor im rund drei Kilometer entfernten Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Als sie 2013 die erste Professur am UKE übernahm, bestand sie darauf, dass in ihrem Arbeitsvertrag auch die Tätigkeit in der Klinik vermerkt wurde. „Als forschende Ärztin ist es für mich wichtig, nicht nur im Labor zu sitzen“, sagt sie. Obwohl sie für ihre Forschung in der Regel keinen direkten Nutzen aus ihren strapaziösen Tagen auf Station zieht, ist ihr die Nähe zum Patienten wichtig: „Es hält einen auf Trab, wenn man sieht, wie schlecht es einem Patienten geht, weil es für die Krankheit, an der er leidet, noch keinen Impfstoff gibt.“

Rund um die Uhr gearbeitet

Schon im Medizin-Studium in Bonn und Straßburg entschied sie sich, eine Zeit der Ausbildung auf der HIV-Station zu verbringen. „Damals war die Krankheit noch so stigmatisiert, dass dort keiner hinwollte.“ Addos Vater kommt aus Ghana, und sie hat einen engen Bezug zu dem Land und zum afrikanischen Kontinent, der unter der AIDS-Epidemie leidet. Das will sie ändern: „Es ist klar, dass wir HIV und AIDS in Afrika nur bekämpfen können, wenn wir einen Impfstoff finden.“ Da es in Deutschland keine Facharztausbildung für Infektiologie gibt, wiederholte sie ihre Staatsexamina noch einmal an der Harvard Medical School in Boston. 15 Jahre blieb sie in Boston, forschte nach dem Studium an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen HIV und bekam zwei Kinder.

Zurück in Deutschland, wurde sie in den wichtigsten Einsatz ihrer Karriere geworfen: Ihrer Station wurde der erste Ebola-Patient in Deutschland zugewiesen. Rund um die Uhr hat sie damals gearbeitet, um sein Leben zu retten und gleichzeitig einen Impfstoff gegen den Erreger zu entwickeln: „Wenn ich nachts gearbeitet habe, musste ich oft daran denken, dass der Mann Vater eines kleinen Mädchens war.“ Der Patient überlebte, der Impfstoff, der seit einer frühen Entwicklungsphase in einer Schublade in einem Marburger Labor schlummerte, wurde in Windeseile fertig entwickelt, getestet und zum Einsatz gebracht.

Es handelte es sich um einen sogenannten rekombinanten Lebendimpfstoff, bei dem ein Stück DNA des Ebola-Erregers in das Erbgut eines abgeschwächten, für den Menschen ungefährlichen Virus eingebracht wird, was dazu führt, dass das Virus ein Protein des Ebola-Erregers herstellt und auf seiner äußeren Kapsel einbaut. Gegen dieses Protein entwickelt der Geimpfte Antikörper – die gewünschte Reaktion. Normalerweise dauert so eine Entwicklung Jahre, zum einen, weil nicht für jeden Erreger der Impfstoff auf die gleiche Art und Weise hergestellt werden kann, und zum anderen, weil mit vielen langwierigen Tests sichergestellt werden soll, dass von dem Impfstoff keine Gefahr ausgeht.

Beim Ebola-Impfstoff musste sich die Weltgesundheitsorganisation für ein schnelleres Verfahren entscheiden, denn es war klar, dass der tödliche Erreger sich rasend schnell ausbreiten würde, wenn man nicht umgehend mit dem Impfen begann. Heute schaut Addo täglich danach, wieviele Menschen schon geimpft sind, rund 70 000 sind es mittlerweile. Der Impfstoff scheint gut zu wirken, hat aber auch Nebenwirkungen. „Das müssen wir jetzt genau beobachten“, sagt Addo.

Kongo-Fieber? Her damit.

Sie hat in ihrer Forschung weitere Erreger, aber auch andere Methoden der Impfstoff-Herstellung im Visier. Zum einen möchte sie dazu beitragen, dass gegen die weltweit zehn gefährlichsten Erreger Impfstoffe bis in ein fortgeschrittenes Anfangsstadium entwickelt werden, um auf einen möglichen Ausbruch vorbereitet zu sein. Außerdem will sie Impfreaktionen besser verstehen, um schnell einen Impfstoff entwickeln zu können, wenn plötzlich ein neuer, unbekannter Erreger auftaucht. „Wir müssen es schaffen, von der Empirie zur gezielten Impfstoff-Entwicklung zu kommen. Optimal wäre, wenn wir genau wüßten, welche Methode zu welchem Erregertyp passt“, sagt Addo.

Das UKE ist eines von acht Zentren in Deutschland, die Menschen versorgen können, die sich mit einem hochinfektiösen und gefährlichen Erreger angesteckt haben. Deshalb steht Addo ständig auf Abruf zum Noteinsatz. Angst macht ihr das nicht: „Ich würde mich freuen, wenn wir gefragt werden würden, ob wir beispielsweise einen Patienten mit Lassa- oder Krim-Kongo-Fieber aufnehmen können.“

Addo hat das klare Ziel vor Augen, tödliche Infektionskrankheiten auszurotten. Nur manchmal kommen ihr Zweifel an ihrem Tun, nämlich dann, wenn sie die stetig steigenden Zahlen der Neuinfektionen mit Masern sieht. „Wir investieren so viel Energie und Geld in die Entwicklung von Impfstoffen und es sterben immer noch Menschen an Masern, nur weil einige sich weigern, ihre Kinder impfen zu lassen. Das macht mich unglaublich wütend.“

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