Selbstbestimmt neue Wege beschreiten
Jungen Geflüchteten den Einstieg ins Studium ermöglichen – so lautete das Ziel des vor sechs Jahren gestarteten Programms NRWege ins Studium. ein Rückblick und eine Standortbestimmung
Text: Katharina Latsch
Das erste Jahr von NRWege ins Studium empfand Corinna Dederichs als sehr intensive Zeit. „Es war eine Erkundungsphase“, erinnert sich die Projektleiterin an der Fachhochschule Südwestfalen heute. „Wir von der Hochschule, die Dozentinnen und die Teilnehmenden haben miteinander gelernt.“ Mittlerweile ist eine gewisse Routine in Beratung und Organisation von Kursen und Prüfungen eingetreten – auch wenn die Pandemie, die Situation in Afghanistan und der Krieg in der Ukraine wieder neue Herausforderungen mit sich gebracht haben. Als Reaktion auf den hohen Zuzug von Geflüchteten in den Jahren 2015/16 geschaffen, bietet NRWege ins Studium mittlerweile weit mehr als nur Studienvorbereitung.
Hinweis zur Datenlage
Die im Text genannten Daten stammen aus den halbjährlichen Berichten der beteiligten Hochschulen sowie einer im Mai 2022 durchgeführten Umfrage unter 575 (ehemaligen) Teilnehmenden mit Fluchthintergrund. Die Angaben können nur in begrenztem Rahmen überprüft werden.
ENTWICKLUNGEN SEIT 2017
Über 8500 Menschen haben bis Juni 2022 an studienvorbereitenden und -begleitenden Kursen im Rahmen von NRWege teilgenommen. Waren es zu Beginn fast ausschließlich männliche Teilnehmende aus Syrien, sind seit 2019 viele türkische Teilnehmende hinzugekommen und die Herkunftsländer insgesamt diverser geworden. Auch der Frauenanteil ist von 17 Prozent auf aktuell 45 Prozent kontinuierlich gestiegen. Darüber hinaus sind die Kurse seit 2020 für reguläre internationale Studierende geöffnet – eine Entwicklung, die von den beteiligten Hochschulen positiv bewertet wird: „Die Bildung einer Gruppe mit dem Merkmal ‚Fluchthintergrund‘ ist im Sinne angestrebter Integration nicht zielführend und wird von den Betroffenen selbst teilweise als stigmatisierend empfunden“, erläutert Andrea Bieck, Leiterin des International Office der Universität Wuppertal. Seit Öffnung der Angebote berichten viele Hochschulen von einer besseren Lernatmosphäre und einer höheren Motivation in den Kursen.
Mit den Herkunftsländern hat sich auch die Vorbildung der Teilnehmenden verändert. Waren in den ersten Gruppen hauptsächlich junge Menschen mit Schulabschluss oder ersten Studienerfahrungen vertreten, sind es mittlerweile zur Hälfte Akademikerinnen und Akademiker mit einem ersten Hochschulabschluss. Auch dieser Entwicklung hat NRWege Rechnung getragen und innerhalb der NRWege Leuchttürme Qualifizierungsprogramme geschaffen (mehr dazu im DUZ Special NRWege in die Zukunft ab Seite 18).
Ein wichtiger Bestandteil des Programms war und ist der Ausbau der Beratungsstrukturen durch zusätzliches Personal – eine Ressource, die die Hochschulen zur Unterstützung von Schutzsuchenden aus der Ukraine aktuell dringend brauchen. Mit mehr als 12.500 Beratungen und nahezu 3000 Teilnehmenden in der Studienvorbereitung wurde im Jahr 2018 ein vorläufiger Höchststand erreicht. Seitdem sind die Zahlen leicht rückläufig. Zunehmend rücken Maßnahmen zur Sicherung des Studienerfolgs in den Fokus: Jeder vierte Teilnehmende besucht inzwischen studienbegleitende Kurse, knapp 700 Studierende haben durch Stipendien finanzielle Unterstützung erhalten (mehr dazu im DUZ Special NRWege in die Zukunft ab Seite 12).
Von der Vorbereitung ins Studium
Von gut 1200 Personen ist bekannt, dass sie sich nach Abschluss der studienvorbereitenden Kurse an der jeweiligen Hochschule immatrikuliert haben. Gleichzeitig hat die Zahl der Studierenden aus Syrien an den NRW-Hochschulen seit 2015 um mehr als 500 Prozent zugenommen, zuletzt im Wintersemester 2020/21 auf 4739 (Bildungsausländerinnen und -ausländer). Wie viele davon an NRWege ins Studium teilgenommen haben, lässt sich nicht genau sagen. Eine hochschulübergreifende Nachverfolgung von Studierenden ist aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Auch wird der Aufenthaltsstatus internationaler Studierender in Deutschland in der Regel nicht erfasst – mit Ausnahme der Universität Wuppertal. „Die Novellierung des Hochschulstatistikgesetzes haben wir 2016 zum Anlass genommen, die Erfassung des Aufenthaltsstatus in der Einschreibungsordnung zu verankern“, berichtet Andrea Bieck. Damit weiß sie konkret, wie viele der vom International Office ihrer Hochschule betreuten Studierenden als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind und kann sie so zielgruppenorientiert begleiten. 229 Studierende mit Schutzstatus haben sich seitdem ins Fachstudium immatrikuliert – mehr, als an der Universität Wuppertal die Studienvorbereitung absolviert haben.
Die Daten des DAAD weisen darauf hin, dass der erfolgreiche Abschluss der Studienvorbereitung für eine höhere Mobilität der (zukünftigen) Studierenden sorgt. Etwa die Hälfte der befragten Studierenden wechselte für das Studium die Hochschule, hauptsächlich innerhalb von NRW.
Die Befragung zeigt aber auch, dass ein Teil der Absolventinnen und Absolventen nach den Kursen den direkten Einstieg in den Arbeitsmarkt findet – angesichts des hohen Anteils von Akademikerinnen und Akademikern nachvollziehbar. Für Corinna Dederichs liegt dieser hohe Anteil auch darin begründet, dass vor allem in ihrer ländlichen Region das Sprachkursangebot auf höheren Niveaustufen nicht allzu groß ist. „Wir bieten einen Intensivkurs mit fünf Tagen Unterricht in der Woche über einen längeren Zeitraum an – und das auf akademischem Niveau.“
Hürden auf dem Weg ins Studium
Der Übergang zum Studium verläuft nicht immer reibungslos. Eine große Hürde ist das Bestehen der notwendigen Sprachprüfungen im Programm NRWege ins Studium. Zwischen 40 und 50 Prozent der Prüfungsteilnehmenden im Programm NRWege ins Studium erzielen ein Ergebnis, welches sie zum Studium berechtigt. Damit liegen sie im Vergleich mit Daten des TestDaF-Instituts (Daten Kompakt 2020) und des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache (DSH-Rundbrief Dezember 2020) im guten Durchschnitt aller Teilnehmenden.
Die Kurse ermöglichen also beim erfolgreichen Durchlaufen vielen Teilnehmenden den Einstieg ins Studium. Allerdings benötigen – so die Erfahrungen von Corinna Dederichs – viele von ihnen zwei oder mehrere Versuche und können erst später ein Studium aufnehmen, da sie dadurch die Bewerbungsfristen zum Wintersemester verpassen. Bei den Befragten vergingen durchschnittlich zehn Monate bis zum Beginn des Studiums, bei etwa einem Drittel war es mehr als ein Jahr. Der Großteil gibt an, zunächst Geld verdient oder weiter an sprachlichen Kompetenzen gearbeitet zu haben. Persönliche Gründe wie Familienplanung können ebenfalls eine Rolle spielen. Positiv zu vermerken ist: Diejenigen, die den Einstieg ins Studium zum Zeitpunkt der Umfrage geschafft hatten, fühlten sich durch die Kurse sehr gut auf das Studium vorbereitet.
Auch wenn nicht für jeden Teilnehmer und jede Teilnehmerin am Ende der Kurse der Einstieg ins Studium steht: NRWege unterstützt ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland und ermöglicht Integration in tertiäre Bildung und in den Arbeitsmarkt. Ist das Programm also erfolgreich? Für Corinna Dederichs in jedem Fall: „Wir haben insbesondere in diesem Jahr gemerkt, dass Konflikte überall ausbrechen können, auch wenn wir es nicht erwarten. Daher sollte man diese Angebote bewahren, damit man schnell handeln und den Menschen Unterstützung anbieten kann.“ Auch Andrea Bieck bestärkt ihre Einschätzung: „Das Thema Geflüchtete war ein Treiber für das Thema Betreuung internationaler Studierender insgesamt. Das hat uns als Universität diesbezüglich noch mal stark vorangebracht.“
Katharina Latsch ist Teamleitung im DAAD für die Programme NRWege Leuchttürme und NRWege ins Studium.
Foto: Dörthe Hagenguth
Illustration: axeptDesign