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Eifrige Projektschmieden

Der Qualitätspakt Lehre geht auf die Zielgerade. Knapp eine Milliarde Euro haben Bund und Länder bereits in die Verbesserung der Studienqualität gepumpt, eine weitere soll bis 2020 noch folgen. Die Hochschulen haben in der ersten Förderphase des Qualitätspakts viel ausprobiert, allen voran die Ingenieurwissenschaften.

Malena Staudacher ist 21 Jahre alt und gehört zu jenen Studierenden, um die viele deutsche Hochschulen und die Wirtschaft heftig werben: technik­affin, weiblich, hochmotiviert. Staudacher studiert an der Technischen Universität (TU) Bergakademie Freiberg Verfahrenstechnik. Das Studium mache ihr Spaß, auch die gefürchteten Mathe-Klausuren habe sie gut bewältigen können, sagt die junge Frau. Und das, ist sich die zukünftige Ingenieurin sicher, hat sie einem Schnupperstudium zu verdanken, das sie zuvor an der TU Berlin absolvierte: MINTgrün, ein Brückenschlag zwischen Schule und Hochschule. Es ist eines von rund 140 Projekten aus den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik), die seit 2011 mit Mitteln des Qualitätspaktes Lehre (QPL) des Bundesforschungsministeriums gefördert werden.

Dem Schnupperstudium verdankte Staudacher, dass sie schon wusste, wie der Hase läuft, als sie ihr Ingenieurstudium in Freiberg begann. Denn MINTgrün bietet Studienanfängern, die unsicher sind, ob ein technisches oder naturwissenschaftliches Fach das Richtige für sie wäre, ein Jahr lang die Möglichkeit, verschiedene MINT-Fächer auszuprobieren. So manch andere Studierende der Ingenieurwissenschaften hätten diese Chance sicherlich auch gerne gehabt.­ Im Wintersemester 2015/2016 waren 243.466 Studierende im ersten Fachsemester in einem ingenieurwissenschaftlichen Fach (inklusive Informatik) eingeschrieben – das entspricht knapp 30 Prozent aller Studienanfänger. Doch andererseits brechen zwischen 30 und 40 Prozent der Studierenden ihr ingenieurwissenschaftiches Studium vorzeitig ab. Die meisten scheitern an den Mathematikprüfungen, verzweifeln an mangelndem Praxisbezug im Studium oder fühlen sich von den allgemeinen Anforderungen eines Technikstudiums überfordert.

Der MINTgrün-Studienalltag sieht genauso aus wie der anderer Studierender: Die Teilnehmer besuchen Vorlesungen und Tutorien, liefern Hausaufgaben ab und schreiben Tests. „Der einzige Unterschied ist: Sie müssen sich noch auf kein Fach festlegen und können den Realitätscheck machen. Wer will, kann aber bereits Leistungspunkte erwerben und sich für ein späteres Fachstudium anrechnen lassen“, erläutert Christian Schröder, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter von MINTgrün. Das Schnupperstudium ist für die Studierenden gebührenfrei, sie haben den Status von normalen Studienanfängern. Das wiederum hat für die TU den Vorteil, dass sie pro Teilnehmer Geld vom Land Berlin bekommt – wie für alle anderen Studienanfänger auch. Mit den QPL-Mitteln des Bundes finanziert sie unter anderem spezielle Laborveranstaltungen und Tutorien für die Teilnehmer.

Nerv getroffen

Das TU-Präsidium hat das Projekt zur Chefsache erklärt und will es auch nach dem Ende der QPL-Förderung weiterführen. Denn das Konzept scheint einen Nerv getroffen zu haben: Der erste Durchgang 2012/13 fand noch mit 77 Studierenden statt – im aktuellen Jahrgang sind es bereits 483. Der Anteil junger Frauen im MINTgrün-Probejahr liege, so Schröder, mit mittlerweile 38 Prozent deutlich höher als der deutschlandweite Schnitt in Ingenieurstudiengängen. Der dümpelt trotz aller Bemühungen seitens Wirtschaftsverbänden und der Politik immer noch bei knapp unter 25 Prozent vor sich hin.

Den Anstieg der Teilnehmerzahlen erklärt sich Christian Schröder vor allem mit positiver Mundpropaganda durch ehemalige Teilnehmer. „Man verliert nach dem Abitur kein Jahr, sondern man gewinnt Erfahrungen, man steht als Erstsemester später nicht mehr wie vor einem Riesenberg“, sagt auch Malena Staudacher. Viele Teilnehmer gaben bei Befragungen durch die Projektkoordinatoren an, sie hätten durch die Teilnahme an MINTgrün ihre Angst davor verloren, ein MINT­Fach zu studieren oder überhaupt zu studieren.

Das Programm scheint sich als hilfreiches Mittel zu erweisen, um den Output der Hochschulen zu erhöhen und so den von der Wirtschaft beklagten anhaltenden Mangel an MINT-Fachkräften zu beheben. Weitere Befragungen hätten ergeben, dass 75 Prozent der Teilnehmer, die hinterher an der TU Berlin weiterstudierten, tatsächlich ein MINT-Fach wählten, sagt Schröder. Rund 50 Prozent der Teilnehmer blieben an der TU, der Rest studiere an anderen Hochschulen oder entscheide sich gegen ein Studium. Genaue Daten über sie gebe es leider nicht, jedoch ließen Rückmeldungen dieser ehemaligen Teilnehmer den Schluss zu, dass viele im technischen Bereich weiterstudierten. 2017 sollen die ersten Bachelorabsolventen, die zuvor an MINTgrün teilgenommen haben, nach ihrem Erfolg im Fachstudium befragt werden.

Know-how weitergeben

Inzwischen gibt es ähnliche, von MINT grün inspirierte Modelle auch an anderen Hochschulen, etwa an der TU München (Start MINT) oder an der TU Cottbus (College +). Die TU Berlin hat ihr Know­how weitergegeben und profitiert umgekehrt von den Erfahrungen der anderen Hochschulen – im vergangenen Jahr war sie Gastgeberin einer Tagung, die dem Erfahrungsaustausch diente.

„Viele Angebote doktern an den Symptomen“

Die Ingenieurwissenschaften sind an deutschen Hochschulen vermutlich die eifrigsten Projektschmieden, wenn es darum geht, die Studierenden bei der Stange zu halten. Viele dieser Projekte – Brückenkurse, Propädeutika, Praxisprojekte – seien jedoch leider nur Eintagsfliegen, beklagt der Fakultätentag der Ingenieurwissenschaften und der Informatik an Universitäten (4ING). „Solche Angebote doktern häufig nur an Symp­tomen herum, greifen aber nicht an der Wurzel des Übels an“, sagt 4ING­Vorsitzender Prof. Dr. Manfred Hampe. Er hat selbst Ende der 1990er­Jahre an der TU Darmstadt im Fachbereich Maschinenbau ein Praxis­ und Betreuungsprojekt für Studienanfänger ins Leben gerufen. Daraus ist mittlerweile das hochschulweite Programm KIVA (Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an) geworden, das wiederum anderen Hochschulen als Vorbild diente.

Zum Praxisbezug gehört auch, die Studierenden auf die digitalisierte Arbeitswelt vorzubereiten, und zwar nicht erst im Master, sondern schon während des Bachelorstudiums. Das beinhaltet, das notwendige Fachwissen nicht nur theoretisch und frontal zu vermitteln, sondern Praxisbezug herzustellen. So fordern es auch die künftigen Arbeitgeber wie etwa der Verband der deutschen Maschinenbauer (VDMA).

„Etliche verfluchen uns vermutlich zunächst“

Der VDMA hat vor ein paar Jahren deshalb das Förderprogramm „Maschinenhaus“ gestartet – für Lehreprojekte, die Praxisbezug und Studienerfolg gleichermaßen fördern. Unter anderem schreiben sie zweijährlich einen mit 150.000 Euro dotierten Lehrpreis aus. Maschinenbau-Professor Dr. Winfried Wilke von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) ist in diesem Jahr auf der Short-List gelandet. Sein Konzept, das er gemeinsam mit mehreren Kollegen umgesetzt hat: Neben den üblichen Vorlesungen gibt es drei studienbegleitende Praxisprojekte, die die Studierenden jeweils über mehrere Monate im Team bearbeiten müssen. So konstruieren sie im ersten Semester Brücken oder Kugelbahnen und berechnen deren Standfestigkeit.

Im dritten Semester folgt ein Entwicklungsprojekt. „Hier geht es um Kreativitätstechniken“, sagt Wilke. Die Studierenden lernen den langen Weg eines Produktentwicklungsprozesses kennen und müssen eine Präsentation auf Englisch halten. Noch fehlendes Hintergrundwissen dafür, etwa in Informatik, müssen sie sich selbst aneignen – wie später im Berufsalltag. „Das bedeutet zusätzliche Arbeit für die Studierenden. Und etliche verfluchen uns Professoren vermutlich erst einmal dafür. Aber hinterher sind alle begeistert von der Praxiserfahrung“, sagt Wilke.

Richtige kleine Ingenieurbüros

Im siebten Semester müssen die Studierenden ein komplettes Industrieprojekt bewältigen und anschließend vor den Unternehmen präsentieren, die die Aufgaben dafür stellen. „Das sind dann schon richtige kleine Ingenieurbüros. Die Studierenden müssen von der Planung über die Entwicklung bis zur Konstruktion alles alleine managen“, erläutert Wilke. Dabei geht es auch um Teamplayer-Qualitäten und die Fähigkeit, unmissverständlich mit einem Auftraggeber zu kommunizieren. An Industriepartnern für die Hochschule herrscht kein Mangel. In der Region sitzen viele international operierende Unternehmen wie zum Beispiel der Automobilzulieferer Schaeffler.

Der VDMA will durch das „Maschinenhaus“ auch Transfer und Austausch fördern. Ausgewählte Hochschulen werden bei der Umsetzung ihrer Lehre-Vorhaben von Hochschulexperten und Praxis-Vertretern beraten und begleitet. Good-Practice-Beispiele werden für alle interessierten Hochschulen zugänglich gemacht und mit detaillierten Projektbeschreibungen und -erkenntnissen in einer Online-Toolbox gesammelt. Die Hochschulen nutzen diese, um Kontakt aufzunehmen und sich auszutauschen.

Die Fachhochschule Kiel etwa, die mit ihrem Erstsemesterprojekt startIng! für den letzten Hochschulpreis nominiert war, hat mehrere andere Hochschulen beraten, die das Lehrkonzept ebenfalls eingeführt haben, darunter die FH Aachen und die TU Dresden.
startIng! hatte sich seinerzeit die TU Darmstadt als Vorbild genommen und hat in den Fachbereichen Maschinenwesen, Elektrotechnik und Informatik eine Praxis-Projektwoche etabliert. Auch hier werden praktische Aufgaben von Wirtschaftspart­nern aus der Region gestellt.

Ergebnis: Brachen vor zehn Jahren noch etwa 15 Prozent der Studentinnen und 25 Prozent der Studenten an der FH Kiel ihr Maschinenbau-Studium vorzeitig ab, so liegen diese Quoten heute bei den an startIng! teilnehmenden Studierenden nur noch bei 1,7 und zehn Prozent. Der Praxisbezug im ersten Semester motiviert die Studierenden offenbar nachhaltig für das weitere Studium.

Bislang hat das Land Schleswig-Holstein das Projekt mitfinanziert, doch nach elf Jahren läuft diese Finanzierung nun aus. „Umso wichtiger ist der regelmäßige Erfahrungsaustausch der Hochschulen, die mit startIng! arbeiten – sowohl im Hinblick auf Inhaltliches als auch hinsichtlich der Verstetigung der Projekte“, sagt Prof. Dr. Jan Henrik Weychardt, Projektleiter von startIng!. Es gilt also, neue Wege für die Fortsetzung der Projekte zu suchen, und die Hoffnung ist, gemeinsam Mittel einwerben zu können.

Mareike Knoke ist Journalistin in Berlin.

Zwischenbilanz zum Qualitätspakt Lehre

Zwischenbilanz zum Qualitätspakt Lehre: mehr Verständnis

Im März hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Evaluation der ersten Förderphase (2011–2016) im Qualitätspakt Lehre veröffentlicht, in der 950 Millionen Euro Fördermittel zur Verfügung standen.

Besonders häufig wurden die Mittel für hochschuldidaktische Weiterbildungen, Einstellungen wissenschaftlicher Mitarbeiter und kompetenzorientiertes Lernen verwendet.

In vielen Hochschulen sei ein „breiteres Verständnis“ für die Bedeutung didaktischer Weiterbildung etabliert worden.

Erreicht worden sei eine verbesserte Personalausstattung zur Entlastung der Lehrenden, heißt es in der Evaluation. Allerdings verpuffte diese Wirkung nicht zuletzt in den MINT-Fächern, weil die Studierendenzahlen drastisch stiegen.

Nur vereinzelt findet bislang dem Bericht zufolge eine Verstetigung der zahlreichen Ideen und Projekte statt, beispielsweise durch Verankerung in den Curricula oder eine Verstetigung aufgebauter Zentren.

Internet: http://tinyurl.com/jyqyu7r

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