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Macht missbraucht

Machtmissbrauch und Fehlverhalten sind im Wissenschaftsbetrieb an der Tagesordnung. Was die Ursachen dafür sind und wie ihnen Einhalt geboten werden kann – dazu liefert ein aktueller Bericht der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) Aufschluss.

Gefälschte Studien, erzwungene Co-Autorschaft, die mangelhafte Betreuung von Postdocs oder sexuelle Übergriffe – immer wieder werden Fälle von Machtmissbrauch in der Wissenschaft und von wissenschaftlichem Fehlverhalten öffentlich. Sie treten in allen Wissenschaftsdisziplinen auf, auch in der Psychologie. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGP) als Vertretung der wissenschaftlich arbeitenden Psychologinnen und Psychologen hat sich daher kritisch mit der Frage auseinandergesetzt, wie das Wissenschaftssystem solche Verhaltensweisen ermöglicht oder sogar durch falsche Anreize fördert. 

Eine DGPs-Umfrage vom Juli 2020 zeigt, dass Machtmissbrauch und bewusstes wissenschaftliches Fehlverhalten alles andere als Einzelfälle sind – auch wenn die Ergebnisse aufgrund der freiwilligen Teilnahme kein repräsentatives Bild liefern können. Die Mehrheit der Befragten gibt an, Fehlverhalten in einem frühen Karrierestadium erlebt zu haben – also in dem Stadium ihrer Karriere, in dem die Abhängigkeiten von Vorgesetzten und Betreuern am größten sind.

Ende 2021 wurde daher die DGPs-Kommission „Anreizsystem, Machtmissbrauch und wissenschaftliches Fehlverhalten“ eingerichtet, um systemische Faktoren zu identifizieren, die zu dem problematischen Verhalten beitragen, und Lösungsvorschläge zur Veränderung der Strukturen zu erarbeiten. Unter der Leitung von Prof. Dr. Daniel Leising (TU Dresden) hat die Kommission nun einen differenzierten und umfangreichen Bericht vorgelegt.

„Machtmissbrauch und wissenschaftliches Fehlverhalten sind Phänomene, die systemisch betrachtet werden müssen“, heißt es in dem 62-seitigen Bericht. Der Verweis auf das fragwürdige Verhalten Einzelner greife zu kurz. Er unterschlage die Rolle situativer Faktoren, die es Personen ermöglichen, in bestimmten Kontexten ungestört wirken zu können. Das Fehlverhalten werde durch Anreizsysteme begünstigt, und zwar über alle Wissenschaftsdisziplinen hinweg. Daher sei es erforderlich, das wissenschaftliche System in seiner Gesamtheit zu betrachten. Änderungen hätten nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie von vielen Akteuren mitgetragen würden: Fachgesellschaften, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie politischen Entscheidungsträgern.

Die Kommission hat dabei zwölf Problembereiche identifiziert. Jeder Bereich ist aufgeteilt in eine Beschreibung des Problems, Ursachen oder beitragende Faktoren sowie Empfehlungen. Die Bereiche sind: nachlässiges oder betrügerisches Forschungshandeln, Machtmissbrauch, unzureichende Betreuung von Early Career Researchers (ECR),  mangelhafte Qualität der Lehre, Fehlanreize, Überfrachtung der Professur mit Aufgaben, Befristungspraxis für Stellen unterhalb der Professur, unnötig starkes Machtgefälle, Versagen des Peer-Review-Systems, mangelnde Qualität von Berufungsverfahren, mangelnde Klarheit und Verbindlichkeit ethischer Normen sowie schwache Kontroll- und Sanktionsinstanzen. 

Im Folgenden stellen wir Ihnen eine Auswahl vor:

Nachlässiges oder betrügerisches Forschungshandeln 

Nachlässiges oder betrügerisches Forschungshandeln spiegelt sich nach Ansicht der Kommission unter anderem darin wider, dass Forschungsergebnisse nicht oder nur bedingt replizierbar sind. Aber noch wichtiger sind vorsätzliche Praktiken wie etwa das Beschönigen von Forschungsbefunden, etwa Zufallsbefunde, die die aus der Theorie vorhersagbaren Effekte zeigen. Als Ursache dafür gelten das Fehlen einer konstruktiven Fehlerkultur sowie das geringe Risiko einer Entdeckung, aber auch falsche Anreizstrukturen. Denn die Anzahl der Autorschaften und Zitationen, Impact-Faktoren und Drittmittelsummen gelten als Maß für die Forschungsaktivitäten, deren Maximierung von den Forschenden angestrebt wird, um ihre Reputation zu befördern. „Zweifelhafte Kriterien“, so befindet die Kommission. Hier müssten strukturelle Alternativen geschaffen werden. So empfiehlt sie zum Beispiel die Kulturentwicklung durch die Vergabe von Gütesiegeln (ähnlich dem „Great Place to Work Award“), die eine unabhängige und spezifisch auf Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen bezogene Evaluation zulassen. Vorgeschlagen wird auch ein Negativkatalog der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) für Beiträge, die keine Co-Autorschaft an einem wissenschaftlichen Artikel begründen. Um die wissenschaftliche Qualität zu verbessern, sollte zudem eine öffentliche Selbstverpflichtung der Forschenden auf eine (niedrige) Maximalzahl von Erst- bzw. Co-Autorschaften pro Jahr erfolgen.

Machtmissbrauch

Keine Ausnahme, sondern weit verbreitet: Machtmissbrauch kann verschiedene Formen annehmen, darunter die fälschliche Aneignung geistigen Eigentums einer abhängigen Person, das Erpressen von Mehrarbeit, das Einfordern problematischer Forschungspraktiken, Demütigung und Erniedrigung sowie sexuelle Belästigung. Die Ursachen liegen zum einen in der persönlichen Disposition der Täter wie der Dunklen Triade (Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie). Ausprägungen dieser Merkmale sollten bei der Auswahl für akademisches Führungspersonal systematisch erfasst werden. Zum anderen kann aber auch die Bündelung unnötig vieler Entscheidungsbefugnisse bei den Professoren und Professorinnen Machtmissbrauch begünstigen. Es gebe kaum effektive Kontrollinstanzen, den internen Beschwerdewegen werde nur wenig Vertrauen entgegengebracht. Verfehlungen blieben daher oft ohne Konsequenzen. Empfohlen wird unter anderem ein regelmäßiges Feedback zum Führungsverhalten von Vorgesetzten, die Einrichtung einer kostenlosen unabhängigen juristische Beratung für ECR, die systematische Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen bei Führungskräften in Berufungsverfahren und ein besseres Bewusstsein für Macht und Machtmissbrauch auf allen Ebenen.

Unzureichende Betreuung von ECR

Besonders betroffen von Machtmissbrauch sind Wissenschaftler am Anfang ihrer Karriere, die zugleich häufig unter einer schlechten Betreuung leiden – mit fachlichen wie sozialen Folgen, etwa dem mangelnden Zugang zu benötigten Ressourcen oder Desinteresse an ihren Forschungsthemen. Als wesentliche Ursache dafür benennt die Kommission die Überfrachtung der Professur mit Aufgaben, die einer guten Betreuung im Wege stehe. Das geltende Anreizsystem belohne eine möglichst hohe Anzahl von betreuten Doktoranden, die ihre Promotion erfolgreich beenden. Die Qualität der Betreuung spiele dabei keine Rolle. Weiterhin fehle es an einheitlichen Standards, die festlegen und messbar machen, was eine gute Betreuung überhaupt ausmacht. Empfohlen wird eine öffentliche Erklärung der Hochschulen und Forschungsinstitute zu einer plausiblen Maximalzahl von ECR, die gleichzeitig mit derselben betreuenden Person wissenschaftlich zusammenarbeiten können. Zudem sollte es eine regelmäßige Befragung der ECR durch eine unabhängige Instanz geben.

Überfrachtung der Professur mit Aufgaben 

Der Problembereich hängt eng mit der mangelhaften Betreuung Promovierender zusammen. Qualitativ hochwertige Lehrleistungen im Umfang von acht oder neun Semesterwochenstunden, akademische Selbstverwaltung mit Teilnahme an verschiedene Gremien, Personal- und Budgetverwaltung des Arbeitsbereichs, Einreichung von Drittmittelanträgen, Führung von wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeitenden sowie exzellente, international konkurrenzfähige Forschungsleistungen – das Anforderungsprofil führe dazu, dass viele Professoren und Professorinnen „konstant an der Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit arbeiten“. Denn diese meist anspruchsvollen Aufgaben lasteten aufgrund mangelnder finanzieller und personeller Ressourcen allein auf den Schultern der Professoren und Professorinnen. Entlastung schaffen könnte da etwa die Einrichtung spezialisierter Stellen für  die Lehrkoordination oder das Lab-Management. Das setzt natürlich eine bessere Grundfinanzierung der Hochschulen voraus. Weiter regt die Kommission an, die Überlastung durch öffentliche Benennung des Problems sichtbar zu machen. 

Versagen des Peer-Review-Systems

Die Peer-Review werde ihrer Funktion als Qualitätssicherung nicht ausreichend gerecht, stellt die Kommission fest. Beispiele dafür seien Nachlässigkeit in der Begutachtung und die bisweilen unangemessen feindselige und verletzende Ausdrucksweise der Reviewer. Manchmal spielten auch persönliche oder politische Gründe eine entscheidende Rolle bei der Kritik. Hauptgrund für das Versagen des Systems sei aber die Artikelschwemme aufgrund von Fehlanreizen: Belohnt in Form etwa von Drittmitteln wird, wer möglichst viele Artikel in möglichst kurzer Zeit veröffentlicht. Dieses Belohnungssystem trifft auf Gutachter, die ihrerseits kaum extrinsische Anreize haben, sich bei der Review Mühe zu geben, und Wissenschaftsverlage, die ein kommerzielles Interesse daran haben, dass viel und schnell veröffentlicht wird. Die Kommission empfiehlt daher eine deutliche Reduktion der Publikationen und einen schnellstmöglichen Übergang zum non-for-profit publishing als Regelfall. Als Problem benennt sie außerdem, dass Peer-Reviews traditionell anonym stattfinden. Das biete den Reviewern Raum für nachlässiges und politisch motiviertes Handeln, ohne dass sie sich dafür rechtfertigen müssen. Peer-Reviews sollten daher von den begutachtenden Personen namentlich unterzeichnet werden.

Mangelnde Klarheit und Verbindlichkeit ethischer Normen

Empirische Befunde legen nahe, dass in der Wissenschaft in ethischer Hinsicht erheblicher Nachholbedarf besteht. Im Bereich des Machtmissbrauchs (Ausbeutung, Mobbing) scheint sogar Unsicherheit über die Normen selbst zu herrschen. Vielen sei etwa unklar, wo die Grenze zwischen legitimen Machtgebrauch und illegitimen Machtmissbrauch verläuft. Themen wie destruktive Führung oder auch arbeitsrechtliche Belange seien ebenfalls häufig nicht bekannt. Grund dafür sei, dass Menschen sich generell ungern mit Themen wie Macht und Machtmissbrauch in der Arbeitswelt beschäftigten. Empfohlen werden die Teilnahme an Informationsveranstaltungen und Fortbildungen zu den Themen für alle Personen, die am Wissenschaft- und Lehrbetrieb beschäftigt sind. Auch könnte in Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen an verschiedenen Standorten ein entsprechendes Curriculum entwickelt und Informationsvideos ins Netz gestellt werden. 

In ihrem Bericht hat die Kommission zahlreiche Schwachstellen des wissenschaftlichen Systems offengelegt. Nicht alle Empfehlungen werden umsetzbar sein. Einiges wird gar nicht gewollt sein. Und so manches wird auch potenzielle Nebenwirkungen haben. Zumindest bietet der Bericht eine gute Diskussionsgrundlage, sich intensiver mit dem wichtigen Thema auseinanderzusetzen. //

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