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Energiewende: Kernfusion

Nachdem Forschende in den USA über ein neues Experiment zur Kernfusion berichtet hatten, äußerte sich Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger sehr optimistisch, Kernfusion könne bald für die Energiegewinnung nutzbar sein. Aber wie realistisch ist dies?

>> DAS SCHLÄGT DIE POLITIK VOR:
Nachdem Forschende in den USA über ein neues Kernfusionsexperiment berichtet hatten, äußerte sich Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sehr optimistisch: In zehn Jahren könne das erste deutsche Kernfusionskraftwerk ans Netz gehen. Doch auch wohlwollende Begleiter der Technologie halten dies für ziemlich unrealistisch. Kritiker können dieser Aussage überhaupt nichts abgewinnen.

>> DAS SAGT DER FORSCHER:
„So ein Quatsch“, dachte Prof. Dr.  Wolfgang Liebert (Foto), Physiker, Philosoph und ehemaliger Leiter des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Wiener Universität für Bodenkultur, als er die Aussagen der Ministerin mitbekam. 

Und: „Welche Fehlentscheidungen hinsichtlich der Energiewende werden die Folgen sein?“ Liebert ist einer der wenigen Kernfusionsfachleute, dessen Forschung nicht von zusätzlichen Kernfusionsförderungen profitieren würde.
Bei einer Kernfusion verschmelzen zwei Atomkerne zu einem neuen Kern und geben dabei Energie ab, so wie auf der Sonne. Für eine künftige Stromerzeugung auf der Erde kämen die beiden Wasserstoffarten Deuterium und Tritium am ehesten infrage. Bei deren Verschmelzung entstehen ein Heliumkern, ein Neutron und sehr viel Energie. Um diese Reaktionen allerdings für die Stromerzeugung nutzen zu können, muss erst einmal viel Energie aufgewandt werden. Forschende arbeiten dazu an zwei Verfahren, einmal mit starken Magneten, zum anderen mit Lasern. 

Für beide gilt: Sinnvoll ist es nur, wenn mehr Energie herauskommt als hineingesteckt wird. Zudem muss dies dauerhaft und nicht nur für wenige Sekunden möglich sein. Bislang hat es jedoch noch bei keiner kontrollierten thermonuklearen Fusion eine positive Energiebilanz gegeben. Insofern war die Meldung des Lawrence Livermore National Laboratory über einen solchen Versuch erst einmal aufsehenerregend. Allerdings: Ganz so wie die Rüstungsforscher aus den USA und wie die Bundesforschungsministerin dies darstellten, war es nicht. Wolfgang Liebert: „Mit Stromproduktion oder zumindest Energiegewinnung hat das nichts zu tun.“ Durch das Experiment sollten „Lücken im grundlegenden Detailverständnis der physikalischen Vorgänge in Kernwaffen (…) geschlossen werden“. Um eine positive Energiebilanz ging es dabei nicht. „Die notwendige Energie für die Hochenergielaser der Experimente ist mehrere Hundert Mal höher als der Energieoutput bei den Miniwasserstoffexplosionen im Labor“, sagt Liebert – die Aussage, es sei erstmals mehr Energie erzeugt als hineingesteckt worden, stimmt also nicht, wenn man den notwendigen grundlegenden Laseraufbau und seinen Energiebedarf einbezieht. Liebert weiter: „Wäre Energiegewinnung in einem Reaktor das Ziel, müssten Laserschüsse mindestens zehnmal pro Sekunde möglich werden, also mehr als eine Million Mal schneller hintereinander als derzeit. Das ist allein schon deshalb unvorstellbar, weil die Hochenergielaser Kühlungszeiten zwischen den Schüssen benötigen, damit die optischen Einrichtungen nicht Schaden nehmen.“ 

Zudem seien noch weitere Fragen offen, zum Beispiel zu den „Mechanismen zur Energieabfuhr und zur Tritiumproduktion (‚Brennstoff‘)“. Ungeklärt ist unter anderem auch, aus welchen Materialien der Reaktor gebaut werden muss, „die dem Beschuss mit den hochenergetischen Neutronen aus der Fusion standhalten und nicht innerhalb weniger Monate oder Jahre so hoch aktiviert sind, dass sie bereits wieder ausgetauscht werden müssten“. 

Optimistischer sieht Liebert Kernfusionsreaktoren, die mit Magnetfeldern ein elektrisches Feld erzeugen. Ihnen bescheinigt er „ein grundsätzliches Potenzial als Kernenergiequelle der Zukunft“. Doch auch dies werde noch Jahrzehnte dauern. Lieberts Fazit: „Für den klimaneutralen Umbau des Energiesystems, der in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten gelingen soll und muss, kann die Kernfusion keine Rolle spielen.“ //

Aus unserer Serie "Energiewende"

Prof. Dr. Wolfgang Liebert 

ist Physiker, Philosoph und ehemaliger Leiter des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Wiener Universität für Bodenkultur. 

Foto: privat

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