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Hochdruckeinfluss im Bologna-Tief

Die Studien-Reform gilt seit Jahren als Stimmungstöter Nummer eins in den Hochschulen. Neueste Erhebungen legen nun nahe: Die mit dem Umbau verfolgten Ziele bewerten Wissenschaftler durchaus positiv. Mitte Juni präsentieren Hochschulforscher erste Ergebnisse in Berlin. Ein Vorgeschmack.

Urteile über den Bologna-Prozess sind in der Vergangenheit oft drastisch ausgefallen. 2007 sprach sich in einer europaweiten Studie des Meinungsforschungsinstituts Gallup  über die Hälfte der in Deutschland befragten Hochschullehrer gegen die gestuften Studiengänge Bachelor und Master aus – mehr als in allen anderen europäischen Ländern. Zwei Jahre später erschien das sogenannte Bologna-Schwarzbuch. Herausgegeben vom deutschen Hochschulverband versammelt es viele Vorurteile gegen die Studien-Reform. Im gleichen Jahr veröffentlichte die Hannoveraner Hochschul-Informations-System GmbH eine Umfrage zum Thema. Danach bewerteten nur 20 Prozent der Befragten den Bologna-Prozess ganz allgemein positiv.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Hochschulrektorenkonferenz hat das Internationale Zentrum für Hochschulforschung Kassel (Incher) im vergangenen Wintersemester deutschlandweit erhoben, inwieweit Lehrende an Hochschulen zentrale Ziele der Reform unterstützen und wie sie die Umsetzung der Reformmaßnahmen bewerten. Antworten von rund 8200 Dozenten, darunter 2800 Professoren und 5400 wissenschaftliche Mitarbeiter, aus insgesamt mehr als 80 Hochschulen stehen für die Analyse bereit. Erscheinen wird die Studie „Wandel von Lehre und Studium an deutschen Hochschulen – Erfahrungen und Sichtweisen der Lehrenden“ (Lessi) voraussichtlich im kommenden Herbst.

Bei der Untersuchung wurde systematisch zwischen den Zielen und Maßnahmen der Bologna-Reform einerseits sowie den beabsichtigten und nichtintendierten Folgen für Lehre und Studium andererseits unterschieden. Bei insgesamt 43 unterschiedlichen Reformzielen konnten die Befragten auf einer Antwortskala mit fünf Ausprägungen differenziert benennen, für wie sinnvoll sie die Ziele halten und in welchem Maße sie diesen in ihren jeweiligen Fächern bereits näher gekommen sind. Zusätzlich wurde erhoben, wie zufrieden beziehungsweise unzufrieden die Lehrenden mit den Veränderungen in Lehre und Studium, der Studienstrukturreform und den Arbeitsbedingungen insgesamt sind. Schließlich wurden die Arbeitssituation und die berufliche Entwicklung thematisiert, um den Hintergrund der Befragten einschätzen zu können.

Vorbehalte gibt es, aber auch Reformbereitschaft

Die Auswertung der erhobenen Daten ist zwar noch nicht abgeschlossen, erste Ergebnisse lassen sich jedoch schon jetzt grob skizzieren. So kommen auch in der aktuellen Befragung die altbekannten Vorbehalte gegen die Einführung der Bachelor-Master-Struktur zum Ausdruck. Die Antworten auf die Frage „Wie zufrieden sind Sie bisher insgesamt mit der Einführung der Bachelor-Master-Struktur?“ zeigen, dass mehr als 60 Prozent der Hochschullehrer und wissenschaftlichen Mitarbeiter an Universitäten mit der Studienstrukturreform unzufrieden sind (als „unzufrieden“ werden hier die Werte 4 und 5 einer fünfstufigen Antwortskala von 1 = „sehr zufrieden“ bis 5 = „sehr unzufrieden“ gewertet).

Professoren an Fachhochschulen sind demgegenüber deutlich zufriedener mit der Reform. Bemerkenswert ist, dass kaum Unterschiede in der Zufriedenheit mit der Einführung der Bachelor-Master-Struktur zwischen den Fächergruppen bestehen. Auch individuelle Merkmale der Befragten wie Alter, Geschlecht, Bildungshintergrund der Eltern sowie der zeitliche Umfang der Lehrerfahrung sind ohne große Bedeutung für das Urteil.
Trotz der Unzufriedenheit mit der Einführung der Bachelor-Master-Struktur belegt die Studie eine hohe Reformbereitschaft unter den Lehrenden im Hinblick auf ein breites Spektrum von Reform-Zielen. Dazu gehört die Erhöhung der Qualität der Lehre genauso wie die internationale Mobilität und die Berufs- und Praxisorientierung. Mehr als jeweils 50 Prozent der Befragten befürworten folgende übergreifende Ziele:


  • Etwa vier Fünftel sprechen sich für eine Verbesserung der didaktischen Qualität der Lehrenden und für eine höhere fachlich-wissenschaftliche Qualifizierung der Studierenden aus. Fast drei Viertel plädieren für ein Plus an Transparenz von Anforderungen und Leistungen im Studium.
  • Jeweils mehr als drei Fünftel bejahen eine stärkere Orientierung des Studiums auf Kompetenzerwerb, die Verbesserung der Studierbarkeit des Studiengangs, die Einführung zusätzlicher Wahlmöglichkeiten für Studierende sowie vielfältigere Angebote fachlicher Spezialisierung beziehungsweise Vertiefung in späteren Studienphasen.
  • Ebenfalls jeweils mehr als die Hälfte halten die Förderung überfachlicher Qualifikationen, die Ausweitung interdisziplinärer Studienangebote sowie die Erhöhung der internationalen Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlern für sinnvoll.

Die meisten Reformziele werden von den Professorinnen stärker als von den Professoren befürwortet.

Die meisten dieser Reformziele werden ähnlich häufig von den Befragten der verschiedenen Hochschularten und Personalgruppen befürwortet. Lediglich die Praxisorientierung des Studiums wird sehr unterschiedlich bewertet. Auffällig ist, dass die meisten Reformziele von den Professorinnen und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen stärker begrüßt werden als von ihren männlichen Kollegen.
Über die Bewertung der Sinnhaftigkeit von Reformzielen hinaus sind die Befragten auch um eine Einschätzung gebeten worden, inwieweit diese in ihrem fachlichen Bereich bereits erreicht sind. Es war zu erwarten, dass nicht alle Ziele mit gleicher Intensität verfolgt wurden. So sind an den Universitäten nach dem Eindruck der Befragten die meisten Reformziele nur zum Teil erreicht. Dies trifft insbesondere auf die Erhöhung der Lehrqualität und der internationalen Mobilität zu. Dort sind die Differenzen zwischen Soll und Ist im Urteil aller Personalgruppen am größten. Geringer fallen die Unterschiede an den Fachhochschulen aus. Maßnahmen der Qualitätssicherung und die Einführung des Bachelor-Master-Systems sind nach Einschätzung der Befragten in hohem Maße umgesetzt, obwohl Vorbehalte bei diesen Maßnahmen vergleichsweise stark verbreitet sind.

Die Erfolge haben ihren Preis

In vielen Bereichen werden mittlerweile deutliche Umsetzungserfolge genannt: Mehr als die Hälfte der Befragten hebt etwa die Anerkennung von Leistungen, die Studierende an ausländischen Hochschulen erbrachten, hervor. Aufgeführt wird auch die Beratung der Studierenden, die sich intensiviert habe. Als „zumindest teilweise realisiert“ eingestuft werden von den Befragten die Erhöhung der Transparenz von Anforderungen und Leistungen im Studium, die stärkere Berücksichtigung von Schlüsselqualifikationen im Curriculum, die konsequente Orientierung des Studiums auf Kompetenzerwerb und praxisnahes Lehren.

Es werden nichtintendierte Folgen der Reform genannt, allen voran die Erhöhung des Arbeitsaufwands. Mehr als die Hälfte der Befragten moniert daneben die Erhöhung des Beratungs- und Betreuungsaufwands, die Kontrolle der Curricula durch Dritte (Hochschulleitung, Verwaltung, Akkreditierungsagentur) und steigende Absprachenotwendigkeiten. Genannt werden aber auch der Rückgang intrinsischer Motive bei Studierenden, Hürden beim Teilzeitstudium, Qualitätseinbußen in der Lehre sowie Einschränkungen in der Freiheit von Forschung und Lehre. Die mit der Reform verbundene Hoffnung auf einen Rückgang von Studienabbrüchen ist nach Einschätzung vieler Lehrender genauso wenig eingetroffen wie Erwartungen an eine signifikante Steigerung der Studierenden-Mobilität.

Zufriedenheit bleibt insgesamt auf hohem Niveau

Unbeschadet der Bewertung einzelner Aspekte der Studienreform zeigt sich jedoch, dass die Lehrenden mit ihrer beruflichen Situation überwiegend zufrieden sind: Mehr als zwei Drittel der Professoren von Universitäten und Fachhochschulen bezeichnen sich als „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“. Bei wissenschaftlichen Mitarbeitern ist die berufliche Zufriedenheit etwas geringer ausgeprägt. Im Vergleich mit den Ergebnissen früherer Hochschullehrerbefragungen aus den Jahren 1992 und 2007 ist die berufliche Zufriedenheit der Professoren und Dozenten heute zumindest gleich stark, wenn nicht gar ausgeprägter als dies vor zwei Jahrzehnten der Fall war.

Wo sehen die Lehrenden den größten Handlungsbedarf für die Hochschulentwicklung? Am wichtigsten sind ihnen die „Ausstattung der Hochschulen mit mehr Personal in Forschung und Lehre“. In diesem Punkt sind sich die Lehrenden sehr einig. Über 90 Prozent der Befragten halten diesen Aspekt für „wichtig“. Weiterhin werden häufig Maßnahmen genannt, die auf eine Erhöhung der Lehrqualität zielen. Dazu zählen die Anerkennung von Lehrkompetenzen, hochschuldidaktische Reformen und Innovationen. Aber auch die Erhöhung der internationalen Mobilität durch die Schaffung von Mobilitätsfenstern für Auslandsaufenthalte, die Einrichtung von Praxisphasen als feste Bestandteile jedes Studiengangs und eine inhaltliche Entrümpelung von Studiengängen werden von mindestens 60 Prozent der Lehrenden als wichtige Maßnahmen der Hochschulentwicklung erachtet.

Es wird in den Ergebnissen der Studie sehr deutlich, dass die Lehrenden in Deutschland die Reformprozesse der vergangenen  Jahre nicht generell kritisieren. Bedenken richten sich in erster Linie auf befürchtete negative Auswirkungen, auf die Qualität der Lehre und damit auf die Kompetenzen der Absolventinnen und Absolventen. Die Reformen erfordern nach Ansicht der Befragten deutlich mehr Ressourcen für die Lehre, aber auch eine größere Wertschätzung der Lehre. Besonders bemerkenswert an den Ergebnissen ist die große Unterstützung von hochschuldidaktischen Reformen und Innovationen, der Förderung der internationalen Mobilität und einer inhaltlichen Studienreform.

Harald Schomburg, Choni Flöther und Vera Wolf sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Internationalen Zentrum für Hochschulforschung Kassel und Autoren der Studie „Wandel von Lehre und Studium“.

Weitere Informationen zur Studie siehe www.lessi-2011.de

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