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Zu vorsichtig

Um Nachwuchswissenschaftler zu unterstützen, die ungewöhnliche Wege einschlagen, vergibt die Volkswagen-Stiftung das Freigeist-Fellowship. Zwar steigt die Nachfrage, doch viele Ideen sind einfach nicht innovativ genug. Woran liegt das?

Außergewöhnliche Perspektiven und Lösungsansätze entwickeln, quer zum Mainstream forschen, zwischen etablierten Forschungsfeldern arbeiten, risikobehaftete Wissenschaft betreiben – diese Beschreibung müsste jedes Forscherherz höher schlagen lassen. „Freigeist“ heißt deshalb passend das Programm für Nachwuchswissenschaftler, mit dem die Volkswagen-Stiftung seit 2013/14 einmal pro Jahr bis zu 15 Fellows fördert.

„Freigeist“ knüpft in der Namensgebung an die traditionelle Figur des Forschers und Denkers an. Es will gezielt „außergewöhnliche Forscherpersönlichkeiten“ ansprechen. Die jungen Wissenschaftler sollten der Volkswagen-Stiftung eigentlich die Bude einrennen. Tatsächlich gibt es viele Bewerbungen, und ihre Zahl ist sogar gestiegen: von 113 für 2013/14 auf 148 für die Ausschreibung 2014/15. In diesem Jahr sind es sogar 176. Doch die innovativen Ideen bleiben spärlich – 2013/14 erhielten elf Fellows den Zuschlag, 2014/15 nur acht, für dieses Jahr ist noch keine Entscheidung gefallen. Woran liegt das?

Die Anforderungen an die Kandidaten seien hoch, meinen die beiden Förderreferenten Dr. Johanna Brumberg und Dr. Oliver Grewe. „Wir suchen etwas Spezielles, eben außergewöhnliche Projekte und besondere Forscherpersönlichkeiten“, sagt Brumberg. Und Grewe fügt hinzu: „Wir möchten nicht unbedingt mehr Anträge, sondern solche, die besser passen.“ Soll heißen: Zu viele Anträge kommen aus dem wissenschaftlichen Mainstream. Der Drittmitteldruck treibt offenbar die Bewerber zu den Freigeistern.

„Innovative Forschung lässt sich nicht steuern“

Das Format soll, wie häufig bei der Volkswagen-Stiftung, einen Impuls für den Wissenschaftsbetrieb setzen. „Wir sehen uns als eine Stiftung, die – wo erforderlich – auch antizyklisch handelt“, sagt Dr. Henrike Hartmann, Leiterin der Förderabteilung und Mitglied der Geschäftsleitung. „Viele Förderangebote fokussieren derzeit auf große Dächer, Cluster und Verbünde. Wir tun etwas für die, die dort keinen Platz für sich finden.“

Schützenhilfe kommt von der Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Sibylle Baumbach. Sie ist Mitglied der Jungen Akademie und Co-Autorin der aktuellen Studie zur Berufungspraxis bei Juniorprofessuren in Deutschland. „Das Freigeist-Fellowship ist ein extrem gutes Förderungsformat“, sagt sie, „es ermöglicht die größtmögliche Freiheit für die Forschung, die oft vorreguliert und an Oberzielen orientiert ist.“ Gerade unter den Geisteswissenschaftlern sei das Freigeist-Programm schon sehr bekannt. „Doch innovative Forschung lässt sich nicht steuern“, sagt Baumbach.

Noch scheint das Konzept also nicht ganz aufzugehen, wie die wenigen als förderungswürdig erachteten Forschungsideen zeigen. Bei der Volkswagen-Stiftung bleibt man gelassen. „Wir sind daran gewöhnt, dass neue Förderformate nicht gleich anschlagen“, sagt Dr. Anja Fließ. Sie hat „Freigeist“ mitkonzipiert und betreut im gleichen Förderteam die Lichtenberg-Professuren der Stiftung. „Auch bei Lichtenberg hat es etwas gedauert, bis die Community verstanden hatte, was wir erreichen wollen. Wir verstehen uns als lernende Organisation und haben einen langen Atem“, sagt sie.

Kandidaten fürchten das Scheitern

In der zweiten Jahreshälfte 2016 soll stiftungsintern Zwischenbilanz gezogen werden. An den Inhalten soll sich nichts ändern, wohl aber über formale Fragen nachgedacht werden. Zu den Aspekten, die unter die Lupe genommen werden könnten, dürfte das Gutachterverfahren gehören.

Dr. Bernd Beckert vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe beobachtet ein grundlegendes Problem in der Risikoforschung: „Der Review-Prozess soll die Qualität absichern. Dadurch nimmt er das Risiko wieder heraus.“ Sein Institut plant dieses Jahr einen Experten-Workshop mit Forschungsförderern in Europa, bei dem Folgendes debattiert werden soll: Wie kann Risiko gemessen werden? Und welche Strategien gibt es, um die Wirkung zu verbessern?

Beim Freigeist-Fellowship geht es um Risikoprojekte, die etwa zur Hälfte in den Geisteswissenschaften und in den Natur- und Lebenswissenschaften angesiedelt sind – und die in den jeweiligen Communities verankert sein sollen. Diese Verankerung kann jedoch der Haken sein. Etablierte Gutachter seien eher konservativ in ihren Bewertungen, so die Beobachtung von Dr. Petra Schaper-Rinkel, Wissenschaftlerin am österreichischen Forschungszentrum AIT (Austrian Institute of Technology) in Wien.

Neue Ansätze, so die Anregung aus europäischen Projekten des AIT, könnten stärker auf Bürgerwissenschaften (Citizen Science) setzen und gesellschaftliche Akteure wie etwa Nichtregierungsorganisationen in die Begutachtungen integrieren. Doch vielleicht liegt die mangelnde Risikobereitschaft nicht nur bei den Gutachtern, sondern auch bei den Antragstellern?

„Es braucht Marketing“

Schließlich, sagt Beckert, gehen die Antragsteller ein erhebliches Risiko ein: Wenn das ungewöhnliche Projekt scheitert, kann das die akademische Karriere kosten. Die Volkswagen-Stiftung argumentiert umgekehrt, das Fellowship sei die Chance, aus dem Schatten des Doktorvaters herauszutreten, ein eigenes Profil zu entwickeln und deshalb einen erfolgreichen Weg zu gehen. Nach Ansicht von Förderreferentin Brumberg spricht das Programm speziell jene Nachwuchswissenschaftler an, die mit ihren eigenen Ideen im akademischen Betrieb zwischen den Stühlen sitzen und etwas wagen wollen, „die bekommen einen Vertrauensvorschuss von uns“.

Aber werden mit diesem Programm nicht auch Menschen an den Rand des akademischen Systems gefördert? Lichtenberg-Referentin Anja Fließ verneint das und verweist auf gute Erfahrungen der Stiftung mit ähnlich gelagerten Projekten. Das Tandemprogramm etwa, das Arbeiten von Nachwuchswissenschaftlern an der Schnittstelle von Geistes- und Naturwissenschaften förderte, wurde zehn Jahre nach der letzten Bewilligungsrunde 2005 ausgewertet. Ergebnis: Für 64 Prozent der 28 geförderten Wissenschaftler brachte Tandem den Karrieresprung, allein 13 von ihnen erhielten Professuren.

Das Wagnis, risikoreich zu forschen, kann sich für den wissenschaftlichen Nachwuchs also lohnen. Bleibt für die Volkswagen-Stiftung die Frage, wie sie die passenden Kandidaten, die ja eventuell gerade nicht so fest in die akademische Welt eingebunden sind, besser erreichen kann. Baumbach von der Jungen Akademie sieht hier einen „klaren Auftrag an die Promotionsbetreuer und Hochschullehrer“, die Nachwuchswissenschaftler stärker auf solche Stipendienmöglichkeiten aufmerksam zu machen. Das bestätigt Bernd Beckert, der immer wieder beobachtet, dass kleinere Forschungsprogramme tatsächlich bekannter werden müssen: „Da braucht es ganz klassisches Marketing“, sagt er.

Das Fellowship im Überblick

Das Fellowship im Überblick

Start vor 20 Jahren
Die Volkswagen-Stiftung versteht sich als Impulsgeberin für neue Fördermodelle in der Wissenschaft. Vor genau 20 Jahren startete sie ihr Nachwuchsgruppenprogramm. Das Programm verbreitete sich erfolgreich, sodass es 2002 formal beendet wurde. Im Anschluss entstanden die Lichtenberg-Professuren und zuletzt 2011 das Freigeist-Fellowship.

Die Freigeist-Förderung in Zahlen
Pro Jahr können bis zu 15 Postdocs ausgewählt werden. Die Förderdauer liegt bei fünf Jahren, danach ist eine Verlängerung um drei Jahre möglich. Für die erste Phase jedes bewilligten Projekts gibt es jeweils bis zu einer Million Euro, für die zweite Phase bis zu 400.000 Euro. Für die Förderrunde 2015/16 gibt die Stiftung 5,3 Millionen Euro aus.

Voraussetzungen für das Fellowship
Bewerber können fachoffen außergewöhnliche, riskante Forschungsvorhaben einbringen. Sie sollen als Person überzeugen sowie bereits wissenschaftliche Exzellenz erkennen lassen. Die Promotion darf maximal fünf Jahre zurückliegen.

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