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„Diese Freiheit muss man verteidigen“

Eszter Kováts von der Friedrich-Ebert-Stiftung über Orbáns Angriff auf die Gender Studies.

Eszter Kováts ist in Budapest zuständig für das Ostmitteleuropa-Genderprogramm der Friedrich-Ebert-Stiftung.


Frau Kováts, die Fidesz-Regierung unter Viktor Orbán sagt, „Genderologen“ fänden ohnehin keinen Job. Stimmt das?

Das wissen wir nicht. Es gibt den Studiengang an der staatlichen Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) in Budapest erst seit einem Jahr. Da gibt es noch gar keine Absolventinnen und Absolventen. Ansonsten werden Gender Studies nur an der privaten Central European University (CEU) gelehrt. Die, die dort ihren Abschluss gemacht haben, arbeiten in der Wirtschaft, in Stiftungen, Politik, Verwaltung und Wissenschaft. Das Argument scheint ohnehin vorgeschoben zu sein. Wenn man den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt als Richtschnur nimmt, dann müsste man wohl einige Studienfächer schließen, Ungarische Literatur zum Beispiel.

Die Gender Studies arbeiteten an der „Abschaffung der Geschlechter“, anstatt Wissenschaft zu betreiben, heißt es.

Was uns Schwierigkeiten bereitet, ist, dass die Regierung nicht nur mit Gespenstern kämpft, mit einem Feindbild, ohne Bezug zum realen Leben. Es gibt einen politischen Aktivismus, der sich auf eine bestimmte Theorie aus den Gender Studies bezieht. Darin wird „Gender“ nicht als analytisches Konzept verstanden, um die gesellschaftlich geprägten Rollen von Frauen und Männern zu beschreiben, sondern als eine Identitätskategorie, die auch die biologische Zweigeschlechtlichkeit hinterfragt. Aktivismus ist das eine, Theorie etwas anderes. Auch gibt es Widersprüche zwischen den verschiedenen Ansätzen in den Gender Studies. Aber das ist eben Wissenschaft. Da streitet man. Und diese Freiheit muss man verteidigen.

Was ist so irritierend für die Regierung an einer Theorie, die Geschlechtsidentitäten hinterfragt?

Man ist irritiert, dass es keine abstrakten wissenschaftlichen Debatten mehr sind, sondern dass man Auswirkungen sieht: In Deutschland wurde etwa ein drittes Geschlecht anerkannt. Man redet über Unisex-Toiletten. Das alles wird in Ungarn als Munition im Kampf gegen den „Westen“ verwendet.

In den meisten Bereichen der Gender Studies wird durchaus mit der traditionellen Geschlechtereinteilung gearbeitet. Man untersucht etwa Ungleichheiten zwischen den beiden Geschlechtern. Soll das nun auch abgeschafft werden?

Man kann die Gender Studies nicht abschaffen. Die Orbán-Regierung hat den Studiengang, den sie jetzt nicht mehr haben will, vor zwei Jahren selbst akkreditiert. Deshalb weiß sie auch, dass er die Geschlechterforschung verschiedener Fachbereiche bündelt. Die Inhalte würden genauso gelehrt wie vorher, sie wären lediglich wieder auf ihre alten Fächer verteilt.

Worum geht es dann? Um Symbolpolitik?

Ja. Es geht um eine Art Kriegspropaganda. Man schafft ein „Wir“ und ein „die Anderen“. Wir sind die „normalen“, die bodenständigen Ungarn, „die Anderen“ sind die liberalen Eliten aus dem Westen, die uns nur geschadet haben. „Gender“ ist nur ein Etikett, um diese Abgrenzung zu zelebrieren, ähnlich wie „der Migrant“. Prof. Dr. Andrea Petö von der CEU, Weronika Grzebalska von der Polnischen Akademie der Wissenschaften und ich haben das in einem Aufsatz den „symbolischen Kitt“ genannt: Sie schaffen aus den vielen Schwächen und Versäumnissen der sogenannten progressiven Kräfte und aus den West-Ost-Machtverhältnissen, aus den verratenen Versprechen der Transformationsprozesse ein Feindbild und bieten dann Schutz an, das ist ein Legitimationsmechanismus. Allerdings ein sehr gefährlicher.

Die CEU muss überlegen, nach Wien umzuziehen. Ist die Wissenschaftsfreiheit in Ungarn insgesamt in Gefahr?

Ja, das ist sie. Wenn die Regierung die Gender Studies aus politischen Gründen abschafft, wäre das ein Präzedenzfall für die akademische Freiheit – auch über Ungarn hinaus. Ein Beispiel: Eine regierungsnahe Zeitschrift hat vor Kurzem eine Liste mit „verdächtigen“ Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern veröffentlicht, die zu Homosexualität, Gender, Roma und Migration forschen. Sie stehen unter „Ideologieverdacht“. Das ist schon sehr gefährlich.

Und, was stimmt?

Das sind Forschungsfelder. Das hat mit politischen Ideologien nichts zu tun. Ich würde aber kritisieren, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher zu wenig dafür tun, ihre Forschungen der Bevölkerung verständlich zu machen, vor allem in den Sozialwissenschaften. In Dänemark muss man ein gewisses Zeitkontingent mit der Vermittlung seiner Forschungsergebnisse verbringen. Ich denke, so etwas brauchen wir auch. Falls es noch nicht zu spät ist.

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