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Attraktive Alternativen zur Professur schaffen

Karrierewege in der Wissenschaft müssen transparenter, vielfältiger, kreativer werden. Mit ihrem Academic-Tenure-Konzept will die Universität Bielefeld hierfür die richtigen Weichen stellen. Wie das Konzept funktioniert, erklärt Marie I. Kaiser im Interview.

Frau Kaiser, warum engagieren Sie sich für bessere Karrierewege von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern? 

Weil ich überzeugt davon bin, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerade in der Phase der Qualifikation viel Unterstützung und bessere Strukturen brauchen. Die Erfahrungen, was in dieser Phase alles schieflaufen kann und wie man manches besser machen kann, liegt bei mir noch nicht lange zurück. Es ist eine extrem schwierige Phase, geprägt von befristeten Arbeitsverträgen, viel Leistungsdruck, Konkurrenzkampf und Unsicherheiten, ob man es schaffen kann. Denn die Möglichkeiten, auf Dauer in der Wissenschaft zu bleiben, sind sehr begrenzt und die Hürden sind hoch. Zweimal in meinem Leben wollte ich aus der Wissenschaft aussteigen, weil es mir zu extrem wurde. Ich habe dabei aber auch festgestellt, wofür mein Herz schlägt und wofür ich mich engagieren will. Das ist einer der Gründe, warum ich Prorektorin für Personalentwicklung und Gleichstellung geworden bin und das Academic-Tenure-Konzept an der Universität Bielefeld etablieren möchte.

Worum geht es genau bei dem Konzept zur Etablierung des Karrierewegs Academic Tenure?

Es geht um Dauerstellen im akademischen Mittelbau. Dass da etwas getan werden muss, steht schon seit Langem fest. Die meisten Karrierewege in der Wissenschaft führen nur in Richtung Professur. Das hat in vielen Fächern zur Folge, dass viele hochqualifizierte Postdocs die wenigen vorhandenen Professuren anstreben. Dabei brauchen wir schon lange vielfältigere Karrierewege und eben nicht nur die Professur als einziges Karriereziel in der Wissenschaft. Es gibt zwar bereits einen Dauerstellenbereich des Mittelbaus, aber dieser ist oft historisch gewachsen und nicht oder nur in Teilen strategisch aufgebaut. Und bei den vorhandenen Dauerstellen hängt es zu häufig davon ab, ob man bestimmte Personen kennt oder eine Professorin oder ein Professor der Meinung ist, dass man sich bewährt hat und entfristet werden soll. Diese Zufälligkeiten prägen den Mittelbau. Es fehlen strategische Ziele und Konzepte für diesen Bereich. Deshalb haben wir damit begonnen, an dem Academic-Tenure-Konzept zu arbeiten. 

Was sind die wichtigsten Ziele und Bausteine dieses Karrierekonzeptes?

Wir möchten attraktive Karrierealternativen zur Professur etablieren. Es geht nicht darum, ganz viele neue Stellen zu schaffen, die es vorher nicht gab. Denn es gibt im Mittelbau viele Dauerstellen, allerdings mit recht unterschiedlichen Personalkategorien. Wir wollen daraus klare, transparente und attraktive Karrierewege machen – mit der Option, auf Dauer in der Wissenschaft bleiben zu können. Es soll klar und transparent sein, welches Profil man dafür braucht, wie man diese Stelle erlangen kann, wie das Aufgabenprofil aussieht – auch in Abgrenzung zu Professuren und Qualifikationsstellen, auf denen man sich für die Professur qualifiziert. Dazu brauchen wir, als weiteres Ziel, eine strategische Personalplanung in den Fakultäten, um davon wegzukommen, dass es alleine von persönlichen oder lokalen Entscheidungen abhängt, ob es für eine Person oder für eine bestimmte Aufgabe eine Dauerstelle gibt oder nicht. Unser Konzept sieht Dauerstellen für Daueraufgaben vor. Ausgehend von ihren strategischen Zielen in Forschung und Lehre sollen die Fakultäten für die Daueraufgaben eine strategische Personalplanung machen und unter breiter Beteiligung Dauerstellen identifizieren und besetzen. Wir streben an, dass nur noch ein Minimum der Daueraufgaben von Postdocs oder Promovierenden auf dem Weg zur Professur übernommen wird. 

Sie unterscheiden bei den Dauerstellen Academic Lecturer und Academic Researcher. Warum? 

Wir haben zuerst mit den Fakultäten gesprochen und eine Bestandsaufnahme gemacht, um zu erfassen, welche Daueraufgaben es gibt. Wir fanden heraus, dass nicht nur die Fächerkulturen vielfältig und recht unterschiedlich sind, sondern auch die jeweiligen Dauerstellen. Die von Ihnen genannten Bezeichnungen haben wir eingeführt, um die damit verbundenen Aufgaben zu strukturieren. Die Bezeichnungen Academic Researcher und Lecturer bedeuten keine strikte Aufteilung von Forschung und Lehre, sondern sie bezeichnen den Schwerpunkt, in dem jemand aktiv ist. 

Welche Vorteile sehen Sie im Academic Tenure für die Universität als Ganzes? 

Dass Qualifikationsstellen auch wirklich für die wissenschaftliche Weiterqualifikation in Richtung Professur da sind, wohingegen Daueraufgaben von Personen auf Dauerstellen übernommen werden. Eine weitere zentrale Idee ist, dass Academic-Tenure-Stellen von den Aufgaben her gedacht und nicht nach Zufälligkeiten oder Personenabhängigkeiten vergeben werden. Wenn man das ändern will, arbeitet man auch gegen sehr etablierte Machtstrukturen und Fächerkulturen. 

Welche systemischen Veränderungen wird die Etablierung des Karrierewegs Academic Tenure an den Universitäten auslösen? 

Würden Konzepte zur akademischen Karriereentwicklung wie das Academic-Tenure-Konzept flächendeckend eingesetzt, würde dies das System Universität und auch das Wissenschaftssystem als Ganzes in Deutschland verändern. Denn damit ist ein Kulturwandel verbunden, der viel Zeit und Ausdauer erfordert. Darum haben wir auch drei Jahre lang einen sehr partizipativen Prozess aufgesetzt. Dieser war mit vielen Diskussionen, auch Kämpfen und Umdenken verbunden und endete mit einem Kompromiss. Das bedeutete für uns auch, dass wir mit Ideen, die wir als ideal betrachtet hatten, nicht durchgekommen sind. An einigen Stellen ist das Konzept durch den Diskurs aber auch besser geworden. Wir verstehen die einzelnen Fächerkulturen jetzt besser. Bei den neu definierten Dauerstellen ist vorgesehen, dass mindestens 20 Prozent der Arbeitszeit für eigenständige Aufgaben zur Verfügung stehen sollen. Denn wir wollen nicht nur die Aufgabenprofile weiterentwickeln, sondern den Stelleninhaberinnen und -inhabern eine kontinuierliche Weiterentwicklung ermöglichen. Damit sollen auch Aufstiegsmöglichkeiten in Form von Höhergruppierungen oder Beförderungen verbunden sein. Wie diese Aufstiegsmöglichkeiten aussehen, inwieweit sie möglich sind und welche Daueraufgaben dafür geändert oder neubewertet werden können – dafür sollen die Fakultäten einheitliche und transparente Pläne entwickeln. Ich hoffe, dass noch mehr Hochschulen die Karrierewege in der Wissenschaft vielfältiger und attraktiver gestalten. Die weitverbreitete Vorstellung, dass nur die Professur zählt – sonst hat man es nicht geschafft –, sollte aus den Köpfen verschwinden. Wir möchten erreichen, dass Dauerstellen im akademischen Mittelbau und Professuren als gleichwertige Karriereziele in der Wissenschaft angesehen werden. 

Warum ist das Projekt wichtig für die Personalentwicklung an der Universität Bielefeld? 

Transparente und klare Karriereoptionen sind wichtig für jede Art der Karriereentwicklung. Karrierewege in Richtung Dauerstellen im Mittelbau sind meist völlig unklar. Niemand weiß genau, welche Stellen es überhaupt gibt und welche Qualifikationen dafür gefragt sind. Dies ist auch wichtig für eine zentrale oder fachspezifische Karriereberatung, passende Personalentwicklungsmaßnahmen und Fortbildungsangebote. Hinzu kommt die kontinuierliche Weiterentwicklung auf den Academic-Tenure-Stellen. Die Gruppe der Dauerstellen im akademischen Mittelbau bei uns in Bielefeld ist in etwa so groß wie die Gruppe der Professorinnen und Professoren. So gesehen wurde es Zeit, die Bedarfe dieser Zielgruppe in den Blick zu nehmen. Geändert haben sich dadurch bei uns nicht nur die Angebote, sondern es hat sich auch der Blickwinkel auf diese wichtige Gruppe verändert. 

Welche Statusgruppen und Mitglieder der Universität haben Sie aktiv unterstützt und wo herrschte eher Skepsis?

Wir haben drei Jahre Abstimmungs- und Diskussionsprozess hinter uns. Alle Gruppen der Universität wollten daran beteiligt sein. Teilweise, weil sie bestimmte Dinge verhindern wollten, oder weil sie bestimmte Dinge umgesetzt sehen wollten. Dabei zeigte sich: Es gibt sehr viele unterschiedliche Interessengruppen und die Interessen zielen teilweise in entgegengesetzte Richtungen. Deshalb hat der Prozess auch so lange gedauert, begleitet von viel Kritik und Gerangel. So wollen die Dekaninnen und Dekane so wenig zentrale Regulierung wie möglich. Das Rektorat aber will steuern und braucht dafür bestimmte Informationen – wie etwa bei der Verschriftlichung der strategischen Personalplanung. Wir wollen, dass – ähnlich wie die Freigabe von Professuren – die Academic-Tenure-Stellen im Kontext einer strategischen Personalplanung im Rektorat beantragt werden. Dafür braucht man vielfältige Informationen, etwa zum Aufgabenprofil und zur strategischen Relevanz der Daueraufgaben. Das verursacht natürlich Bürokratie und Arbeitsaufwand und damit den Vorwurf der Dekaninnen und Dekane: Ihr schafft ein Bürokratiemonster. Da mussten wir nicht nur Überzeugungsarbeit leisten, sondern auch nachjustieren. Hinzu kommt, dass der Mittelbau häufig entgegengesetzte Interessen hat. Die Dekane und Dekaninnen sind nun mal die Vorgesetzten und die anderen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Der Mittelbau will möglichst viel Eigenständigkeit und zugesicherte Aufstiegsmöglichkeiten und die anderen wollen an vielen Stellen so weitermachen, wie es bisher war.

Aus welchen Töpfen werden diese Dauerstellen finanziert? 

Sie werden von den Fakultäten selbst finanziert. Wir haben uns dafür entschieden, nicht einfach Zielzahlen vorzugeben. Zusätzliche Mittel stehen durch den „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ zur Verfügung. Ein wichtiges Ziel dieser Mittel ist die Schaffung zusätzlicher dauerhafter Beschäftigungsverhältnisse für Lehrpersonal. Das können Professuren sein. Das können aber auch Dauerstellen im Mittelbau sein. Und dieses Mehr an Mitteln fließt seit 2020. So gesehen haben also die Fakultäten mehr Geld zur Verfügung, um auch mehr Dauerstellen zu schaffen. Wir wollen mit unserem Konzept einen strategischen und auch kritischen Blick der Fakultäten auf ihre eigene Personalstruktur befördern und sie dazu bringen umsteuern, wenn die Personalstruktur nicht die passende ist. 

Könnte Ihr Konzept auch ein Modell für andere Hochschulen sein? 

Bezogen auf das Thema „Dauerstellen im Mittelbau als Karriereweg etablieren, Karrierewege in der Wissenschaft vielfältiger machen“ – ja. Andere Hochschulen könnten unser Konzept als Ganzes oder Elemente daraus übernehmen. Wir teilen sehr gerne unsere Erfahrungen – auch in Bezug auf Abstimmungsprozesse und mögliche Herausforderungen. //

Das Projekt

Das Prorektorat für Personalentwicklung und Gleichstellung der Universität Bielefeld hat in den vergangenen drei Jahren in einem breiten partizipativen Prozess ein Konzept zur Etablierung des Karrierewegs Academic Tenure (Dauerstellen im akademischen Mittelbau) entwickelt. Seit März 2020 haben zahlreiche Universitätsmitglieder in mehreren Runden an Diskussionen zu Entwürfen des Konzeptes mitgewirkt. 

Das Academic-Tenure-Konzept wurde im Februar 2023 vom Rektorat der Universität Bielefeld beschlossen. Die Inhalte des Konzeptes sind für die Mitglieder der Universität handlungsleitend. Das Konzept ist bewusst nicht als Ordnung konzipiert, weil es in der Umsetzung durch seine Inhalte überzeugen soll, anstatt durch formale Vorschriften zu regulieren. Es gilt für alle an der Universität Bielefeld neu einzurichtenden und neu zu besetzenden Dauerstellen im akademischen Mittelbau. Das erste Jahr nach Umsetzungsbeginn soll als Übergangsphase gelebt werden, in der Fakultäten, Zentralverwaltung und Rektorat die neuen Verfahren und Prozesse gemeinsam einüben und vorhandene Mittelbau-Dauerstellen in Academic-Tenure-Stellen umgewandelt werden können (im Einvernehmen von Stelleninhabern und -inhaberinnen und Fakultät). Das Konzept soll nach drei Jahren evaluiert und gegebenenfalls angepasst werden.

Zum Download in voller Länge (PDF)

Der Karriereweg des Academic Tenure (Academic-Tenure-Konzept)

Die Academic-Tenure-Stellen werden mit einer möglichen zweijährigen Tenure-Track-Phase ausgeschrieben. Die Tenure-Track-Phase ermöglicht Potenzialbesetzungen und damit den Zeitpunkt der Karriereentscheidung nach vorne zu verschieben. In der Stellenausschreibung wird deutlich gemacht, dass es von den Anforderungen der Academic-Tenure-Stelle und von den Qualifikationen der einzustellenden Person abhängt, ob es eine Tenure-Track-Phase gibt und wie lang sie ist. Liegen bei dem erstplatzierten Bewerber oder der erstplatzierten Bewerberin alle in der Stellenausschreibung genannten erforderlichen Kompetenzen und Erfahrungen vollumfänglich vor, wird die Person ohne Tenure-Track-Phase direkt unbefristet eingestellt. Ist zu erwarten, dass die oder der Erstplatzierte innerhalb eines Jahres die gewünschte Kompetenzentwicklung durchlaufen kann, verkürzt sich die Tenure-Track-Phase auf ein Jahr.

Prof. Dr. Marie I. Kaiser 

lehrt Wissenschaftsphilosophie und ist seit 2019 Prorektorin für Personalentwicklung und Gleichstellung an der Universität Bielefeld. 

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