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Lasst die Bürger rein

Wie der Dialog zwischen Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft neu gestaltet werden kann. Ein Vorschlag.

Die dringenden gesellschaftlichen Herausforderungen können nur mithilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse gelöst werden. Aber wie soll dies gelingen, wenn das Wissenschaftssystem die akuten Fragen der Öffentlichkeit nicht kennt?

Bürger, Stiftungen und Vereine besitzen einen großen Wissensschatz für Forschung und Lehre. Beispielsweise verfügen pflegende Familienangehörige von an Demenz erkrankten Personen über wertvolle Kenntnisse für die Erforschung des Krankheitsverlaufs. Lehrprojekte gewinnen aktuelle Forschungsfragen aus der Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Initiativen. Punktuell beginnt bereits eine engere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, wie die Schlagworte „Co-Design“, „Citizen Science“ oder „Third Mission“ belegen. Es gilt nun, sie in die Breite zu tragen.

Grenzen der Öffnung

Die Wissenschaftsautonomie, als Garant für die unabhängige und objektive Entdeckung des Neuen, ist stets zu wahren. Frei forschen muss auch da möglich sein, wo sich bis jetzt keine Anwendungsfälle abzeichnen. Doch trotz des verfassungsrechtlichen Schutzes bestehen bereits Schranken der Forschungsfreiheit: Förderpolitische Programme legen thematische Forschungsschwerpunkte fest. Politik­ und Wirtschaftsvertreter gestalten in Senaten und Hochschulräten die Profile der Wissenschaftseinrichtungen mit. Warum erhalten diese gesellschaftlichen Teilsysteme häufiger Mitspracherechte als die Zivilgesellschaft?

Wann und wo beteiligen?

Gesellschaftliche Beteiligung ist in Forschungszweigen sinnvoll, die ihren Ausgangspunkt in konkreten gemeinschaftlichen Bedarfslagen haben. Das ist vor allem in der anwendungsorientierten Grundlagenforschung und der angewandten Forschung der Fall, die sich beispielsweise mit Gesundheit, Klima­ und Umweltschutz, aber auch mit Mobilitäts­ und Energiefragen auseinandersetzen.

Der Austausch erhöht die gesellschaftliche Relevanz

Bürgerbeteiligung findet in der Wissenschaft häufig innerhalb eines Forschungsprojektes statt. Für die Frage, was erforscht werden soll – eine neue Leichtbauweise für Fahrradrahmen oder lieber eine neue Technologie zur Abgasreinigung? –, wird der gesellschaftliche Wissensschatz hingegen seltener zurate gezogen. Doch der Austausch mit der Zivilgesellschaft zu möglichen Forschungsfeldern erhöht die gesellschaftliche Relevanz von Forschung. Grundsätzlich ist zwischen zwei Arten von Forschungsagenden zu unterscheiden:

  • forschungspolitische Agenden,  definiert durch die Förderpolitik von Bund und Ländern und meist durch Projektmittel finanziert;
  • wissenschaftliche Forschungsagenden,  definiert innerhalb des Wissenschaftssystems und meist finanziert durch themenoffene projektförmige und institutionelle Förderung.

Forschungspolitische Agenden partizipativ entwickeln

Die Praxis der Wissenschaftspolitik

Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung förderpolitischer Programme einzubinden rückt weiter in den Fokus politischer Entscheidungsträger. So schreibt die Hightech-Strategie der Bundesregierung gesellschaftlicher Beteiligung das Potenzial zu, „eine neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft“ zu ermöglichen. Die Wissenschaftspolitik auf Bundesebene sammelte erste Erfahrungen mit partizipativen Agenda-Setting-Prozessen. Die Bürgerdialoge des Kanzleramts, die Zukunftsforen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und die Wettbewerbe zur Forschungswende Energie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie brachten Wissenschaft, Politik und Gesellschaft darüber ins Gespräch, wie Bildung und Forschung auszurichten seien.

Empfehlungen umsetzen

Wie forschungspolitische Agenden partizipativ zu entwickeln sind, dazu liegen inzwischen verschiedene Analysen und Empfehlungen vor. Jetzt ist es an der Zeit diese umzusetzen. Hochwertige Partizipationsverfahren, die echte Beteiligung ermöglichen, zeichnen sich aus durch:

  • eine vorausschauende, präventive und proaktive Konzeption statt nachgeordneter Akzeptanzbeschaffung,
  • eine realistische und angemessene Themenauswahl entsprechend dem gesellschaftlichen Wissensschatz,
  • die Einbindung heterogener, kontroverser Positionen, ohne zwingend repräsentativ sein zu müssen,
  • von Beginn an geklärte Rollen und Erwartungen aller Beteiligten,
  • eine sichergestellte Ergebnis­ und Zugangsoffenheit,
  • eine hohe Anschlussfähigkeit der Ergebnisse in Politik und Verwaltung sowie
  • Transparenz über Verwertung der Ergebnisse durch Rückkopplung.

Ziel der partizipativen Politikformulierung ist es nicht, Bürgerinnen und Bürger über den Bildungs- oder Forschungsetat entscheiden zu lassen. Vielmehr geht es darum, das Forschungsfeld aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten und den Fachabteilungen neue Handlungsoptionen zur Lösung gesellschaftlicher Bedarfslagen zu eröffnen.

Akteure der Zivilgesellschaft frühzeitig im Forschungsprozess einplanen

Dialog im Forschungsprozess Die Beteiligung von Akteuren der Zivilgesellschaft ist bereits früh im Forschungsprozess einzuplanen. Denn: Bund und Länder definieren, welche Organisationen für die Durchführung oder die Mitwirkung in einem Forschungsprojekt eine Zuwendung erhalten. Bürgerinnen und Bürger, also forschende Laien, fallen oft nicht unter die Zuwendungsbestimmungen. Dies stellt nicht nur die Vögel­ und Schmetterlingsbeobachter vor Herausforderungen, sondern alle Forschungszweige, die häufig nur durch die Unterstützung von Naturschutzorganisationen und Hobbyforschern ihre Forschungsvorhaben umsetzen können.

Außerdem ist zu prüfen, ob eine adäquate Ressourcenausstattung eine gesellschaftliche Mitwirkung tatsächlich ermöglicht. Wollen Politik und Wissenschaft sich den gesellschaftlichen Wissensschatz zunutze machen, sollten auch entsprechende Bedingungen geschaffen werden.

Kompetenzen und Beteiligungskultur in der Verwaltung stärken

Kollaborative und partizipative Arbeitsweisen stellen neue Anforderungen an Ministerien und Verwaltungen, deren Prozesse bisher eher durch Linienorganisation und Weisung geprägt sind. Die Exekutive sollte ihren Angestellten neue Beteiligungs- und Kreativitätsmethoden vermitteln und – ganz wichtig – diese in Experimentierräumen auch selbst erproben. Es braucht außerdem eine offene Haltung gegenüber den Werten und Sichtweisen anderer. Partizipative Leuchtturmprojekte auf der Führungsebene treiben den erforderlichen Kulturwandel an und ermutigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, selbst neue Agenda-Setting-Prozesse anzustoßen.
Dies impliziert außerdem, dass Ressortforschung und Projektträgern ermöglicht wird, auf gesellschaftliche Mitwirkung bei der eigenen Forschung und der Betreuung und Weiterentwicklung der Forschungsprogramme zurückzugreifen.

Auch bei den Forschungsinhalten, die innerhalb der wissenschaftlichen Community ausgehandelt werden, gilt, dass die großen drängenden Fragen der Gesellschaft nur zu lösen vermag, wer mit ihr im Austausch steht. Forschungsförderer, Wissenschaftseinrichtungen, Lehrende und Forschende sollten gleichermaßen einen Beitrag leisten, um nachhaltige Mitwirkungsmöglichkeiten zu schaffen.

Ausblick

Mehr Raum für Zivilgesellschaft in wissenschafts- und hochschulpolitischen Gremien

Vertreter aus Politik und Wirtschaft gestalten – zu Recht – in Hochschulräten und den Senaten der außeruniversitären Forschungseinrichtungen akademische Profile mit. Sie setzen somit den Rahmen für deren wissenschaftliche Agenden. Gleiche Gestaltungsmöglichkeiten sind auch zivilgesellschaftlichen Vertretern einzuräumen. Hochschulen und Forschungseinrichtungen gewinnen an Innovationskraft durch mehr Diversität in ihren Beratungs- und Steuerungsgremien.

Hochschulen als Begegnungsort

In den Hochschulen sollten sich Wissenschaft und Bürger begegnen können, denn bevor ein Dialog möglich ist, bedarf es einer gemeinsamen Sprache und gegenseitigen Vertrauens. Angebote der Wissenschaftskommunikation bauen hier erste Brücken. Das Transferverständnis der meisten Hochschulen geht bereits über den klassischen Technologietransfer hinaus. Neben technologischen Produkten zielen akademische Verwertungsstrategien auch auf Dienstleistungen und soziale Innovationen ab. Das erweiterte Transferverständnis spiegelt sich ebenfalls in neuen Praxispartnern der Transferstellen wider, die neben regionalen Unternehmen zunehmend mit Städten, Verwaltungen und organisierter Zivilgesellschaft kooperieren. Deswegen kommt den Transferstellen für die zivilgesellschaftliche Mitwirkung bei der Definition von Forschungsagenden eine Schlüsselrolle zu. Um Partizipationsverfahren kompetent zu begleiten, braucht es genügend Ressourcen für deren Professionalisierung und Vernetzung mit dem Forschungs- und Lehrbetrieb.

Anreize für Lehrende und Forschende

Hochschulen sollten ihre Wissenschaftler stärker darin unterstützen, ihre Forschungsinhalte mit gesellschaftlichen Fragen zu verknüpfen. Dazu zählt zum einen eine unbürokratische Begleitung von Praxisprojekten. Hochschulen sollten zum anderen gesellschaftsbezogene Aktivitäten stärker in ihre Reputationsmechanismen einbeziehen. Hierzu bedarf es neuer Kategorien in der Leistungsbeschreibung, die stärker die dritte Mission in den Blick nehmen. Dies gelingt nur, wenn auch Forschungsförderer in Bund und Ländern die Dialogfähigkeit der Wissenschaftseinrichtungen mit der Zivilgesellschaft in ihren Bewertungssystemen nachdrücklich fordern und fördern.

Die bestehenden, bislang nur wenigen Pilotprojekte gilt es jetzt in eine Gesamtstrategie zu überführen.

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