Digital Teaching Lab: Spielend Spitzenlehre betreiben
Lernen kann inspirierend und kurzweilig sein, das beweist das Digital Teaching Lab der Max Planck School of Photonics. Virtual-Reality-Brillen und 360-Grad-Kameras eröffnen angehenden Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern neue Lernmöglichkeiten. Interaktiv, individuell, videospielerisch: Das Team der Lehrschmiede ist Vorreiter einer angewandten Didaktik.
von Martin Scheele
Wenn Thomas Kaiser erklärt, was sein Digital Teaching Lab macht, dann zieht er Parallelen zu Piloten und Medizinern. „Angehende Piloten trainieren bekanntermaßen in Flugsimulatoren, um für den Alltag in echten Flugzeugen gerüstet zu sein“, sagt Kaiser. „Fliegen lernen ist eben nicht Learning by Doing.“ Auch heutige Generationen von Studierenden der Medizin können deutlich praxisnäher lernen als ihre Vorgänger. So verhelfen Virtual-Reality-Simulatoren dazu, praktisch operative Fertigkeiten zu trainieren. Dadurch werden Lernkurven für videoendoskopisch und robotisch assistierte Operationen verkürzt und Leistungsniveaus kontrolliert.
Ähnlich ist das mit den Reinräumen an der Max Planck School of Photonics. Der Reinraum, in dem per Definition die Konzentration luftgetragener Teilchen sehr gering gehalten wird, stellt derzeit so etwas wie den Mittelpunkt von Kaisers Forschung und Lehre dar. Allerdings sind der Bau, die Einrichtung und die Pflege solcher Räume sehr teuer und aufwendig. Zudem sind diese Orte nicht auf den Besuch vieler Menschen ausgelegt. Bereits der kleinste Staubpartikel oder beim Niesen oder Husten freigesetzte Speicheltröpfchen können die Produktion oder das Experiment missraten lassen. Eine denkbar ungünstige Umgebung für eine große Anzahl von Studierenden also, die praxisnah und anschaulich unterrichtet werden wollen.
Dieser Artikel ist im DUZ Special "Interdisziplinäre Graduiertenförderung - Qualifizierung junger Talente auf Weltniveau" erschienen, herausgegeben von der Max-Planck-Gesellschaft.
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Technologische Weiterentwicklungen lösen nun diesen Zielkonflikt. An der Max Planck School of Photonics hat Kaisers Team fünf Work Spaces, vollgestopft mit Hardware, installiert. Es sind Virtual-Reality-Brillen vorhanden, 360-Grad-Kameras für die Erstellung von 3-D-Umgebungen, Mikrofone und weiteres Equipment. Hier sollen ab August dieses Jahres der Reinraum simuliert und Studierende unterrichtet werden – höchst effektiv und auf neue, moderne Weise.
Für den virtuellen Reinraum kann der promovierte Physiker wieder einen anschaulichen Vergleich hervorzaubern: „Bei vielen Nachrichtenstudios ist nur noch der Tisch, an dem die Moderatorinnen und Moderatoren sitzen, echt“, sagt Kaiser. „Den Rest erledigt der Computer.“ Es ist die sogenannte Greenbox-Technik, mit deren Hilfe Gegenstände oder Personen nachträglich vor einem Hintergrund platziert werden können, der entweder eine reale Filmaufnahme oder eine Computergrafik enthalten kann.
Der virtuelle Reinraum ist dann Teil des virtuellen Campus, der die Lehrangebote der School bündelt. Es ist dabei vor allem der audiovisuelle Gamification-Charakter, der diesen modernen Campus prägt. „Studierende erhalten ihren Lernstoff durch virtuelle Wettbewerbe oder videospielartige Lernumgebungen“, sagt Kaiser, „sie können sich die Inhalte häppchenweise und in ihrem eigenen Tempo aneignen.“ Jedermann könne dann an Ventilen drehen, ohne dass etwas kaputtgehe. „Das ist eine große Chance für die Lehre“, sagt der 37-Jährige, dessen Begeisterung wirklich ansteckend ist.
"Das Digitale schafft das Haptische nicht ab"
Dass er in den Meetings mit seinen Kolleginnen und Kollegen der Einzige ist, der ein Notizbuch und einen Bleistift zum Mitschreiben gebraucht, ist für ihn dabei überhaupt kein Gegensatz. „Das Digitale schafft das Haptische, das Papier, nicht ab – das eine ist für das andere keine Gefahr“, unterstreicht Kaiser. Er ist jemand, der wichtige Unterschiede akzentuiert: „Es gibt kein elektronisches Lernen, nur digitales Lehren. Denn es stehen immer analoge Menschen im Fokus, egal wie die Methode aussieht. Digitalität ist als Werkzeug zu verstehen, nicht als Ideologie.“
Kaiser ist damit ein exponierter Vertreter der digitalen Lehre. Die Corona-Pandemie hat auch ihn darin bestärkt, dass die Digitalisierung der Hochschulen an Fahrt aufnehmen muss. Wir erinnern uns: Statt in vollen Hörsälen saßen die 2,8 Millionen Studierenden während der Pandemie zu Hause, hörten die Vorlesungen via Zoom, Webex und Co. Schnell stellte sich die Erkenntnis ein, dass diese 90-minütigen Online-Meetings wenig hilfreich waren, die Formate überlasteten die kognitiven Fähigkeiten jedes Zuhörers bzw. jeder Zuhörerin.
Plug & Play-Digitallehrkonzepte in den Naturwissenschaften
Für Studierende der Naturwissenschaften war die Lage noch ungleich schwerer. Denn normalerweise führen diese ihre Experimente im Labor durch. In der Corona-Zeit? Weitestgehend Fehlanzeige! Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Plug & Play-Digitallehrkonzepte, wie sie das Team der School jetzt entwickelt. Die Einrichtungen hinken auch hierbei der Wirtschaft hinterher. In Konzernen ist die Nutzung von Virtual Reality in der Aus- und Weiterbildung mittlerweile Goldstandard, wie Kaiser weiß. Das rechne sich einfach. Forciert wird das durch den Konsumenten-Markt, denn die Masse der jungen Verbraucherinnen und Verbraucher drückt die Preise durch ihre Nachfrage wie zum Beispiel nach VR-Brillen. Davon profitieren letztendlich auch Hochschullehrer wie Kaiser, die damit ganz neuen, faszinierenden Lernformen den Weg bahnen.
Das bestätigt auch Katsuya Tanaka, 27-jähriger Doktorand aus Japan an der Max Planck School of Photonics: „Die digitale Lehre eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Animationen und VR-Brillen sind faszinierend und bringen uns an jedem Ort der Welt ganz nah ran an die jeweilige Realität.“ Der deutlich höhere Vorbereitungsaufwand für diese Veranstaltungen sei absolut gerechtfertigt.
Kaiser schaut gerade auf seinen Projektplan. Er weiß noch nicht wann, aber es wird der Tag kommen, an dem die Studierenden – vorbereitet durch Digitalisierungserfahrungen und vor allem durch den Simulator – in den echten Reinraum gehen. Das markiert dann die nächste Stufe. „Es ist nur logisch, dass die Studentinnen und Studenten dann weniger Fehler im echten Reinraum machen als jemand, der den digitalen Zwischenschritt nicht gemacht hat“, sagt Kaiser. „Ein Pilot muss auch in der Wirklichkeit spüren, wie sich ein Luftloch anfühlt, ohne das ist eine Ausbildung nicht erfolgreich zu Ende zu bringen.“
Das Tablet als Vorbereitung auf das echte Labor
Vor seinem geistigen Auge sieht Kaiser bereits Studierende mit digital erweiterten Umgebungen im Labor lernen – bei der Augmented Reality werden digitale Ergänzungen in die reale Umgebung eingeblendet. „Jede Komponente, die sie im Labor vorfinden, gibt es nun zu Hause zur Versuchsvorbereitung. Mit ihrem Tablet oder Smartphone stellen sie sich ein Elektronenmikroskop virtuell auf den Küchentisch“, sagt Kaiser. Das Tablet sei dann das Mittel, um sich mit der späteren realen Laborumgebung vertraut zu machen. Vor Ort könne man während des Experimentierens das Tablet in einen Lab-Companion-Modus stellen. Dann werden in den realen Versuchsaufbau, an dem „in echt“ experimentiert wird, Anleitungen und Simulationsdaten live eingeblendet. So gibt es zum Beispiel einen Versuch zur Auflösungsbegrenzung am Mikroskop, bei dem die Rolle der einzelnen optischen Komponenten direkt in den Versuchsaufbau eingeblendet werden kann.
Das Virtuelle hat noch einen weiteren entscheidenden Vorteil. Denn häufig sind die besten Forscherinnen und Forscher eines Themengebiets geografisch weit verstreut. Max Planck Schools wie etwa die Photonics bündeln diese orts- und organisationsverteilte Exzellenz in interdisziplinären Netzwerken und stellen sie exzellenten Promovierenden an den verschiedenen Institutionen zur Verfügung. Katsuya Tanaka freut das: „Ich könnte die Seminare auch von Japan aus besuchen, das ist super.“ Trotzdem wird er die Zeit des Promotionsstudiums in Jena verbringen. „Ich bin offen für eine akademische Laufbahn oder auch für den Einstieg in die Wirtschaft, zum Beispiel bei einem Zulieferer der Photonik-Branche. Außerdem möchte ich zukünftig in der Photonik ein starkes wissenschaftliches Netzwerk zwischen Japan und Deutschland aufbauen“, sagt Tanaka.
Für Thomas Kaiser sind viele berufliche Wege der Absolventinnen und Absolventen denkbar. Seine Gedanken kreisen aber vielmehr um den Stand seiner Projekte. Trotz der nahezu Einzigartigkeit seiner Arbeit bleibt er bescheiden. „In der Physik kenne ich keine Projekte in diesem Umfang, in der didaktischen Lernforschung gibt es einzelne.“ Kaiser betont: „Wir betreiben ja keine Physik-Wissenschaft, sondern angewandte Didaktik!“ Sein Team und er seien aber keine Experten am Didaktik-Lehrstuhl, sondern Servicestelle für andere Lehrende, um ihnen technische Lösungen zur Verfügung zu stellen. Bescheidener Pragmatismus trifft didaktische Innovationsforschung.
Thomas Kaiser ist verantwortlich für die Digital Teaching Strategies an der Max Planck School of Photonics.
Fotos: Anna Schroll (3), Steffen Walther (3)