Fischfreund ohne Angelschein
Geht es nach Christopher Zimmermann, sollte die Ostsee nachhaltig befischt werden.
Dass Fischer jemals wieder so viele Heringe aus der Ostsee ziehen werden wie vor 20 oder 30 Jahren, glaubt Dr. Christopher Zimmermann nicht. Knapp 200.000 Tonnen holten die Kutter zu ihren Hochzeiten an Deck. 2011 waren es nur noch 28.000 Tonnen. Die Heringe leiden unter der Erwärmung der Ostsee, deren Temperatur seit 1990 um etwa ein Grad angestiegen ist. Regelmäßig fährt der Meeresbiologe deshalb mit einem Forschungsboot in den Greifswalder Bodden, die wichtigste Kinderstube für den westlichen Ostseehering. Wegen der steigenden Temperaturen legen die Heringe ihre Eier vorzeitig ab. Die kleinen Larven schlüpfen dann sieben bis acht Tage früher als noch vor 20 Jahren. Der Haken: Wenn sie ihren Nahrungsvorrat aus dem Dottersack aufgebraucht haben, ernähren sie sich von kleinen Krebsen, die sich nur entwickeln, wenn es genügend Phytoplankton gibt. Das Wachstum der Algen hängt aber nicht von der Temperatur, sondern vom Licht ab. Das bedeutet, dass ein Großteil der Heringslarven schlicht verhungert. Die Nachwuchsproduktion ist in den vergangenen 30 Jahren auf etwa ein Zwanzigstel gesunken.
Um den wertvollen Bestand zu stabilisieren, wurden die Fangquoten seit 2008 um 63 Prozent gesenkt. „Damit macht man sich natürlich keine Freunde“, sagt Zimmermann. Allerdings stellte sich heraus, dass die Fischer kaum wirtschaftliche Einbußen erlitten. Der Hering aus der westlichen Ostsee ist nämlich sehr begehrt, weil er so klein ist, dass er sich besonders gut zu Rollmops verarbeiten lässt. So verdoppelten sich die Einnahmen trotz des Rückgangs.
Mit Politikern und Fischern zu diskutieren, gehört zu den Aufgaben von Christopher Zimmermann. Seit 2013 leitet er das Thünen-Institut für Ostseefischerei, das eine Forschungseinrichtung des Bundes ist. Zudem lehrt er an der Universität Rostock. Regelmäßig berät er Bund und Länder, warnt vor Überdüngung und Versauerung und empfiehlt Fangquoten für die Ostseefische – nach wissenschaftlichen Kriterien. Und er vertritt Deutschland im Internationalen Rat für Meeresforschung.
Dabei kam der Wissenschaftler ursprünglich aus der „Elfenbeinforschung“, wie er selbst sagt. Für seine Diplomarbeit reiste er mit der Polarstern – dem größten deutschen Forschungsschiff – monatelang durch die Antarktis. Vier Jahre hat er nach dem Studium der Meeresbiologie im Institut für Polarökologie in Kiel gearbeitet, wo er promovierte. Durch eine „Verkettung von glücklichen Umständen“ landete er 2005 beim Thünen-Institut. „Wir sehen das Meer als einen für den Menschen nutzbaren Naturraum“, sagt er. Das bedeutet, dass selbstverständlich gefischt werden darf – schließlich ist Fisch ohnehin nachhaltiger als Fleisch. Die Ostsee darf aber auch nicht überfischt werden. Deshalb ist nachhaltiges Fischereimanagement das „Dauerthema" von Christopher Zimmermann, der übrigens selbst kein Angler ist.
Fangquoten für die Ostseefische
Es gibt relativ wenige Fischarten, die mit den besonderen Bedingungen der Ostsee zurechtkommen. Schließlich handelt es sich um das größte Brackwassergebiet der Welt, das sehr schwankende und niedrige Salzgehalte aufweist. Die Ostsee ist wie eine Badewanne mit engen Zugängen zur Nordsee geformt. Nur, wenn stürmische Westwinde rasch auf eine längere Phase von starken Ostwinden folgen, schwappt frisches sauerstoffreiches Salzwasser aus der Nordsee hinein. Normalerweise passiert das ein bis zweimal in jedem Winter. Doch diese Wetterlagen werden seltener, wodurch sich die sogenannten „Todeszonen“ – sauerstofffreie Gebiete – ausbreiten können.
Den meisten kommerziell genutzten Fischen in der Ostsee – Sprotte, Scholle, Flunder, Steinbutt, Glattbutt und Kliesche – geht es trotzdem gut. Eine Ausnahme bilden neben den Heringen die Dorsche. „Sie sind eigentlich seit 20 Jahren überfischt“, sagt Zimmermann. Doch erst 2015 kam der lange erwartete extrem starke Einbruch. Auf Empfehlung des ThünenInstituts wurden die Fangmengen um 56 Prozent gesenkt. Die Forscher rieten aber auch, die Freizeitfischer zu begrenzen, die nach ihren Untersuchungen für die Hälfte der Fänge verantwortlich sind. Jetzt dürfen Angler pro Tag nur noch fünf Dorsche mitnehmen, in der Laichschonzeit drei. Zudem wurden Abwrackprämien für Fischkutter eingeführt.
Der Dorschbestand erholte sich schnell. „Wenn die Quoten noch ein Jahr richtig gehalten werden, ist der Bestand 2019 wieder im grünen Bereich“, prognostiziert Zimmermann. Er versucht grundsätzlich, langfristige Bewirtschaftungspläne zu machen. Das erleichtere die Diskussion mit Politikern, die sich oft von bevorstehenden Wahlen treiben ließen und „fast immer viel langsamer reagieren, als wir das wollen“.
Aus der europäischen Fischereipolitik stammt das Anlandegebot, das seit 2015 gültig ist: Danach muss alles, was die Fischer fangen, an Land gebracht und auf die Quote angerechnet werden. Bislang wurde der unerwünschte Beifang an Bord sortiert und – meistens tot – zurück ins Meer geworfen. Um das zu kontrollieren, haben die Rostocker Meeresbiologen ein elektronisches Monitoring entwickelt, mit dem die Fischer an Bord mit Kameras überwacht werden können. „Das gab einen Aufschrei“, sagt Zimmermann. Er ist aber überzeugt, dass sich die Online-Überwachung am Ende durchsetzen wird. Nur das schaffe den nötigen Druck, den Beifang zu reduzieren. Sein Institut hat auch selektive Schleppnetze entwickelt, mit denen man etwa Schollen und kleine Dorsche schon unter Wasser entkommen lassen kann.
Wann die Ostseefischerei nachhaltig wird? „Wir sind dicht dran“, sagt der Institutsleiter. Und erzählt die Geschichte von den Fischern, die in der Vergangenheit mit wüsten Beschimpfungen auf Fangempfehlungen reagierten. Inzwischen wissen viele ihr MSC-Öko-Siegel für nachhaltige Fischerei so zu schätzen, dass sie von sich aus strengere Quoten akzeptieren wollten als manche Politiker.
Christopher Zimmermann: Meine Forschung
Die Herausforderung
Einerseits so viel wertvollen Meeresfisch für die menschliche Ernährung wie möglich nutzen, andererseits die Umweltauswirkungen der Fischerei minimieren.
Mein Beitrag
Ermittlung nachhaltiger Fangmengen, Entwicklung von Ansätzen zur Reduzierung der Umweltauswirkung.
Drohende Gefahren
Überfischung, was zu reduzierten Fangerträgen und zu schlechterer Versorgung des Menschen mit diesem wertvollen Nahrungsmittel führt; negative Auswirkungen auf die Fischereibetriebe und die Küstenregionen.
Offene Fragen
gibt es mehr als ein Institut in einem Forscherleben beantworten kann.
Mein nächstes Projekt
heißt STELLA (Stellnetz-Lösungsansätze) und soll die Beifänge von Seevögeln und Schweinswalen in der eigentlich sehr nachhaltigen Ostsee-Stellnetzfischerei verringern. Wir erheben dafür in großem Umfang Basisdaten, entwickeln technische Lösungen und haben ein sozialwissenschaftliches Arbeitspaket, damit wir die Fischer für die notwendigen Veränderungen mit ins Boot bekommen.
DUZ Magazin 10/2017 vom 20.10.2017