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Wie lassen sich Talente finden und binden? Das diskutierten Experten auf einer Tagung.

Noch nie strebten hierzulande so viele Abiturientinnen und Abiturienten ein Hochschulstudium an. Eigentlich sollten genügend Nachwuchskräfte ausgebildet werden, um in Wirtschaft und Forschung verantwortungsvolle Aufgaben zu übernehmen. Doch die Klagen über fehlende Talente reißen nicht ab – seit Jahren wabern Begriffe wie „War for Talents“ und Fachkräftemangel durch die Zeitungen. Unternehmen und Universitäten buhlen gleichermaßen um talentierte, meist junge Nachwuchskräfte.

Ob Talente wirklich rar sind oder schlichtweg mit überbordenden Erwartungen vergrault werden und welche Auswege es aus der Misere gibt, diskutierten Experten aus akademischer und unternehmerischer Perspektive während der Konferenz „University, Society, Global Labor Market – Fostering the Talents of Tomorrow“ anlässlich des 150. Geburtstags der Technischen Universität München (TUM).

„Talente sind rar; es ist wichtig, sie zu finden und zu fördern“, sagte Christian Müller vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der dort die Abteilung „Strategie“ leitet. Der DAAD setze auf Wettbewerb, wie Müller erklärte. Um in eines der DAAD-Programme aufgenommen zu werden, müssten Bewerber neben guten Noten Empfehlungen mitbringen und mehrstufige Interviews absolvieren. Finanzielle Förderung sieht Müller als wichtigen Baustein an, um beispielsweise Zeit zu haben, Sprachkenntnisse zu verbessern oder Beratungsangebote anzunehmen.

Die Anforderungen an junge Talente sind groß: Sie sollen überdurchschnittlich intelligent und exzellent ausgebildet, mobil sowie flexibel sein und außerdem neben der Karriere zwischen Paris und Tokio eine Familie gründen. Selbstverständlich teilen sich Frauen und Männer gleichberechtigt Karriere und Kindererziehung. Für Heather Hofmeister, Professorin für Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, lässt sich das nicht gleichzeitig umsetzen. Einige entziehen sich diesem Druck, weshalb die Klagen über zu wenige gut ausgebildete Menschen seit Jahrzehnten nicht abreißen.

Für die Soziologin ist es ein Problem, wenn junge Menschen mit diesen Erwartungen alleine gelassen werden. Noch immer sei es beispielsweise auch an der Hochschule für Väter schwierig, Kindererziehung und Karriere miteinander zu verknüpfen. Neben ganz banalen Dingen wie fehlenden Räumen, um ein Baby zu wickeln, liege es auch an der mangelnden Offenheit gegenüber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich trotz Karriere intensiv um ihre Kinder kümmern wollen.

„Aus Fehlern lernen“ sieht Hofmeister als weiteren wichtigen Aspekt an. Seine Forderung lautet: Wir brauchen mehr Platz zum Experimentieren. Manche Wissenschaftler sprechen zwar über Rückschläge, viele verschweigen aber wenig rühmliche Versuche oder Irrwege, so Hofmeister. Die Professorin ermutigte auf der Münchner Konferenz dazu, darüber zu reden und auch hier ein Vorbild für junge Menschen zu sein. Ein weiteres Problem sieht sie in der sehr kritischen bis feindlichen Atmosphäre gegenüber Wissenschaft und Forschung in Teilen der Bevölkerung. Auch das beeinflusse junge Menschen in der Berufs- und Karrierewahl. Deshalb schlägt sie „Fan-Clubs für Wissenschaft“ vor.

Bereits in der Schule sollte der Grundstein gelegt werden, Schülerinnen und Schüler für Wissenschaft und Technik zu begeistern, denn Universitäten könnten nicht alles leisten, sagte Eliezer Rabinovici, Physikprofessor an der Hebrew University in Jerusalem und ehemaliger Direktor des Israel Institute for Advanced Studies. Rabinovici plädierte für ein Stufenmodell, das neben der soliden Schulbildung darauf setze, Grenzen zu überwinden und Brücken zu bauen.

Deshalb empfiehlt der Professor jungen Talenten, nach dem ersten Studienabschluss die Hochschule zu wechseln oder ins Ausland zu gehen und dort die akademische Ausbildung fortzusetzen. „Auf diese Weise bauen Talente Netzwerke, die für ihr weiteres Leben wichtig sind“, sagte Rabinovici. Gerade in einem kleinen Land wie Israel sei es für viele Absolventen selbstverständlich, in die Welt zu ziehen, neue Erfahrungen zu sammeln und dann – wie Rabinovici betonte – hoffentlich wieder zurückzukehren.

Ein weiterer für Rabinovici wichtiger Aspekt ist es, Stabilität zu bieten und erfolgreiche Forschungsprogramme fortzusetzen anstatt immer neue Programme aus dem Boden zu stampfen. „Evolution statt Revolution“, forderte Rabinovici in dieser Frage. Außerdem ermahnte er das Auditorium, sich um die jungen Talente zu kümmern, ihnen (Karriere-)Perspektiven zu bieten, wenn sie beispielsweise aus dem Ausland zurückkehren oder sich ihre Ambitionen für eine akademische Karriere nicht erfüllten.

Auch das Alter und die Betonung „junge Talente“ sieht der israelische Wissenschaftler kritisch, genauso wie seine Kollegin auf dem Podium, Heather Hofmeister. Zu viel sei in die Lebenszeit zwischen Ende 20 und Anfang 40 gepackt, in diesem Lebensabschnitt solle die akademische Karriere abheben, doch auch die Familiengründung falle in diese Zeit. Ein Widerspruch, mit dem talentierte Menschen häufig alleingelassen würden. Auch jenseits der magischen Altersgrenze von 40 Jahren gebe es noch Talente, betonten die Diskutanten.

Werte vermitteln und Respekt zeigen, helfe ebenfalls, Talente zu fördern. Christian Müller von DAAD erwähnte beispielsweise das 2016 vom DAAD initiierte Programm „Leadership for Syria“, für das 221 Stipendien für ein Masterprogramm vergeben wurden. Allerdings räumten die Diskutanten auch ein, dass sich Werte nicht im Schnelldurchlauf entwickeln und vermitteln lassen. Dafür brauche man Zeit. Oft passten diese Themen aber nicht in den Lehrplan, merkten die drei Experten auf dem Podium selbstkritisch an. „Universitäten entwickeln Menschen für das Leben“, argumentierte Müller. Auch wenn das nicht immer perfekt gelinge und sich Studierende mehr Raum für die persönliche Entwicklung wünschten, seien die Hochschulen eine wichtige und erfolgreiche Talentschmiede.

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