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Prophylaxe gegen Filz

Aldi-Hörsäle, Geheimverträge, bestochene Doktorväter – anfällig für Mauscheleien sind auch Hochschulen. Damit sie vorbeugen können, hat Transparency International eine Kontrollliste erstellt.

Zwölf Seiten und 53 Unterpunkte umfasst die Liste, die die Korruptionswächter von Transparency International vorgestellt haben: „Damit wollen wir das Bewusstsein für Interessenkonflikte und Korruptionsrisiken schärfen“, sagt Arne Semsrott, Leiter der Arbeitsgruppe Wissenschaft bei der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International. Bewusstseinsschärfung sei nötig, zumal die Zahl der undurchsichtigen Sponsoringfälle Jahr für Jahr steige.

Klare Regeln fehlen vielerorts – Musterverträge für Drittmittel etwa, die von einer Kommission ausgefertigt werden, die über die externen Finanziers wacht. Stattdessen gibt es immer noch Hochschulen, in denen einzelne Lehrstuhlinhaber Drittmittelverträge abschließen können. Geht es nach Transparency International, müssten solche Kooperationsverträge öffentlich gemacht werden. Das tut aber bislang kaum eine Hochschule. So hat die Initiative „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ bislang vergeblich herauszufinden versucht, was im geheimgehaltenen Kooperationsvertrag zwischen dem Pharmariesen Bayer und der Universität Köln steht. Selbst vor dem Oberlandesgericht hatten sie mit ihrem Ansinnen keinen Erfolg.

Offensichtlich ist die Verbindung zwischen Hochschulen und Wirtschaft bei gesponserten Hörsälen. Die Uni Erlangen-Nürnberg hat einen „Easy-Credit-Hörsaal“; Aldi-Süd-Hörsäle mit dem Logo am Eingang gibt es an den Hochschulen Rhein-Main, Kempten und Würzburg. „Ob man in einem Aldi-Hörsaal wirklich gut über Marx nachdenken kann, ist die große Frage“, kommentiert Semsrott.

Arne Semsrott: „Man kann davon ausgehen, dass derjenige, der das Geld gibt, ein gewichtiges Wort mitzureden hat“

Kritisch unter die Lupe nehmen möchte Transparency die schätzungsweise 1000 von Unternehmen gesponserten Lehrstühle. So gibt es an der Uni Köln eine Stiftungsprofessur für Energiewirtschaft, die von Energiekonzernen finanziert wird. Google unterstützt das Institut für Internet und Gesellschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sehr häufig sitzen Unternehmer auch in den Berufungskommissionen. Semsrott sagt: „Man kann davon ausgehen, dass derjenige, der das Geld gibt, ein gewichtiges Wort mitzureden hat.“

Großen Einfluss hat die Wirtschaft auch in den Hochschulräten: Ein Viertel aller ihrer Mitglieder kommt aus Unternehmen – aber nur ein Prozent aus den Gewerkschaften. Und die Gremien tagen in der Regel nicht öffentlich, selbst Protokolle bleiben unter Verschluss. „Es ist nicht nachvollziehbar, ob es mögliche Interessenkonflikte gibt“, sagt Semsrott.

Inzwischen haben die meisten Hochschulen in Deutschland Korruptionspräventionsbeauftragte oder interne Revisoren, die sich um das Thema kümmern. Sie stehen jedoch alle vor dem gleichen Problem, sagt die Korruptionspräventionsbeauftragte Dr. Ulrike Dinglreiter von der Universität Bayreuth, die kürzlich eine Tagung zum Thema organisiert hat: „Es gibt noch viel zu wenig Informationen, keine Werkzeuge, keine Methoden, keine Richtlinien.“ Deswegen ist Dinglreiter sehr froh über die Checkliste der Korruptionswächter von Transparency: „Das ist ein gutes Hilfsmittel, um das Thema in den Gremien auf die Tagesordnung zu setzen“, sagt die Juristin. Ähnlich äußert sich Jan-Hinrich Ehmer, Revisor an der Technischen Universität (TU) Berlin: „Das ist eine große Hilfe, um sich als Hochschule intensiver mit dem Thema beschäftigen zu können“, sagt er.

An der TU Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin hatte eine Kooperation mit der Deutschen Bank für Schlagzeilen gesorgt, weil die Unis der Bank ein Vetorecht bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen sowie weitgehende Mitbestimmungsrechte zugebilligt hatten. Seitdem sei das Bewusstsein geschärft und der Einfluss von externen Geldgebern begrenzt, sagt Ehmer.

Transparency setzt darauf, dass sich Hochschulleitungen für klare Regeln stark machen. Um dem Thema noch mehr Nachdruck zu verleihen, haben die Korruptionswächter ein Online-Portal eingerichtet, auf dem Wissenschaftler und Studierende über Beispiele berichten, die ihnen fragwürdig erscheinen. 400 Hochschulen sind bereits gelistet.

Checkliste „Self-Audit“

Was die Checkliste „Self Audit“ abfragt, um Korruption vorzubeugen

Verschiedene Fragen im Rahmen von fünf Hauptthemenkomplexen sollen helfen, Korruptionsrisiken in den Hochschulen aufzuspüren:

Ressourcen
Hat die Hochschule Ansprechpartner für Konfliktfälle? Gibt es Maßnahmen, um das Bewusstsein für Korruption zu schärfen?

Unabhängigkeit
Gibt es eine Drittmittelkommission? Hat die Hochschule Verfahren, in denen Kooperationen mit der Wirtschaft auf Interessenkonflikte geprüft werden?

Transparenz
Werden Kooperationsverträge und Drittmitteleinkünfte dokumentiert und veröffentlicht? Sind die Kriterien für Stellenbesetzungen klar?

Rechenschaft
Ist sichergestellt, dass Mitglieder von Exekutivorganen der Hochschule nicht gleichzeitig in Aufsichtsgremien sitzen?

Integrität
Müssen die Beschäftigten Interessenkonflikte offenlegen? Gibt es Standards für den Umgang mit Hinweisen auf Korruption?

Im Internet: Transparency-International-Liste

Literaturtipps

Literaturtipps

Die politische Ökonomie der Hochschulreform hat der Soziologe Professor Dr. Richard Münch untersucht. Sein Buch „Akademischer Kapitalismus“ ist 2011 bei Suhrkamp erschienen. Darin zeigt Münch, wie sich die Hochschulen unter dem Einfluss von Beratungsfirmen in Unternehmen verwandeln und wie kurzfristige ökonomische Nutzenerwartungen das Innovationspotenzial der Forschung untergraben können.

Zum freien Download: Kritisch schreibt Marcel Hänggi in seinem Buch „Cui bono – Wer bestimmt, was geforscht wird?“ [Downloadlink] über die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Industrie. Schwerpunkt sind die Verflechtungen wissenschaftlicher und privatwirtschaftlicher Interessen vor allem in der Schweiz. Hänggi wirft aber auch Seitenblicke auf die USA, die EU sowie auf Deutschlands „Exzellenz-Fixierung“. Dem Autor geht es nicht darum, private Mittel für die Wissenschaft zu blockieren, sondern um eine transparente Darstellung der industriellen Beteiligungen.

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