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Die überhitzte Doktorandenschmiede

Deutschland gehört bei der Anzahl der Promovenden zur Weltspitze. Der Fall Guttenberg hat jedoch gezeigt, dass der Nachwuchsmotor mancherorts heiß läuft und Plagiatoren mit ihren Tricks in der Masse unbemerkt bleiben. Nun hat die Diskussion um die Qualitätssicherung begonnen.

Die deutsche Wissenschaft hat in der Plagiatsaffäre um Karl Theodor zu Guttenberg eine kaum für möglich gehaltene Macht demonstriert. Der Ex-Verteidigungsminister hatte vor allem auch wegen des Drucks aus den Hochschulen sein Amt aufgegeben.

Kaum war der Minister Anfang März zurückgetreten, fiel ein Schlaglicht auf die Qualität des Promotionswesens. Kritikern gilt das System längst als Durchlauf-Erhitzer, in dem sich zu viele Karrieredoktoranden und Feierabendpromovierende tummeln, die als Externe und oft berufsbegleitend ihren Doktor machen.

Beim Anteil der Promovierten bezogen auf die Einwohner liegt Deutschland vor den USA oder Großbritannien. Im Jahr 2009 haben die deutschen Unis etwas mehr als 25 000 Personen promoviert. Vor 50 Jahren waren es in der Bundesrepublik 6215 pro Jahr, 20 Jahre später schon fast doppelt so viele. Seit 2000 liegen die Promotionszahlen zwischen  23 000 und 26 000 auf konstant hohem Nieveau. Da stellt sich die Frage, ob hier Qualität der Quantität geopfert wird.

Natürlich gibt es Statuspromotionen

Auf den ersten Blick sieht es nicht danach aus. Die Promotionsquote, die die Anzahl der abgeschlossenen Promotionen je Professor (ohne Drittmittel-Professuren) misst, lag 2008 bei 1,1. Das klingt nach paradiesischen Betreuungsverhältnissen. Doch muss die Kennziffer wie jeder Mittelwert differenziert betrachtet werden. Denn es stecken auch Ausreißer nach oben darin. So gibt es viele Professoren, die ein Dutzend Arbeiten oder mehr betreuen. Das wirkt sich positiv auf die Karriere aus: Die Unis belohnen Professoren, die viele Doktoranden betreuen (siehe Kasten S. 10). Darüber hinaus setzt die Quote nicht alle Promovenden mit den Professoren ins Verhältnis. Wie viele heute extern an ihrer Doktorarbeit basteln wie einst Herr Guttenberg, weiß niemand.
 

Prof. Dr. Reinhard Kreckel, früherer Rektor der Universität Halle-/Wittenberg und heute Senior Research Fellow am Institut für Hochschulforschung in Wittenberg, kennt solche Fälle. Grundsätzlich stünde Deutschland mit seinen Promotionen gut da, sagt er. Aber es gebe eben nicht nur Forschungspromotionen mit hohem wissenschaftlichem Anspruch, sondern auch „Statuspromotionen“. So könne es vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften vorkommen, dass ein Absolvent, den man acht Jahre nicht gesehen hat, plötzlich mit einer dicken Dissertation vor der Tür steht. „Gerade bei berufsbegleitenden Dissertationen werden dann schon mal dünne Bretter gebohrt. Sehr wohl sind aber auch hier außerordentliche Leistungen möglich. Deshalb sollte man die Möglichkeit der freien Promotion nicht unterbinden“, sagt Kreckel. Nur wenn die Qualität absolut nicht reiche, müsse „man die Leute zu einem peinlichen Gespräch bitten und konsequent sein“. Fälle von Betrug gebe es immer wieder. Deswegen sollte man „jetzt nicht in Panik verfallen und das ganze System nur auf Betrugsabwehr umstellen“.
 

Wie lässt sich aber dennoch die Qualität in einem Promotionswesen sichern, das immer mehr ausufert? Prof. Dr. Matthias Kleiner, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ist da optimistisch: „Promoviert wird zunehmend in verbindlichen Arbeitszusammenhängen, in Forschungsprojekten, die von der DFG oder anderen gefördert werden, oder in großen Forschungsverbünden wie den Sonderforschungsbereichen (SFB), den Graduiertenkollegs und den Graduiertenschulen der Exzellenzinitiative.“

Forscher müssen Standards lernen

Allein in den SFB forschten vergangenes Jahr über 6500 Doktoranden, in den Graduiertenkollegs und -schulen gut 8500. Die Standards, wie sie in diesen Einrichtungen gelten, müssten allen jungen Forschern vermittelt werden, „sie müssen sie aufsaugen“, sagt Kleiner. „Doch nur mit Misstrauen kann man keine Wissenschaft machen – es braucht eine Ausgewogenheit zwischen Vertrauen und wissenschaftlicher Selbstkontrolle.“ Letztere gewährleiste die DFG seit 1998 mit ihrem Ombudsman-System. „Die vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten sind ausreichend“, sagt Kleiner. Dass die Mechanismen funktionierten, habe eben der Fall Guttenberg gezeigt.

Berlins Wissenschaftssenator Prof. Dr. Jürgen Zöllner sieht das anders. Für ihn ist der Fall Guttenberg kein Einzelfall, sondern nur besonders spektakulär. Deswegen will er über die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern eine Debatte darüber anregen, „wie die Wissenschaft selber etwas zur Qualitätssicherung und -kontrolle beitragen kann“, und zwar über die Richtlinien der DFG hinaus. „Inbesondere muss die Qualitätssicherung den zunehmenden technischen Möglichkeiten gerecht werden“, sagt Zöllner. Etwa mit einer Verpflichtung der Forscher, Originalprotokolle nach Veröffentlichung einer Dissertation ins Netz zu stellen. Aber auch die Vergabe von Fördermitteln könnte an die Zusicherung der Unis gekoppelt werden, „stichprobenartig Zitationen und Experimente zu kontrollieren“. Vielversprechend für Hochschulen und Forschungseinrichtungen hält Zöllner „Strategien für eine frei zugängliche Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse, insbesondere von Primärdaten“.

Auch der Universitätsverband zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses (UniWiND) sieht Handlungsbedarf. Er fordert in einem Positionspapier mehr Strukturierung – auch bei der Auswahl der Besten und bei Zulassung, Betreuung und Begutachtung von Promotionen. Dies müsse schon mit einer vollständigen Erfassung aller Doktoranden durch die Unis beginnen „als Voraussetzung für ein internes Controlling und ein professionelles Qualitätsmanagement“. Der Deutsche Hochschulverband fordert, Promotionen sollten künftig grundsätzlich in digitaler Form abgegeben werden, damit sie über Plagiatssoftware geprüft werden können.

EU will Industrie-Doktor einführen

Der Wissenschaftsrat (WR) hat bereits 2002 Empfehlungen für eine Reform der Doktorandenausbildung gegeben. Entscheidende Punkte waren unter anderem: mehr strukturierte Programme, kürzere Promotionszeiten, bessere Betreuung sowie die Entlastung der angestellten Promovierenden von anderen universitären Aufgaben. „Heute haben wir sehr viel mehr strukturierte Programme als noch vor zehn Jahren, was sich positiv auf die Qualität der Arbeiten auswirkt“, sagt WR-¬Vorsitzender Prof. Dr. Wolfgang Marquardt. Strukturierte und individuelle Promotionen aber gegeneinander aufzuwiegen, davon hält Marquardt wenig: „Der eine oder andere Weg ist nicht automatisch gleichbedeutend mit besserer oder schlechterer Qualität.“ Allerdings hegt Marquardt „große Vorbehalte“ gegenüber externen Doktorarbeiten. Im schlimmsten Fall würden sich Promovend und Doktorvater am Anfang und zur Abgabe sehen. „Ein Problem ist hier durchaus, dass jede Universität verpflichtet ist, ein Promotionsgesuch bei entsprechender Note anzunehmen.“
Wenn aber ein beträchtlicher Teil der Promovenden überhaupt keine Forschungstätigkeit anstrebt, sondern den Titel für eine Karriere außerhalb der Uni benötigt, könnte ein Weg aus dem Dilemma sein, zwei verschiedene Doktor-¬Abschlüsse anzubieten. In Großbritannien und Holland etwa unterscheidet man zwischen forschungs- und professionsorientierten Doktoraten. Die Europäische Kommission will demnächst einen „Industrial PhD“ nach dänischem Vorbild als Teil der Marie-Curie-Programme für Nachwuchsforscher einführen. Solch ein Berufsdoktorat könnte sich auch hierzulande für all jene Doktoranden eignen, die den Titel für künftige Posten und Gehaltsverhandlungen in der Wirtschaft brauchen. Der Umfang ihrer Doktorarbeit wäre geringer, damit auch der zeitliche Aufwand sowie die Verführung zum Plagiat.

Promotion als Rekrutierungsmaschine

Das Forschungsdoktorat wäre dann die exklusive Eintrittskarte in die wissenschaftliche Karriere. „Flächendeckend über alle Disziplinen hinweg“ hält Marquardt eine solche Unterscheidung nicht für sinnvoll. Eine „originär nicht wissenschaftliche Motivation“ widerspreche dem Sinn einer Promotion. Als Sonderfall vorstellbar ist dies seiner Ansicht nach aber in der Medizin. Dort lägen die Promotionsquoten bei 80 Prozent und mehr. Vor allem studienbegleitende Dissertationen hätten teils „eher das Niveau einer Diplomarbeit“. Bereits 2008 hatte der Wissenschaftsrat angeregt, die Promotion auf forschungsorientierte Mediziner zu beschränken. Den übrigen Absolventen könnte mit der Approbation dagegen der Titel „Medizinischer Doktor“ verliehen werden.

„Die teilweise schlechte Qualität von Mediziner-Dissertationen muss natürlich kritisch gesehen werden“, sagt Professor Dr. Jörg-Wilhelm Oestmann, Vorsitzender der Promotionskommission an der Berliner Charité. Diese seien nicht ohne Weiteres mit Arbeiten etwa in der Physik zu vergleichen, weil eine viel größere Zahl den Titel wegen seiner wesentlichen Funktion für den sozialen Status eines Arztes anstrebt. Deswegen müsse man Abstriche bei der durchschnittlichen Qualität in Kauf nehmen. Aber, sagt Oestmann, man dürfe auch die positive Seite dieser hohen Doktorandenzahl nicht außer Acht lassen. Es handele sich um eine große Menge begabter Leute, die man für die Forschung begeistern könne. Für ihn ist die Promotionsphase auch „eine unschlagbare Rekrutierungsgelegenheit“. An der Charité versucht man derzeit, die Qualität der Doktorandenausbildung gezielt anzuheben. Das Geld für eine eigene Graduiertenschule fehlt. Deshalb sucht die Charité die Nähe zu den Berliner Hochschulen. Promotionsvereinbarungen sollen zudem helfen, die Qualität der Doktorandenausbildung zu heben bringen. Berufsdoktorate für Mediziner sind vorerst nicht in Sicht.

Das begrüßt Professor Dr. Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG). „Ich bin kein Freund der Titelvergabe um des Titels willen. Das ist ein ganz falscher Standpunkt. Standard kann nur die wissenschaftliche Leistung sein.“ Unter den außeruniversitären Forschungseinrichtungen wurde in den vergangenen Jahren vor allem die MPG immer wieder als Anwärter für ein eigenes Promotionsrecht gehandelt. Doch das ist eine Systemfrage. „Wir brechen nicht ein in ein Privileg, das die Universitäten für sich reklamieren, weil wir uns primär um unsere Forschungsmission kümmern“, sagt Gruss.

Gleichwohl leistet die MPG bereits einen Beitrag zu mehr Forschungsintensität bei Doktorarbeiten. „Grundsätzlich braucht jeder akademische Grad einen Standard“, sagt Gruss, „wir müssen uns also fragen, welche Strukturen sind in der Lage, einen solchen Standard zu gewähren.“ Die MPG habe mit den International Max Planck Research Schools eine Struktur geschaffen, die diesen Standard bei Promotionen erfülle. „Mit über 4000 Doktoranden sind wir eine der größten Doktorandenschmieden in Deutschland“, sagt Gruss. Zum Vergleich: Die Helmholtz-Gemeinschaft hat rund 5000, die Leibniz-Gemeinschaft knapp 2300 Doktoranden. Hochschulen und Max-Planck-Institute stellen gemeinsam die Gutachter. Die Promotionsurkunde wird formal von der Uni verliehen. Doch für die Jung-Doktoren ist das MPG-Signum oft viel wichtiger. „Eigentlich ist vereinbart, dass die MPG mit auf allen Promotionsurkunden steht, doch leider halten sich nicht alle daran. Dabei wünschen sich die Doktoranden eine Visibilität ihrer MPI-Tätigkeit, denn damit steigen die Chancen für Nachwuchsforscher vor allem im Ausland“, sagt Gruss.

Sorgen um Standort Deutschland

Dort hat der Wissenschaftsstandort Deutschland einen sehr guten Ruf, gerade auch bei der Ausbildung des akademischen Nachwuchses. Die Hälfte der MPG-Doktoranden kommen aus aller Welt. Doch seit der Causa Guttenberg gibt es Sorgen quer durch die Disziplinen ob des sauberen Images. So befürchtet etwa der Philosophische Fakultätentag, „dass ein schwindendes Unrechtsbewusstsein bei Verstößen gegen das Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit den guten internationalen Ruf des Wissenschaftsstandortes Deutschland nachhaltig schädigt“. Das zu verhindern, liegt in den Händen der Wissenschaftler. Sie können sich entweder mehr Zeit für ihre Doktoranden nehmen, oder dabei mithelfen, dass Unis den Promovenden mehr Struktur bieten.

Sanktionen bei Plagiaten

Sanktionen bei Plagiaten

  • In Deutschland verfügen staatliche Universitäten seit ihrer Herausbildung in der Neuzeit über das Promotionsrecht. Vom Moment ihrer Gründung an sind sie mit diesem Privileg ausgestattet. Ein exklusives Recht ist es nicht mehr.
  • Mittlerweile haben auch Technische Hochschulen, Kunsthochschulen oder kirchliche Hochschulen das Promotionsrecht. Auch private Hochschulen können es bekommen, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Verliehen wird das Promotionsrecht von den Bundesländern mit der Anerkennung als Universität oder gleichrangige Hochschule.
  • Sanktionsmöglichkeiten gegen Universitäten oder Hochschulen, die nicht verantwortungsvoll damit umgehen, gibt es allerdings nicht. Das heißt, das Promotionsrecht kann ihnen nicht wieder entzogen werden.
  • Dagegen könnten nach Einschätzung von DFG-Ombudsman-Sprecher Prof. Dr. Wolfgang Löwer einzelne Professoren durchaus das Prüfungsrecht verlieren. In diesem Fall bekämen sie auch das Recht entzogen, Promovenden betreuen zu dürfen. Voraussetzung dafür ist, dass sie als Prüfer an Täuschungen und Betrugsversuchen bewusst und nachweislich mitgewirkt haben.
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