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Duzen: Ohne Sie und Aber

Du oder Sie? Manche Professoren duzen sich mit Studierenden und Vorgesetzten. In verschiedenen Ländern gelten unterschiedliche Sitten. Ein Blick in die Gepflogenheiten der Anrede.

Ach, was haben es Amerikaner und Briten doch einfach: Egal mit wem sie reden, „you“ ist immer die richtige Anrede. Im Deutschen hingegen müssen wir ständig überlegen: Wirkt Siezen mittlerweile steif und antiquiert? Oder drückt es weiterhin einen gewissen Respekt aus? Fühlt sich mein Gegenüber beim saloppen Du freundschaftlich geschmeichelt – oder im Gegenteil auf den Schlips getreten? Die Fragen tauchen auch in der Hochschulwelt auf. Sie bewegen Lehrende wie Studierende.

„Gerade in meinen hochschuldidaktischen Workshops für neue Lehrende, also meist Doktoranden, ist die Frage nach der Anrede fast immer Thema“, sagt der Psychologe Dr. Immanuel Ulrich. Er forscht an der Goethe­Universität Frankfurt am Main zu guter Lehre. Eine eindeutige Antwort kann er den Nachwuchswissenschaftlern nicht geben. „Ob jemand siezt oder duzt, hängt von der persönlichen Vorliebe ab und von der Kultur vor Ort, also dem Fach, der Hochschule und der Region“, sagt er. Er selbst duze, wenn er in einem Kurs keine Hausarbeit bewerten müsse. „Bei Leistungsprüfungen fällt es mir einfacher, jemanden zu kritisieren, den ich sieze“, so Ulrich.

Beim Hamburger Sie wird gesiezt, aber der Vorname verwendet

Ähnlich handhabt es Dr. Heinz Leo Kretzenbacher – oder wie ihn seine Studierenden und Kollegen nennen: Leo. Kretzenbacher ist Germanist, arbeitet an der Universität Melbourne und forscht zum Anredeverhalten in verschiedenen Ländern. Er ist also aus wissenschaftlicher wie persönlicher Erfahrung ein Experte für kulturelle Unterschiede im Duzen und Siezen. „Meine Studierenden können mich duzen, weil das in Australien so üblich ist“, sagt Kretzenbacher. Aber er sieze sie lieber. So habe er das Gefühl, objektivere Noten vergeben zu können. Außerdem müssten die Studierenden das deutsche Sie ja lernen. „Allerdings verwende ich gerne das Hamburger Sie: Siezen plus Vorname“, ergänzt der Germanistik-Dozent.

Kretzenbacher hat sich also teilweise der australischen Kultur angepasst. In interkulturellen Trainings wird genau das meist geraten: Nicht der Gastgeber muss sich umstellen, sondern der Gast. Kommt also ein japanischer Gastprofessor an eine deutsche Hochschule, ist es ein nettes Zeichen, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen beim ersten Treffen verbeugen, statt die Hand zu geben. Danach aber sollte sich der Gast umstellen.

Aufs Du gefasst machen müssen sich auch deutsche Studierende, die an der grenznahen niederländischen Fachhochschule Arnheim und Nimwegen (HAN) studieren wollen. Denn dort duzen sich alle. Ohne Sie und Aber. So scheint es jedenfalls, wenn man die deutschsprachige Website aufruft. Dort bittet die Hochschule ihre künftigen Studierenden: „Dürfen wir Sie duzen?“. Das sei in den Niederlanden so üblich. „Und es spiegelt die informelle Atmosphäre der Hochschule wider“, sagt Christie Janssen vom Beratungszentrum der HAN. Sogar bei den Master­ und Teilzeitstudierenden, die bereits etwas älter sind, ersetze das Du langsam das Sie.

Mit dem Du vermitteln Werbestrategen emotionale Nähe

Ganz ähnlich versuchen zum Beispiel der schwedische Möbelkonzern Ikea und Markenbotschaften wie „Du darfst“ und „Trink Coca-Cola“, mit dem Du emotionale Nähe bei ihren Zielgruppen herzustellen. Das durch die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 entstandene neue Verbundenheitsgefühl der Deutschen veranschaulichte die Bild-Zeitung damals auf der Titelseite mit der Frage „Wollen wir uns alle duzen?“. Ob die Internetseite der HAN aber nun eine bewusste PR-Strategie ist oder eher ein sprachliches Missverständnis: Zumindest HAN-Dozentin Karola Gierke-Goergens – seit 25 Jahren Deutsch-Dozentin in den Niederlanden – reagiert überrascht. Von einer allgemeinen Duz-Kultur an der Hochschule hatte sie noch nicht gehört. „Duzen oder Siezen, das wird jedem Dozenten selbst überlassen“, sagt sie. In ihrem Fachbereich, den Wirtschaftswissenschaften, siezten die meisten Studierenden die Dozenten. Auch sie selbst verwende im deutschsprachigen Unterricht das Sie. „Schließlich wollen wir die Studierenden auf das Geschäftsleben vorbereiten“, sagt Gierke-Goergens. Im Niederländischen duze sie zwar Studierende wie auch Kolleginnen und Kollegen. Aber das niederländische Du („je“) sei weniger informell als das deutsche.

Ähnlich ist es mit dem nur scheinbar saloppen Umgang der US-Amerikaner. Auch wenn man sich schnell mit Vornamen anspricht: Statusunterschiede sind wichtig. „US-Amerikaner sind im Vergleich zu Briten und besonders zu Australiern eher konservativ, was Titel angeht“, sagt Heinz Leo Kretzenbacher. Wenn der Nachname verwendet werde, erwarteten sie mit Doktor oder Professor angesprochen zu werden, nicht bloß mit Mister oder Miss. Bei PowerPoint-Präsentationen aber verzichteten US-Amerikaner und Australier gerne darauf, den Titel auf der ersten Folie anzugeben. „Das ist eine deutsche Eigenheit, die im englischen Sprachraum eher für Amüsement sorgt“, hat Kretzenbacher beobachtet.

Persönliche Vorlieben, Hochschulimage, nationale Kulturen, Sprachunterschiede und zu aller Unmut auch noch etliche Kombinationen aus Anrede, Namen und Titel. Das Chaos scheint perfekt. Was also tun? „Im Zweifelsfall lieber Sie“, meint Knigge-Trainerin Christina Tabernig. Besser zu förmlich, als ins Fettnäpfchen zu treten. Vom Sie zum Du übergehen könne man immer noch. „Der Statushöhere bietet dem Rangniederen das Du an, also zum Beispiel der Dozent den Studierenden“, sagt Tabernig. Bei gleichem Status – also unter Kolleginnen und Kollegen – gehe es nach dem Alter oder danach, wer länger an der Hochschule ist. Wer unsicher sei, könne das ruhig thematisieren und zur Metakommunikation greifen: „Ich bin unsicher, wie wir uns ansprechen sollen. Wäre Ihnen Sie oder Du lieber?“ Wichtig sei aber: „Das gilt immer nur für die interne Kommunikation”, sagt die Knigge-Expertin. Also nicht für Hochschulexterne, egal ob Gastdozent, Studieninteressierte oder Postbote.

Ob die Anrede überhaupt einen so großen Unterschied macht – darüber streiten sich die Geister. Die einen meinen, Sprache präge das Denken und Handeln. Die anderen gehen davon aus, dass sie alleine nichts an den sozialen Beziehungen ändere. „Ein Du mag als Zeichen eines partnerschaftlichen Umgangs gut gemeint sein“, so Psychologe Marcus Poenisch vom Schulz von Thun-Institut für Kommunikation in Hamburg. Aber die Anrede alleine fülle die Absicht nicht mit Leben. „Dazu gehört mehr“, sagt Poenisch. Auch die Machtbeziehungen zwischen Professoren und Studierenden – oder zwischen Professoren und Hochschulleitung – ändern sich kaum bloß durchs Duzen, wie auch Leo Kretzenbacher bestätigt. „Ich rede den Dekan ebenso mit Vornamen an wie er mich. Die Studierenden duzen mich oft, wenn der Unterricht auf Deutsch stattfindet. Dennoch ist klar, dass es Hierarchien gibt“, berichtet der Germanist. Er erinnert sich an seine eigene Zeit als Student und Uni-Assistent. „Ich hatte einige Alt­68er als Professoren. Wenn die duzten, hatten wir oft das Gefühl, da sollten Hierarchien verschleiert und eine Pseudo-Solidarität kreiert werden.“ Tatsächlich zeigen Umfragen aus unterschiedlichen Branchen, dass es zwar eine Tendenz zum Du gibt – aber nur unter Gleichgestellten. Sprich Kolleginnen und Kollegen duzen sich, aber der Chef wird weiter gesiezt, gerade im öffentlichen Dienst.

Doch der Siegeszug des Du nahm seinen Anfang im Hochschulwesen. Vom „Rückgang des Sie und Vormarsch des Du“ schrieb der Kulturwissenschaftler und Germanist Dr. Hermann Bausinger, Professor emeritus der Universität Tübingen, schon 1979. Besonders deutlich sichtbar sei die Veränderung im Hochschulbereich. „Hier handelt es sich auch weniger um eine allmähliche Verschiebung als vielmehr um einen relativ schlagartigen Wechsel”, schrieb Bausinger. Ausgelöst durch die linke Studentenbewegung der 1968er­Jahre. Der Germanist Dr. Werner Besch, früher Professor an der Universität Bonn, bezeichnet das 68er­Du in seinem bereits 1998 erschienenen Buch „Duzen, Siezen, Titulieren: zur Anrede im Deutschen heute und gestern“, als „Signal des Aufbruchs“. Denn: „Per Sie kann man keine Revolution machen“, so Besch. Noch heute duzen sich die Genossen in sozialdemokratischen und kommunistischen Kreisen. Anders übrigens als US-Amerikaner und andere Englisch-Sprachler: Das so einfache englische „You“ entspricht nämlich ursprünglich eher dem deutschen Sie. Das eigentliche Du („thou“) ist längst verschwunden.

Für immer Du

Für immer Du

Im Deutschen noch ungewohnt, in anderen Kulturen normal: Einmal du bedeutet nicht immer du. „Niederländer, Franzosen und Italiener zum Beispiel switchen viel einfacher hin und her, ohne das als Beleidigung zu verstehen“, sagt Dr. Heinz Leo Kretzenbacher, Germanist an der Universität Melbourne. Was zum Wechsel führen kann:

Weihnachtsfeier-Du
Das typische Weihnachtsfeier-Du wird erst zum richtigen Du, wenn der Statushöhere es nicht wieder zurückzieht, sobald die Feierlaune verflogen ist. Wenn er am nächsten Tag das Du beibehält, ist es quasi amtlich.

Vergessenes Du
Haben sich zwei Personen länger nicht gesehen, ist der Wechsel ins Sie oft weniger ein Zeichen für ungute Stimmung, sondern einfach der mangelnden Erinnerung ans Duzen geschuldet.

Unangebrachtes Du
Ändert sich ein Hierarchie­ oder Rollenverhältnis, etwa wenn von zwei früheren Promotionskollegen einer Professor wird und der andere Rektor oder Kultusminister, kann es sogar angebracht sein, wieder zum Sie zu wechseln. Ex-Kanzler Gerhard Schröder erinnerte sich kürzlich im Spiegel daran, wie sein Freund, Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, auf Schröders Wahl 1998 reagierte: „Ich werde dich also künftig mit Sie anreden.“

Kein Anrecht auf‘s Sie

Kein Anrecht auf‘s Sie

Noch hat keine Hochschule eine Duz-Kultur von oben als Pflicht implementiert. Doch sollte dies geschehen, scheinen Dozenten, Mitarbeitende und Studierende dagegen wenig machen zu können. Jedenfalls hat beispielsweise das Landgericht Hamm entschieden: Es gibt keinen Anspruch eines Beschäftigten aufs Sie, wenn das Du Teil der Unternehmenskultur ist.

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