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Prüfungen in Zukunft vielfältiger

Neue Technologien ermöglichen innovative Prüfungsformate für Hochschulen. Das Projekt „ii.oo“ lotet die Chancen und Risiken dafür aus. Klaus Kreulich von der Hochschule München erklärt im Interview mit Ingrid Weidner, wie sich Tests stärker an die Fähigkeiten der Studierenden anpassen und welche Innovationen bald zum Alltag gehören.

Herr Professor Kreulich, was verbirgt sich hinter dem Kürzel „ii.oo“ des Projekts „Digitales kompetenzorientiertes Prüfen“?

Klaus Kreulich: Für unsere Abkürzung haben wir jeweils zwei Vokale aus den zentralen Begriffen „digital“ und „kompetenzorientiert“ ausgewählt. Gesprochen wird der Kurztitel „i Punkt o“. Wir hoffen, dass der Titel neugierig macht. 

Sie haben die wissenschaftliche Gesamtleitung für ii.oo. Worum geht es?

Mit dem Projekt wollen wir in Hochschulen die Rolle von Prüfungen reflektieren und verbessern. In Prüfungen wird von allen Seiten viel Zeit investiert und sie haben eine hohe Relevanz für die Karrieren unserer Absolventinnen und Absolventen. Da lohnt es sich genauer hinzusehen. Konkret möchten wir erreichen, dass Prüfungen noch stärker als Teil des Lernens verstanden und gelebt werden. Lernen an Hochschulen ist längst mehr als Wissensaneignung, denn Lernen bedeutet an Hochschulen immer mehr das Anwenden von Wissen zur Lösung von Problemen. Prüfungen, die vor allem Wissen abfragen, hinken dieser Entwicklung hinterher. Kompetenzorientierung ist oft passender und Prüfungen sollten zudem noch mehr Teil einer kritischen Evaluation und Selbstreflexion sein.

Warum ist Kompetenzorientierung so wichtig für die Zukunft der Hochschullehre?

Wir wissen alle, wie rasant sich unsere Gesellschaft entwickelt. Das zeigt sich etwa am Tempo, mit dem Forschung und Innovation, etwa in der Digitalisierung, dazu führt, dass Wissen im Laufe weniger Jahre überholt ist. Gleichzeitig ist akademisches Grundlagenwissen inzwischen oft online in guter didaktischer Aufbereitung verfügbar. Unsere Absolventinnen und Absolventen dürfen und sollen von uns erwarten, dass wir sie beim Nutzen der Wissensressourcen fördern und sie befähigen, komplexe Probleme mit wissenschaftlichen Grundlagen zu bearbeiten. Neben den fachlichen geht es auch um persönliche Kompetenzen wie beispielsweise Teamfähigkeit. Dabei wird besonders deutlich, dass Wissen gut ist, aber für gute Zusammenarbeit sicher nicht ausreicht.

Im Namen des Projekts findet sich der Begriff „digital“ wieder. Was macht eine digitale Prüfung aus?

Da möchte ich eine Begriffsabgrenzung voranstellen. Wir meinen mit „digital“ nicht „online“. Das wird oft synonym verwendet. Für uns sind digitale Prüfungen nicht nur online durchgeführte Prüfungen, sondern alle Prüfungen, die mit Unterstützung digitaler Mittel absolviert werden. Also beispielsweise auch eine Prüfung, die unter Aufsicht in Präsenz an der Hochschule stattfindet, die aber nicht auf Papier, sondern am Computer bearbeitet wird. Die Prüfungsteilnehmenden lösen ihre Aufgaben dann etwa mit einer Softwareanwendung wie Excel oder einer CAD-App. In unserem Projekt werden digitale Prüfungen vor allem mit dem Lehrmanagementsystem Moodle, der E-Portfolio-Software Mahara oder mit unserer eigenen Entwicklung für anwendungsorientierte PC-Prüfungen EXaHM durchgeführt. Erste Experimente machen wir inzwischen auch zum Einsatz von Virtual Reality.

Was ist Ihre Prognose: Wie sehen Prüfungen in Zukunft aus?

Deutlich vielfältiger als heute. Sicherlich werden alle Prüfungsformen von heute weiterhin zur Verfügung stehen und auch ihre Berechtigung haben. Zusätzlich werden sukzessive neue digitale Technologien und damit neue Möglichkeiten für didaktische Methoden hinzukommen. Methodisch werden sich Prüfungen dann immer stärker an den tatsächlichen Lernzielen orientieren. Das sogenannte „Constructive Alignment“, bei dem Lernziele, Lehraktivitäten und Prüfungsform aufeinander abgestimmt werden, wird zur Selbstverständlichkeit, für Wissensfragen ebenso wie für komplexe Problemstellungen.

Welche Rolle spielt Technologie?

Neue digitale Technologien werden auch neue Prüfungsformen ermöglichen. Eine Prüfung mit vielen Teilnehmenden und Dozierenden, die im Metaverse stattfindet, wird bald zum gewöhnlichen Repertoire zählen. Spannend ist sicherlich ebenso die Weiterentwicklung von KI-Technologien. Der Einsatz von ChatGPT als Hilfsmittel ist eine didaktische Herausforderung, eröffnet aber auch immense Spielräume und wird deshalb professionalisiert werden. Neue Konzepte für Videoaufsichten werden noch größere räumliche und zeitliche Flexibilität bringen. Lernen und begleitendes Prüfen im Sinne von kritischer Selbstreflexion und Lernfortschrittsanalyse gestalten sich dann einfacher. Im Bestfall verursachen Prüfungen so auch weniger negativen Stress und können von den Studierenden als konstruktives Feedback verstanden werden. Die Haltung zu Prüfungen wird sich positiv ändern.

Was wäre eine positive Haltungsänderung beim Thema Prüfungen?

Prüfungen haben zunächst den Zweck, Leistungen festzustellen, die dann in Form von Noten und Zeugnissen bescheinigt werden. Der Blick der Studierenden gilt verständlicherweise mehr diesen Leistungsbescheinigungen und meist weniger dem tatsächlichen Lernfortschritt. Wir möchten mit unserem Projekt dazu beitragen, Prüfungen zu einem validen Instrument für eine selbstkritische Beobachtung des Lernfortschritts zu machen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass Prüfungsfragen und Lernziele eines Moduls verlässlich und transparent aufeinander abgestimmt sind. Studierende können dann darauf vertrauen, durch stetiges Arbeiten an den Lernzielen zu einem guten Ergebnis zu kommen. Sie können sich auf ihren Lernfortschritt fokussieren und Prüfungen mit realistischen Erwartungen ablegen. Im besten Fall wird somit der Selbstanspruch an die Prüfungsleistung gestärkt und sogar die Motivation zum Schummeln gedämpft.

Wie sieht es mit der Haltung der Prüfenden aus? Gibt es da auch Bedarf für neue Sichtweisen?

Der Rahmen für Hochschullehre verändert sich schnell. Grundsätzlich gibt es deshalb für alle Beteiligten, also auch für die Prüfenden, permanenten Bedarf, Neuerungen aufzugreifen. Als Beispiel verweise ich auf den sozialen Aspekt des Lernens: Beim Lernen sind Austausch von Wissen und Nachahmen von Können wirkungsvolle Mittel. Lernen gelingt in vielen Zusammenhängen in einer Gruppe besser als allein. Prüfungen werden jedoch oft so angelegt, als wäre Eigenständigkeit auf dem Weg zur Lösung eine zwingende Voraussetzung für eine valide Leistung. Diese Haltung aus Sicht der Prüfenden grenzt die Möglichkeiten für Aufgabentypen ein und beschränkt so auch das Kompetenzspektrum, das Studierende in einer Prüfung zeigen können. 

Das Projekt wird in einem Verbund von neun Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAWs) umgesetzt. Alle kommen aus Bayern, warum ist das Konsortium nicht vielfältiger?

Das ist richtig, das Thema wäre bundesweit für alle Hochschulen inklusive Universitäten spannend. Wir hoffen daher darauf, mit unseren Ergebnissen viele weitere Hochschulen zu erreichen. Um möglichst praxisnah zu arbeiten, also mit echten Prüfungen Good Practices zu entwickeln, ist es aber zunächst zielführend, innerhalb eines gemeinsamen hochschulrechtlichen Rahmens und auch in fach- sowie methodenverwandten Studiengängen zu agieren. Wir haben uns deshalb im Projekt auf bayerische HAWs fokussiert. Von den insgesamt 17 staatlichen HAWs sind neun im Projekt dabei, also mehr als die Hälfte. Bei allen ist die Hochschulleitung involviert. Das spricht dafür, dass dieses Projekt einen großen Einfluss auf die bayerische Hochschullandschaft haben wird. Zudem sind bei allen Konsortiumsmitgliedern die für die Lehre zuständigen Hochschulleitungsmitglieder unmittelbar beteiligt. Hier liegt eine große Chance für unser Projekt: Das, was wir erarbeiten, fließt auch tatsächlich in die Hochschulen hinein und wird umgesetzt. So führt ii.oo zu einer dauerhaften Veränderung in der Lehre der beteiligten Hochschulen.

Das Projekt endet im Sommer 2024. Welche Ergebnisse erwarten Sie und wie geht es dann weiter?

Im Sommer 2024 werden mehr als 30 Good Practices für kompetenzorientierte digitale Prüfungen in den Fachgebieten MINT, Betriebswirtschaftslehre, Soziales und Gesundheit vorliegen. Die Verbreitung der Good Practices wird gestützt von einem fundierten Diskurs zur Haltung von Lehrenden und Studierenden gegenüber Prüfungen. Die Good Practices werden von den beteiligten Lehrenden weitergenutzt, insofern ist die Nachhaltigkeit der Ergebnisse gesichert. Selbstverständlich wollen wir die neuen Formate auch verbreiten und die Konzepte auf weitere Fachdisziplinen übertragen. Wir freuen uns auf alle, die Interesse an den Ergebnissen haben. //

Über das Projekt ii.oo 

Projektziel: Good Practices für Prüfungen erstellen

Fachbereiche: BWL, MINT, Sozialwissenschaften/Gesundheit

Projektgliederung: Inhaltlich: Aufteilung in die Arbeitspakete AP 1: Good Practices; AP 2: Kompetenzorientierung; AP 3: Haltung; AP 4: Prüfungssysteme; AP 5: Evaluation und Projektmanagement. Zeitliche Gliederung: vier semesterweise Innovationssprints

Projektlaufzeit: 1. August 2021 – 31. Juli 2024 (Verlängerungsantrag bis 31. Dezember 2025 ist gestellt)

Projekttyp: Verbundprojekt mit Hochschule (HS) Augsburg, HS Coburg, HS Hof, HS Landshut, HS München, HS Neu-Ulm, HS Nürnberg, HS Regensburg und HS Würzburg-Schweinfurt

Projektleitung: Die Gesamtprojektleitung liegt bei der Hochschule München, die Teilprojekte werden von den Verbundhochschulen verantwortet

Lehrende im Projekt: 55 

Träger: Stiftung Innovation in der Hochschullehre 

Projekt-Website: https://iioo.education/projekt/

Prof. Dr. Klaus Kreulich 

ist Vizepräsident für Angelegenheiten der Lehre an der Hochschule München und wissenschaftlicher Leiter des Projekts „Digitales kompetenzorientiertes Prüfen implementieren (ii.oo)“.

Foto: Julia Bergmeister

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