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Ein Marathon, kein Sprint

Die Technische Universität Berlin möchte Diversität sowohl innerhalb aller Strukturen als auch im Themenspektrum der Hochschule etablieren. Vizepräsidentin Angela Ittel und Isabel Teusch, die in der präsidialen Stabsstelle 'Strategisches Controlling' den Bereich 'Gleichstellung, Diversität und Internationalisierung' leitet, erklären die Diversitätsstrategie.

Wir leben in einer heterogenen und vielfältigen Welt – trivial, dies im Jahre 2020 erneut aufzuschreiben. Doch es folgt etwas daraus. Die Hochschulen kann dies nicht ungerührt lassen, als Institutionen zur Schaffung und Vermittlung von Wissen und Innovation, als prägende Instanzen für die (ganzheitliche) akademische Bildung in Vorbereitung auf zunehmend komplexe Arbeitswelten und globale Herausforderungen. Und nicht zuletzt stehen Hochschulen als Arbeitgeberinnen, Orte des sozialen Austauschs und sichtbare Akteurinnen im lokalen wie transnationalen Diskurs um die Zukunft unserer Gesellschaft.

Für die Technische Universität Berlin (TUB) sind Diversität, Chancengleichheit und der Schutz vor Diskriminierung strategische Kernthemen ihrer Hochschulentwicklung. Dies folgt der Überzeugung, dass nur auf diesem Wege allen Hochschulangehörigen die bestmögliche persönliche und berufliche Entwicklung und Teilhabe ermöglicht werden kann. Nur so kann die Universität attraktiv sein für die besten Köpfe, auch und besonders für jene, die unsere implizite und explizite Norm des Homo Academicus erweitern. Dies schließt auch die Wertschätzung der notwendigen Vielfalt an disziplinären und methodischen Herangehensweisen an der Universität mit ein.

Wissenschaftlich exzellente und gesellschaftlich relevante Forschung und Lehre ist nur dann zu leisten, wenn sie die Heterogenität der modernen Welt und ihrer Gesellschaften bewusst und durchgängig einbezieht und auch personell abbildet. Diversität und Chancengleichheit sind damit von grundlegender Bedeutung, wenn die TU Berlin ihre Kernaufgaben als Universität erfüllen, ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und ihren Mitgliedern gerecht werden und als exzellente Universität ihr Profil weiter stärken will.

Diversität umfasst mehrere Aspekte

Entsprechend verstehen wir an der TUB unter Diversität nicht nur die Vielfalt der Mitglieder in Hinblick auf Kategorien sozialer Zuschreibungen, welche häufig mit Diskriminierung verbunden und daher gesetzlich als schutzwürdig anerkannt sind. Diversität umfasst für uns ebenso die Vielfalt der Ideen, Talente und Erfahrungshintergründe aller Hochschulangehörigen, die damit einen Beitrag zur Vielfalt der Themenfelder, Forschungs- und Studieninhalte sowie der Arbeitsweisen leisten. In diesem Sinne ist Diversität für die TUB Verpflichtung, Chance und Potenzial zugleich.

Diese Grundsätze hat der Akademische Senat der TU Berlin mit seinem einstimmigen Beschluss der „Diversitätsstrategie – Chancengleichheit an der Technischen Universität Berlin“ im Dezember 2019 bekräftigt. Dem ging eine mehrjährige Phase der Strategieentwicklung unter Einbeziehung der Universität voraus. Von der Veranstaltungsreihe „Ins Gespräch kommen …“ über ein Online-Partizipationsverfahren für TU-Mitglieder bis zur Vernetzung von Interessensvertretungen, wissenschaftlicher Expertise und fachlichen Stellen in der Arbeitsgemeinschaft (AG) Diversität fand ein breiter Prozess der Recherche, Analyse, Partizipation und Bündelung von Wissen und Beteiligten statt. Begleitet wurde die finale Strategiephase von Prof. Dr. Angela Hildyard von der University of Toronto in Kanada, die inspirierenden Input etwa zu den Potenzialen von datengestützten Diversitätsanalysen für Institutionen gegeben hat.

Wichtige Grundlage, um die Themen Diversität, Chancengleichheit und Schutz vor Diskriminierung an der TU Berlin zu etablieren, war dabei deren institutionelle Verankerung im Präsidium – dort bei der Vizepräsidentin für Strategische Entwicklung, Nachwuchs und Lehrkräftebildung. Als operativ-strategische Einheit verantwortet die präsidiale Stabsstelle Strategisches Controlling die Weiterentwicklung der Themenbereiche gemeinsam mit den universitären Stakeholdern.

Barrieren abbauen

Die Diversitätsstrategie der TU Berlin ist dimensionsübergreifend und intersektional ausgerichtet und fokussiert auf eine diversitätsorientierte Organisationsentwicklung. Grundlage ist hier die Überzeugung, dass es nicht darum geht, vermutete Defizite der verschiedenen Diversitätskategorien vermeintlich auszugleichen. Stattdessen zielt die Diversitätsstrategie darauf ab, Barrieren innerhalb der Organisation, welche Ausschlüsse und Diskriminierungen produzieren können, zu identifizieren und konsequent abzubauen.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes listet drei systematische Diskriminierungsrisiken auf, mit denen Hochschulen unbewusst Ausschlüsse und Barrieren verursachen können:

  • kein ausreichender Zugang zu Information,
  • mangelnde Struktur und Transparenz von Verfahren und
  • mangelnde Berücksichtigung von Bedarfen in beispielsweise sprachlicher, baulicher oder zeitlicher Hinsicht.

Die aufgeführten Risiken machen deutlich, dass Diversität, Chancengleichheit und der Schutz vor Diskriminierung damit in großem Maße Themen der universitären Organisationsentwicklung und des Qualitätsmanagements sind; nicht nur Querschnittsthema, sondern Ziel und Maß zugleich für die Reife und Qualität einer Organisation.

Die Diversitätsstrategie der TUB

  • Die TU Berlin adressiert diese Anforderung in ihrer Diversitätsstrategie so: Wir wollen eine Universität sein, in der sich
    respektvoller und sensibler Umgang miteinander,
  • Abbau von Barrieren und Gewährleistung von Chancengleichheit,
  • Unterstützung der Hochschulangehörigen, die eigenen Fähigkeiten bestmöglich zu entwickeln,
  • und die Teilhabe aller an der (Mit-) Gestaltung der Hochschule durch alle Handlungs- und Aufgabenfelder und die gesamte Organisation zieht.

Zu Kategorien und Intersektionalität

Die Diversitätsstrategie der TU Berlin nennt explizit Alter, Behinderung und chronische Krankheit, ethnische Herkunft, Geschlecht, soziale Herkunft, sexuelle Orientierung sowie Religion und Weltanschauung, versteht dies jedoch nicht als abschließende Aufzählung.

Wer sich mit dem Thema Diversität beschäftigt, gelangt schnell an die Frage, wie Heterogenität verstanden werden kann, ohne mit der Diversitätsarbeit selbst Stereotype zu verstärken, besteht doch die Gefahr, Menschen in Kategorien mit (fest) zugeschriebenen Eigenschaften zu verweisen (Essenzialisierung) und durch die Benennung von Kategorien deren Einbettung in gesellschaftliche Machtverhältnisse zu reproduzieren.

Auch besteht menschliche Identität sowohl in der Selbstverortung wie in der gesellschaftlichen Wahrnehmung (Zuschreibung) aus einer Vielzahl von Aspekten, sodass es unmöglich ist, Menschen nur mit jeweils einer Diversitätsdimension oder Kategorie zu identifizieren und wiederum sogenannte (Differenz-)Kategorien nie in sich homogene Gruppen bezeichnen können.

Dadurch entsteht die Gefahr „intersektionaler Unsichtbarkeiten“, also das systematische Über- und Ausblenden von Differenzen innerhalb diskriminierter Gruppen. So werden innerhalb einer `Kategorie´ meist nur die Privilegierteren darin betrachtet; zum Beispiel für die Gruppe homosexueller Menschen häufig schwule weiße Männer, die allerdings nur ein Teil der Gruppe sind. Meist wird nur das Verhalten gegenüber diesen als Diskriminierung erkannt, da Vielfalt innerhalb der Gruppe nicht gesehen wird (Crenshaw 2010). Dagegen bezeichnet „Intersektionalität […] die Analyse der Verwobenheit und des Zusammenwirkens verschiedener Differenzkategorien sowie unterschiedlicher Dimensionen sozialer Ungleichheit und Herrschaft“ (Degele et al. 2007).

Anders formuliert kann das Vorhandensein mehrerer Diversitätsdimensionen oder Kategorien die Diskriminierungserfahrungen einer Person verändern und verstärken. Dies gilt es bei der Entwicklung und Umsetzung einer Diversitätsstrategie unbedingt zu beachten.

Strategie auf zwei Säulen

Um dies zur erreichen, besteht die Diversitätsstrategie der Technischen Universität Berlin aus zwei Säulen, dem Diversitäts-Mainstreaming und den wechselnden Fokusthemen.

1. Das Diversitäts-Mainstreaming

Es verfolgt das Ziel, Diversität, Chancengleichheit und den Schutz vor Diskriminierung systematisch organisationsweit in alle Steuerungs-, Planungs-, strategischen und operativen Prozesse einzuflechten. Das ist eine Herausforderung.

Moderne Universitäten in ihrer dynamischen Umwelt durchlaufen zumeist mehrere Prozesse der Strategie- und Profilbildung, Zertifizierung, Maßnahmenplanung oder Organisationsveränderung zugleich, in denen sie sich als Organisationen stetig, zentral wie dezentral, analysieren, verorten, vermessen und weiterentwickeln. Dem wollen wir mit dem Diversitäts-Mainstreaming nicht einfach einen weiteren Prozess zur Seite stellen, sondern den Diversitätsgedanken in allen laufenden und zukünftigen Prozessen verankern. Hierfür entwickelt die TU Berlin aktuell ein sogenanntes Diversity Impact Assessment (DIA) als flexibles und schlankes Implementierungsinstrument.

Ein Impact Assessment, wie es beispielsweise von der Europäischen Union für die Themen Gleichstellung und Umwelt in jedem Gesetzgebungsprozess genutzt wird, fragt als Diversity Impact Assessment systematisch: Welche Auswirkung hat eine – geplante oder bestehende – Strategie, Maßnahme, Vorgehensweise oder Regelung auf die Diversität, Chancengleichheit und den Schutz vor Diskriminierung? Was können wir ändern, um Barrieren abzubauen und die Chancengleichheit zu erhöhen? (vgl. European Institute for Gender Equality 2016)

Dabei machen wir es uns zunutze, dass Universitäten sich stetig auf allen Ebenen erneuern und verändern und bieten mit dem DIA ein Instrument an, welches in der Planungs- und Entwicklungsphase schon dabei unterstützt, diversitätsbewusste Entscheidungen zu treffen. Hierfür entwickelt das Strate-gische Controlling aktuell gemeinsam mit zahlreichen zentralen und dezentralen Stellen Instrumente, Prozesse und Leitfäden zur Integration von Diversität und Chancengleichheit in die bestehenden Analyse- und Planungsinstrumente der Lehr-, Forschungs- und Organisationsentwicklung.

Darüber hinaus soll das DIA immer dann zum Einsatz kommen, wenn Neues entwickelt und geplant wird. Auch bestehende Strukturen, Maßnahmen und Prozesse können und werden mit dem DIA auf ihre Wirkung auf Diversität, Chancengleichheit und den Schutz vor Diskriminierung überprüft werden. Die grundlegenden Prozesse, Instrumente und Unterstützungsangebote befinden sich ebenfalls in der Konzeption und sollen zeitnah mit Pilotbereichen getestet und weiterentwickelt werden. Im Laufe des ersten Jahres nach Verabschiedung der Strategie werden die ersten Organisationseinheiten mit dem DIA starten können. Begleitend dazu wird ein Diversitätsreporting entwickelt, welches die DIA-Analysen mit Datenmaterial unterstützen und zugleich diversitätsorientierte Maßnahmen in der Universität sichtbar und Best Practices so für alle nutzbar machen soll.

2. Die Fokusthemen

Parallel zu den Aktivitäten für die Einführung des Diversity Impact Assessments hat sich die TU Berlin für die Jahre 2020 bis 2021 zwei Fokusthemen gesetzt: Geschlechtervielfalt und Soziale Herkunft (First Generation). Denen möchte sich die TUB im inneruniversitären Diskurs und mit gezielten Maßnahmen in dieser Zeit im Besonderen widmen, um hier eventuell bestehende Leerstellen zu schließen und die Hochschulangehörigen thematisch zu sensibilisieren. Mit dem Fokus auf Geschlechtervielfalt sollen die Rahmenbedingungen für beispielsweise Trans-, Inter- oder non-binäre Menschen verbessert werden – sowohl im formal-administrativen Prozess als auch im täglichen Umgang miteinander. Beim Fokusthema „First Generation“ beschäftigt sich die Universität mit der Situation derer, die als erste ihrer Herkunftsfamilie studieren und eine akademische Laufbahn einschlagen. Oftmals nicht thematisierte ungleiche Startbedingungen sollen benannt, der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg und -benachteiligung aufgezeigt und Barrieren abgebaut werden. Wir erhoffen uns von diesem Vorgehen, einerseits im Sinne des Mainstreamings die TU Berlin als Organisation diversitätssensibel weiterzuentwickeln und zugleich in den Fokusthemen Sichtbarkeit, Sensibilität und zielgerichtete Maßnahmen in Themenfeldern voranzubringen. All dies ist nicht von heute auf morgen umzusetzen. Organisatorischer und kultureller Wandel benötigen Zeit und Durchhaltevermögen. Oder wie Angela Hildyard es uns zum Abschluss ihrer Beratung mitgab: „You’re in for a marathon, not a sprint“. Sich auf den Weg zu machen, lohnt in jedem Fall.

Literatur

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2012): Endbericht zum Projekt „Diskriminierungsfreie Hochschule – Mit Vielfalt Wissen schaffen“. Online verfügbar unter: www. antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/ DE/publikationen/Diskriminierungsfreie_Hochschule/Diskriminierungsfreie_Hochschule_Endbericht_20120705.html

Crenshaw, Kimberlé W. (2010): Die Intersektion von „Rasse“ und Geschlecht demarginalisieren: Eine Schwarze feministische Kritik am Antidiskriminierungsrecht, der feministischen Theorie und der antirassistischen Politik. In: Lutz, Helma; Maria Teresa Herrerar Vivar und Linda Supik (Hg.): Fokus Intersektionalität. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 33-54.

Degele, N., Winker, G. (2007): Intersektionalität als Mehrebenenanalyse. Online verfügbar unter: http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/ueberblickstexte/ degelewinker/

European Institute for Gender Equality (2016): Gender impact assessment. Gender mainstreaming toolkit. Online verfügbar unter: https://eige.europa.eu/sites/default/files/ documents/eige_gender_impact_assessment_gender_mainstreaming_toolkit.pdf

Angela Ittel

Prof. Dr. Angela Ittel ist Professorin für Pädagogische Psychologie und seit 2014 Vizepräsidentin der Technischen Universität Berlin (TUB). Sie verantwortet unter anderem die Themen Strategieentwicklung, Verbundforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Nachwuchs, Internationalisierung, Diversität und Gleichstellung sowie Lehrkräftebildung​.

Foto: TUB

​Isabel Teusch

Isabel Teusch leitet den Bereich Gleichstellung, Diversität und Internationalisierung in der präsidialen Stabsstelle Strategisches Controlling der Technischen Universität Berlin.

Foto: Privat


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