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„Unter gigantischem Druck“

Bei Forschern spüre er selten kriminelle Energie, sagt Manfred Nettekoven. Im DUZ-Interview erklärt er, wie Compliance-Kontrolle an seiner Uni funktioniert und warum Corona einen Innovationsschub bringen könnte

Wie in Nicht-Corona-Zeiten sitzt Manfred Nettekoven Anfang Juni im Büro an seinem Schreibtisch. Hin und wieder blickt er dabei auf ein Porträt von Kaiser Wilhelm I. an der Wand gegenüber. Der Kaiser hängt dort, weil er quasi der erste Förderer der Hochschule ist, erzählt Nettekoven, mit 5000 Talern, die er für die Gründung der Polytechnische Schule zu Aachen gestiftet hat, aus der später die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen wurde.

Herr Nettekoven, worüber haben Sie sich zuletzt aufgeregt, als es um das Thema Compliance ging?

Lieber möchte ich darüber sprechen, was mich diesbezüglich abgeregt hat: Eine hochrangige Vertreterin unseres nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums hat sich kürzlich die Zeit genommen, uns in Aachen zu besuchen
und mit unseren Controllern und Wissenschaftlern darüber zu diskutieren, an welchen Stellen der wissenschaftlichen Arbeit Normen für alle Beteiligten einfacher und klarer gemacht werden könnten. Das fand ich toll. Denn bisweilen übersehen Ersteller von Richtlinien, unter welchem gigantischen Druck Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen stehen, dass sie 50 mal am Tag nach irgendwelchen Performance-Indikatoren befragt werden und daneben noch die Steuer, den Zoll, EU-Beihilfe-Rechtsrahmen und irgend- welche aktiengesetzlichen Vorschriften berücksichtigen müssen.

Drücken Sie neuen Mitarbeitern zum Einstieg Ihre Compliance-Richtlinien in die Hand?


Neuberufene werden mit einem mehrtägigen Onboarding-Programm willkommen geheißen. In dem Zusammenhang stellen wir auch unsere Compliance-Regeln vor.

Was sind die großen Compliance-Themen Ihrer Uni?

Vor 20 Jahren waren Plagiate das große Thema, heute ist es das Forschungsdatenmanagement: Inwieweit sorgen Hochschulen dafür, dass Ergebnisse, die auf Daten zurück- gehen, auf der Grundlage eines überprüfbaren Datenkorpus entstanden sind, und nicht die Empirie der These angepasst wurde? Welche technischen, ethischen oder kollegialen Strukturen sind notwendig, um ein solches Forschungsda- tenmanagement zu betreiben?

Wo spielt das an der RWTH eine Rolle?

Bei der Digitalisierung in der Medizin zum Beispiel. Da ist die Frage, wie wir Datascience in Einklang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung bringen und ob und in welchem Aggregatzustand es ethisch verantwortbar ist, elektronische Patientendaten zu nutzen, etwa, um Therapien zu individualisieren.

Über welche Themen reden wir noch?

Ein großes Thema an unserer Uni ist auch die Zusammenarbeit mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Zum Beispiel „Insichgeschäfte“: Wir ernennen nach dem Karlsruher Modell einen Professor unserer Uni zum Direktor eines Fraunhofer-Instituts, der dann seinen universitären Verpflichtungen in vollem Umfang nachkommt und an der Forschungseinrichtung eine Nebentätigkeit aufnimmt. Das Problem: Zwei unterschiedliche Rollen, zwei unterschiedliche Interessen sollen hier von einer Person vertreten werden, die nun theoretisch einen Vertrag mit sich selbst abschließen könnte. Die Frage ist: Wie gehen wir mit solchen Interessengegensätzen um und sorgen dafür, dass die Doppelrolle nicht zu vorwerfbaren Handlungen gegenüber der Person führt.

Wie sorgen Sie dafür?

Es gibt hierzu – wie schon erwähnt – das mehrtägige Onboarding-Programm und das Betreuungsmanagement der Hochschule. Durch Gespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Bereich Haushalt, Technologietransfer und Controlling können im Vorfeld Berührungspunkte möglichst vermieden werden.

Wie oft klingelt jemand in der Rechtsabteilung an und weist auf ein Compliance-Fehlverhalten hin?

Sie möchten offenbar gern ein „Whodunit“: Für den Fall dass wird der Innenrevisor tätig. Er fragt dann bei dem Verantwortlichen direkt nach. Dieser wird mit den Vorwürfen konfrontiert und es gibt ein Disziplinarverfahren. Das sind im Jahr aber weniger als eine Handvoll. Und die beziehen sich dann nicht immer auf Fehlverhalten im Bereich Compliance.

Die Boehringer Ingelheim Stiftung fördert an der Uni Mainz biologische Forschung mit mehr als 100 Millionen Euro und musste sich dem Vorwurf interessengeleiteter Spenden stellen. Die
 Uniklinik Heidelberg steht in der Kritik wegen der vorzeitigen Veröffentlichung eines vermeintlich marktreifen Bluttests zur Brustkrebsdiagnose am Uniklinikum Heidelberg. Hätte so etwas auch an der RWTH passieren können? Zum Beispiel hinsichtlich Ihres E.on Energy Research Centers?

Als Rheinländer bin ich abergläubisch. Wenn ich jetzt nein sage, haben wir übermorgen den ersten Fall. Also, wir tun das Beste, um das auszuschließen. Dazu arbeiten wir mit einer Art vorgelagerter Risikoanalyse. Wir haben Mitarbeiter, die nichts anderes machen, als Risiken zu analysieren, die mit unserem Forschungsgeschehen und Verträgen zusammenhängen. Bestimmte Klauseln haben wir vorgegeben. Außerdem führen wir ein Drittmittel-Controlling durch; in dem Moment, in dem ein Drittmittelantrag gestellt wird, haben wir Mitarbeiter am Start, die sich den Vertrag anschauen – Wochen, idealerweise Monate bevor er wirklich geschrieben oder unterschrieben wird. Diese manchmal lästige und sehr aufwendige Methode halte ich für wirkmächtig genug, solche großen Probleme erst gar nicht aufkommen zu lassen. Aber wir müssen unsere Abläufe immer wieder überdenken.

Im Jahr 2018 betrug das Finanzvolumen der RWTH 998,5 Millionen Euro, davon waren 385,3 Millionen Euro Drittmittel. Wie transparent sind Ihre Drittmittelkooperationen?

In Nordrhein-Westfalen sind wir ja nach dem Hochschulgesetz verpflichtet, bestimmte Forschungsfinanzierungen, die Art der Forschung und die Forschungsfinanzierer offenzulegen. Bei Kooperationen wie die der Stiftung Boehringer Ingelheim und der Uni Mainz hätten wir einen Rahmenvertrag entwickelt mit eigenen Standards, die wir auch publizieren. Wir hätten uns Non-Negotiables ausgedacht, die für uns nicht antastbar gewesen wären.

Wie viel Personal ist mit Ihrer vorgelagerten Risikoanalyse beschäftigt?

Zwei Mitarbeiter befassen sich ausschließlich mit Risikoanalyse, fünf bis sechs sind in der Innenrevision tätig, bei 20 Mitarbeitern ist Drittmittel-Controlling ein Teil ihrer Aufgaben.

Wie stoßen Sie auf Auffälligkeiten?

Wir haben fünf oder sechs Prüferzimmer an der Uni, die ständig besetzt sind, von Kontrolleuren des europäischen Rechnungshofs, des Bundesrechnungshofs, der Landesrechnungshöfe, dem Zoll oder Prüfinstanzen der jeweiligen Projektträger. Stößt dort jemand an irgendeiner Stelle auf Auffälligkeiten, machen wir sie groß, diskutieren sie intern mit allen affinen Abteilungen und machen daraus so etwas wie Lessons-Learned – indem wir schauen, was aus diesem Prüfvorfall extrapoliert werden kann für ähnliche Problembereiche von A bis Z. Das ist, wenn Sie jetzt böse sein wollen, reaktiv. Aber damit tun wir uns eher einen Gefallen, als wenn wir hier am Bleistift kauen und überlegen, ob wir nicht mal über die Maschinenbücher nachdenken sollten.

Das heißt, die Prüfungen kommen erst einmal von außen?

Wir beauftragen auch unsere Innenrevision damit, zum Beispiel, wenn beim Bauen die Kosten in die Höhe gehen, Kennzahlen nicht mehr erwartungsgemäß sind oder etwas bei der Baumaterialbeschaffung ungereimt scheint. Wenn man die Arbeitsstunden der Innenrevision mit denen der externen Prüfungen vergleicht, sind es bei den externen aber bedeutend mehr.

Wie werden Regelbrüche sanktioniert?

Strafen halte ich für ziemlich überholt und sie passen auch nicht zu dem großen Aufwand, mit dem wir Wissenschaftler berufen. Seit 20 Jahren mache ich dieses Kanzlergeschäft und kriminelle Energie habe ich da selten wahrgenommen. Am Anfang des Gespräches habe ich es bereits gesagt: Viele Menschen, die hier arbeiten, stehen unter einem gigantischen Druck. Und in dem Zusammenhang passieren Fehler, die nicht gesehen oder manchmal auch in gewisser Weise in Kauf genommen werden. Dennoch können solche Fehler natürlich nicht ohne Folgen bleiben. Letztlich müssen sie auch fiskalisch verantwortet werden.

Wie ziehen Sie die „Täter“ zur Verantwortung?

Es ist schwer, da nur den jeweiligen Verantwortlichen zu treffen. Wenn Sie ein Forschungsprojekt verunmöglichen, hat das ja auch gravierende Folgen für viele Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler. Was wir tun: Kommt es zu Rückforderungen bei Verstößen, geben wir im Notfall einen Liquiditätskredit an das betroffene Projekt oder Institut. Die Verantwortlichen müssen mit ihren „eigenen Mitteln“ haften. Sie erhalten dann zum Beispiel bestimmte Mittelallokationen nicht mehr, die wir als Forschungsunterstützung an sie vergeben. Das ist dann eher eine Strafe im Sinne einer verpassten Chance.

Wenn Sie ins Ausland blicken, haben Sie eine Blacklist an Ländern, mit denen Sie nicht zusammenarbeiten?

Von solchen Listen halte ich nichts. Das kann aus diplomatischer Sicht nur missverstanden werden. Besser ist es, sich in jedem einzelnen Projekt bestimmte Risiko-Parameter wie Rechtspflege oder Korruptionsindizes eines Landes beziehungsweise einer Hochschule anzusehen und dann zu entscheiden, ob man sich als Kooperationspartner damit wohlfühlen kann. Wir haben viele internationale Projekte, ich wüsste keins, bei dem wir das nicht berücksichtigt hätten. Wir kooperieren allerdings auch nicht mit dem Iran oder anderen sehr problematischen Ländern.

Wird durch Corona der Erfolgsdruck für Wissenschaftler steigen und besteht dadurch die Gefahr, dass Compliance weniger beachtet und die schwierige Lage die Mittel heiligen wird, an Forschungsgelder zu kommen?

Ich wünsche mir keine Rezession herbei, aber es ist denkbar, dass es dazu kommt und wir in dem Zusammenhang weniger Forschungsgelder bekommen. Gleichzeitig könnte Corona einen Anschub bringen für die Notwendigkeit, innovativ zu sein und den Industriestandort Deutschland zu halten. Aus der Sicht einer technischen Hochschule könnten wir helfen, dass es, wenn es dazu kommen würde, nicht weniger, sondern andere Drittmittel gibt. Ich kann Ihnen nur widersprechen in Bezug darauf, dass kein Geld da sei wird und wir alles, auch ethisch kaum verantwortbare Dinge tun, um an Forschungsgelder zu kommen. Diese Gefahr sehe ich nicht. //

Manfred Nettekoven

Manfred Nettekoven ist seit 14 Jahren Kanzler der RWTH. Davor war er an der Ruhr-Universität Bochum Dezernent für Studentische Angelegenheiten
 und Internationales, stellvertretender Leiter der DAAD-Außenstelle New York und Kanzler der Uni Hamburg. Nettekoven ist geborener Kölner, 61 Jahre alt, war Jurist, aber kein Strafrechtler, wie er betont. Sein Credo: Er arbeitet lieber präventiv als mit Strafen.

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