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Ein bisschen selbstbewusster

Die EU-13-Staaten hinken bei Forschung und Innovation den EU-15-Staaten hinterher. Ihre Politiker setzen auf Geld aus EU-Töpfen zur Lösung des Problems. Doch die Wissenschaftler wollen etwas anderes: an ihrer Leistung gemessen und ernst genommen werden

Ein Mann, rund 100 Millionen Kuna und ein einziger Raum in einem pompösen Jugendstil-Gebäude. So sah der Start der kroatischen Wissenschafts-Förderorganisation (Hrvatska zaklada za znanost) vor ziemlich genau 20 Jahren aus. Das Gebäude ist das ehemalige Rathaus von Sušak, einem ehemals eigenständigen Stadtteil von Rijeka. Die 100 Millionen Kuna entsprachen 100 Millionen Euro und wurden vom damaligen Forschungsminister des Landes zusammengekratzt. „Das war damals unheimlich viel Geld. Der Minister sagte: ‚Nimm es und bau die Förderorganisation auf‘“, erzählt Professor Pero Lučin, PhD. Er ist Mediziner. Heute hat er eine Professur an der Universität Rijeka, damals war er erst Vize-Rektor der Hochschule und dann eben auch erster Präsident der kroatischen Förderorganisation, über die heute ein großer Teil der Forschungsförderung in Kroatien abgewickelt wird. „Ich glaube, dass man mich gefragt hat, ob ich den Job machen will, weil ich mich immer zu Wort gemeldet habe, wenn es um die Frage ging, wie man Wissenschaft am besten
finanziert“, witzelt er.

20 Jahre, das hört sich nach so viel Zeit an. Führt man sich jedoch vor Augen, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft fünf Mal so alt ist, sind 20 Jahre nichts. Und wenn man weiß, dass mit der Gründung der Förderorganisation das komplette Finanzierungssystem von Bildung und Wissenschaft des Landes auf den Kopf gestellt wurde, wird klar: Was Lučin dort stemmen musste, war ein Mammut-Projekt. Denn Wettbewerb um Forschungsgelder gab es bis zu diesem Zeitpunkt in Kroatien nicht. Das Ministerium verteilte das Geld an die Universitäten und an die Institute der Wissenschaftsakademie. „Wir mussten ganz von vorne anfangen. Die Organisation aufbauen, Förderrichtlinien festlegen und Programme entwerfen. Und wir mussten die Wissenschaftler dazu bringen, sich um diese Gelder zu bewerben“, fasst Lučin zusammen.

Kroatien gehört zu den sogenannten EU-13-Staaten, die der europäischen Union im Jahr 2004 beigetreten sind. Fast alle diese Staaten hatten mehr als ein halbes Jahrhundert Sozialismus hinter sich. Ihre Wissenschafts- und Bildungssysteme funktionierten komplett anders als die der alten EU-Mitgliedsländer: Es gab vergleichsweise viele Forscher, vor allem Naturwissenschaftler und Ingenieure. Geforscht wurde vorrangig an den wissenschaftlichen Akademien und teilweise in Instituten, die bestimmten Ministerien nahestanden. An den Universitäten wurde nur gelehrt. Militär- und Weltraumforschung waren finanziell gut ausgestattet. Forschungsgelder wurden allerdings quasi nie im Wettbewerb vergeben. Die Geistes- und Sozialwissenschaften hatten kaum einen Platz und waren zudem ideologischen Doktrinen unterworfen, was Spuren hinterließ. „Die Geisteswissenschaften haben sich von 55 Jahren totalitärem Regime immer noch nicht erholt. Bis heute gibt es kaum gute Anträge für Forschungsgelder aus diesen Wissenschaften“, berichtet Professor Dr. Maciej Żylicz, Direktor der Stiftung für Polnische Wissenschaft (Fundacji na rzecz Nauki Polskiej), über sein Land. „Zum Beitrittszeitpunkt entsprach das Forschungsbudget Polens ungefähr dem Budget von Stanford. Jetzt ist es drei Mal so groß, was immer noch sehr wenig ist.“

Größte Kluft in der Wissenschaft

Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen der EU-13-Länder tun sich bis heute schwer damit, Anschluss zu finden. Nicht eine ihrer Universitäten taucht in den gängigen Universitätsrankings auf. In den Publikationsrankings belegen sie ebenfalls nur mittelmäßige Plätze. Beim European Innovation Scoreboard, dem Innovationsindex der Europäischen Kommission, mit dem sie die Entwicklung der Mitgliedsstaaten in Sachen Exzellenz in der Forschung und Innovationsfähigkeit beobachten will, werden die hintersten Ränge von EU-13-Staaten belegt. EU-Forschungskommissarin Mariya Gabriel hat das Missverhältnis auf ihre Agenda gesetzt: „Die Kluft zwischen den einzelnen EU-Ländern in Forschung und Innovation ist ­größer als die Kluft bei allen anderen Wirtschaftsindikatoren“, fasste sie kürzlich das Dilemma in einer Rede zusammen.

Im Brüsseler Jargon lautet der Fachbegriff für die Problematik „EU-13-Innovation-Gap“. Er wird verwendet, wenn es darum geht, die Unterschiede in Forschungs- und Technologie-Leistungen zwischen den EU-15 und den EU-13-Staaten zu beschreiben, das schlechte Abschneiden der EU-13-Länder beim Einwerben von Mitteln aus dem Forschungsrahmenprogramm zu beklagen oder über fehlende oder mangelhafte Forschungsinfrastruktur zu berichten. Die Historikerin Veera Mitzner, PhD, warnt vor einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung: Der Begriff „Gap“, „Lücke“, habe die westeuropäische Forschungspolitik schon in den Fünfzigerjahren geprägt. Damals war es der „technology gap“, der für die vermeintliche Rückständigkeit in Sachen Forschung der Europäer im Vergleich zu den USA stand, berichtet sie in ihrem kürzlich erschienenen Buch „European Union Research Policy. Contested Origins“. Sie hält es für möglich, dass ein so aufgeladener Begriff wie der Innovation Gap nicht ohne Einfluss bleibt: „Zumindest für Frankreich hat die Forschung zeigen können, dass dieser Grundgedanke der Rückständigkeit die Forschungspolitik des Landes über Jahrzehnte geprägt hat. Unter anderem hat man sich auf die Suche nach weiteren Indizien für diese Rückständigkeit gemacht und hat die Rückständigkeit an den Begriff der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit gekoppelt.“

Tempo der Anpassung überschätzt

Was die Anpassungen der Forschungssysteme der EU-13-Länder an die Systeme der restlichen europäischen Union angeht, war man Anfang dieses Jahrhunderts ziemlich blauäugig, so Dr. Klaus Schuch vom Österreichischen Zentrum für Soziale Innovation: „Man ist davon ausgegangen, dass der Zugang der EU-13-Staaten zum Forschungsrahmenprogramm und zum Europäischen Forschungsraum ausreichen würde, um Reformen in den Forschungssystemen dieser Staaten anzukurbeln. Das geht aber nicht so schnell. Eine Forschungsagenda zu entwickeln, Infrastruktur und institutionelle Rahmenbedingungen aufzubauen, Leute anzuwerben, das braucht alles Zeit.“

Eine aktuelle Studie des Europäischen Parlaments (Exploring the performance gap in EU Framework Programmes between EU13 and EU15 Member States) untersuchte die Einbindung in Netzwerke: Die Forscher analysierten, wie stark Wissenschaftler aus EU-13-Staaten mit denjenigen 15 Organisationen kooperierten, die für sich alleine mehr als die Hälfte des EU-Forschungsbudgets einwerben konnten. Das Ergebnis: Wissenschaftler aus EU-13-Länder sind deutlich schlechter in dieses Netzwerk eingebunden.

Klaus Schuch, der viel zur Innovationsfähigkeit der EU-Staaten geforscht und den Innovationsindex der Kommission mitentwickelt hat, sagt: „Alle EU-13-Staaten schneiden beim European Innovation Scoreboard deutlich schlechter ab als die EU-15-Staaten, aber es gibt große Unterschiede zwischen den Ländern.“ Die Sorgenkinder sind Bulgarien und Rumänien, die, so Schuch, „schwer vom Fleck kommen“. Sie stehen in Forschung wie auch Industrie schlecht da. Zypern dagegen schneidet beim Einwerben von EU-Forschungsgeldern ganz gut ab. „Das Land zeichnet sich durch eine wissenschaftliche Exzellenz aus, die im europäischen Durchschnitt liegt, und ist daher besser aufgestellt ist als die meisten anderen EU-13, vor allem, was das Einwerben von Grants des European Research Councils angeht“, erklärt Schuch. Die Zyprioten seien auch besser in wissenschaftliche Netzwerke eingebunden und profitierten davon, dass sie Englisch als Verkehrssprache haben. Benachteiligt sei Zypern, weil es relativ wenig an angewandter Forschung interessierte Industrie habe. Genau der umgekehrte Fall ist die Slowakei, sie hat relativ viel Industrie, aber das Forschungssystem ist schlecht entwickelt. Estland und Slowenien gelten als die Musterschüler: Sie haben sowohl Industrie als auch ein gut entwickeltes Forschungssystem, was sich ebenfalls beim Einwerben von EU-Forschungsmitteln positiv bemerkbar macht.

Schenkt man den Politikern der EU-13 Gehör, dann ist mehr Geld die einzige Lösung des Problems – zum Beispiel, um Forschungsin-frastruktur aufzubauen. Forschungskommissarin Gabriel will über neue Regelungen im Europäischen Forschungsraum den betroffenen Staaten unter die Arme greifen. So dürfen die Mitgliedsstaaten ab dem kommenden Jahr bis zu fünf Prozent ihrer Strukturfonds für Forschungs- und Innovationsprojekte ausgeben, die den Exzellenzstandards von Horizon Europe entsprechen, jedoch aufgrund des starken Wettbewerbs bei der Mittelvergabe leer ausgegangen sind. Zudem hat man sich schon im vergangenen Jahr darauf geeinigt, 3,3 Prozent des zukünftigen Rahmenprogramms Horizon Europe in das sogenannte „widening programme” zu investieren, das darauf abzielt, die Forschung in den EU-13-Ländern zu stärken.

Die pauschale Forderung nach mehr Geld findet Schuch jedoch problematisch: „Diese Länder erhalten viel Geld aus dem Strukturfond und diese Mittel sind auch dafür da, Innovationssysteme zu verbessern. Man muss sie nur dafür auch nutzen. Viele Länder müssen auch erst einmal Hausaufgaben machen. ihre nationalen Ausgaben für Forschung steigern, Korruption bekämpfen und den Forschern bessere Gehälter zahlen.“

Wissenschaftler arbeiten an Reformen

Auf politischer Ebene ist der Ton häufig kompromisslos und verallgemeinernd. Wer jedoch in der Wissenschaftsgemeinschaft nachfragt, trifft auf Menschen, die sich nicht in die Rolle der vermeintlich Abgehängten drängen lassen wollen, sondern daran arbeiten, ihre Wissenschaftssysteme zu reformieren und ihre Forschung voranzutreiben. Lučin, der die kroatische Förderorganisation groß gemacht hat, ist so ein Mensch. Żylicz, der neben seiner Tätigkeit als Direktor der polnischen Förderorganisation erfolgreich in Warschau ein renommiertes Forschungszentrum für Molekular- und Zellbiologie aufgebaut hat, ebenfalls. Er berichtet vom Aufbau seines Forschungsinstituts: „Wir haben uns ganz und gar auf das Anwerben von Drittmitteln gestürzt, vor allem auf Mittel aus dem EU-Forschungsrahmenprogramm, ERC Grants und andere Mittel, und waren damit so erfolgreich, dass wir am Ende unsere Forschung zu 70 Prozent über Drittmittel finanzierten. Ich habe das damals stolz dem damaligen Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft Peter Gruss erzählt. Der schlug die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: ‚In so einem Institut will doch keiner arbeiten. Die besten Wissenschaftler wollen Kontinuität und Stabilität’. Damit hatte er recht.“ Żylicz versucht nun, diesen Rat nicht nur für sein Institut, sondern für ganz Polen umzusetzen. Wenn es nach ihm geht, soll die Hälfte der Forschungsgelder als Grundfinanzierung bereitgestellt werden, die andere Hälfte als Drittmittel. Als ein grundsätzliches Problem in der polnischen Forschungslandschaft sieht er aber weniger das Vergabesystem, sondern die fehlende Kompetenz der Verwaltungen der Forschungseinrichtungen in Sachen Akquise und Verwaltung von Drittmitteln.

Der Kroate Lučin sieht das ähnlich: „In vielen Einrichtungen weiß man einfach überhaupt nicht, wie man Drittmittel beantragt.“ Eine Einmischung durch die Politik will er jedoch auf gar keinen Fall: „Ich bin dagegen, dass Politik darüber entscheidet, wie Forschungsgelder vergeben werden. Polen ist in einigen Fachgebieten, wie zum Beispiel Physik, Mathematik und Informatik, ziemlich gut und da gewinnen wir auch immer wieder ERC Grants. Ich würde mir wünschen, dass es viel mehr Exzellenz-Förderung im Rahmen von Horizon Europe gäbe, nicht nur beim ERC.“

Allerdings kämpfen viele EU-13-Staaten auch mit dem Braindrain, der Abwanderung qualifizierter Wissenschaftler. Beispielsweise lebt fast jeder fünfte Rumäne im Ausland. Kroatien verliert jedes Jahr rund 16.000 Einwohner. Lučin sagt: „Wir haben derzeit nur zehn unterschiedliche Förderprogramme. Das reicht bei Weitem nicht. Aber Kroatien ist ein kleines Land, wir hätten schlichtweg nicht genug wissenschaftlichen Nachwuchs aus den eigenen Reihen, um Wettbewerb für mehr Programme zu schaffen.“

Doch auf ausländische Wissenschaftler zu hoffen, ist so eine Sache. Es würde sich wohl kein westeuropäischer Forscher mit einem südosteuropäischem Forschergehalt zufriedengeben. Als Anfang des Jahres Kroatien die EU-Ratspräsidentschaft innehielt, schlug die kroatische Forschungsministerin Prof. Dr. Blaženka Divjak deshalb vor, zukünftig die abrechenbaren Personalkosten bei dem EU-Förderprogramm Marie-Sklodowska-Curie für alle EU-Länder zu vereinheitlichen. Doch der Vorstoß ist umstritten: „Warum sollten Länder, die ihren Forschern deutlich weniger Geld zahlen und deren Lebenshaltungskosten deutlich geringer sind, trotzdem genauso viel EU-Gelder für Personalausgaben einstreichen dürfen?” fragt Schuch. Am Ende geht es aber vielleicht weniger um harte Fakten als darum, sich gegen die pauschale Zuschreibung eines Begriffs zu wehren, der so viele negative Konnotationen mit sich trägt wie der Innovation Gap. Lučin macht sich und seinen Landsleuten Mut und formuliert es so: „Wir haben noch kein voll funktionierendes Forschungssystem, aber wir sind schon weit vorangeschritten.“ //

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