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„Wir konnten uns vieles nicht leisten“

Wie bringt man Abgeordnete dazu, die Priorität auf Wissenschaft zu setzen? Das beantwortet im DUZ-Interview der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller

Wir treffen uns an einem Freitag Ende Januar im Büro des Regierenden Bürgermeisters im Roten Rathaus am ­Alexanderplatz. Irgendwo im Raum ist ein Luftreinigungsgerät aufgestellt, Müller schenkt Kaffee ein. Auf dem Tisch steht eine Etagère mit Süßem. „Wo möchten Sie sitzen“, fragt er, und nimmt mit Coronasicherheitsabstand am Ende des dunklen Ledersofas Platz. Er lehnt sich zurück. Mal kein Problemgespräch über Covid-19, keine Videoschalte mit den Länderchefs und der Kanzlerin, um Maßnahmen gegen Covid-19 zu besprechen. Beim Thema Wissenschaft kann er über Erfolge reden.

Herr Müller, vor 30 Jahren fand die deutsche Wiedervereinigung statt. Inwieweit ist der Wissenschaftsstandort Berlin heute ein Produkt dieser Zeit?

Ohne die Wiedervereinigung wären wir heute nicht Deutschlands stärkster Wissenschaftsstandort. Es war zuerst eine Zeit harter Umbrüche, auf beiden Seiten. Es gab 1990 in Ostberlin und in der DDR herausragende Institutionen, sehr viel Kompetenz und starke Netzwerke, auch in Richtung Osteuropa. Nach der Wende wurden dann leider sehr schnell und manchmal, aus heutiger Sicht auch nicht gerechtfertigt, Einrichtungen geschlossen. Dabei hat man manches Potenzial verspielt und musste dann Ende der Neunzigerjahre zum Teil von vorn anfangen. Auch an Hochschulen im Westteil der Stadt gab es schmerzhafte Einschnitte.

Berlin stand damals finanziell schlecht da.

Aus der Not heraus, weil wir uns vieles nicht leisten konnten, entstand ein Zwang zur Profilbildung der Hochschulen. Und für den Standort die Notwendigkeit, erfolgversprechende Schwerpunkte herauszuarbeiten, auf die wir uns langfristig konzentrieren können. Die heutige Stärke Berlins in Bereichen wie Medizin und Lebenswissenschaften, Energie und Mobilität, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz oder dem gesamten Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften ist das Ergebnis dieser Prozesse.

Was ist aus der DDR-Zeit geblieben?

Denken Sie zum Beispiel an die Ostberliner Charité, die heute einer unserer Leuchttürme ist, oder an den Medizin- und Gesundheitscampus Buch, der schon zu Ostzeiten ein herausragender Forschungsstandort war. Viele Unternehmen und Start-ups haben sich auf dem Campus im Nordosten von Berlin rund um das Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie und das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin angesiedelt, ein neues Forschungsgebäude für das Berlin Institute of Health ist bald fertig, dazu ein neues Biotech-Gründungszentrum.

Viele der mehr als 40 Berliner Hochschulen kooperieren miteinander, die Exzellenzuniversitäten haben sich in der Berlin University Alliance verbunden, ein Großteil der 70 außeruniversitären Forschungseinrichtungen in der Initiative Berlin Research 50 zusammengeschlossen. Sind die Berliner besonders kooperationsfreudig?

Ja, und das ist heute ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Noch vor wenigen Jahren gab es viele Konkurrenzen und, ja, auch Eitelkeiten unter den Berliner Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Ein gemeinsamer Exzellenzantrag zum Beispiel – das hätte man sich vor zehn Jahren überhaupt nicht vorstellen können. Es hat sich aber der Gedanke durchgesetzt, dass die Zusammenarbeit an einem Standort wie Berlin, mit so vielen Synergiemöglichkeiten, alle Beteiligten stärkt. Auch nach außen hin hat sich Berlin in den vergangenen Jahren viel stärker vernetzt und Partnerschaften intensiviert.

Wie bringt man als Regierender Bürgermeister konkurrierende Forschungsorganisationen dazu, zusammenzuarbeiten?

Es hilft natürlich, dass man verlässlich in die Wissenschaft investiert und Verteilungskämpfe vermeidet. Aber es ist auch persönlicher Einsatz gefordert, das kostet viel Arbeit und Zeit. Man muss die Menschen, die hinter den Einrichtungen stehen, zusammenführen. Zum Beispiel die Wissenschaftspartnerschaft mit Oxford: Um für eine Allianz mit Berlin zu werben, bin ich selbst dorthin gefahren, habe mit der Universitätsleitung und Vertretern der Stadt gesprochen – und sie nach Berlin eingeladen. Wir haben einen guten Draht. So geht das auch bei Vorhaben innerhalb von Berlin: Vertreter verschiedener Institutionen kommen im Roten Rathaus zusammen, wir beraten neue Initiativen. Man bekommt dabei ein Gefühl dafür, was funktioniert, kann die Dinge schnell konkretisieren.

Wie wichtig ist dabei der „menschliche Faktor“?

Das ist in Politik und Wissenschaft wie überall. Man muss ein Gefühl dafür haben, ob man dem Gegenüber vertrauen kann, dann lässt sich gemeinsam etwas bewegen. Nehmen Sie die Berlin University Alliance. In dem Universitätsverbund arbeiten die Unis auch deswegen besser zusammen, weil das Vertrauensverhältnis auf vielen Ebenen stimmt und die Entscheider der Einrichtungen gut miteinander klar kommen.

Kann man da auch strukturell nachhelfen?

Ja, zum Beispiel, indem man Ausschreibungen so gestaltet, dass Institutionen sich zusammentun müssen, um gefördert zu werden. Das betreiben wir seit zehn Jahren ganz gezielt mit der Einstein Stiftung Berlin. Für die Berlin University Alliance haben wir letztes Jahr auch eine innovative Kooperationsplattform gesetzlich verankert, die die Umsetzung von Verbundprojekten deutlich erleichtert. Das ist bundesweit schon ziemlich einmalig.

Ist der „Berliner Spirit“ ein Standortfaktor, um wissenschaftliche Einrichtungen in die Stadt zu ziehen?

Ja, durchaus, die Weltoffenheit, das Freiheitsgefühl, und eben die starke Kooperationskultur: dieser „Berliner Geist“, oder wie man es auch immer nennen mag, wird sogar ganz konkret als Standortfaktor genannt, wenn sich Organisationen hier ansiedeln, wie etwa die Soros-Stiftung oder der Wellcome Trust. Internationale Einrichtungen, Forschende und viele Unternehmen kommen nach Berlin, weil sie ein starkes Wissenschaftsumfeld vorfinden, weil sie wissen, dass man hier frei arbeiten und forschen kann und die Stadt sehr international ist. Auch die in aller Welt umworbene Berliner Nobelpreisträgerin, Frau Charpentier, hat hier im Säulensaal im Roten Rathaus ganz klar gesagt, dass sie in Berlin die Bedingungen hat, die sie für ihre Arbeit braucht.

Wie sorgen Sie dafür, dass Emmanuelle Charpentier diese Bedingungen hier vorfindet?

Wenn man eine Spitzenforscherin gewinnen und halten will, muss man sich als Regierender auch persönlich einsetzen. Bis hin zum konkreten finanziellen Engagement. Die Forschungsgruppe von Frau Charpentier erhält ein neues Gebäude. Es ist ein deutliches Statement der Stadt und der Max-Planck-Gesellschaft zu dieser tollen Forscherin und ihrem zukunftsträchtigen Arbeitsbereich.

Berlin ist innovativ, Berlin ist jung, die Stadt der Kreativen und Start-ups. Spielen diese Narrative eine Rolle für Ihre Öffentlichkeitsarbeit?

Unbedingt! Man muss Berlin zwar in der Welt nicht bekannt machen, die Stadt hat eine einzigartige Geschichte und einen hervorragenden Ruf als Kulturmetropole. Aber wir wollen noch deutlicher machen, dass das heutige Berlin vor allen Dingen für Wissen und Innovation steht. Das ist der wesentliche Faktor für die unglaubliche wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und ein großer Vorteil im Wettbewerb mit anderen Metropolen.

Wie wollen Sie den Berlinern selbst ihre Wissenschaft näher bringen? Viele kennen vielleicht die großen Unis der Stadt. Die neuen Forschungsverbünde BUA und BR 50 oder etwa das IFAF-Institut für angewandte Forschung Berlin dürften hier dagegen ziemlich unbekannt sein.

Wissenschaftskommunikation ist sehr wichtig und wird in den Hochschulen und Forschungsinstituten hoch und runter diskutiert. Klar ist: Wir müssen besser herausstellen, was die Wissenschaft für uns alle leistet, das gilt ganz besonders für einen Standort wie Berlin. Hier sehe ich auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefordert, nicht nur für ein Fachpublikum zu erklären, woran sie arbeiten und was das wissenschaftliche Arbeiten ausmacht.

Spielt Ihnen da Corona in die Hände?

Die Pandemiesituation ist furchtbar, sie fordert Todesopfer, bringt Menschen in existenzielle Not, sie ist bedrückend, eine schlimme Krise. Für die Wissenschaft ist sie aber auch eine einmalige Möglichkeit, stärker wahrgenommen zu werden. Plötzlich erleben Milliarden Menschen, wie wichtig sie für uns ist, rückt Forschung an ihre Lebenswelt ­heran. Und sie sehen, wie großartig sie arbeitet. Nach zehn Monaten haben wir einen Impfstoff, das gelingt nur durch eine starke, vernetzte Wissenschaft. Diese Aufmerksamkeit müssen wir nutzen.

In diesem Sinne haben Sie das Berliner Wissenschaftsjahr 2021 geplant?

Mit den Planungen haben wir schon vor Corona begonnen. 2021 wären Rudolf Virchow und Herrmann von Helmholtz, zwei Leitfiguren der Berliner Wissenschaft, 200 Jahre alt geworden. Wir nutzen diese Geburtstage, um Berlin als Wissensstadt zu feiern. Mit vielen Aktivitäten über das ganze Jahr verteilt, wollen wir mit den Menschen ins Gespräch kommen über Wissen, Wissenschaft, ihre Möglichkeiten und Grenzen.

Was ist von politischer Seite entscheidend, um einen Wissenschaftsstandort zu entwickeln?

Ausdauer und Verlässlichkeit. Natürlich auch Geld, für die grundlegenden Dinge wie für neue Ideen. Wir haben den Hochschulen Planungssicherheit durch deutliche Budgetsteigerungen gegeben und zugleich die Bauinvestitionen erhöht. Bei Förderungen durch den Bund tragen wir selbstverständlich unseren Landesanteil. Etablierte und neue Institutionen wissen: Sie können sich darauf verlassen, dass wir uns für ihre Belange einsetzen.

Wie haben Sie die Berliner Politiker überzeugt, die Prioritäten zu verschieben und mehr Geld in die Wissenschaft zu stecken?

Jedes Senatsmitglied und auch das Abgeordnetenhaus als Haushaltsgesetzgeber ist daran interessiert, dass sich unsere Stadt gut entwickelt. Und jeder sieht heute die Möglichkeiten, die sich in seinem Ressort oder Zuständigkeitsbereich durch eine starke Wissenschaft ergeben. Viele Unternehmen investieren in Berlin, weil sie das Wissenschaftsumfeld anzieht und sie hier die begehrten Fachkräfte finden, das kommt auch der Wirtschaftssenatorin zugute. Wenn neue Mobilitätskonzepte von wissenschaftlichen Erkenntnissen unserer Einrichtungen profitieren, ist das auch gut für das Verkehrsressort. Jeder in die Wissenschaft investierte Euro ist gut für ganz Berlin.

Prioritäten setzen heißt aber auch, dass an anderer Stelle gespart werden muss.

Natürlich gibt es da manchmal „rustikale“ Auseinandersetzungen im Senat und im Parlament. Wer setzt sich durch mit seinem Wunsch nach Förderung und Geld?

Haben Sie da als Wissenschaftssenator, der gleichzeitig Regierender Bürgermeister ist, mehr Überzeugungskraft?

Auch ich muss um jeden Euro kämpfen. Aber es stimmt, als Regierungschef hat man in kritischen Situationen andere Möglichkeiten, Dinge voranzutreiben. Etwa im Gespräch mit dem Finanzsenator noch einmal deutlich zu machen, dass ein Projekt richtig und wichtig ist und finanziert werden muss. Der Regierende Bürgermeister hat deutlich mehr Darstellungsmöglichkeit, auch medial, er hält nicht als einer von mehreren Fachsenatoren eine Rede, er gibt als Regierungschef ein Statement ab. Dadurch wird die Berliner Wissenschaft in Politik und Öffentlichkeit stärker wahrgenommen. Dazu kommt, dass mein Staatssekretär Steffen Krach und ich ein gutes Team sind und uns sehr gut ergänzen.

Wie kommt es zu Ihrem „Doppelamt“?

Dass der Regierende von Berlin ein weiteres Ressort übernimmt, hat seit mehreren Legislaturperioden Tradition. Angefangen hat das mit Eberhard Diepgen als Justizsenator und dann Klaus Wowereit, der gleichzeitig Kultursenator war und in dieser Doppelrolle wichtige Akzente für die Stadt gesetzt hat.

Sie hatten in Ihrer Karriere wenig Berührungspunkte mit der Wissenschaft.

Ja, ich habe Bürokaufmann gelernt, die Druckerei meines Vaters geführt, habe kein Abitur, bin an keiner Hochschule ausgebildet worden. Meine beiden Kinder sind die ersten in der Familie, die studieren. Ich hatte aber immer ein persönliches Interesse an Wissenschaft, fand es spannend, über den Weltraum zu lesen oder über die Medizin. Ich empfinde es als Geschenk, dass ich nun in diesem für mich so interessanten wie gesellschaftlich wichtigen Bereich Akzente setzen, etwas voranbringen darf.

Können Sie beziffern, wie viel mehr Geld Sie in Ihrer Amtszeit der Berliner Wissenschaft gebracht haben?

Im aktuellen Doppelhaushalt liegen wir bei 4,9 Milliarden Euro für die Wissenschaft, ein Plus von 600 Millionen Euro verglichen mit dem Beginn dieser Legislaturperiode vor vier Jahren. Dazu haben wir unsere Ausgaben für Bau und Sanierung verdoppelt, den Investitionspakt Wissenschaftsbauten von 2017 bis 2036 auf fast 5 Milliarden Euro ausgebaut. Darin sind etwa die 300 Millionen Euro des Landes enthalten, die zusammen mit der gleichen Summe des Bundes für die Sanierung und Erweiterung eines Campus für Lebenswissenschaften am Naturkundemuseum eingesetzt werden. In Europas modernstes Herzzentrum fließen 287 Millionen Euro vom Land und nochmal 100 Millionen vom Bund. Nur zwei herausragende Beispiele, die wir in dieser Legislaturperiode vorangebracht haben und die zusammen mit vielen anderen Projekten Milliardeninvestitionen ausmachen.

Warum investiert der Bund diese Gelder nicht in München oder Heidelberg, sondern in Berlin? Warum haben sich hier und nicht dort etwa das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und das Deutsche Digital Institut angesiedelt, kommen zwei weitere Fraunhofer-Institute nach Berlin, die zu dem Thema forschen?

Man bekommt eine Förderung für eine belastbare Zukunftserwartung, für das Potenzial, das man vorweisen kann. Und das muss über Jahre entwickelt und aufgebaut werden. Erfolge wie das Weizenbaum Institut oder der sensationelle Gewinn in der Exzellenzstrategie fallen nicht vom Himmel, man muss sich im Wettbewerb durchsetzen. Natürlich suchen wir bei neuen Initiativen den Kontakt zu Entscheidungsträgern und nutzen unsere Möglichkeiten, Berlins Potenzial immer wieder deutlich zu machen. Das gehört zu den Aufgaben meines Staatssekretärs und von mir, wir sind die Cheflobbyisten des Wissenschaftsstandortes. Aber das alles funktioniert nur, wenn man wirklich überzeugende, wissenschaftsgetriebene Konzepte vorweisen kann und zusammen mit unseren Einrichtungen und ihren Leitungsebenen auf den jeweiligen Kanälen dafür wirbt. Wir alle zusammen müssen vermitteln, dass hier ein Team gemeinsam etwas erreichen kann und will.

Förderungen des Bundes sind in der Regel Einmalzahlungen. Wie kann man da eine zukunftsfähige Planung für die Einrichtungen ermöglichen?

Wir leben in einem föderalen Staat, der Bund setzt auch in anderen Bundesländern Akzente. Ob München, Heidelberg oder Berlin: Es ist politischer Alltag, sich von Haushalt zu Haushalt neu durchsetzen zu müssen. Trotzdem kann und muss man landesseitig für Verlässlichkeit sorgen, sonst funktioniert eine Zusammenarbeit mit dem Bund nicht. Vor diesem Hintergrund ist die dauerhafte neunzig-prozentige Förderung des Berlin Institute of Health als Teil der Charité durch den Bund spektakulär. Dass der Bund so langfristig eine Verpflichtung eingeht in einem föderalen System ist ein Riesenstatement unserem Standort und dem Thema Translation und Gesundheitsforschung gegenüber.

Berlin hat für die Stadt elf Zukunftsstandorte benannt, darunter Adlershof, Campus Charlottenburg, Siemensstadt 2.0 und Campus TXL. Geht es hier mehr um Wissenschafts- oder um Wirtschaftsförderung?

Es geht um beides, wobei der Charakter der einzelnen Orte unterschiedlich ausfällt. Die Grundidee ist: Die Zukunftsorte sollen die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft stärken. Adlershof ist da natürlich eine Liga für sich, mit der Humboldt- Universität und „Schwergewichten“ der außeruniversitären Forschung. Der entstehende Campus TXL, der ehemalige Flughafen Tegel, wird mit der Berliner Hochschule für Technik im Terminalgebäude einen Wissenschaftskern mit viel Wirtschaftsansiedlung haben. Der Campus Charlottenburg und der Südwesten um die Freie Universität sind stark wissenschaftlich geprägt. Wie wichtig die Wissenschaft für die wirtschaftliche Entwicklung ist, zeigt allein die letzte Studie zu unseren Hochschulausgründungen, die in Berlin gut 60 000 Arbeitsplätze geschaffen haben und 2019 über 8 Milliarden Euro Umsatz erwirtschafteten.

Wirtschaft und Wissenschaft rücken immer näher zusammen. Im Jahr 2018 gingen mehr als 637 Millionen Euro Drittmittel an die Berliner Hochschulen, davon kamen fast 69 Millionen Euro aus der Privatwirtschaft.

Unsere Forschungseinrichtungen sind im Wettbewerb um Fördermittel etwa der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der EU immer erfolgreicher. Bei Industriemitteln gibt es durchaus Luft nach oben. Aber es geht in die richtige Richtung. Ich werbe bei vielen Unternehmen für unseren Standort, zeige ihnen auf, welche Chancen es hier gibt.

Wenn Unternehmen Forschung finanzieren, verfolgen sie damit bestimmte Ziele. Besteht dadurch nicht die Gefahr, das die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt wird?

Ich nehme Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen als sehr selbstbewusst wahr und würde ihnen nicht unterstellen, dass sie deshalb nicht mehr frei sind in ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Außerdem kommt es da­rauf an, wie man solche Kooperationen gestaltet. Drittmittelfinanzierte Kooperationen sollten selbstverständlich transparent organisiert sein. Darüber hinaus können wir die Entwicklung von Unternehmen nur beeinflussen, wenn wir mit ihnen zusammenarbeiten. Ich verstehe die Diskussion. Es ist sicher oft eine Gratwanderung, wie weit Wissenschaft bei Kooperationen mit Unternehmen geht. Aber man darf sie deshalb nicht pauschal diffamieren. Zumal die Zeiten doch vorbei sind, in denen Geldgeber im dunklen Hinterzimmern irgendwas verabreden, was niemand mitbekommt.

Die Freie Universität hat sich von China eine Professur finanzieren lassen. Laut dem Vertrag mit der chinesischen Organisation Hanban, die der Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei unterstellt ist, kann Hanban Gelder zurückverlangen, wenn die FU sich nicht an chinesische Gesetze hält. Ist das ein Fall für den Regierenden Bürgermeister?

Unsere Hochschulen sind frei, ihre Kooperationen selbst zu gestalten. Aber sie bewegen sich in einem vorgegebenen Rahmen und orientiert an öffentlichen und politischen Diskussionen. Die Grundlage für ihr Handeln ist die Wissenschaftsfreiheit, für die sie auch die Verantwortung tragen. Damit sind wir wieder beim Thema Transparenz. Worin besteht diese Kooperation? Wie viel Einfluss nimmt ein Geldgeber? Ist das alles klar und für die Uni akzeptabel dargelegt, kann man eine solche Kooperation eingehen, auch mit China. In diesem konkreten Fall gab es allerdings auch Vertragspunkte, die unserer Auffassung nach angepasst werden mussten, was die FU in einer Nachverhandlung getan hat. Peking ist übrigens eine der Berliner Partnerstädte. Und ich nehme den Diskussionsbedarf über Themen wie Freiheit und Menschenrechte sehr ernst. Es muss die Aufgabe von Partnerschaften sein, solche Themen anzusprechen.

Berliner Fachhochschulen plädieren dafür, Promotionsrecht zu bekommen. Ist das Chefsache?

Das ist eine Frage, die natürlich bei mir ankommt. Wir haben das im Grundsatz zu Beginn der Legislaturperiode geklärt und setzen darauf, zunächst die Kooperation zwischen Fachhochschulen und Universitäten zu verbessern. Die Stärkung von kooperativen Promotionen ist auch ein Punkt in der Novelle des Berliner Hochschulgesetzes, die wir jetzt auf den Weg bringen.

Inwieweit greifen Sie bei Ihren politischen Entscheidungen auf wissenschaftliche Expertise zurück?

In der aktuellen Lage ist es ja sehr offensichtlich, dass wir eng mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten. Auch jenseits von Corona-Themen nutzen wir ihre Expertise immer wieder. Wenn wir zum Beispiel Strategien für die Smart City beraten, werden selbstverständlich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ins Rote Rathaus eingeladen. In Fragen des Klimaschutzes können wir auf die geballte Kompetenz des neuen Climate Change Center Berlin Brandenburg zurückgreifen. Es gibt viele solcher Beispiele und dennoch würde ich sagen: Wir können die Wissenschaft noch stärker in politische Entscheidungsprozesse einbeziehen.

Ende September kandidieren Sie nicht mehr für den Landtag, sondern für den Bundestag. In einem offenen Brief unterstützen Sie dabei führende Persönlichkeiten der Berliner Wissenschaftswelt. Werden Sie jetzt vielleicht sogar unser nächster deutscher Wissenschaftsminister?

Tatsächlich gibt es einige Menschen, auch aus der Wissenschaft, die jetzt schon versuchen, mich in den Wissenschaftsausschuss des Bundestages zu bringen. Und ich freue mich natürlich über dieses Zeichen der Wertschätzung, aber das Thema ist für mich noch weit weg. Bis zu den Wahlen ­haben wir noch einiges auf der To-do-Liste für die Brain City Berlin. //

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