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Initiiert von Forschungskommissar Carlos Moedas, soll der Europäische Innovationsrat die wirtschaftsgetriebene Innovationsförderung forcieren. Genau das wird in der Wissenschaft aktuell als ein Rückschritt gesehen.

Der Europäische Forschungsrat ERC (European Research Council) gilt als Vorzeige-Institution zur Förderung exzellenter Grundlagenforschung. So zumindest äußerte sich vor einigen Jahren Máire Geoghegan-Quinn, die 2010 bis 2014 EU-Forschungskommissarin war. Niemand widersprach. Ihr Nachfolger Carlos Moedas hat es nun deutlich schwerer: Mit seinem Vorstoß, einen Europäischen Innovationsrat EIC (European Innovation Council) als Pendant zum Forschungsrat zu gründen, eckt der EU-Kommissar seit Monaten in der Wissenschaft an. Das hat Gründe.

Im Juni vorigen Jahres war Carlos Moedas erstmals mit der Idee an die Öffentlichkeit getreten, Einzelheiten blieb er jedoch schuldig. Und so geisterten in der Folge jede Menge Vermutungen durchs wissenschaftspolitische Brüssel, wie ein solcher Rat aufgebaut sein könnte, was seine Aufgaben sein könnten und wie in Analogie zum Exzellenz­ansatz des ERC eine herausragende Innovationsförderung aussehen könnte.

Im Februar legte der Forschungskommissar nach. Unternehmen und Universitäten, die in gemeinsamen Teams den Durchbruch von Technologien ermöglichen, sollten gefördert werden, sagte er. Moedas brachte einen Venture Capital-Ansatz ins Spiel, bei dem die jeweiligen Teams für ihre Projektideen unmittelbar bei den Risikokapitalgebern werben sollen. „Ich habe alle EU-Förderprogramme angeschaut, wir haben nie persönlichen Kontakt zu den Teams“, stellte er fest. Jeder Risikokapitalgeber sage jedoch, die Menschen zu treffen sei wichtiger als die Idee.

Eine Anlaufstelle für Erfinder

Ganz neu ist der Gedanke von Moedas nicht. So hatte die European Association of Research and Technology Organisation (Earto), eine Dachorganisation von rund 100 industrienahen Forschungseinrichtungen und -organisationen, einmal die Gründung eines Rats vorgeschlagen, der eine Schlüsselrolle innerhalb der EU-Innovationspolitik spielen sollte. Ähnlich hatte sich die Expertengruppe Future and Emerging Technologies der EU-Kommission geäußert.

Die Argumente, die Moedas für einen Innovationsrat ins Spiel bringt, lassen sich in einem Satz auf den Punkt bringen:  „Europa hat eine hervorragende Wissenschaft, aber es gelingt immer noch zu selten, Forschungsergebnisse auf den Markt zu bringen und Jobs zu schaffen“, erklärt Moedas. „Als Wissenschaftler weiß man, an wen man sich mit einer großartigen Idee wenden kann – an den ERC. Als Erfinder weiß man das aber nicht“, führt er weiter aus. Es gehe auch darum, EU-Förderinstrumente wie die marktnahe, wirtschaftsgetriebene Pilotinitiative Fast Track to Innovation im EU-Forschungs­ und Innovationsprogramm Horizont 2020 zu bündeln. Horizont sei für Unternehmen viel zu stark mit Bürokratie verbunden, Evaluierungsmaßnahmen dauerten zu lange. Kurz, das Regelwerk sei zu starr, um für Unternehmen attraktiv zu sein, die flexibel auf den Markt reagieren müssten. „Ich denke, die Zeit ist da, etwas zu tun“, bilanziert der EU-Kommissar.

Dass Moedas die Idee jetzt umsetzen will, passt zum Auftreten der neuen EU-Kommission unter Präsident Jean-Claude Juncker. Schließlich ist mit ihr der Ausbau der Innovationsförderung in Horizont 2020 verbunden sowie der neue Europäische Fonds für Strategische Investitionen, der teilweise über Horizont finanziert wird.

„Der Legitimationsdruck ist deutlich gestiegen“

Von einer „Prioritätenverschiebung“ spricht Professor Dr. Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).  „Die EU hatte mit dem Übergang vom 6. zum 7. EU-Forschungsrahmenprogramm mit dem ERC einen Paradigmenwechsel vorgenommen – von einer bloßen Innovationsförderung hin zu einer Förderung, die sowohl die Grundlagenforschung als auch die angewandte Forschung gleichermaßen berücksichtigt“, fasst Strohschneider zusammen. Diesen Wechsel habe er sehr überzeugend gefunden. Gegenwärtig, so Strohschneider, beobachte er demgegenüber ein „Roll­back, ein Zurück zu einer enggeführten Innovationsförderung“. Das passt zu einem weltweiten Trend, den der DFG­Präsident in den entwickelten Wissenschaftssystemen ausmacht.

„Die Impact-Erwartungen an die Forschung werden höher geschraubt, sie werden auch bei vielen Forschungsförderorganisationen zu einem zunehmend wichtigen Entscheidungskriterium“, sagt er. Das gelte auch für den ERC. „Der Legitimationsdruck auf die Forschungsförderung ist beim ERC deutlich gestiegen.“ Dieser sei es vor allem, der unter einem EIC leiden könnte, fürchtet Science Europe, der Dachverband der Forschungs- und Forschungsförderorganisationen in Europa.

„Eine Erfolgsgeschichte wie den ERC als Inspiration für den EIC zu nehmen, ist okay, aber es ist wichtig, mit dieser Analogie nicht zu weit zu gehen“, warnt Science Europe-Präsident Professor Dr. Michael Matlosz. Wichtig sei, das eine nicht auf Kosten des anderen zu betreiben. „Wir sollten nicht vorschnell neue Förderinstrumente oder Institutionen entwickeln“, wiegelt auch Dr. Georg Schütte, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, ab. Und spricht davon, den EIC nicht zum „fünften Rad am Wagen“ zu machen. Wenn sich im Abstimmungsprozess aber herausstellen sollte, dass ein solches Expertengremium notwendig sei, müsse es einen Unterschied ausmachen können. „Dafür müssten wir zuvor das Bestehende kritisch durchgeschaut haben“, sagt Schütte.

Während viele beharrlich vermuten, dass dem Europäischen Institut für Innovation und Technologie, einst als Aushängeschild einer ressortübergreifenden europäischen Innovationspolitik hochgejubelt, finanzielle Kürzungen ins Haus stehen, weist Moedas genau das zurück: „Die Idee des Europäischen Innovationsrats hat nichts mit dem EIT zu tun“, sagte der Kommissar dem Nachrichtenportal EurActiv im Oktober.

Wie genau der EIC aufgebaut sein und welche Aufgaben er übernehmen soll, da ist sich Moedas offensichtlich noch unsicher. Das zeigt der Online-Aufruf an die Wissenschaft Mitte Februar, über einen „Call for Ideas“ bis zum 29. April Vorschläge zur Struktur des EIC einzureichen (duz MAGAZIN 04/2016, S. 6). „Der Call ist keine reine Alibi-Aktion“, meint Dr. Claudia Eggert, Leiterin der Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen. Da Struktur und Ausrichtung des EIC noch nicht klar definiert seien, könne es wichtig sein, dass Interessenten Rückmeldung geben. Im Juni will Moedas eine Analyse der Antworten liefern. Als Pilotmaßnahme wäre ein Expertengremium denkbar, dass der EU-Kommission bei der Verbesserung der Innovationsförderung zur Seite steht; dies könnte im Arbeitsprogramm 2018 bis 2020 von Horizont 2020 verankert werden.

Längst kursieren auch Überlegungen eines zukünftigen EU-Forschungs- und Innovationsprogramms mit ERC und EIC als Zwei-Säulen-Modell, ergänzt durch Fördermaßnahmen in den Bereichen Mobilität, Infrastruktur und gemeinsamer Programmplanung. Das bedeute nichts Gutes für die Verbundforschung wie die Förderlinie Gesellschaftliche Herausforderungen, ist sich Claudia Labisch, Leiterin des Europa-Büros der Leibniz-Gemeinschaft, sicher. „Damit stehen die Societal Challenges, in denen sich viele Forscher schon heute nicht mehr richtig wiederfinden, zukünftig gänzlich im Zeichen von Innovationsförderung“, sagt sie. Die EU-Forschungsförderung drohe immer mehr, Junckers Wachstumspolitik zum Opfer zu fallen.

Etappen zum Innovationsrat

Etappen zum Innovationsrat

  • Erste Vorschläge Die FET Advisory Group und Earto haben im vorigen Jahr Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie ein Europäischer Innovationsrat EIC aussehen könnte.
  • Call for Ideas Bis zum 29. April läuft der Online-Aufruf des EU-Forschungskommissars Carlos Moedas, Ideen für die Struktur des EIC einzureichen.
    Internet: http://ec.europa.eu/research/eic/index.cfm
  • Analyse Moedas hat angekündigt, eine Analyse der Antworten aus dem Online-Aufruf im Juni zu veröffentlichen. Danach könnte der EIC als Pilotprojekt in das EU-Forschungsförderprogramm Horizont 2020 aufgenommen werden.
    Internet: http://ec.europa.eu/research/eic/index.cfm
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