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„Schließt die Türen, geht nicht raus“

Eine Studierende stirbt, drei werden verletzt. 30 sind im Hörsaal, als ein 18-Jähriger in Heidelberg um sich schießt. Wie kommuniziert man während eines Amoklaufs?

Montag, 12.24 Uhr, geht im Lagezentrum der Heidelberger Polizei die Meldung ein: In einem Hörsaal auf dem Campus im Neuenheimer Feld fallen Schüsse. Die Reaktionszeit der Polizei, die diese am Abend der Presse berichtet, ist beachtlich. Um 12.30 Uhr fahren die ersten drei Polizeiautos vor, um 12.33 ist man „aufmunitioniert“, um 12.43 im Hörsaal. Um 12.51 Uhr wird ein „Toter im Außenbereich“ aufgefunden. 400 Beamte sind im Einsatz.

Die Folgen des ersten Amoklaufs an einer deutschen Hochschule lassen sich kaum ermessen. Eine 23-jährige Studierende stirbt, drei weitere werden verletzt. 30 Menschen im Hörsaal erleben alles live mit. Und, so muss man das leider sagen, haben Glück im Unglück: Mehr als 150 Schuss Munition hatte der 18-jährige Täter im Rucksack, als er sich in mörderischer Absicht auf den Weg zu seinen Kommilitonen machte. An einen Ort und zu Menschen, deren „Eltern davon ausgehen, dass ihnen dort nichts geschieht“ – so brachte es Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) auf den Punkt.

Die Wissenschaftsministerin meldete sich bei einer Pressekonferenz am Abend zu Wort, bei der vor ihr der Polizeipräsident und der Innenminister gesprochen hatten. Es folgten der Rektor der Universität Heidelberg, Prof. Dr. Bernhard Eitel, der Oberbürgermeister, die Staatsanwaltschaft, der Opferbeauftragte des Landes. Das Signal: Nicht nur die Academia, die Stadt, das Land sind getroffen.

Zunächst herrscht Schweigen

Merkwürdig still blieben zunächst die Medien der Universität. Schweigen herrschte auf Twitter und Facebook noch drei Stunden nach der Tat, und auf der Webseite stand die irritierende Mitteilung „ALARMSTUFE II“ – gefolgt von einer Coronaverordnung. Die Webseite änderte sich um kurz vor 16 Uhr; die sozialen Medien blieben bis zum Abend unbearbeitet.

Ein „klares Nein“ antwortet Marietta Fuhrmann-Koch, Leiterin Kommunikation und Marketing der Universität Heidelberg, auf die Frage, ob die Universität früher oder mehr hätte kommunizieren können. Um 12.50 Uhr sei sie am Tatort bei der Einsatzleitung angekommen. „Die Nachricht war: Ich bin die Brücke zum Rektorat. Die erste Frage: Wer informiert wen und über was?“ Alles Weitere sei in enger Absprache mit der Polizei geschehen. Sogar die Mitteilung, die dann auf die Universitäts-Webseite gestellt wurde, war – was die Fakten angeht – abgestimmt. „Das Zusammenspiel mit den Sicherheitskräften ist in so einer Lage der einzig gangbare Weg“, erklärt Fuhrmann-Koch, „wer den Einsatz leitet, entscheidet.“

Wie genau dieses Zusammenspiel organisiert ist, welche Warnketten es zum Beispiel in der Hochschule und mit den Sicherheitsbehörden gibt, darf man wegen „sensibler Informationen“ nicht erfahren. Grundlage seien Notfallpläne, die alle baden-württembergischen Hochschulen nach dem Amoklauf eines Jugendlichen in Winnenden 2009 erstellten. Eine Arbeitsgruppe aus Wissenschafts- und Innenministerium sowie Hochschulvertretern erarbeitete damals „Empfehlungen zur Vorbeugung von und zum Umgang mit Gewaltvorfällen an Hochschulen“.

Gab es einen Krisenkommunikationsplan? Oder eine Darksite, also eine Webseite, die im Katastrophenfall schnell hochgeladen werden kann, und wie sie Experten oft empfehlen (vergleiche Beitrag in DUZ Magazin 11.2019)? „Eine Darksite setzen wir nicht ein“, sagt Fuhrmann-Koch, „aber natürlich gibt es im Team Kommunikation definierte Zuständigkeiten und Abläufe, die auch in diesem Fall gegriffen haben.“ Ein passgenaues Konzept halte sie für unrealistisch. „So eine Selbstbindung könnte sogar einer angemessenen und sensiblen Reaktion entgegenstehen. Die war an diesem für die ganze Universität schrecklichen Tag von großer Bedeutung.“ Noch am Nachmittag, sobald die Faktenlage halbwegs gesichert war, habe Rektor Eitel eine E-Mail an alle Mitglieder der Universität gesendet. Am nächsten Tag folgten Gespräche mit den Betroffenen sowie Briefe an die Angehörigen der Getöteten, an alle Studierenden im Hörsaal, ebenso an jene, die dem Täter im Gebäude begegnet waren oder Erste Hilfe geleistet hatten. Den ersten Journalistentermin nahm Eitel bei der abendlichen Pressekonferenz wahr.

Trauerfeier ohne Medien

Kamerateams, Korrespondentinnen und Reporter hatten da bereits seit Stunden berichtet, jede Menge Bilder vom Campus gesendet, Interviews mit Studierenden geführt. „Da kommt es natürlich auch zu unschönen Szenen“, berichtet Fuhrmann-Koch, ohne weiter ins Detail zu gehen. Die Trauerfeier eine Woche nach dem Attentat fand bewusst ohne Medien statt. Stattdessen wurden eine Übertragung in einen großen Hörsaal und bei guter Qualität sowie Gespräche im Anschluss angeboten. Die meisten Medienvertreter hätten das respektiert, sagt Fuhrmann-Koch: ­„Dafür sind wir im Interesse der Betroffenen sehr dankbar.“

Auch beim Studierendenrat (StuRa) führte das Austarieren der Interessen zu inneren Konflikten. „Einerseits haben wir ein Pressegespräch mit Opfern und einem der Tutoren angeboten, auf der anderen Seite versucht, einen Schutzraum zu bieten“, beschreibt die Vorsitzende Michèle Pfister die Lage. Die verfasste Studierendenschaft nahm die Kommunikation nach dem Amoklauf in bemerkenswertem Umfang in die Hand. Noch am Abend ging eine Seite mit der Überschrift „Du bist nicht allein“ online: mit einer immer länger werdenden Liste von Kontakten zu therapeutischen Beratungsstellen, den Psychotraumatologen der Universität und einer 24 Stunden erreichbaren studentischen Hotline. Es folgten Hinweise zu Inseln des Gedenkens auf dem Uni-Gelände und zu einem Raum der Trauer mit psychosozialer Betreuung, den das Studierendenwerk drei Tage nach dem Amoklauf in der Zentralmensa einrichtete.

Studierende waren vorbereitet

Die Entscheidung, sich so aktiv in die interne wie externe Kommunikation einzubringen, fiel laut Pfisters Co-Vorsitzendem Peter Abelmann „Montag, 13 Uhr“, also sofort. „Wir sind die Studierendenschaft, es geht um Studierende. Da ist unsere Aufgabe, zu kommunizieren“, sagt Abelmann. Zupass kam ihm, während der Pandemie gute Grundlagen gelegt zu haben: „Seminare besucht, Kontakte zu Journalistinnen und Journalisten hergestellt, unsere Social-Media-Kanäle analysiert und neu aufgestellt: All das war geschehen“, erklärt Abelmann. Und auch wenn er sich eine so schreckliche Tat natürlich nicht hätte vorstellen können, sei ihm klar gewesen: „Wir müssen uns auf den Moment vorbereiten, in dem wir die ­Öffentlichkeit brauchen.“

Die erste Nachricht, die Abelmann sendete, ging allerdings in die Telegram-Gruppe des Studierendenrats: „Schließt die Türen, geht nicht raus“. //

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