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Eine Staatsaufgabe?

Der Dauerstreit um Lehrstuhlbesetzungen und Lehrinhalte unter Mitsprache muslimischer, aber auch anderer Religionsgemeinschaften wirft Fragen auf. Sollte der Staat konsequent auf die Ausbildung von Theologen verzichten? Die Analyse eines Religionswissenschaftlers.

Die 2010 vom Wissenschaftsrat empfohlene Einrichtung von Zentren für Islamische Theologie führt bis heute zu kontroversen Debatten. Die Probleme haben nur zum Teil mit den Spezifika des Islam zu tun. Vielmehr beleuchten sie die ganz generelle Frage, inwieweit die „hinkende Trennung“ zwischen Staat und Kirche beziehungsweise Religionsgemeinschaften im deutschen Verfassungsrecht angesichts der wachsenden religiösen Pluralität noch zeitgemäß ist. Das betrifft zentral auch die Ausbildung von Theologinnen und Theologen an staatlichen Hochschulen.

Die akademischen Theologien unterscheiden sich durch zwei wissenschaftsfremde Kriterien grundlegend von allen anderen Fächern der heutigen Universitätslandschaft: zum einen durch das Mitwirkungsrecht der Religionsgemeinschaften bei den Berufungen, zum zweiten durch die Konfessionsklausel. In der Islamischen Theologie ist die Zugehörigkeit zur Religion des Islam in der Regel das einzige theologiespezifische Kriterium bei der Berufung, da die meisten der neu eingerichteten Professuren etwa mit Islamwissenschaftlern, Soziologen und Pädagogen besetzt werden. Das Konfessionskriterium gilt entsprechend auch für christliche Theologen. Nur eine verschwindend geringe Anzahl der mehr als 700 katholischen und evangelischen Theologieprofessuren in Deutschland ist mit Angehörigen einer anderen Konfession oder gar mit Konfessionslosen besetzt. Doch anders als bei den Muslimen ist es bei den christlichen Theologien fast unmöglich, etwa als Historiker oder Religionswissenschaftler einen Lehrstuhl für Kirchengeschichte zu bekommen, auch wenn man fachlich dafür qualifiziert ist.

Besonders problematisch ist das Konfessionskriterium bei Professuren für Religionswissenschaft, Judaistik und anderen nicht­theologischen Widmungen, soweit sie in theologischen Fakultäten angesiedelt sind. Die Mehrheit der fachlich Qualifizierten wird damit an diesen Standorten in der Regel von der Bewerbung ausgeschlossen. Nach einer Erhebung der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft unter ihren Mitgliedern (Stand Ende 2011) erfüllen in der Gruppe der Promovierten unter 52 Jahren bei Ausschreibungen an evangelischen Fakultäten nur 39 Prozent, an katholischen sogar nur 13 Prozent das geforderte Konfessionsmerkmal – egal wie gut sie fachlich auf die Stelle passen.

Bei den Habilitierten unter 52 Jahren sind es nur 28 Prozent (evangelische) und 22 Prozent (katholische Fakultäten). Muslime können sich daher nicht auf eine Professur für Religionsgeschichte mit Schwerpunkt Islam bewerben, Juden nicht auf eine Juniorprofessur für „Religion und Literatur des Alten Testaments“, von Konfessionslosen ganz zu schweigen. Noch weit geringer ist der Anteil, wenn das Studium der betreffenden Theologie vorausgesetzt wird. Nicht wenige Berufungsverfahren scheitern an solchen Voraussetzungen oder kommen nur mit hochschulrechtlichen Winkelzügen zum Ziel. Für Fachkolleginnen und Fachkollegen aus anderen Ländern ist das völlig unverständlich, und es schwächt die internationale Konkurrenzfähigkeit der betreffenden Hochschulen.

Wie sich in der Praxis zeigt, ist der retardierende Faktor zumeist nicht in den theologischen Fakultäten zu suchen, sondern bei den betreffenden Kirchenleitungen. Allerdings tun die universitären Theologen in der Regel wenig oder nichts dagegen. Diese grundlegende Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit bedeutet meines Erachtens, dass die Theologien, gemäß der Terminologie Niklas Luhmanns, insoweit nicht zum Wissenschaftssystem gehören, sondern die Reflexionsebene des Religionssystems darstellen – auch wenn die theologischen Kollegen als Individuen vorzügliche Wissenschaftler sein mögen.

Die Beispiele belegen, dass es nicht nur bei islamischen Professuren Probleme mit der Konfessionsklausel und dem Mitspracherecht der Religionsgemeinschaften gibt. Jedoch zeigen sich an ihnen besonders deutlich die Grenzen des deutschen Kooperationsmodells, das aus einer Zeit stammt, als es im Wesentlichen nur die Römisch-Katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen gab, daneben die jüdische und einige weitere religiöse Minderheiten.

Islamzentren zeigen die Grenzen des bestehenden Kooperationsmodells auf

Während bei großen christlichen Kirchen die Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner (Bischöfe etwa) in der Regel selbst Theologieprofessoren oder zumindest studierte Theologen sind, sind die Vertreterinnen und Vertreter muslimischer Verbände häufig religiöse Laien, die sich der Auseinandersetzung über Lehrfragen mit Theologieprofessorinnen und Theologieprofessoren nicht gewachsen fühlen. Das führt zu Distanzierungsprozessen in den Beiräten und zu dem Verdacht, die Universitäten würden durch ihre Berufungspolitik in staatlichem Auftrag einen „deutschen Staats-Islam“ heranziehen, um so den Islam zu „zähmen“.

Zugleich identifiziert sich nur eine Minderheit der hier lebenden Muslime mit den islamischen Verbänden, das zeigt etwa die Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge von 2009. Zwar sind auch Kirchenmitglieder mehrheitlich stark kirchendistanziert (das belegen beispielsweise die Mitgliedschaftsstudien der Evangelischen Kirche in Deutschland), aber immerhin können sich die betreffenden Kirchenleitungen auf deren formale Mitgliedschaft berufen. Eine solche formale Mitgliedschaft ist im Bereich des Islam bisher unüblich und von den Verbänden in der Praxis nur sehr schwer erreichbar. Auch führt es zu einer Verzerrung des Gesamtbildes, da religiös-konservative Muslime sich eher in Verbänden organisieren als liberale.

Im Übrigen ist die Debatte auf Islam und Judentum beschränkt. Andere, in Deutschland ebenfalls verbreitete Religionen wie Buddhismus oder Hinduismus, aber auch das große Spektrum christlicher Gemeinschaften jenseits der Großkirchen, von den Orthodoxen bis zu den evangelischen Freikirchen, werden nicht berücksichtigt. Sie alle lassen sich aufgrund ihrer religionssoziologischen Charakteristika kaum in das System der „hinkenden Trennung“ integrieren. Das gilt umso mehr für die mittlerweile größte „Konfession“ in Deutschland, die der Konfessionslosen. Zu ihr sind, neben ehemaligen Christen, auch viele Menschen mit muslimischem sowie jüdischem Hintergrund zu rechnen. Von ihrer Existenz nimmt das System keine Notiz. Es geht noch immer davon aus, dass jeder Mensch religiös ist.

Angesichts dieser Lage ist die Ausbildung von Theologinnen und Theologen an Universitäten in erster Linie als Dienstleistung des Staates (und der betreffenden Universitäten) für die dadurch privilegierten Religionsgemeinschaften zu sehen. Je größer und bunter die Vielfalt der Religionen wird, umso unbefriedigender ist diese Lage, auch wenn gerade für die Gruppe der Muslime eine solche Reflexionsinstanz angesichts der komplexen Adaptionsprozesse im deutschen Kontext zweifelsohne bedeutsam ist.

Soweit an diesem System festgehalten werden soll (wofür es politische Gründe geben mag), müssen zumindest die skizzierten Begleiterscheinungen behoben werden. Wie in den Empfehlungen des Wissenschaftsrats formuliert, sollten sich theologische Fakultäten auf ihre Kernfelder konzentrieren. Professuren mit nicht explizit theologischen Widmungen sollten in andere Fakultäten umgesetzt werden. Theologiestudierende brauchen auch Kenntnisse etwa in Religions- und Islamwissenschaft, Judaistik, Religionssoziologie. Aber warum sollen sie das nicht in anderen Fakultäten lernen, soweit es dort angeboten wird? Falls es spezifische Gründe gibt, solche Professuren dennoch in theologischen Fakultäten zu erhalten, müssen die betreffenden Kirchenleitungen und Fakultäten bereit sein, in diesen Fällen auf die Konfessionsbindung und das Mitspracherecht der Kirchen bei der Berufung zu verzichten. Entsprechendes muss auch für die neuen muslimischen Zentren gelten.

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