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Das Millionenspiel

Unterhändler, Geheimabsprachen und Ablösesummen in Millionen- höhe. Was im internationalen Profifußball längst Normalität ist, hält in Hochschule und Wissenschaft jetzt Einzug. Ein Verfall der Sitten oder der Beginn einer neuen Zeit im viel beschworenen „War of Talents“?

Es gibt in der Wissenschaft nicht viele Grundgesetze. Die wenigen aber haben Gewicht. An sie hält man sich, und das über Rektoren- und Professorengenerationen hinweg. Umgeschrieben wird der Kanon akademischer Sitten und Traditionen jedenfalls so gut wie nie. Geschieht es dann doch, ist das eine Sensation. Wie jetzt.

Die Rede ist vom Berufungsverfahren. Genauer, von den dazu gehörenden Verhandlungen. Üblicherweise beginnen sie, nachdem die Berufungskommission die Topanwärter auf den Posten in der sogenannten Dreierliste benannt hat. Die Gespräche bestehen aus zwei Teilen: den Berufungsverhandlungen und den Bleibeverhandlungen. Den Auftakt der Berufungsverhandlungen macht der Rektor oder Kanzler der Hochschule, die den jeweiligen Professor engagieren will. Am Ende dieser Verhandlungsrunde steht ein schriftliches Angebot. Es ist Schlüssel und Basis für die sogenannten Bleibeverhandlungen. Diese leitet der „gerufene“ Professor ein. Er führt sie mit dem Rektor seiner Heimathochschule, um dieser die Chance zu geben, den Ruf abzuwehren und für sich ein besseres Angebot herauszuschlagen.

Die Zukunft in der Leitung

Ruf, Verhandlung, Rückverhandlung, Entscheidung: Diese Verfahrensschritte hatten im deutschsprachigen Raum über Jahrzehnte hinweg Bestand. Und so hatte sie natürlich auch der Münsteraner Marketingprofessor Dr. Manfred Krafft im Kopf, als er im vergangenen Herbst mit dem Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien, Prof. Dr. Chris­toph Badelt, verhandelte. Und erkannte: Der Wiener Rektor geht anders vor. Er telefoniert, schickt Mails, nennt Summen und beschreibt Ausstattungsvolumina. Nur eines spart er sich im Programm: das schriftliche Angebot mit Unterschrift.

Eine Irritation, eine Dreistigkeit oder ein Zeichen von Unseriosität? Alles falsch, sagt Manfred Krafft heute: „Das ist die Zukunft, und sie hat schon angefangen.“ Tatsächlich ist Badelt nicht der erste Rektor im deutschsprachigen Raum, der aus dem bisherigen Muster ausschert. Vielmehr zeigt das Verhalten des Wiener Rektors eine Entwicklung an, die nicht allen in der Hochschulszene schmeckt und die viele als Verfall der akademischen Sitten brandmarken. Die Sache ist nur: An dem Trend kommt keiner mehr vorbei. Als logische Folge der Hochschulautonomie ist er zudem unumkehrbar, denn natürlich können sich autonome Hochschulen nicht um Konventionen scheren, wenn diese ihren Lauf behindern.

"Die Schlacht um die besten Köpfe ist eine Materialschlacht.“

Es ist so einfach wie im Fußball: Wer im nationalen und internationalen Wettbewerb punkten will, muss die bestmöglichen Spieler für sich gewinnen – egal wie. Da werden Unterhändler losgeschickt, Geheimverträge aufgesetzt und Ablösesummen in zweistelliger Millionenhöhe gezahlt. Fast 100 Millionen Euro überwies Real Madrid im vergangenen Sommer an Manchester United, um Cristiano Ronaldo zu sich nach Spanien zu holen. In der Öffentlichkeit führte der Millionentransfer zu heftigen Schlagzeilen, bei Insidern zu Seufzern der Ratlosigkeit. „Das ist nicht mehr meine Welt“, sagte Fußball-Legende Günter Netzer.

Natürlich lassen sich Hochschulen nicht wirklich mit Fußballclubs vergleichen. Auch mögen Professorengehälter in Deutschland im Vergleich zu den Millionenverdiensten eines Champions-League-Spielers ein Witz sein. Doch ob nun im Hochleistungsbetrieb Sport oder in der Wissenschaft – der Schlüssel zum Erfolg ist das Recruitment. In Wissenschaft und Forschung gelingt das nicht nur, aber zunehmend eben auch mit sehr viel Geld.

Das wissen Rektoren so gut wie Politiker und Wirtschaftsunternehmer. Nicht selten helfen heute alle zusammen, um einen Coup wie etwa den Wechsel des international umworbenen Batterieforschers Prof. Dr. Martin Winter von der Universität Graz nach Müns­ter im Jahr 2008 zu landen. Damals legten gleich mehrere Firmen zusammen, um Winters Stiftungsprofessur für fünf Jahre mit 2,25 Millionen Euro zu finanzieren. Weitere 30 Millionen Euro nehmen dazu noch die Universität Münster und mehrere Landesministerien in die Hand. Ein Laborgebäude und ein daran angeschlossenes Technikum sollen Münster zum Mekka der Autobatterieforschung machen.

Die Preisschraube dreht sich weiter

Das Beispiel zeigt: Wer in Forschung und Innovation den großen Wurf plant, nimmt in den Technik- und Naturwissenschaften heute durchaus Summen in die Hand, die im oberen Preissegment der Bundesliga verhandelt werden. Der FC Bayern München und der VfB Stuttgart einigten sich beim Transfer von Top-Stürmer Mario Gomez im vergangenen Jahr auf eine Ablösesumme von 30 Millionen Euro. Ein Rekord in der bundesdeutschen Vereinsgeschichte. Die Preisschraube dreht sich nach oben – im Sport wie in der Wissenschaft.

Je höher der Einsatz, desto höher das Risiko und desto größer die Sorge vor Fehlinvestitionen. „Die Schlacht um die besten Köpfe ist eine Materialschlacht“, gibt denn auch Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz mit Blick auf die Technik- und Naturwissenschaften zu bedenken. Olbertz ist Wissenschafts­minister von Sachsen-Anhalt und damit für drei Universitäten und vier Fachhochschulen verantwortlich, die jeden Pfennig umdrehen müssen. Entsprechend groß ist die Furcht, im Millionenspiel zu verlieren.

Nun gehören derlei Sorgen zwar zum Geschäft. Doch gab es mit der sogenannten KMK-Sperrfrist bis vor Kurzem immerhin ein Mittel zur Beruhigung der Nerven und des Berufungsmarktes. Erfunden und beschlossen von der Kultusministerkonferenz (KMK) in den 50er-Jahren, hielt die „Sperrfrist“ die ganz großen Wandervögel unter den Professoren am Boden. Drei Jahre, das legte die Vereinbarung fest, mussten Professoren an einer Uni bleiben, es sei denn der jeweilige Landesminister ließ den Professor vorzeitig ziehen. Formell aufgehoben ist die Sperrfrist zwar noch nicht, ihren Wert aber hat sie längst verloren. Denn anders als früher haben Hochschulrektoren heute das letzte Wort bei Berufungen – und nicht mehr der Minister.

"Wir müssen verhindern, dass institutionelle Egoismen dem Gesamtinteresse zuwiderlaufen.“

Die Entscheidungskompetenz ging als eine Frucht der wachsenden Hochschulautonomie auf die Hochschulen über. Aus dieser Entwicklung zogen Nord­rhein-Westfalen, Bayern und Hessen im vergangenen Jahr die Konsequenzen: Sie erklärten die Sperrfrist für tot und stießen in der Kultusministerkonferenz eine Grundsatzdebatte an. Welche Regeln sollen auf dem Berufungsmarkt gelten? Wer stellt sie auf? Und wer achtet dann auch auf ihre Einhaltung?

Wo der Staat gefragt ist

Impulsgeber, Moderator oder Beobachter: In seiner Studie zur künftigen Rolle der Wissenschaftsministerien macht das Centrum für Hochschulentwicklung drei grundsätzliche Typen aus. Doch welcher Typus auch immer als Vorbild dienen mag, klar ist: Im Zuge der Hochschulreformen haben die Wissenschaftsministerien viele Kompetenzen auf die Hochschulen übertragen, die gesamtstaatliche Verantwortung für ein funktionierendes Hochschulsystem aber bleibt bei den Ländern. „Wir müssen verhindern, dass institutionelle Egoismen dem Gesamtinteresse des Staates zuwiderlaufen“, erklärt Staatssekretär Dr. Josef Lange die Haltung des Wissenschaftsministeriums in Niedersachsen und drückt damit diplomatisch das aus, was Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Prof. Dr. Peter Frankenberg meint, wenn er sagt: „Die Universität lebt nicht von Luft und Geist, sondern vom Geld des Steuerzahlers.“

Vor dem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, ob die Länder einen Wettbewerb um die besten Köpfe zulassen dürfen, der die Hochschulen ruinieren könnte. „Wir können nicht alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Wir brauchen ein Korrektiv, einen Gestaltungsanspruch. Sonst werden Hochschulen mit knappen Budgets die Top-Forscher abhandenkommen“, sagt Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminis­ter Jan-Henrik Olbertz. Er steht mit der Ansicht zwar nicht allein. Die Frage ist nur, wie dieses Korrektiv aussehen und eingeführt werden könnte, ohne den Hochschulen zugleich die Autonomie zu nehmen, die sie für den internationalen Wettbewerb benötigen.

Über Auswege aus dem Dilemma denkt derzeit nicht nur die Kultusministerkonferenz, sondern auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) nach. Anders als die Minister kamen die Rektoren jedoch schon zu einem, wenn auch vorläufigen, Schluss: „Für eine Selbstverpflichtung im Sinne eines Code of Conduct für Berufungen ist es zu früh. Wir wissen noch nicht, wie sich die neuen Freiheiten wirklich auswirken werden“, fasst der Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz und Präsident der TU Darmstadt, Prof. Dr. Hans Jürgen Prömel, die Debatte zusammen und betont zugleich: „Es ist aber klar, dass man sich fair verhält.“

Jahrmarkt der Eitelkeiten

Damit beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn Fairness setzt Regeln voraus, wenn man sie nicht nur als eine Art ritterliche Galanterie begreifen will. Fehlt es an diesen eindeutig benannten Regeln, lässt sich Fairness weder feststellen noch einklagen oder sanktionieren. Im Vakuum ist sich jeder selbst der Nächste. Genau das macht Olbertz mit Blick auf den Staatsetat unruhig. „Die Hopping-Kultur in der Wissenschaft dient häufig doch nur der eigenen Eitelkeit“, erklärt er und will eben dieser nun in Sachsen-Anhalt einen Riegel vorschieben. Nach dem novellierten Landeshochschulgesetz können Ausstattungszusagen an die Verpflichtung geknüpft werden, „dass der Professor für eine angemessene, im Einzelnen zu bestimmende Zeit an der Hochschule bleiben wird“. Und nicht nur das: „Für den Fall eines von dem Professor oder der Professorin zu vertretenden vorzeitigen Ausscheidens aus der Hochschule kann eine Erstattung der durch die Hochschule zugesagten Mittel (…) vereinbart werden.“

Die Hochschulen können also genau die Ablösesummen verlangen, die beim Fußball fester Bestandteil des Millionenspiels sind. Auch wenn Sachsen-Anhalt voraussichtlich das erste Land sein wird, bei dem diese Möglichkeit expressiv verbis im Hochschulgesetz steht. Die autonome Hochschule hat diese Option längst und muss für deren Nutzung nicht auf entsprechende Aufnahme in das Landesgesetz warten. Gedacht als eine Art Airbag für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung, wittern nicht wenige Rektoren in dem Passus deshalb einen Rückschritt in die Zeit ministerieller Regelungswut und reagieren frostig: „Solch ein Instrument ist mit Vorsicht zu genießen, schließlich konkurrieren wir mit dem Ausland“, sagt HRK-Vizepräsident Prömel.
Deutlich entspannter sieht den Fall dagegen der Rektor der Uni Köln, Prof. Dr. Axel Freimuth. Für ihn ist die Ablösesumme ein „guter Weg, sich Sicherheit zu verschaffen und Investitionsruinen zu vermeiden. Wenn sich der Professor nicht darauf einlässt, dann muss man zur Not eben auch mal auf einen Wunschkandidaten verzichten.“

„In Berufungsverhandlungen geht es nicht nur um Geld. Es geht um Anerkennung.“

So unterschiedlich die Meinungen zur Ablösesumme sind, als Instrument im Berufungsgeschäft lässt sie sich nicht mehr wegdiskutieren. Neben Sachsen-Anhalt wird auch Niedersachsen die Schadensersatzzahlung bei vorzeitigem Verlassen der Hochschule ins Gesetz aufnehmen. Dass weitere Länder nachziehen werden, ist anzunehmen. Und es ist auch davon auszugehen, dass Rektoren das Instrument bei der Besetzung von Schlüsselprofessuren mit hohem finanziellem Einsatz in Anschlag bringen. Mit der Übergabe der Berufungskompetenzen an die Hochschulen und der Abschaffung des sogenannten Vergaberahmens in einigen Ländern haben Hochschulrektoren die Macht, einzelnen Professoren Gehälter und Ausstattungen zu bezahlen, von denen die Mehrzahl nur träumen kann. Das dahinter stehende Ziel: Die Hochschulen sollen im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe gestärkt werden. Daran halten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft so unbestritten fest wie die Wissenschaft. Doch so langsam stellt sich die Frage, wie weit die Preisschraube gedreht werden kann. Schon die Spannweite der Grundgehälter variiert in Deutschland erheblich. In Berlin beläuft es sich für W3-Professoren auf 4 700 Euro, das sind rund 500 Euro weniger als in Baden-Württemberg.

Unter Rektoren und Ministern gibt es nicht wenige, die gegensteuern und dem Wissenschaftssystem nach dem Ellbogenprinzip zu neuem Corpsgeist verhelfen wollen. Und so versucht Jan-Hendrik Olbertz nicht nur, ein Korrektiv im Wettbewerb zu schaffen, sondern appelliert auch direkt an die Professoren: „Es ist eine gute akademische Sitte, nicht ständig und ausschließlich das eigene Aus- und Fortkommen im Blick zu haben.“

Materielle und immaterielle Anreize – die Münsteraner Rektorin Professor Dr. Ursula Nelles setzt auf beides. „In Berufungsverhandlungen geht es nicht nur um Geld und den einzelnen Professor. Es geht um Arbeits- und Lebensbedingungen. Und es geht um eine ganze Familie“, sagt sie. Dass und wie die Doppelstrategie wirkt, lässt sich an der Geschichte von Manfred Krafft sehen, die jetzt doch endlich zu Ende erzählt sein will. Als der Marketingprofessor in den Verhandlungen mit Wien nicht mehr weiterkam, wandte er sich am Ende an sein Rektorat und stellte fest: Ursula Nelles hält derlei Abwerbungsversuche zwar grundsätzlich für eine Unsitte, weiß aber, damit umzugehen. Sie zog die Karte, die man in Rektorenkreisen als „graue Verhandlung“ kennt. Sie behandelte das Wiener Angebot, als läge es schriftlich vor, und ließ sich auf Bleibeverhandlungen mit Krafft ein. So wurden sich beide handelseinig und legten Wien ad acta. „Ich würde das Rektorat in Zukunft viel eher einschalten“, sagt Krafft und empfiehlt genau das seinen Kollegen.

Tabu-Brüche erlaubt

Doch Vorsicht: Was in Münster gilt, stimmt in Köln schon nicht mehr. „Ich verhandle nur auf Basis eines schriftlichen Rufes. Und ich habe kein Interesse daran, mit Professoren jedes Jahr neue Bleibeverhandlungen zu führen“, sagt der Kölner Rektor Prof. Dr. Axel Freimuth und betont: „Wir müssen weg von der Vorstellung, dass jeder, der einen Ruf bekommt, an seiner Hochschule automatisch mit Verhandlungen und damit einem Einkommenszuschlag rechnen kann.“ Da würde Freimuth schon lieber einmal einen Spieler ziehen lassen.

Ob Wien, Münster oder Köln – die Berufungspraxis im Jahr 2010 zeigt: Wenn es um die Besetzung von Schlüsselprofessuren geht, können sich Rektoren nicht um Traditionen scheren. Da gilt es schnell und effektiv zu verhandeln. Wohin das führen kann, macht Niedersachsen in seiner aktuellen Hochschulgesetzesnovelle deutlich. Ist sie verabschiedet, dürfen Niedersachsens Rektoren bei der Besetzung einzelner Professuren auch schon mal auf die öffentliche Ausschreibung verzichten.

Wie im Fußball. Vom Spieler über den Trainer bis zum Manager. Auf dem Feld des Profisports werden seit jeher alle wichtigen Positionen frei Hand besetzt. Das Risiko allerdings, das tragen dort die Vereine. Nicht  der Staat.

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