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Die Grauen da vorne

Offen soll die Hochschule sein, für Jung und Alt. Um den Wissensdurst der letzteren zu löschen, gibt es seit Jahrzehnten schon Seniorenprogramme. Nichts Neues, eigentlich. Nur: Das Miteinander der Generationen ist immer wieder Anlass zur Diskussion.

Norbert Petersen ist 66 Jahre alt. Für den studierten Ingenieur, der beruflich viele Jahre im Ausland verbracht hat, fing vor sechs Jahren an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ein neues Leben an. Da sagte er dem regulären Arbeitsleben ade und kehrte noch einmal zurück an die Universität. „Mein ganzes Berufsleben lang ging es nur um Technik. Doch seit ich Seniorenstudent bin, habe ich endlich die Muße, Bücher über Philosophie, Neurobiologie oder Meeresbiologie zu lesen, Lehrveranstaltungen dazu zu besuchen, Referate zu halten – und mit anderen darüber zu diskutieren. Das ist großartig“, erklärt er den Schritt.
Den demografischen Wandel im Blick

Das klingt nach Erfüllung. Jedoch kursieren Vorurteile über die Grauen da vorne im Hörsaal: Sie seien geschwätzig und nehmen den Jungen die Plätze weg. Doch stimmt das überhaupt? Studien zeigen, dass das Miteinander von Jung und Alt im Großen und Ganzen gut funktioniert. Von uneingeschränkter Harmonie ist aber nicht die Rede (siehe duz MAGAZIN 11/2014, S. 16/17).

Das einfach wegzulächeln, wäre der falsche Weg. Denn die Zahl der Seniorenstudierenden steigt. Laut Statistischem Bundesamt lag der Anteil der über 60-Jährigen unter den Gasthörern Anfang der 1990er-Jahre bei rund 20 Prozent. Im vergangenen Jahr ist er auf 50 Prozent gestiegen. Allerdings ist die Zahl mit etwas Vorsicht zu genießen: Denn die Gasthörer insgesamt machen gerade einmal ein Prozent der Studierenden in Deutschland aus.

Ist also die Debatte um Seniorenstudierende in Konkurrenz zu den jungen Studentinnen und Studenten völlig überzogen? Ein Thema ist es allemal, berücksichtigt man den demografischen Wandel. Die Menschen werden immer älter, sind geistig fit und wissbegierig. „Ich habe das Bedürfnis, auf hohem wissenschaftlichem Niveau etwas Neues zu lernen. Und dieser Drang endet ja bei mir und meinen Altersgenossen nicht, nur weil wir das Rentenalter erreicht haben“, sagt Dr. Elisabeth Weiss.

Sie lehrte und forschte vor ihrer Pensionierung als Professorin für Molekulare Humangenetik an der LMU. Jetzt sitzt sie wieder als Studentin im Hörsaal, belegt Vorlesungen in Musikwissenschaft. Weiss ist auch Direktorin des Zentrums Seniorenstudium der LMU und somit als Studentin zugleich ihre eigene Kundin. Am Zentrum können sich Ältere als Gasthörer immatrikulieren, um Veranstaltungen aus einem speziell auf Seniorenstudierende zugeschnittenen Angebot aller Fakultäten sowie aus einer kleinen Auswahl an regulären Lehrveranstaltungen des allgemeinen Vorlesungsverzeichnisses zu besuchen.

Diese Möglichkeit bieten mittlerweile viele Hochschulen in Deutschland an – ganz im Sinne der im Rahmen des Bologna-Prozesses von der European University Association (EUA) formulierten Charta für Lebenlanges Lernen. Die Frage, ob die Hochschulen wirklich dazu verpflichtet seien, sich ebenso um die steigende Zahl weiterbildungswilliger Senioren wie um die jungen (Erst-)Studierenden zu kümmern, spaltet indes die Gemüter hierzulande. Auf welche Weise Ältere unter dem Ausdruck Generationengerechtigkeit am Hochschulalltag teilhaben dürfen, hängt davon ab, welche Prioritäten die jeweilige Hochschulleitung setzt.

Immerhin mehr als 50 von insgesamt 396 Hochschulen in Deutschland sind Mitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaftliche Weiterbildung für Ältere (BAG WiWa). Deren Ziel ist es, an den Hochschulen verbindliche Strukturen für Seniorenstudierende zu etablieren. Sie beruft sich dabei in ihrer „Oldenburger Erklärung“ auf den demografischen Wandel, auf länger werdende Zeiten der Berufstätigkeit und auf eine immer größere Notwendigkeit, sich bis ins hohe Alter auf hohem Niveau fortzubilden. Die Hochschulen seien auch Orte der Weiterbildung, die nicht nur der Erstausbildung von jungen Studierenden vorbehalten seien, sagt Silvia Dabo-Cruz, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft.

Prof. Dr. Jörg Tremmel, Politikwissenschaftler an der Universität Tübingen mit Forschungsschwerpunkt Generationengerechtigkeit, vertritt eine andere Meinung: „Die Hochschulen müssen sich auf die Ausbildung der jungen Erststudierenden konzentrieren. Sie vor allem müssen gute Studienbedingungen vorfinden.“ Und: Wer im Alter noch studieren wolle – sei es regulär oder als Gaststudent –, solle dafür auch eine der Leistung angemessene Gebühr zahlen. Tremmel rechnet in seiner Studie mit dem Titel „Generationengerechte und nachhaltige Bildungspolitik“ vor: Seniorenstudierende, die in den meisten Fällen bereits Rentner sind und keiner steuerpflichtigen Tätigkeit mehr nachgehen, geben dem Staat deutlich weniger von dem über die Hochschulen in sie investierten Geld zurück als junge Studierende.

Die Sorge der BAG WiWa und vieler Seniorenstudierenden, einzelne Hochschulen könnten ihr Engagement für das Studium im Alter schnell wieder fallen lassen, teilt Tremmel nicht: „Es handelt sich ja um ein kostenpflichtiges Angebot, das zwar oft keine hohen, aber doch regelmäßige Einnahmen bringt. Deshalb wird keine Hochschule das so einfach wieder abschaffen.“
Die Gebühren für den Gasthörerstatus von Älteren schwanken zwischen 50 und 300 Euro pro Semester, oft gestaffelt nach der Anzahl der belegten Veranstaltungen. An der LMU liegen sie am oberen Rand und Seniorstudent Norbert Petersen findet das in Ordnung: „Ich bezahle ja auch für mein Tageszeitungsabonnement und für Theaterbesuche – beides erweitert ebenfalls meinen Horizont.“

Einige Unis sprangen früh auf

Tatsächlich bieten einige deutsche Hochschulen schon seit den 1980er-/90er-Jahren viele unterschiedliche Angebote für die wachsende Zahl von Senioren-Gasthörern: die Münchner LMU, die Frankfurter Goethe-Universität mit ihrer Universität des 3. Lebensalters (U3L), die Technische Universität Berlin oder die Unis Oldenburg, Münster und Trier. Sie haben früh spezielle Anlaufstellen für studier- und weiterbildungswillige Senioren etabliert.

Sie bieten weitgehend separate Veranstaltungen an. Einige lassen Gasthörer mittlerweile auch an ausgewählten Veranstaltungen des allgemeinen Studienangebots teilhaben. Die Senioren können sich entscheiden, ob sie regulär studieren und gemeinsam mit den Jungen Seminare besuchen und Prüfungen ablegen, ob sie nur Gasthörer sein oder sich im strukturierten Rahmen eines Seniorenstudiums weiterbilden wollen. Für Letzteres werden von den Hochschulen meist externe Lehraufträge vergeben, häufig kommen auch pensionierte Professoren oder – beispielsweise in Münster – Nachwuchswissenschaftler dafür zum Einsatz.

An einigen Hochschulen können Ältere zudem Zertifikatsstudiengänge belegen, die auf eine ehrenamtliche Tätigkeit vorbereitet – etwa im Studium BANA (Berliner Modell: Ausbildung für nachberufliche Aktivitäten) an der TU Berlin und an den Unis in Münster und Dortmund. Auch der Status des Seniorenstudiums unterscheidet sich: In München ist es eine fakultätsübergreifende Einrichtung, die U3L in Frankfurt ist ein unabhängiger Verein. Dort sind die Seniorenstudierenden regelmäßig Probanden für Forschungsprojekte zum Altern und zum Lernen im Alter. Sie sind jedoch auch selbst aktiv an Projekten im Sinne des forschenden Lernens beteiligt.

Keine völlige Harmonie

Doch wie ist es um den Austausch zwischen Jung und Alt bestellt? Von einem harmonischen generationenübergreifenden Miteinander, das viele als Argument für eine nachhaltige Stärkung des Seniorenstudiums ins Feld führen, kann nicht wirklich die Rede sein, fand Jörg Tremmel heraus. Mit Kollegen hat er eine Studie zum Seniorenstudium durchgeführt, in welcher er auch das Verhältnis zwischen alten und jungen Studierenden an der Uni Tübingen beschreibt. Demnach wissen die Jungen im Einzelfall zwar durchaus die Erfahrungen und das Wissen der Alten zu schätzen. Sie fühlen sich jedoch selbst so sehr unter Lernstress, dass sie es oft als störend bis nervtötend empfinden, wenn etwa in Geschichte oder Kunstgeschichte – die beliebtesten Fächer bei den Senioren – in den ohnehin überfüllten Vorlesungen über die Hälfte der Plätze von den Alten belegt werden. Die werden, vor allem als reguläre Studierende in Seminaren, zudem zuweilen als besserwisserisch empfunden.

Dass die Begegnung zwischen Alt und Jung nicht so funktioniert wie erhofft, musste auch Ansgar Berger, Organisator im Servicebüro des Seniorenstudiums der Universität Trier feststellen. Mit den unter Leistungsdruck stehenden Bachelorstudierenden und den entspannten Senioren prallen zwei zu unterschiedliche Erwartungen an das Studium aufeinander. Der von Berger betreute Campus der Generationen, der gemeinsame Lehrveranstaltungen anbietet, verzeichnete im ersten Semester noch einige, im zweiten Semester dagegen so gut wie keine jungen Studierenden mehr unter den Teilnehmern. Der Grund: „Es gibt keine anrechenbaren Leistungspunkte für die Teilnahme an unseren Veranstaltungen. Die jungen Studierenden kommen aber nur, wenn sie auch Credit Points erwerben können“, sagt Berger.

Jörg Tremmels Studie ist übrigens nicht die erste dieser Art. Auch die Universität Münster (siehe duz MAGAZIN 11/2014, S. 16/17) und die Universität Oldenburg haben das Verhältnis zwischen Alt und Jung unter die Lupe genommen, kommen allerdings zu positiveren Ergebnissen als Tremmel. Dr. Veronika Jüttemann, die an der Uni Münster das Seniorenstudium koordiniert, stört sich vor allem an Medienberichten der vergangenen Jahre, die suggerieren, dass die Senioren sich in Vorlesungen und Seminaren breit machen und lediglich konsumieren, ohne etwas zurückzugeben: „Viele engagieren sich ehrenamtlich an ihrer Hochschule. Bei uns in Münster gibt es zum Beispiel das Projekt ‚Erfahrung teilen‘. Das sind etwa 50 Senioren, die ausländische Studierende begleiten und bei der Bewältigung des deutschen Studienalltags unterstützen. Ohne das Engagement der Älteren wäre das so nicht möglich.“

Linktipps

Linktipps

7 goldene Regeln für ältere Gasthörer an der Universität Oldenburg:
Download: www.extern.uni-oldenburg.de/u.ruge/pdf/sieben_goldene_regeln.pdf

Portal des Akademischen Vereins von Senioren in Deutschland:
Internet: http://senioren-studium.de

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