Auf dem Weg zur McUniversity
Das Vertriebsmodell von Fast-Food-Ketten zieht in die Welt der höheren Bildung ein: Hochschulen verleihen ihre Studiengänge an Private. Das Prinzip heißt Academic Franchising. Kommt die McUniversity?
Derzeit etabliert sich in der Bildungslandschaft ein neues Kooperationsmodell. Private Bildungsträger oder Unternehmen bieten Studiengänge an, die sie nach dem Franchise-Prinzip von Hochschulen übernehmen. Vor allem Fachhochschulen (FH) verleihen ihre Studiengänge an Anbieter, die ohne die Hochschulen keine Studierenden ausbilden dürften.
Damit entstehen ganz neue Ausbildungsmöglichkeiten, die nach dem Franchise-Prinzip funktionieren, wie man es aus der Fast-Food-Welt kennt. Man übernimmt ein fertiges Produkt und verkauft es vor Ort eigenständig. Unter Fachleuten heißt das: Academic Franchising. Die FH Köln kooperiert auf diese Weise mit der Internationalen Filmschule in Köln. Sie ist eine gemeinnützige Gesellschaft, die von der Medienstiftung Nordrhein-Westfalen und dem ZDF betrieben wird. Nur so kann sie den angehenden Filmemachern ein Studium in Filmregie, Kamera oder Klang/Ton anbieten. „Die Filmschule ist auf uns zugekommen, weil Absolventen berichtet haben, dass sie einen akademischen Abschluss brauchen“, sagt Prof. Dr. Joachim Metzner, Präsident der FH Köln. Da die Ausbildungsstätte aber nicht den Status einer Hochschule hat, kann sie solche Studiengänge nicht anbieten.
Die FH Köln stieg ein und übernahm die Qualitätssicherung sowie die Dienstaufsicht für die Professoren. Diese gehören offiziell zum Personal der Fachhochschule, werden aber der Filmschule zur Verfügung gestellt. Auch wurden die Studiengänge akkreditiert. Eine andere Kooperation hat die FH Köln mit der Deutschen Versicherungsakademie. Diese bietet dank Franchising den Studiengang Insurance Management an, und zwar für Bachelor- oder Master-Studierende, die das Fach berufsbegleitend absolvieren. Das Studium findet an mehreren Orten statt, zum Beispiel in Dortmund, Köln oder Stuttgart. Außerdem sind 239 Euro pro Monat Studiengebühren fällig, die an den privaten Franchisenehmer gehen. Der bezahlt davon die Dozenten und eventuelle Kosten, die der Hochschule in der Verwaltung entstehen. Die FH Köln nimmt kein Geld für die Nutzung ihrer Studiengänge. Sie bekommt eine andere Währung dafür: Renommee. So kann sie sich ein Alleinstellungsmerkmal sichern: „Wir sind nicht nur der größte, sondern auch der einzige Anbieter von berufsbegleitenden versicherungswirtschaftlichen Studiengängen, die an zahlreichen Orten absolviert werden können“, sagt Joachim Metzner.
Durch die Franchise-Modelle erwerben private Bildungsträger oder Unternehmen also quasi durch die Hintertür eine Kompetenz, die sie alleine nicht hätten. In zahlreichen Fachbereichen ist diese Form der Hochschulkooperation schon entstanden. Britta Leusing hat sich für ihre Promotion mit dem Thema beschäftigt (siehe Infokasten). Sie ist Kanzlerin der IB-Hochschule Berlin, die von der Gesellschaft für interdisziplinäre Studien des Internationalen Bundes (IB) betrieben wird. Leusing geht davon aus, dass es mindestens 23 staatliche Hochschulen in Deutschland gibt, die als Franchisegeber auftreten. Die genaue Zahl ist unklar: „Viele Hochschulen sprechen nicht von Franchising, sondern benutzen lieber Begriffe wie Kooperationsstudiengänge“, sagt sie, „sie befürchten, dass ihre Reputation darunter leidet, wenn sie offen über derartige Geschäftsmodelle sprechen.“
Die Hochschule Bochum kooperiert etwa mit der privaten FOM Hochschule, die sich auf Wirtschaft spezialisiert hat. Durch das Franchise-Prinzip kann sie fünf ingenieurwissenschaftliche Studiengänge anbieten, die sie von den Bochumern übernommen hat. Die FOM kümmert sich um das Organisatorische, die FH Bochum ist verantwortlich für die Inhalte. Zielgruppe sind Berufstätige: „So können mehr Ingenieure ausgebildet werden, als wir es alleine an unserer Hochschule leisten können“, erklärt Prof. Dr. Jens Feldermann, Dekan des Fachbereichs Mechatronik und Maschinenbau. Um kommerzielle Interessen gehe es nicht.
Es gibt auch Hochschulen, die mehr als nur ein oder zwei Studiengänge vergeben. Ein Beispiel ist die FH Südwestfalen. Sie gilt als Vorreiter auf dem Gebiet des Academic Franchising. Zahlreiche Studiengänge der Hochschule werden in Kooperation mit Bildungspartnern angeboten, darunter Elektrotechnik, Maschinenbau oder – sehr speziell – Wirtschaftsingenieurwesen-Gebäudesystemtechnologie am Standort Arnsberg. Zu den Partnern gehören der TÜV Rheinland oder das Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer Südwestfalen. Auf diese Weise erreichen Hochschulen und Bildungsträger Studierende in Regionen, in denen sonst kein Studium möglich wäre.
Das Thema nicht auf dem Schirm
Die Angebote richten sich meist an Berufstätige, die nebenbei noch ein Studium absolvieren wollen. Durch das Franchising-Modell bekommen sie die Möglichkeit, einen Bachelor zu machen. Und zwar unabhängig davon, wo die Hochschule ihren Sitz hat. Private Bildungsträger oder Unternehmen decken mit den geliehenen Studiengängen also einen Bedarf, den die staatlichen Hochschulen alleine nicht bedienen könnten. Denn die sind mit einer Rekordzahl von knapp 2,4 Millionen Studierenden derzeit komplett ausgelastet. Durch den Bologna-Prozess gewinnt aber auch das Lebenslange Lernen an Bedeutung. Die Zahl der Berufstätigen, die ein Studium aufnehmen möchte, wird eher zu- als abnehmen.
Das Modell hilft also vielen. Doch nicht alle betrachten es optimistisch. Denn es stehen viele ungeklärte Fragen im Raum. Ein Beispiel ist die Qualitätssicherung. Die liegt in der Regel bei den Hochschulen, also bei der Seite, die bei dem Modell ihre eigenen Interessen vertritt. So kommt es, dass manche Hochschulen die Franchise-Studiengänge nochmal extra akkreditieren – andere aber darauf verzichten, weil ein Angebot schon akkreditiert wurde. Das liegt auch daran, dass die Länder unterschiedlich mit dem Thema umgehen: „Das Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen sieht innerstaatliches Franchising explizit vor“, sagt Britta Leusing von der Berliner IB-Hochschule, „hier bestehen auch einige Rahmenvorgaben zur Sicherstellung der hochschulischen Ausbildungsqualität hinsichtlich des Curriculums, des Prüfungswesens und der Qualität des Lehrpersonals.“
„Von den politisch Verantwortlichen wird das Thema noch gar nicht hinreichend wahrgenommen.“
Auch in den Gesetzen von Niedersachsen und Brandenburg wird Franchising thematisiert. „Es wird allerdings sehr heterogen behandelt“, so Britta Leusing. Beobachter verwundert das kaum. Denn viele haben das Thema offenbar gar nicht auf dem Schirm – obwohl der Markt wächst und die Zahl der Angebote eher zu- statt abnimmt: „Von den politisch Verantwortlichen wird das Franchising noch gar nicht hinreichend wahrgenommen“, sagt Dr. Volker Meyer-Guckel, stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft. „Wir haben in Deutschland das Phänomen, dass zunehmend nicht-hochschulische Einrichtungen Studiengänge anbieten“, sagt Meyer-Guckel, „und ich bin mir nicht sicher, ob das schon vielen Hochschulexperten bewusst ist.“
Offenbar nicht, denn weder Hochschulrektorenkonferenz noch die Kultusminister haben sich dazu bislang geäußert. Das Thema wird nicht öffentlich diskutiert. Bestenfalls in erlesenen Runden. Und das, obwohl die verliehenen Studiengänge in den Köpfen vieler Hochschulmanager und Berufstätiger Realität sind. Anders ist die Situation etwa in Großbritannien. Franchise-Studiengänge gehören dort schon lange zum Alltag. „Es gibt einen Katalog von Bildungsträgern, mit denen staatliche Hochschulen Franchise-Verträge abschließen dürfen“, sagt Joachim Metzner von der FH Köln. „Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Und das, obwohl es private Einrichtungen gibt, die nur zu Zwecken des Franchising gegründet werden.“
Zahlreiche andere Fragen stehen im Raum. Inwiefern verändert diese Form der Studiengangs-Vermarktung die deutsche Bildungslandschaft? Züchten sich die Hochschulen mit diesen Modellen nicht ihre eigene Konkurrenz heran? Schließlich zeigen private Anbieter durchaus, dass es ihnen gelingt, Studierende aus- und Berufstätige weiterzubilden. Ist es dann nicht nur noch ein kleiner Schritt, bis sie auf Kooperationen mit Hochschulen verzichten und deren Studiengänge in Eigenregie anbieten? Eine andere Variante ist auch möglich. Viele der Franchise-Verträge laufen nur auf Zeit. Die Hochschulen haben also auch die Option, die Angebote für Berufstätige in ihr eigenes Portfolio zu übernehmen. Im Moment wäre das noch ein Risiko. Denn niemand kann einschätzen, wie sich der Weiterbildungsmarkt in den kommenden Jahren tatsächlich entwickelt. Beim Franchising liegt dieses Risiko bei den privaten Anbietern. Und Unternehmen haben den Vorteil, dass sie aus ihren eigenen Reihen Studierende gewinnen können.
Gute Inhalte, guter Ruf
Durch Franchising wird Hochschulbildung neu gedacht. Studiengänge können über Unternehmen oder private Bildungsträger in verschiedene Regionen exportiert werden. „Besonders für kleinere und mittlere Hochschulen ist das ein interessanter Ansatz, ihre Angebots-Reichweiten und Studierendenzahlen zu erhöhen“, sagt Volker Meyer-Guckel. Gleichzeitig werden die Studiengänge bundesweit bekannt. Und die Hochschulen gewinnen indirekt eine neue Klientel, mit der sie bislang wenig zu tun hatten. Weil sich die Studenten spätestens für die Prüfungen an der Hochschule einschreiben müssen, kommt ein Nebeneffekt hinzu. Jeder zusätzliche Studienplatz bringt Geld aus der Landeskasse. Und das fehlt an jeder Hochschule.
Geben und nehmen: Das Problem Qualitätssicherung
Geben und nehmen: Das Problem Qualitätssicherung
- Bei Franchise-Studiengängen müssen sich die Hochschulen um die Qualitätssicherung kümmern. „Bei uns gilt das Prinzip, dass die Präsenz- und die Franchise-Studiengänge die gleichen Curricula haben“, sagt Prof. Dr. Claus Schuster, Präsident der FH Südwestfalen. Seine Hochschule gilt auf diesem Gebiet als Vorreiter. Auf hohe Qualität wird viel Wert gelegt. Dafür hat die Hochschule ein Handbuch mit allen Schritten für eine Kooperation erstellt.
- Schon die Auswahl der Kooperationspartner nimmt viel Zeit in Anspruch. „Es ist ein sehr intensiver Prozess, bis wir uns entscheiden, einen Partner aufzunehmen“, sagt Claus Schuster, „schließlich kann sich nicht jeder mit unserer Hochschule schmücken.“
- Auch für die Gewinnung der Dozenten gibt es klare Regeln, denn sie werden Lehrbeauftragte der Hochschule, nicht des Franchise-Nehmers. Sie müssen zum Beispiel einen Abschluss in dem Fach, das sie unterrichten, und eine „profitable Vita“ (Schuster) vorweisen können. Auch die Klausuraufgaben muss der Franchise-Nehmer mit der Hochschule abstimmen. Vertreter der FH nehmen die Aufgaben ab. Die Hochschule stellt auch einen Zweitkorrektor.
- Beim privaten Bildungsträger oder Unternehmen liegt die organisatorische Abwicklung der Studiengänge. Sie stellen die Räume zur Verfügung und sind auch für das Marketing verantwortlich: „Deswegen achten wir auch darauf, dass wir nicht mit mehreren Partnern in einer Region zusammenarbeiten“, sagt Claus Schuster, „sonst würden die sich gegenseitig Konkurrenz machen.“
- Die Franchise-Nehmer der FH Südwestfalen sind sehr unterschiedlich. Die Technische Akademie Esslingen bietet den Studiengang Maschinenbau in Ostfildern/Stuttgart an. Die TÜV Rheinland Akademie macht das in Dresden, Köln oder Nürnberg. Ein Studium wird so an Orten möglich, an denen es keine Hochschule gibt. Einen Überblick über das Angebot gibt es hier: www4.fh-swf.de/de/home/studieninteressierte/beruf_studium/franchise
- Literatur: Britta Leusing, McUniversity: Innerstaatliches Franchising von Studiengängen – ein Graubereich im deutschen Hochschulsektor, Zeitschrift Hochschulmanagement 2/2012, S. 53-60. Leusing ist Kanzlerin der IB-Hochschule Berlin: www.ib-hochschule.eu. Im Oktober reicht sie ihre Dissertation zum Thema an der Uni Flensburg ein.
DUZ Magazin 09/2012 vom 24.08.2012