Auszug aus dem Gelobten Land
Längst erntet Israel für seine Spitzenforscher Ruhm, doch fehlt es seitens des Staates und der Hochschulen an Mitteln und Willen, sie im Land zu halten. Umso wichtiger sind die seit gut fünfzig Jahren existierenden Kooperationen zwischen Deutschland und Israel.
Als sie in ihrer Heimat Israel das Master-Studium abgeschlossen hatte, bekam Deborah Talmi von ihren israelischen Dozenten signalisiert: Ihre Chancen auf einen Lehrauftrag seien besser, würde sie ihren Doktortitel im Ausland erwerben. Also verließ sie ihre Heimat Israel, promovierte in Toronto und gründete in ihrer Zeit als Postdoc in Großbritannien eine Familie – „was die Rückkehr nach Israel noch unwahrscheinlicher machte“, wie sie rückblickend sagt. Heute ist Dr. Talmi Dozentin für Psychologische Wissenschaften an der Universität von Manchester, und ihr Werdegang ist typisch für eine israelische Wissenschaftlerin.
Das belegen auch Zahlen aus Amerika: So stellen israelische Forscher 28,8 Prozent des gesamten ausländischen Lehr- und Forschungspersonals in den USA. Damit liegt Israel international mit Abstand weit vorn. Das ergab eine Untersuchung des Tel Aviver Taub-Zentrums für sozialpolitische Studien. Es seien führende israelische Wissenschaftler, die heute in festen Anstellungen an den besten Universitäten in den USA arbeiteten, schreibt Professor Dr. Dan Ben-David, Verfasser der Untersuchung. Mangelnde Stellen, niedrige Löhne und bessere Forschungsmöglichkeiten in moderneren Laboren Europas und Amerikas seien die Hauptgründe für den Wegzug der israelischen Wissenschaftler, resümiert er: „Je größer die Differenz des Durchschnittslohns für die Akademiker ist, desto höher die Auswanderungsrate aus Israel.“
Da scheinen auch keine Rankings zu helfen, die Israels Forschungseinrichtungen weltweit hohes Ansehen bescheinigen. So listete in diesem Jahr das niederländische Zentrum für Wissenschafts¬ und Technologiestudien in einem internationalen Ranking zur Qualität in der Forschung das Weizmann-Institut für Wissenschaften, eine Einrichtung für naturwissenschaftliche Forschung und Ausbildung in Rehovot, auf Platz zehn. Zum Vergleich: Als bestes deutsches Institut erreichte die Technische Universität München Platz 91 von 750.
Verflechtungen mit Deutschland
Eng mit der Wissenschaftsgeschichte Israels verknüpft ist die der Bundesrepublik Deutschland: Die Minerva Stiftung der überwiegend von Bund und Ländern finanzierten Max-Planck-Gesellschaft fördert seit 1959 die deutsch-israelische Wissenschaftszusammenarbeit. Die Gründung geht auf den ersten Kontakt zwischen Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts und des Weizmann-Instituts zurück. In den 22 Minerva-Zentren der israelischen Universitäten und am Weizmann-Institut arbeiten deutsche und israelische Wissenschaftler in allen wissenschaftlichen Disziplinen zusammen.
Zuletzt im März 2014 kam das „Max Planck – Weizmann Laboratory for Experimental Neuropsychiatry and Behavioral Neurogenetics“ hinzu, in dem Deutsche und Israelis gemeinsam in der Neuropsychiatrie und neurogenetischen Verhaltensforschung zusammenarbeiten. Bis heute spielt die Unterstützung von Nachwuchswissenschaftlern für die Stiftung genauso eine Rolle wie deutsch-israelische Symposien, Kurse und Projektförderungen. Außerdem gibt es eine große Gruppe deutscher Postdocs, deren Aufenthalt in Rehovot die Minerva Stiftung mit Stipendien ermöglicht.
180 länderübergreifende Kooperationen
Auf einem Anfang Dezember in Berlin stattfindenden israelisch-deutschen Rektorentreffen bekräftigten Vertreter der israelischen Vereinigung der Universitätsleitungen sowie der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Freien Universität Berlin die länderübergreifende Zusammenarbeit bei Promotionsprogrammen und die Unterstützung junger Wissenschafler seitens der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Insgesamt bestehen mehr als 180 Kooperationen deutscher und israelischer Universitäten, das geht aus dem HRK-Hochschulkompass hervor. Rund 6,5 Millionen Euro fließen jährlich aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in Projekte und Stipendien. An fast allen israelischen Universitäten gibt es Institute mit Deutschland-Bezug.
Kein Platz für Rückkehrer
„Ohne die Kooperation mit Europa und vor allem mit Deutschland hätten wir schon lange aufgeben müssen“, sagt Professor Dr. Nahum Y. Shpigel vom Weizmann-Institut. Shpigel begann seine Karriere als Veterinärmediziner und forscht seit drei Jahren zu Morbus Crohn an der Hebräischen Universität Jerusalem.
Doch auch die enge Verflechtung mit Deutschland und seine finanzielle Mitwirkung können den Wegzug israelischer Forscher nicht aufhalten: Besonders hoch ist die Zahl der im Ausland lebenden Wissenschaftler in den Bereichen Computertechnik und Wirtschaft, gefolgt von Philosophie, Chemie und Physik. Israel ist ein kleines Land, sagt Shpigel: „Nicht für jeden Wissenschaftler gibt es einen passenden Platz.“
Der Nobelpreis als denkbar süßeste Rache
Das musste auch Professor Dr. Arieh Warshel erfahren. Warshel hatte 1969 am Weizmann-Institut noch promoviert, war kurzzeitig dort auch tätig, erhielt aber wohl nie eine wirkliche Perspektive und forscht seit den Siebzigerjahren fast ausschließlich in Amerika. Vor zwei Jahren dann erhielt der israelisch-US-amerikanische Wissenschaftler mit zwei weiteren in Amerika tätigen Kollegen den Nobelpreis für Chemie. „Die denkbar süßeste Rache“, kommentiert Shpigel.
„Die großen Investitionen der Gründergeneration“, schreibt der Ökonom Ben-David, ließen die „Früchte treiben, die wir heute ernten“. Anfang der Siebzigerjahre kamen auf 100.000 Einwohner 134 Professoren und Dozenten – eine Zahl, die inzwischen auf unter die Hälfte zurückgegangen ist. Hingegen ist die Größe der Bevölkerung von knapp drei auf gut acht Millionen und die Zahl der Studierenden von 50.000 auf 194.000 gewachsen.
„Jemand hat vergessen, die Forschungsuniversitäten auf die Agenda der nationalen Prioritäten zu setzen“, fährt Ben-David fort und warnt vor den Konsequenzen: Eine gute akademische Bildung sei Grundpfeiler einer effektiven Wirtschaftspolitik, und Wachstum beginne bei der Forschung. Ein Land wie Israel, das keine Bodenschätze habe und in permanentem Kriegszustand sei, müsse alles daransetzen, einige hundert führende Wissenschaftler nach Hause zurückzuholen. „Wenn ein Land Top-Universitäten will, muss es die notwendigen Ressourcen bereitstellen“, appelliert der Tel Aviver Soziologe.
Staatliche Ignoranz
Bisher gibt es jedoch kaum Anstrengungen seitens der Politik und der Universitäten, um das Abwandern ihrer Spitzenwissenschaftler aufzuhalten. Vielleicht gar, wie es Dr. Smadar Winter zumindest sieht: „Nichts.“ Nichts habe Israel investiert, um sie aus Chicago zurückzuholen, wo sie zehn Jahre lang lebte – „bis auf den Mehrwertsteuererlass beim Kauf einer Klimaanlage und eines Kühlschranks“, schränkt sie mit bitterem Lächeln ein. Seit ihrer Rückkehr vor vier Jahren unterrichtet sie pro Semester zwei Kurse über chinesische Philosophie an der Tel Aviver Universität. Der vertrauten Sprache wegen und um bei ihrer Familie zu sein, hatte Smadar Winter sich zur Rückkehr entschlossen. Die Aussichten auf eine Festanstellung jedoch schätzt sie als „gleich null“ ein.
„Israel könnte viel mehr tun, um seine Forscher zurückzuholen“, ist sich Professor Nahum Y. Shpigel vom Weizmann-Institut sicher. Er kenne Einzelfälle, in denen „horrende Gehälter“ ausgehandelt worden seien: „Wenn man einen Forscher wirklich zurückholen will, dann ist der Himmel die Grenze.“
Susanne Knaul ist Journalistin in Jerusalem.
Weizmann-Institut
Weizmann-Institut
Gründung Israels erster Staatspräsident Chaim Weizmann errichtete das Institut 1934 unter dem Namen Daniel-Sieff-Forschungsinstitut. Nach Israels staatlicher Unabhängigkeit 1948 wurde das Institut ein Jahr später auf seinen heutigen Namen umbenannt.
Geschichte Mitte der 50er-Jahre bauten israelische Wissenschaftler einen der ersten Großrechner. Heute arbeiten rund 2600 Forscher, Labortechniker und Studenten auf dem Campus in Rehovot, um „die Natur und unseren Platz in ihr besser zu verstehen“, wie es auf der Homepage des naturwissenschaftlichen Instituts heißt.
Bedeutung Das Institut gehört zu den führenden multidisziplinären Forschungseinrichtungen weltweit, vor allem in den Bereichen Medizin und Technik. 2009 gewann die Strukturbiologin Professorin Dr. Ada E. Yonath vom Weizmann-Institut für ihre Ribosom-Forschung zusammen mit zwei weiteren Forschern den Nobelpreis für Chemie.
Internet: http://www.weizmann.ac.il
DUZ Magazin 01/2016 vom 18.12.2015