Klick, klick. Error.
Das Semester endet, die Korrekturen kommen – auf den Schreibtischen stapeln sich Prüfungen. In Mainz ist manches leichter: Seit zehn Jahren können Dozenten Klausuren am Computer schreiben lassen. Der korrigiert binnen Sekunden. Doch die E-Klausur hat ihre Tücken.
Vor dem Computerraum sammeln sich über 70 Studierende und werfen einen letzten Blick in die Unterlagen. Drinnen schauen in der Zwischenzeit Mitarbeiter des Zentrums für Datenverarbeitung nach dem Rechten und prüfen, ob die Rechner funktionieren und alle Kabel sitzen. Dann geht es los: Die Tür wird geöffnet, alle nehmen Platz, Rechtsmedizinprofessor Dr. Thomas Riepert gibt das Startzeichen und wünscht viel Erfolg. Klick, Klick, Klick. Zum Stift greifen und Klausuren auf Papier schreiben, gehört für diese Studenten der Vergangenheit an.
So wie in dieser Szene beginnen viele Klausuren an der Universität Mainz. Ein Viertel aller Prüfungen findet dort mittlerweile elektronisch statt (siehe Kasten). Rechtsmediziner Thomas Riepert lässt seine Studenten seit 2007 durch die Prüfungen klicken – und ist begeistert: „Die Korrekturen dauern höchstens zwei Tage, und die Studenten wissen bereits nach etwa einer halben Stunde, ob sie bestanden haben.“ Der Romanist Dr. Wolf Lustig möchte die E¬Klausuren ebenfalls nicht mehr missen: „Durch den geringen Aufwand bei den Korrekturen können 300 Stunden eingespart werden.“
Das gefällt auch den Studierenden. „Die Bewertung durch die Software ist sehr schnell, präzise und fair“, sagt Siyer Roohani, der im sechsten Semester Humanmedizin studiert. Die Uni Mainz gilt als Pionier, was das elektronische Prüfen angeht: Seit 2004 stellt das E-Learning-Team vom Zentrum für Datenverarbeitung (ZDV) die technische Basis und personelle Unterstützung für die Durchführung von E-Klausuren zur Verfügung. Rund 14 Fragetypen bietet die Software an, von Multiple-Choice-Aufgaben bis zum Lückentext. Bei Freitextaufgaben können Dozenten die Wortzahl begrenzen, so dass die Studierenden schneller zum Punkt kommen und nicht einfach der im Vorteil ist, der den längeren Text schreibt.
Prüfung multimedial – mit Bildern, Ton und Film
Und nicht nur das: Dozenten können ihren Prüflingen über die Software auch Bilder, Tonaufnahmen und Filmausschnitte vorlegen. Rechtsmediziner Thomas Riepert nutzt die Möglichkeiten bereits: „Abbildungen von Verletzungen und Blutspuren, die auf das Tatwerkzeug schließen lassen, können heute für Aufgaben in die Klausur integriert werden.“ In den Erziehungswissenschaften können Studenten beispielsweise während der Prüfung Videos am PC analysieren und in Statistik nun mit Excel arbeiten anstatt mit Taschenrechnern. Romanist Lustig integriert Diktate, die die Studenten per Kopfhörer hören, in die E-Klausur. Die Mathematiker sind dagegen bisher zurückhaltend: Komplizierte Gleichungen lassen sich mit Zettel und Stift derzeit noch besser umformen als mit Maus und Tastatur. Aber auch dieses Problem ließe sich lösen, wenn die Software entsprechend ergänzt wird.
In Mainz könnte sie bereits begonnen haben, die Zukunft der Universitätsprüfung. Und alle scheinen zu schwärmen. Dass das elektronische Prüfen so glatt funktioniert, ist aber alles andere als selbstverständlich. Bei einer E-Klausur an der Universität Zürich brach Anfang des Jahres der Server zusammen, mehrere hundert Jurastudenten mussten den Test wiederholen. Die Universität Hamburg hat die E-Klausuren wegen hoher Kosten weitgehend wieder aus dem Programm genommen.
Auch in Mainz lief der Start nicht reibungslos, wie Stefan Röhle vom Zentrum für Datenverarbeitung schildert. Einmal hatte sich ein Student in die Prüfung gesetzt, während in Wahrheit ein Kommilitone von Zuhause sich mit dem Passwort über das Internet in die Prüfungssoftware eingeloggt hatte und die Aufgaben bearbeitete. Das Zentrum für Datenverarbeitung rüstete nach. Heute legen die Dozenten vor der Klausur fest, wer zu welchem Zeitpunkt in welchem Raum und mit welchem Kennwort Zugriff zum Test bekommt.
Ein weiteres Hindernis liegt darin, dass die Mainzer Studenten die Prüfungen in den PC-Pools auf dem Uni-Campus schreiben, zu dem sie vorher Zugang haben. Wie verhindert man, dass die Rechner mit Spickdateien versehen werden? Ideal, sagt Röhle, wäre ein Raum mit Computern, die allein für die E-Klausur genutzt werden. Doch das kostet. Mainz hat das Problem gelöst, indem sich die Studenten zur Prüfung mit einer speziellen Nutzerkennung am PC anmelden. Röhle erklärt: „Diese spezielle Benutzer-ID ist so konfiguriert, dass mit diesem Login ausschließlich die Webseite des Prüfungssystems aufgerufen werden kann.“ Der Zugriff auf andere Programme, Dateien oder andere Internetseiten ist während der Klausur nicht möglich.
Um die elektronischen Prüfungen noch sicherer zu machen, plant das Zentrum für Datenverarbeitung Notebooks mit Blickschutzfiltern auszustatten. Das sind Kunststoffscheiben, die vor den Laptop-Monitor geklemmt werden und den Blickwinkel einschränken. Wer von der Seite auf die Lösungen seines Nachbarn schielt, erkennt nichts. Und die Software lässt sich so programmieren, dass jeder die Fragen in einer anderen Reihenfolge vorgelegt bekommt. Aber kann man wirklich die absolut schummelfreie Klausur schaffen? Kathrin Rumrich, die Sport und Englisch auf Lehramt studiert, hat ihre Zweifel. Jeder Student habe während der Klausur meist ein Blatt Papier für Notizen neben dem Computer, das vor allem in den hinteren Reihen auch gut für Fragen an den Nachbarn geeignet ist.
Mit E-Klausuren kann sich Kathrin Rumrich nicht anfreunden. Klausuren zum Anklicken würden nur gepauktes Wissen abfragen. „Man kann nicht zeigen, was man wirklich gelernt hat“, sagt die 25-Jährige. Ob man den Stoff auch verstanden hat, lasse sich viel besser in Aufsätzen oder mündlichen Prüfungen demonstrieren, glaubt Kathrin Rumrich, die gerade an ihrer Masterarbeit sitzt.
Auch unter den Dozenten gibt es Kritiker, die die E-Klausur als stumpf und wenig tiefsinnig ablehnen. Verleitet die E-Klausur zu bequemen und automatisch korrigierbaren Anklick-Aufgaben, wo andere Prüfungen sinnvoller wären? Dr. Margarete Imhof, Professorin für Psychologie in den Bildungswissenschaften, kann den Einwand nicht nachvollziehen. Gut konzipierte E-Klausuren seien für jedes Fach geeignet. Manche Dozenten versuchen ihre Fragen zu verbessern, indem sie die Ergebnisse mit einem Statistikprogramm auswerten: Haben ungewöhnlich viele Studenten die richtige Antwort gegeben? „Die Qualität einer E-Klausur steht und fällt mit der Qualität der gestellten Fragen“, sagt Röhle vom Zentrum für Datenverarbeitung.
Rechtsmediziner Thomas Riepert ist froh, dass die Klausuren korrigiert sind. Er würde gerne mehr E-Klausuren schreiben. Weil die Computerräume begrenzt sind, muss er die Klausuren in mehreren Durchgängen schreiben lassen. Manchmal auch samstags. Durch die Zeitersparnis bleibt Riepert mehr Raum für Forschung und Lehre. Doch jetzt sind erst mal Semesterferien, Zeit, um mit der Familie nach Spanien zu fahren.
E-Klausur in Mainz
E-Klausur in Mainz
- Spitzenreiter beim Klicken: Knapp 200 000 E-Klausuren sind an der Universität bisher geschrieben worden. Aktuell sind es etwa 18 000 pro Semester. Das entspricht etwa 25 Prozent aller schriftlichen Prüfungen.
- Mediziner vorn: Die meisten E-Klausuren entfallen mit 40 Prozent auf das Fach Medizin.
- Kosten: Am Rechenzentrum sind drei Mitarbeiter angestellt, die die Durchführung der E-Klausuren unterstützen. Auf die Betreuung der Klausurensoftware ILIAS entfallen gemittelt etwa die Arbeitsstunden von zwei Mitarbeitern. Die Universität lässt sich E-Klausuren, E-Lectures, Vorlesungsaufzeichnungen und E-Learning-Angebote jährlich rund 85.000 Euro kosten.
DUZ Magazin 08/2014 vom 25.07.2014