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Flucht nach vorne

An vielen Hochschulen schließt sich der Mittelbau gegen prekäre Bedingungen zusammen. Die Uni Köln reagiert.

Kaum ein Hochschulthema erregt derzeit so viel mediale Aufmerksamkeit wie die Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Mittelbaus. Viele Wissenschaftler hangeln sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, von Drittmittelstelle zu Drittmittelstelle, von Lehrauftrag zu Lehrauftrag. Neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben laut aktuellem Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) eine befristete Stelle. Das am häufigsten für diese Situation benutzte Wort: „prekär“.

Der öffentliche Druck und verschiedene Initiativen an verschiedenen Hochschulen dürfte vielen Hochschulleitungen Schweißperlen auf die Stirn treiben. „Es ist noch nicht an allen Hochschulen Standard, dass Hochschulleitung und wissenschaftlicher Nachwuchs intensiv miteinander kommunizieren“, sagt Dr. Jule Specht, Sprecherin der Jungen Akademie und seit kurzem W3­Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Durch die öffentlichen Diskussionen würden die Hochschulleitungen aber immer stärker auf das Thema gestoßen und hätten es damit zunehmend auf dem Schirm.

In dieser Situation wagt die Leitung der Universität zu Köln die Flucht nach vorne. Sie wartet gar nicht erst, bis sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter zum Aufstand vereinen, sondern übernimmt das quasi für sie. Das Rektorat um Hochschulleiter Prof. Dr. Axel Freymuth hat vor einigen Monaten ein Consilium aus Nachwuchswissenschaftlern – jeweils zwei pro Fakultät – initiiert. Die Gruppe kommt etwa einmal im Monat zusammen und trifft sich einmal im Quartal mit dem Rektor. Ein Consilium Decanale – für den kontinuierlichen Austausch mit den Dekanen – gibt es schon lange. Nun sollen auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter einen direkten Draht nach oben bekommen. „Es gab verschiedene Gründe, mit dem Mittelbau mehr ins Gespräch zu kommen“, sagt die persönliche Referentin des Rektors, Luzia Goldmann. Zum einen wolle man mit denen in Kontakt treten, die sich in einem prekären Beschäftigungsverhältnis befänden. „Zum anderen ist diese Gruppe für die Hochschulen sehr wichtig”, so Goldmann. Daher müsse die Hochschule langfris­tig Bedingungen anbieten, die dafür sorgten, dass Menschen gerne im Mittelbau arbeiteten.

Consilium Nachwuchs vertritt die Interessen der Doktoranden und Postdocs

Fokus des neuen Gremiums sei aber nicht der gesamte Mittelbau, sondern die Doktoranden und Postdoktoranden. Also Nachwuchswissenschaftler, die noch eher am Anfang ihres Berufslebens stehen. Darin unterscheidet sich das Consilium laut Uni von den formalen Gremien der Hochschule, der Senatskommission für die Belange der akademischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und dem Rat der akademischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die formalen Gremien verträten den gesamten Mittelbau, also auch Akademische Räte und wissenschaftliche Mitarbeiter in fortgeschrittenem Alter. Dass es jedoch bei Mittelbau und Nachwuchs viele Überschneidungen gibt, sieht man schon am Namen des neuen Gremiums: Zunächst firmierte es unter dem Titel „Consilium Mittelbau“, jetzt unter dem Namen „Consilium Nachwuchs“, manche Hochschulangehörige nennen es auch „Consilium Mitarbeiter“. Die Hochschulleitung betont, man solle aus dem Namen kein Politikum machen. Aber die Namensverwirrung steht für ein Kernmerkmal vieler Hochschulen: verwirrende Personalrollen, Parallelstrukturen, lange Entscheidungs- und Kommunikationswege.

Anlass zur Consiliums-Gründung dürfte für die Uni Köln auch eine interne Mitarbeiterbefragung gewesen sein. Dabei bescheinigte die Mehrheit der Mitarbeiter der Hochschulleitung einen großen oder gar sehr großen Handlungsbedarf in der gelebten Organisationskultur: Hochschulleitung und Beschäftigte lebten in zwei verschiedenen Welten. Es gäbe keine gemeinsame Vorstellung darüber, wie sich die Hochschule weiterentwickeln will, und es stehe viel auf Hochglanzpapier, das im Alltag nicht gelebt werde. Die negative Stimmung war vor allem unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern verbreitet. So begrüßt der Personalrat das Engagement der Hochschulleitung. „Wie ich den Rektor kenne, ist er ehrlich an einem Austausch interessiert. Es stört ihn immer, wenn er sich nicht richtig informiert fühlt“, sagt der Vorsitzende des Personalrats Wissenschaft an der Kölner Uni, Dr. Stephan Wonczak.

Die zwölf Mitglieder des neuen Consiliums wollen sich öffentlich nur verhalten äußern. Ohne Erlaubnis des Rektorats möchte niemand konkret sagen, was ihm am Herzen liegt und wie die bisherigen Treffen mit dem Rektorat verlaufen sind. Man befinde sich immer noch in der konstituierenden Phase und arbeite sich „in den bisherigen Stand der Diskussion“ ein. Ein wichtiges Anliegen dürfte die Karrieresicherheit des Nachwuchses sein. Wie das Rektorat bestätigt, ging es bei den bisherigen Treffen mit dem Rektor denn auch darum, dass sich die Hochschule am Tenure-Track-Programm von Bund und Ländern („Nachwuchspakt“) beteiligen will. Sowie darum, dass das Prorektorat für Planung und wissenschaftliches Personal jüngst „strategische Leitlinien“ zu „Karrierewegen für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Postdoc-Phase” ausgearbeitet hat. Laut Prorektorat sieht das Strategiepapier unter anderem vor, mehr feste Mittelbaustellen für Daueraufgaben zu schaffen.

Andere Nachwuchswissenschaftler kämpfen hingegen vor allem für mehr Professuren, etwa die Deutsche Gesellschaft Juniorprofessur. Auch für diese Gruppe hat die Universität zu Köln ein Netzwerk geschaffen. Bereits 2013 hat das Rektorat im Rahmen des Zukunftskonzeptes einen Junior Faculty Club eingerichtet. „Er soll alle vernetzen und unterstützen, die als festes Ziel eine unbefristete Professur haben und nicht mehr am Anfang ihrer Karriere stehen, das heißt vor allem fortgeschrittene Postdoktoranden und Juniorprofessoren“, sagt Dr. Melanie Uth. Die 38­jährige Romanistin und Akademische Rätin auf Zeit ist Sprecherin des Clubs. Gut 220 potenzielle Professuranwärter sind aktuell Mitglied. Überschneidungen mit dem Consilium gibt es dennoch. Schon alleine weil sich unter den sechs Consiliums-Mitgliedern derzeit auch Junior­ und Vertretungsprofessoren beziehungsweise -professorinnen befinden. Der Club ist zudem anders als das Consilium Nachwuchs kein explizites Beratungsorgan fürs Rektorat, sondern dient vor allem der individuellen Karriereförderung. Er bietet Serviceleistungen an wie Coaching für Berufungsverfahren und Vorträge über Themen wie die Juniorprofessur. Laut Sprecherin Uth versteht sich der Club nicht als Lobby-Vertreter der angehenden Professorinnen und Professoren. Offiziell soll er aber durchaus auch Interessenvertretung sein. Und Rektor Freymuth betont bei der duz-Anfrage zum Consilium, dass der JFC zu dem Thema dazu gehöre. Von oben wurde der Club gegründet, da die „Wahrscheinlichkeit zu gering ist, dass sich diese heterogene Gruppe von alleine organisiert“, heißt es aus dem Rektorat.

Formale Macht haben die beiden Interessenvertretungen, JFC und Consilium, allerdings nicht. „Das Consilium ist das denkbar informellste Gremium“, sagt Luzia Goldmann. Es sei vor allem als eine Art Feedbackrunde für das Rektorat gedacht. In den formalen und entscheidenden Gremien haben weiter die Professorinnen und Professoren das Sagen. Im Senat etwa kommen die sechs Vertreter der Hochschullehrer (Professoren, Juniorprofessoren, Dozenten) zusammen auf 9 Stimmen (jeder hat 1,5 Stimmen), die akademischen Mitarbeiter hingegen nur auf 3. Selbst wenn sich der Mittelbau mit Studierenden und Mitarbeitern aus Technik und Verwaltung zusammenschießt, kommen sie auf höchstens acht gemeinsame Stimmen, also immer noch weniger als die Professorenschaft ganz alleine einbringen kann.

Mittelbau und wissenschaftlicher Nachwuchs der Kölner Uni nehmen das neue Consilium positiv auf. Ebenso die Junge Akademie. „Dass eine Hochschulleitung ein Gremium mit dem Ziel einrichtet, sich vom Nachwuchs beraten zu lassen, ist neu“, sagt Akademie-Sprecherin Jule Specht. Das sei ein Zeichen von Wertschätzung für die Perspektive junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und gebe diesen eine angemessene Bedeutung. „Langfristig sind konkrete Einflussmöglichkeiten dieses Gremiums wünschenswert, aber auch der aktive und konstruktive Austausch ist bereits ein wichtiger Schritt.“

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