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Unterschiedliche Logiken

Der Virologe Christian Drosten und sein getrübtes Verhältnis zu den Medien – ein Gastkommentar von Jens Rehländer, Kommunikationschef der VolkswagenStiftung

Er ist das Gesicht der Wissenschaft in Zeiten von Corona, medienpräsent wie kein zweiter: der Virologe Christian Drosten. Sein täglicher NDR-Podcast führt die Charts an. Fast jeder Satz von ihm wird zur Schlagzeile. Er ist telegen, eloquent, genießt das Vertrauen der Menschen und führt bei Pressekonferenzen fachkundigdas Wort, während Ministerinnen und Minister ehrfürchtig an seinen Lippen hängen. „Ist das unser neuer Kanzler?“, fragte ZEIT Online. „Virologen regieren, die Politik hat abgedankt“, titelte die Neue Zürcher Zeitung. 

So etwas ärgert Christian Drosten. 

Die Massenmedien würden ihm dauernd einen Einfluss zuschreiben, den er nicht habe und den er auch gar nicht haben wolle. Dem Kodex seiner Branche folgend, sieht sich Drosten als Berater der Politik. Er formuliert Empfehlungen, die auf wissenschaftlichen Befunden beruhen. Die Entscheidungen aber hätten jene zu treffen, die in diese Verantwortung gewählt worden seien. Ein anderes Mal schimpft er, die Bundespressekonferenz sei „Zeitverschwendung“– weil man ihn dort frage, ob der CDU-Parteitag stattfinden könne oder wann die Fußballstadien wieder geöffnet würden. Dabei gebe es doch viel relevantere Fakten zu verbreiten.

Woche um Woche, die Drosten im Fokus der Medien steht, klingt seine Schelte gereizter. Bis am 30. März im Podcast jener Satz fällt, dessen Exegese seither Kommentatoren beschäftigt. Wenn „die Medien“ – so subsummiert der Virologe alle Sender, Tageszeitungen, Magazine, Online-Dienste im Land – sich nicht endlich „ihrer Verantwortung“ bewusst würden, sei man, O-Ton: „langsam an einem Punkt, wo dann demnächst auch die Wissenschaft in geordneter Weise den Rückzug antreten muss, wenn das nicht aufhört.“ 

Eine Drohung? Ein Ordnungsruf? Ein Missverständnis? 

So viel vorweg: Es wäre tatsächlich ein immenser Verlust für das Ansehen der Wissenschaft, wenn Drosten sich in sein Labor zurückzöge. Dass er für die Wissenschaftskommunikation ein Glücksfall ist, wurde schon vielfach besungen. Beschränken wir uns deshalb auf Mutmaßungen darüber, warum er mit Blick auf „die Medien“ so dünnhäutig reagiert.

Ein denkbarer Anlass: Drosten hat erkannt, dass er die Logik des Mediengeschäfts nicht verändern, aus seiner Sicht: verbessern, kann. Mag er sich auch noch so sehr um eine betont nüchterne, faktenbasierte Wissenschaftsvermittlung bemühen – sein Vorbild färbt nicht ab. Im Kampf um Aufmerksamkeit zählen andere Tugenden: Der Boulevard braucht Emotionen und Krawall, die Wochenzeitung braucht Reflexion auf bildungsbürgerlichem Niveau, und der Zündstoff für TV-Talkshows sind Antipoden und Kontrahenten. Presse- und Meinungsfreiheit bedeutet auch: Kontrollverlust. Und: Jedes Medium hat das Publikum, das es verdient.

Im NDR-Podcast darf Drosten den Ton angeben. Eine halbe Stunde lang schildert er jeden Tag unwidersprochen seine persönliche Sicht der Dinge. Das ist einerseits enorm erhellend, weil ein Riesenpublikum solides Orientierungswissen aus erster Hand erhält. Andererseits hebelt diese Konstellation, bei strenger Auslegung, die Kontroll- und Aufklärungsfunktion des kritischen Journalismus aus. Außer Drostens Perspektive gibt es – nichts. Seine Aussagen werden nicht hinterfragt, eingeordnet oder bewertet von jenen, die die Expertise hätten, mit ihm auf Augenhöhe zu kommunizieren: Wissenschaftsjournalistinnen und - journalisten. Nach der reinen Lehre ist Drostens Podcast Wissenschafts-PR. Das mindert die Qualität und Nützlichkeit dieses Angebots keineswegs. Aber könnte es nicht sein, dass Drosten auch deshalb so gereizt auf Medien reagiert, weil es ihn stört, dass Journalisten trotz erwiesener Evidenzen ihm unbequeme, teils nervige Fragen stellen müssen? Andernfalls würden sie jedenfalls ihre Aufgabe als Vierte Macht nur lausig wahrnehmen. 

Fragen in der Bundespressekonferenz nach Parteitagen und Öffnungszeiten für Fußballstadien dürften seinen Verdruss weiter genährt haben. In diesem Fall auch sehr nachvollziehbar. Doch taugt dieses Beispiel dafür, noch ein weiteres Problem sichtbar zu machen. Es hat mit der von ihm eingeforderten, wenn auch gewiss anders gemeinten gesellschaftlichen Verantwortung von Medien zu tun.

Ausgerechnet jetzt, wo es Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten braucht, die verunsicherte Laien mit einem Basiswissen in Virologie und Epidemiologie versorgen, die die Statistiken aus dem Robert-Koch-Institut in einen Zusammenhang stellen, die Forschungsnachrichten auf ihre Relevanz hin bewerten, überzogene Erwartungen an die Heilsversprechen der Wissenschaft relativieren, Fake News entlarven und wahre Expertinnen und Experten von Wichtigtuern aus der zweiten und dritten Wissenschaftsliga unterscheiden können – ausgerechnet jetzt steht die Zunft des Wissenschaftsjournalismus unter existentiellem Druck. Auslöser sind die gewaltigen Stornierungen von Anzeigen wegen Corona. Die Redaktionen müssen sparen. Im Konkurrenzkampf der Ressorts hatte die Disziplin schon immer einen schweren Stand. Zu kompliziert, zu rechercheaufwändig, zu langsam, vor allem: zu teuer. Jetzt geht es ihr endgültig an den Kragen. Politik und Wirtschaft sollen übernehmen. Um einen hinkenden Vergleich zu konstruieren – als könnte ein Steuerberater einen Neurologen ersetzen. 

Wollen wir das?

In der Post-Corona-Zeit werden uns alte Angstgegner unausweichlich wieder begegnen: von der Künstlichen Intelligenz übers Genome Editing bis zum Klimawandel. Megathemen mit gesellschaftsverändernden Perspektiven. Können wir es uns leisten, bei deren Auskundschaftung auf die Begleitung von Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten zu verzichten? Falls nicht, warum gibt es keine große, öffentliche Debatte über die Unverzichtbarkeit des unabhängigen und kritischen Wissenschaftsjournalismus, über seine Zukunftssicherung – und diese Form von Verantwortung der Medienindustrie gegenüber der Gesellschaft?

Vor wenigen Tagen beschwerte sich der Branchenverband „Wissenschafts-Pressekonferenz e.V.“ in einem Offenen Brief über „Engpässe bei den Recherchemöglichkeiten“ in Behörden des Gesundheitswesens und von Forschungseinrichtungen. Pressestellen und Experten würden auf Anfragen erst nach Tagen, bisweilen auch überhaupt nicht antworten. Muss man ein Verschwörungstheoretiker sein, um sich zu fragen: Wird da gemauert? Sollen jetzt PR-Abteilungen dafür sorgen, dass „die Wissenschaft“ sich im Rennen um die milliardenschweren Corona-Forschungstöpfe makellos in der Öffentlichkeit präsentiert? –Journalisten bekommen zu hören, die Forscherinnen und Forscher würden jetzt in den Laboren gebraucht, nicht in Pressegesprächen. Klingt plausibel – bis die Journalisten feststellen, dass die Forscher für Interviews mit ihren eigenen Pressestellen offenbar Zeit haben. 

Hat Drosten nun also recht mit seiner Medienschelte oder nicht? Ich antworte in wissenschaftlicher Manier: teils, teils. Kehren wir mit dem Fazit an den Anfang dieses Beitrags zurück: Die Logiken von Wissenschaft und Journalismus sind grundverschieden. Zugespitzt ausgedrückt: Sie sind unvereinbar. Und in genau dieser antithetischen Konstellation unverzichtbar für eine Gesellschaft, die aufgeklärt und mündig ihre Zukunft gestalten will.

Oder mit den Worten von Christian Drosten, der sich ja keineswegs bloß als ein Kritiker des Journalismus geäußert hat, sondern häufig auch als dessen Befürworter: Für ihn ist Wissenschaftsjournalismus schlichtweg „systemrelevant“.


Jens Rehländer

Jens Rehländer verantwortet seit 2010 die Kommunikation der VolkswagenStiftung in Hannover. Davor leitete er das Internetmagazin GEO.de, das er ab 2001 aufbaute. ​​

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