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Don Quijote de la Bologna

Jahre waren sie unterwegs, um für die Studienreform zur werben. Nun stellen die Bologna-Experten die Arbeit ein. Nicht ganz freiwillig. Ist von Bologna die Rede, gehen die Emotionen hoch.

In Deutschland wird Gerhard Schröder neuer Bundeskanzler, die Terrororganisation Rote Armee Fraktion löst sich auf und die Rechtschreibreform tritt in Kraft. Das war 1998. Im gleichen Jahr unterschrieben einige EU-Bildungsminister die Sorbonne-Erklärung und setzten damit die Initialzündung für den Bologna-Prozess. Die wesentlichen Ziele: Mobilere Studierende, international wettbewerbsfähigere Hochschulen und Absolventen, die bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Für Deutschlands Hochschulen brachte das gravierende Änderungen. Bachelor- und Master-Abschlüsse hielten ebenso Einzug wie das European Credit Transfer System (ECTS) zur Bewertung der Studierendenleistung.

Schon damals hagelte es reichlich Kritik daran. Und auch heute, 15 Jahre später, lässt sich feststellen: Ist von Bologna die Rede, gehen die Emotionen hoch. Die Abwehrhaltung lag und liegt manchmal auch an Unkenntnis. Genau an der Stelle sollten die Bologna-Experten ansetzen. Seit 2004 versucht die beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) angesiedelte Gruppe den Hochschulen und Fakultäten bei der Einführung der gestuften Studiengänge zu helfen. Die Berater sind Ansprechpartner bei Fragen zur Studiengangsgestaltung über die Modularisierung bis zu hin zur Nutzung von ECTS-Instrumenten. Zum Team, das der DAAD im Projekt Promoting Bologna in Germany koordiniert, zählen überwiegend Hochschulvertreter, dazu kommt je ein Vertreter aus der Studierendenschaft, von der Arbeitgebervereinigung BDA und von der Gewerkschaft GEW. Anfang Dezember nun werden sie bei und mit einem Abschlusstreffen in Berlin verabschiedet. Der Grund: Die Finanzierung läuft aus.

Dabei ist die Mission der Bologna-Experten noch längst nicht erledigt. Bis heute hadern nicht nur viele Studierende und Professoren mit der Studien-Reform, auch die Führungsebene der Hochschulen hat ihren Frieden mit Bologna noch nicht so ganz geschlossen. Auf der Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz, die am 20. November nach duz-Redaktionsschluss in Karlsruhe stattfand, waren die 266 Mitgliedshochschulen aufgerufen, Handlungsempfehlungen im Umgang mit dem Bologna-Prozess zu beschließen. Ein Jahr lang bereitete der für Studium und Lehre zuständige HRK-Vizepräsident Prof. Dr. Holger Burckhart den Beschluss in einer Arbeitsgruppe vor und meint: „Das Papier versucht auch innerhalb der HRK im Bereich Studium und Lehre einen Konsens zu finden.“ Offensichtlich gilt das Dokument damit auch als Versöhnungspapier.

Überzeugendes Papier

Entzündet hatte sich der Konflikt unter den Rektoren zwischen Universitäten und Fachhochschulen (FH) im Sommer vorigen Jahres. Kaum im Amt, knöpfte sich HRK-Präsident Prof. Dr. Horst Hippler den Bologna-Prozess vor und polterte gegenüber den Medien los: „Eine Universität muss mehr leisten als Ausbildung, nämlich Bildung. Das tut sie mit dem Bachelor nicht.“ Und: „Wenn es sich dahin entwickeln sollte, dass wir die Hochschulen in reine Berufsausbildungsstätten verwandeln, dann machen wir alles falsch.“ Hipplers Äußerungen sorgten vor allem für Zwist zwischen Universitäten und den anwendungsnahen FHs, die sich durch die Pauschalschelte des früheren Präsidenten des Karlsruher Instituts für Technologie ins falsche Licht gerückt fühlten.

Umso diplomatischer bereitete der Siegener Uni-Rektor Burckhart deshalb die Handlungsempfehlungen vor: Neben elf Rektoren und Präsidenten aus Universitäten und Fachhochschulen berief er Prof. Dr. Reinhold Grimm, Vorsitzender des Akkreditierungsrates, und fünf Studierende in die AG. Er richtete einen Blog ein, um sich ein möglichst breites Meinungsbild zu machen, und er holte Stellungnahmen beispielsweise bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dem Deutschen Studentenwerk und beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) ein. „Das war eine sehr umfängliche Partizipation“, betont Burkhart. Der Aufwand scheint sich gelohnt zu haben. Der HRK-Senat nickte im Oktober die Empfehlungen jedenfalls ohne Gegenstimme ab und auch der für die Fachhochschulen zuständige HRK-Vizepräsident Prof. Dr. Micha Teuscher sagt: „Das Papier ist überzeugend.“

„Dass für ein Master-Studium exakt 300 ECTS nachgewiesen werden müssen, schränkt uns ein.“

Die Kernbotschaft der Handlungsempfehlungen birgt keine allzu großen Überraschungen: Grundsätzlich sei der Bologna-Prozess richtig, er müsse aber in Einzelaspekten optimiert werden. So müssten Auslandssemester künftig leichter planbar sein und gesichert werden, so dass Studierende ihre im Ausland erworbenen Leistungen auch tatsächlich anerkannt bekommen. „Da müssen sich die EU-Mitgliedsstaaten etwas einfallen lassen“, sagt Burckhart. Auf nationaler Ebene müsse die Kultusministerkonferenz die länderspezifischen Strukturvorgaben zurückfahren. „Hochschulen können so Studiengänge flexibler gestalten, um Studierenden individuelle Bildungsbiographien und lebenslanges Lernen zu ermöglichen“, erklärt Burckhart. Ähnlich sieht das FH-Sprecher Teuscher: „Dass für ein Master-Studium exakt 300 ECTS-Punkte nachgewiesen werden müssen, schränkt uns ein. Die Hochschulen brauchen die Möglichkeit, davon abzuweichen.“ Hinzu kommen die fehlenden Studienplatzkapazitäten beim Übergang vom Bachelor zum Master. „Viele Bachelor-Absolventen wollen einen Master-Platz, da spüren die FHs einen starken Druck.“

Der schwierige Übergang vom Bachelor zum Master-Studiengang, der derzeit viele Studierende verzweifeln lässt, ist aber nicht das einzige Problem, das Hochschulen und Politik in Zukunft weiterhin beschäftigen wird. Für die Hochschulen ist es alles andere als einfach, die Inhalte der Studiengänge zwischen wissenschaftlichem Anspruch und jenen Anforderungen auszubalancieren, die die Wirtschaft an die Hochschulabgänger hat. Wie das am besten gelingen kann, ist ein hochschulpolitischer Dauerbrenner.

Aufruf von Bologna-Experten

Diese Debatte schwelt und ist noch längst nicht ausgefochten. Das neueste Ausrufezeichen setzen zehn der insgesamt 17 Bologna-Experten des DAAD. In dem Aufruf, den das duz-MAGAZIN exklusiv in dieser Ausgabe dokumentiert, warnt das Gros der Experten davor, dass der „Bologna-Prozess nicht als Festlegung auf eine wirtschaftspolitische oder eine bildungspolitische Position verstanden werden“ dürfe. Die zentrale Rolle der Hochschulen in der gesellschaftlichen Entwicklung und ihre ureigene Aufgabe, in der individuellen Biographie als Ort zur Bildung der wissenschaftlichen Persönlichkeit zu dienen, werde „allzu sehr auf die unmittelbare Verwertbarkeit von Qualifikationen am Arbeitsmarkt reduziert“, heißt es darin. Und: In der Breite der deutschen Diskussion seien die Bildungsziele der Hochschulen vielfach mit dem Qualifikationsbedarf der Wirtschaft als mehr oder weniger identisch gehandelt worden. Mahnende Worte, die im Expertenkreis umstritten sind: Sieben Bologna-Experten können den Aufruf jedenfalls nicht mittragen.

Der Aufruf steht am Ende einer rund zehnjährigen Erfahrung im Umgang mit den Chancen und Tücken von Bologna.  Zum Jahresende läuft die Finanzierung für das Experten-Projekt beim DAAD aus. Das Vorhaben war jeweils zur Hälfte von der  EU und dem Bundesbildungsministerium (BMBF) getragen worden. Rund 200 000 Euro gab das BMBF eigenen Angaben zufolge für das Projekt in den vergangenen zwei Jahren. „Weil der neue mehrjährige Finanzrahmen der EU noch nicht formal verabschiedet wurde, können die Bologna-Experten vorerst nicht mehr gefördert werden“, sagt Marina Steinmann, die das Projekt beim DAAD koordiniert. Nun ist Warten angesagt, möglicherweise bis in den Dezember hinein. Erst dann könnte der EU-Ministerrat seines finales Okay für das Bildungsprogramm Erasmus+ gegeben haben, aus dem dann das Bologna-Projekt künftig mitfinanziert werden soll. Solange zögert auch noch das BMBF.

„Wir benötigen die Kompetenz der Bologna-Berater auch in den nächsten Jahren.“

Unklar ist zudem, ob das Beratungsprojekt in seiner derzeitigen Form überhaupt weitergeführt wird. Die EU-Kommission machte in einem Evaluationsbericht kein Hehl daraus, das Format des Bologna-Projekts umbauen zu wollen. „Die Initiative sollte mit einem Fokus auf die europäische Dimension und in Bereichen fortgesetzt werden, die in der Zukunft von Relevanz sind“, heißt es in dem Bericht. Die Kommission zählt dazu die strategische Beratung von Hochschulen, die Organisation von Infoveranstaltungen und der Austausch von Fachgruppen. Ein Manko sei bislang etwa gewesen, dass die Initiative nur wenig Einfluss auf die politische Ebene genommen habe. Auch in Deutschland müsse sich an dem Projekt, dessen Berater-Team laut DAAD wegen der Teilnahme von Studierenden, Gewerkschaft und Arbeitgeberseite europaweit fast einzigartig ist, etwas ändern.
Der Ansicht jedenfalls ist Dr. Irene Seling, die für die BDA seit 2007 als Bologna-Beraterin unterwegs ist. „Das Gremium ist gut, aber die Wirkungskraft war in den vergangenen Jahren sehr beschränkt“, sagt die stellvertretende BDA-Abteilungsleiterin im Bereich Bildung und berufliche Bildung. Deshalb sollten prominentere Vertreter als Experten auftreten, die mehr Wirkung erzeugen könnten. Seling: „Wir brauchen aus den Hochschulen Präsidenten und Vizepräsidenten sowie Unternehmensvertreter, die sich schon in der Vergangenheit sehr pointiert und positiv zum Bologna-Prozess geäußert haben“, sagt sie.

Zurückhaltend äußert sich das BMBF. Man beabsichtige eine Co-Finanzierung der Bologna-Experten oder sinnvoller Nachfolgekonzepte fortzuführen, erklärt BMBF-Pressereferent Markus Fels. Er verweist auf das ebenfalls vom BMBF geförderte HRK-Projekt Nexus, das Hochschulen bei der Weiterentwicklung der Studienprogramme und beim Ausbau der Studienqualität unterstützt.

Das mögliche Szenario, wonach das BMBF künftig nur noch Nexus und nicht das DAAD-Projekt unterstützt, sieht Referatsleiterin Steinmann nicht: „Nexus ist kein Konkurrent, sondern wir versuchen uns die Aufgaben aufzuteilen: Nexus übernimmt die nationale Umsetzung, wir sind für die internationalen Aspekte zuständig.“ Insgesamt sei es eine gute Arbeitsteilung, auch wenn es gelegentlich Überschneidungen gebe. In den Reihen der HRK ist man über ein mögliches Ende des DAAD-Bologna-Projekts ebenfalls nicht begeistert: „Wir benötigen die Kompetenz der Bologna-Berater auch in den nächsten Jahren“, sagt HRK-Vizepräsident Holger Burckhart.

Prof. Dr. Beatrice Dernbach

Ihr stärkster Antrieb?

In den ersten Jahren der Bologna-Reform war mein Eindruck, dass die meisten Hochschullehrer von diesem Prozess überhaupt nicht erreicht worden sind und immer noch zu viele nicht wissen, um was es geht. Wie die ehemalige HRK-Präsidentin, Margret Wintermantel, einmal in einem Interview festgestellt hat, ist die Bologna-Reform gleichzeitig eine der größten und am schlechtesten kommunizierten. Ich zum Beispiel habe anfangs auch kaum etwas davon mitbekommen. Die Motivation, Bologna-Expertin zu werden, lag darin, dass ich einerseits so viel wie möglich über diesen Prozess lernen und andererseits Mittel und Wege finden wollte, meine Erfahrungen weiterzugeben. Während meiner Tätigkeit als Bologna-Expertin hat mich immer wieder vorangetrieben, die vielen engagierten Kollegen zu unterstützen, die ganz hervorragende Ideen hatten und denen oft nur das passende Konzept fehlte, diese umzusetzen – möglicherweise auch gegen Widerstand im eigenen Haus.

Prof. Dr. Beatrice Dernbach, Hochschule Bremen und Mitglied der Bologna-Experten seit 2007.

Prof. Dr. Ulrich Bartosch

Ihr größter Irrtum?

Wissenschaftliches Arbeiten und Irrtum gehören untrennbar zusammen. Insofern bin ich begleitet von Irrtümern. In Bezug auf meine Arbeit als Bologna-Experte und meine hochschulpolitischen Einschätzungen sage ich heute: Ich habe tatsächlich gedacht, dass die scientific community die Herausforderungen der Bologna-Reform als eigene, wichtige hochschul-, bildungs- und forschungspolitische Aufgabe annimmt, um innerhalb der (europäischen) Gesellschaft mitzugestalten. Ich meine damit nicht die Hochschulverwaltungen und einige wackere Dozentinnen und Dozenten, die sich den Arbeiten gestellt haben. Ich denke an die führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrer Fächer, die sich in den Diskurs einmischen und für ihre Hochschulen das Beste erreichen wollen sollten. Sie blieben die Ausnahme. So erschien offensichtlich vielen Akteuren innerhalb der Hochschule die Bologna-Reform viel zu lange als ein Unwetter, das über sie hinwegziehen wird. Darauf die eigene Arbeit auszurichten, war müßig. Wer richtet sich schon dauerhaft auf Unwetter ein?

Prof. Dr. Ulrich Bartosch, Katholische Universität Eichstätt, Bologna-Experte seit 2007.

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