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Gewinner wird es nicht geben

Wissenschaftliches Fehlverhalten ist verwerflich? Nicht nur. Es kann auch zu neuen Ideen und Ansätzen führen, meint der Soziologieprofessor Dr. Martin Reinhart. Ein Kommentar zum Beginn der Gerichtsverhandlung über den verlorenen Doktortitel der Ex-Bildungsministerin Annette Schavan.

 

Die Thematisierung von wissenschaftlichem Fehlverhalten in der Öffentlichkeit kennt oft keine Gewinner. Der Fall der zurückgetretenen Bundesforschungsministerin Annette Schavan, der ab dem 20. März vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf verhandelt werden soll, zeigt dies sehr deutlich. Unabhängig davon, ob jeweils die Ankläger oder die Beschuldigten am Ende Recht behalten, leidet das Ansehen aller Beteiligten. Weil in der Wissenschaft meist keine juristischen Mittel zur Sanktionierung von Fehlverhalten zur Verfügung stehen, kommt es gewöhnlich nicht zu einem geordneten Verfahren und auch nicht zu einem klaren Urteil. Eine der wenigen Ausnahmen stellen Verleihungen von akademischen Graden wie etwa eines Doktortitels durch eine Universität dar. So hat das Bundesverwaltungsgericht im letzten Jahr den Entzug des Doktorgrads von Jan Hendrik Schön durch die Universität Konstanz letztinstanzlich bestätigt.

Eine ganze Reihe bekannt gewordener Betrugsfälle hat dazu geführt, dass Forschungsförderer, Zeitschriftenherausgeber oder Universitäten reagiert und sowohl Sanktions- als auch Präventionsmaßnahmen vorgeschlagen und eingeleitet haben. Diese reichen von quasi-juristischen Kontrollinstanzen wie dem US-amerikanischen Office of Research Integrity über Ombudsstellen an Universitäten und bei Förderorganisationen bis zur Kontrolle von Bildmanipulationen bei Publikationen und Kodizes guter wissenschaftlicher Praxis. Die Vielfalt der Maßnahmen ist beeindruckend und zeugt von Problembewusstsein. Lässt sich damit dem wissenschaftlichen Fehlverhalten aber beikommen?

Aus zwei Gründen gilt es, den Optimismus in dieser Frage zu dämpfen. Erstens ist die Effektivität all dieser Maßnahmen nicht belegt; sie ist überhaupt kaum untersucht. Ein aktuelles Forschungsprojekt mit dem Titel „Beschämte Wissenschaft“ am Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung versucht hier einen Beitrag zu leisten. Zweitens, und das ist der grundsätzlichere Punkt, ist die Wissenschaft auf das Vorhandensein von Fehlverhalten essenziell angewiesen. In und außerhalb der Wissenschaft gehen wir gewöhnlich davon aus, dass Fehlverhalten als schlecht zu bewerten und deshalb zu vermeiden sei. In den meisten Situationen leuchtet das auch sofort ein. Wären alle nicht mehr an Rechtsvorschriften und Verhaltensnormen gebunden, würde das gesellschaftliche Leben zusammenbrechen. Die Kriminologie und die Soziologie abweichenden Verhaltens haben aber schon sehr früh erkannt, dass Fehlverhalten nicht nur abträglich ist. Verhalten, welches nicht der Norm entspricht, kann Ursprung einer neuen Norm sein und als Innovation wirken. Dort, wo grundlegend Neues geschaffen wird, müssen bestehende Gewohnheiten und Normen verletzt werden.

Diese Verbindung von Fehlverhalten und Innovation ist in der Wissenschaft relevant, da es die Wissenschaft ist, die sich selbst und die Gesellschaft mit neuem Wissen versorgen soll. Wenn dieses neue Wissen auch in dem Sinne innovativ sein soll, dass es bestehende Grenzen überschreitet, dann befinden wir uns in einem Gebiet, wo Gewohnheiten und Regeln nicht mehr automatisch gelten. Ob eine neue Theorie, ein neues Analyseverfahren, eine neue Methode bloß einen billigen Trick darstellt oder doch als genialer Einfall Schule machen wird, das lässt sich an der Forschungsfront meist nur schwer auseinanderhalten und wird oft erst durch jahrelange weitere Forschung erkennbar. Hier frühzeitig durch starke Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen einzugreifen, würde bedeuten, den eigentlichen Zweck von Wissenschaft, die Hervorbringung neuen und gesicherten Wissens, an der Wurzel zu limitieren.

Das ist kein Plädoyer für Schrankenlosigkeit, erst recht keine Legitimierung von Betrug. Es gilt aber zu berücksichtigen, dass kreative Wissenschaft auch in Grauzonen führt, in denen Konventionalismus hinderlich ist. Ein Klima der Ängstlichkeit kann auch dazu führen, dass Wissenschaftler ihre Forschung etwas weniger riskant gestalten und sich mehr am Mainstream ausrichten.

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