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Brasilianischer Schatten

Bei der Weltmeisterschaft in Brasilien fiebern auch die Professoren des Landes mit. Doch diesmal wünschen sie ihrem Team keinen Sieg. Ein deutscher Forscher berichtet aus Rio de Janeiro, warum die Euphorie gebremst ist.

Die Begeisterung der Brasilianer für Fußball ist weltbekannt. Jetzt, während der Weltmeisterschaft, steht das Land kopf – fast überall wird nur noch gefeiert. Die Begeisterung existiert das ganze Jahr über, und die Erfolge und Niederlagen der lokalen Teams sind jeweils am Tag danach Gesprächsstoff in allen Bevölkerungsschichten und an allen Orten: in Kneipen, Imbissstuben und Straßencafés, in Bussen und Bahnen, in Geschäften, auf den Chefetagen großer Firmen und auch an der Universität. Fast jeder hat seine Meinung zu den Spielzügen des Vortages und dem Abschneiden des jeweiligen Vereins und seiner Spieler.

Gedämpfte Stimmung

In den 25 Jahren, die ich in Rio de Janeiro lebe, habe ich von hier aus insgesamt sechs Fußball-Weltmeisterschaften erlebt. Doch etwas ist diesmal anders. Trotz aller Begeisterung liegt ein Schatten auf dem Fußball-Land. Schon im Vorfeld der WM war die sonst typische brasilianische Euphorie gedämpft, so auch unter meinen Universitäts-Kollegen und unseren Studenten.
Zwar war die Begeisterung riesig, als bekannt wurde, dass Brasilien Gastgeberland der diesjährigen WM und Rio de Janeiro Austragungsort der Olympischen Spiele 2016 wird. Denn die Hoffnung war groß, dass Investitionen für diese Mega-Veranstaltungen auch langfristig zu Verbesserungen der Gastgeberstädte beitragen würden.

Doch fast zeitgleich waren sich die Menschen darüber im Klaren, dass ein großer Teil der Gelder, wie schon vorher, in dunklen Kanälen verschwinden würde. Denn unabhängig von der jeweiligen Regierung leidet Brasilien seit Jahrzehnten unter Korruptionsskandalen – und die betreffenden Summen sind jedesmal beträchtlich. Aber da die Hoffnung als letztes stirbt, glaubten die meisten Brasilianer, dass es ja vielleicht diesmal besser werden könnte. Besonders weil Brasilien im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit stehen würde und man sich ja schließlich nicht blamieren wolle.

Die Wirklichkeit sieht anders aus

Doch es ist wieder anders gekommen: Zum einen sind die Immobilienpreise sowie die Lebenshaltungskosten in Rio im Vorfeld der WM enorm gestiegen. Zum anderen ist den Brasilianern spätestens vor einem Jahr klar geworden, dass die Bauprojekte sehr viel teurer würden als ursprünglich geplant. Unsummen von Geldern wurden in die Modernisierung und den Neubau von Fußball-Stadien gesteckt – geschätzte 2,7 Milliarden Euro. Dem gegenüber stehen das marode Gesundheitswesen, das schlechte öffentliche Schulsystem sowie das ineffiziente öffentliche Transportwesen – alles Bereiche, die immer schon von der Regierung als Stiefkinder behandelt wurden. Die Bevölkerung macht ihrem Unmut Luft durch Proteste und Demonstrationen, die von Rio auf São Paulo und andere Städte übergegriffen haben.

Und wie wirkt sich das alles auf die Wissenschaft aus? Zwar hat sich in den vergangenen 20 Jahren die finanzielle Förderung wissenschaftlicher Projekte durch die Regierung sehr verbessert. Die Gesamtinvestitionen sind jedoch deutlich geringer als in anderen industrialisierten Ländern.  Darüber hinaus fehlt es seit Jahrzehnten an Geldern für die Instandhaltung und bauliche Verbesserung der öffentlichen Bundesuniversitäten.

Die Situation hat sich verschärft, seit in den Städten, in denen die WM-Spiele ausgetragen werden, kräftig gebaut wird – allerdings nur für König Fußball. Seit Rio de Janeiro auch noch für Olympia umgebaut wird, herrscht Chaos.
Das ist auch in den Hochschulen zu spüren. Die Bundesuniversität von Rio de Janeiro befindet sich in der Nähe des internationalen Flughafens – und hat sehr unter den dortigen Bauarbeiten gelitten. Notorische Ausfälle in der Wasser- und Stromversorgung beeinträchtigten die wissenschaftlichen Arbeiten monatelang. Kurz vor knapp vor Anpfiff wurde vermutlich nochmal eine große Summe aus dem Notfond der Regierung bereitgestellt, um alle notwendigen Baumaßnahmen für die Weltmeisterschaft irgendwie hinzukriegen.

Geldmangel in der Wissenschaft

Das Geld fehlt natürlich an anderer Stelle. Viele Professoren befürchten jetzt, dass die exorbitanten Kosten der Weltmeisterschaft ab der zweiten Hälfte dieses Jahres zu Kürzungen der Geldmittel für wissenschaftliche Projekte führen werden. Das beträfe nicht nur neue Projekte, sondern auch die Fortführung bereits begonnener Forschungen. Damit die Regierung nicht durchkommt mit ihrer Taktik, hoffen viele Hochschulmitarbeiter trotz Fußballbegeisterung, dass die brasilianische Nationalmannschaft nicht ins Endspiel gelangt. Da Fußball Opium für das Volk darstellt und in diesem Jahr die Präsidentschaftswahlen anstehen, herrscht die Befürchtung, dass ein brasilianischer Sieg den Unmut dämpfen und von den sozialen Problemen ablenken wird.

Ich glaube, dass das Bild, welches Brasilien zurzeit im Ausland genießt, nicht das ist, was die Menschen hier von sich selbst haben. Und ehrlich gesagt, habe ich selbst Vorbehalte, Forscher-Kollegen, zum Beispiel aus Deutschland, nach Rio einzuladen. Ich hatte 2011/2012 die Möglichkeit, für ein Jahr an einem Institut in Norddeutschland arbeiten zu dürfen – und würde die Kollegen auch gerne nach Rio einladen.

Zwar gibt es das Regierungsprogramm „Wissenschaft ohne Grenzen“, durch das unter anderem international anerkannte Wissenschaftler bis zu zwei Jahre an brasilianischen Unis arbeiten können. Und obwohl deren Bezahlung höher als ein reguläres Professorengehalt ist, würde jedoch in Rio dieses Geld nur knapp reichen. Zudem ist mein Labor viel schlechter ausgerüstet. Daran wird sich wohl in naher Zukunft auch nichts ändern, weil die Investitionen in die brasilianische Wissenschaft schon immer geringer waren als die in Europa – und das wird sich durch die Fußball-Weltmeisterschaft erst recht nicht ändern.

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