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Für alle Fälle Higgs

Wie geht Wissenschaftskommunikation in XXL? Das Großforschungszentrum Cern sucht Antworten.

Da ist die Geschichte mit dem Steinmarder. Vor zwei Jahren verbiss er sich am Cern und verursachte einen Kurzschluss im weltweit größten Teilchenbeschleuniger, dem Large Hadron Collider (LHC). Der Biss kostete den Marder das Leben – dem Cern schenkte er den nächsten Knüller. Weltweit berichteten Medien so eifrig, dass das Naturhistorische Museum Rotterdam das Tier ein Jahr später ausgestopft in eine Ausstellung aufnahm. Deren Titel: „Tote Tiere und ihre Geschichte.“

Die Episode zeigt: Öffentlichkeitsarbeit an einem Forschungszentrum mit Kultstatus wie dem Cern kann bisweilen ein großer Spaß sein. Ein Selbstläufer aber ist sie nicht. Im Gegenteil. Denn es gibt ja nicht jeden Tag eine Sensation wie die Entdeckung des Higgs-Teilchens zu vermelden, und Ruhm hat bekanntermaßen Kehrseiten. Deshalb wird auch im Cern gehirnt, geplant, entwickelt, getestet und verworfen. Strategien werden ersonnen, Projekte aufgesetzt, evaluiert, optimiert oder gleich wieder eingestampft. Gibt es Konstanten bei der Kommunikation im XXL-Format? Ja. Doch auf ihrer Liste ganz oben stehen Zweifel und die Frage: Kommunizieren wir eigentlich richtig?

Ein Mittwoch im Januar. An die 20 Wissenschaftskommunikatoren des Cern haben sich im Besprechungsraum zum sogenannten Brown Bag Lunch eingefunden. Das heißt: Zum Mittagessen gibt es Sandwich und Kaffee an Impulsvortrag mit untergehobener Diskussion. „Welche Story können wir erzählen, wenn Tausende von Forschern an einem Experiment arbeiten, wenn Wissenschaft ganz viele Gesichter hat und keinen klaren Helden mehr?“, fragt einer in der fünften Reihe. Für einen Moment stutzt der Gast der heutigen Runde, der irische Experte für Wissenschaftskommunikation, Brian Trench. „Euer Held sitzt in Schottland, er heißt Peter Higgs. Quetscht ihn aus, immer wieder. Das läuft“, sagt er dann mit einer Sicherheit, die alle Sorgen und Zweifel in sich zusammenfallen lässt. Trenchs Autorität zieht offenbar. Selbst am Cern, wo auch schon mal Nobelpreisträger in der Cafeteria auftauchen.

Doch so einfach ist das nicht mit dem Storytelling. War das Cern für Physiker von Anfang an der Place to be, ist es inzwischen auch zu einem Ort für Künstler, Lehrer, Schüler, Studierende und Bürger avanciert, die sich für Wissenschaft interessieren – oder ganz einfach nur über Dan Browns Bestseller „Illuminati“ vom Cern erfahren haben. Verfilmt mit Tom Hanks in der Hauptrolle, handelt die Geschichte von einem Symbolforscher, von Verschwörung, Verrat, dunklen Machenschaften im Vatikan und – klar – Antimaterie. Physikalisch strotzt das Buch allerdings nur so von Fehlern.
„Direkt peinlich“ sei das, sagt Dr. Sascha Schmeling. Der Deutsche leitet am Cern das zwölfköpfige Team, das für Lehrer­ und Schülerprogramme zuständig ist und die Vermittlung von Teilchenphysik in der Schule erforscht. Als ehemaliger Physiklehrer und promovierter Forscher kann Schmeling den fachlichen Blödsinn erkennen. Als Wissenschaftskommunikator weiß er aber auch: Das Buch und der Film waren ein Hauptgewinn fürs Cern. Acht Millionen Mal hat sich allein das Buch verkauft – und so den Mythos Cern geprägt.

An die 600 Minister, 650 Botschafter und knapp 180 Parlamentarier-Gruppen waren in den vergangenen 60 Jahren zu Besuch am Cern. Dazu kamen 100 Staatsoberhäupter und Regierungschefs. Der Dalai Lama war da und Papst Johannes Paul II. Prominente Wissenschaftler wie Prof. Dr. Stephen Hawking reisten gleich mehrfach an. Künstler und Hollywood-Größen wie – in diesem Februar zum Beispiel – Tilda Swinton komplettieren den illustren Besucherstrom, dessen Ende nicht absehbar ist. Eine eigene „Protokoll-Abteilung“ wacht am Cern heute darüber, dass die Staatsgäste und Würdenträger diplomatisch korrekt empfangen und während ihres Besuchs standesgemäß betreut werden.

Seitdem das Cern mit dem LHC den weltweit größten Teilchenbeschleuniger der Welt zu bieten hat und mit dem Atlas-Detektor die Maschine, die das als Gottesteilchen bekannte Higgs-Boson ausfindig machte, geht es noch munterer auf dem weitläufigen Gelände zu. In den Wintermonaten, wenn die Teilchenbeschleuniger Wartungspause haben, haben die Wissenschaftskommunikatoren am Cern besonders viel zu tun. Denn dann können der LHC und die anderen Beschleuniger besichtigt werden. In einem Lastenaufzug verfrachten die „Cernis“, wie sich Beschäftigte dort selbst gern nennen, ihre Gäste dann in einer Geschwindigkeit nach unten, die die Ohren zufallen lässt. So muss jeder gleich mehrfach schlucken, noch bevor er die „größte unterirdische Kathedrale der Physik“ sieht, wie der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger das Cern einmal beschrieb.

Hier unten macht der Physikstudent Emil Iftekhar erstmal ein Selfie, mit Baustellenhut und im Hintergrund den Monstermagneten, die die rasenden Teilchen auf der Spur halten. Ein paar weitere Beschleunigerringe, Vorträge und Forschergespräche später ist er vollends fasziniert. Der Antimaterie-Vortrag von Prof. Dr. Michael Doser hat ihn in den Bann gezogen. „Das“, raunt Emil Iftekhar noch beim Verlassen der muffigen Besprechungszelle mit überdimensionalem Whitebord an der Wand, „das war endlich mal richtige Physik!“

Je kleiner die Schritte, desto größer der Stress

„Richtige Physik“ ist für einen wie Iftekhar ein Formelwirrwarr, von dem er zunächst nur einen Bruchteil verstehen kann. Das macht den Reiz und die Faszination aus. Denkaufgaben zu bekommen, die über Tage, Wochen, Monate genug Stoff zum Knobeln bieten. Was heißt das, was steckt dahinter? Wo ist der Haken? Das Cern und seine Wissenschaftler haben die Saat gelegt.

Der Faszination und besonderen Atmosphäre erliegen auch Medien, wie die zahlreichen hymnischen Berichte nahelegen. Damit die Journalisten gut informiert schwärmen können, gibt es Arnaud Marsollier und seine sechs Kolleginnen und Kollegen. Die Büros der Pressestelle liegen im ersten Stock des Hauptgebäudes nur wenige Meter von der Bibliothek und dem großen Konferenzsaal entfernt, in dem die heutige Cern-Generaldirektorin Dr. Fabiola Gianotti am 4. Juli 2012 die Entdeckung von Higgs-Boson bekannt gab. Prof. Dr. Peter Higgs und Prof. Dr. François Englert waren damals persönlich vor Ort. Die Pressekonferenz wurde weltweit übertragen. Rund eine Milliarde Menschen sah zu, wie Higgs in seine Hosentasche nach einem Stofftaschentuch griff, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen. Ganz großes Kino war das.

Fast sechs Jahre liegt dieses vorerst jüngste „Wow“ in der Cern-Geschichte zurück. Immer noch kommen viele Medienschaffende ans Cern. Zwischen 600 und 800 Journalisten seien es pro Jahr, sagt Pressechef Marsollier, etwa zwanzig davon aus Deutschland. Knapp 170 000 Artikel schreiben sie im Jahr übers Cern, die zusammen mehr als 9,9 Milliarden Mal gelesen werden. Die Statistik lässt sich fortsetzen. Große TV-Sender produzieren ungefähr zehn groß angelegte Dokumentationen pro Jahr, die Webseite zählt 20 000 Besucher am Tag und bei Twitter und Facebook registriert das Cern zwei Millionen Erwähnungen, Tendenz steigend.

Und trotzdem hat auch Arnaud Marsollier, wie alle seine Kommunikationskollegen, Sorgen. „In der Post-Higgs-Phase ist die Kommunikation nicht leicht. Nach der großen Aufregung kommt es darauf an, die kleinen Schritte zu erklären“, sagt er. Als Pressechef muss er nicht nur die Journalisten bei der Stange halten, sondern auch die Wissenschaftler und die Führungsriege im Cern motivieren, die immer gleichen Fragen zu beantworten. Als mit Fabiola Gia­notti im September 2016 die erste Frau an die Cern­Spitze rückte, stieg das öffentliche Interesse noch einmal. „Wir haben auch so viele Anfragen, weil sie eine Frau ist“, meint Marsollier. Ein Pluspunkt im gnadenlosen Aufmerksamkeitswettbewerb, den auch das Cern sehr gut gebrauchen kann.

Denn bei allen wissenschaftlichen Erfolgen steht das Cern als Kristallisationspunkt einer erkenntnisoffenen Grundlagenforschung bis heute immer wieder unter politischem Legitimationsdruck. Allein der LHC kostete drei Milliarden Euro an Steuergeldern. Gut eine Milliarde sind für den laufenden Betrieb der Anlage nötig, das entspricht dem halben Jahresbudget der Max-Planck-Gesellschaft. „Wir versuchen, die kleinen Schritte zu erklären und auch die täglichen Niederlagen zu zeigen. Die Menschen müssen verstehen, dass all das auch Wissenschaft ist“, sagt Marsollier. Besonders wichtig ist es, das Verständnis bei Politikern und damit denjenigen zu schaffen, die das Cern finanzieren beziehungsweise künftig auch mitfinanzieren wollen.

Wer wissen will, wie das ein Forschungszentrum in solch einer Größenordnung anstellt, kann in der Kommunikationsstrategie nachlesen. Darin ist akribisch aufgelistet, welche Zielgruppen mit welchen Argumenten am ehesten erreichbar sind. Etwa 18 Monate dauerte es, um die Strategie auf die Beine zu stellen. „Das ging nur deshalb so schnell, weil es nicht unsere erste Strategie ist“, erklärt Marsollier. 2017 beschlossen, also weit nach Higgs­Boson, soll sie nun bis zum Jahr 2020 gelten.

Das Problem: Diejenigen, die den Ruf des Cern in der Wissenschaftswelt maßgeblich vorantreiben, die Gastwissenschaftler also, können so wenig auf die Kommunikationsstrategie verpflichtet werden wie die vielen Partnereinrichtungen des Cern. „Wir haben gar keinen Einfluss darauf, wie sie das Cern darstellen“, sagt Marsollier. Das Image des Cern, ein purer Zufall, eine Glückssache? Wenn ja, dann könnte der Stern auch wieder verglimmen – einfach so.

Genau das ist denn auch eine der Fragen, die die Wissenschaftskommunikatoren beim Brown Bag Lunch mit Kommunikationsguru Brian Trench umtreibt. Sie setzen noch eins drauf: „Wir wissen nicht, welche Wissenschaftskommunikation effektiv ist, weil wir nicht wissen, welche Kommunikationsziele überhaupt erreichbar sind“, lautet das in eine Frage geformte Thema.

Doch Brian Trench grinst an diesem neuralgischen Punkt besonders breit und noch spitzbübischer als sonst: „Vergessen Sie das. Nachdenken über die Effektivität von Wissenschaftskommunikation ist sinnlos“, sagt er, „kommunizieren Sie einfach weiter – und erzählen Sie die Geschichte mit Higgs.“

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