Als wenn es heute wär
Ausgrabungen aus dem DUZ-Archiv zur Beteiligung von Frauen, über Studierende, die Öffentlichkeitsarbeit und die Stellung wissenschaftlicher Mitarbeiter
„DIE MÄDCHEN TRETEN ZURÜCK“
Göttinger Universitäts-Zeitung 1/1945: „Frauenstudium“, von Gisela van Doornick
Nach der Rückkehr der Männer aus dem Kriege läßt der starke Andrang zur Universität den Streit um das Frauenstudium erneut aufleben. Auch ohne Kenntnis der Verhältniszahlen der weiblichen und männlichen Studierenden drängt sich das geänderte Bild der Hörsäle auf.
Die Mädchen, die nur studieren, um sich vor dem totalen Kriegsdienst zu drücken, treten zurück. Daß man die Männer bevorzugt immatrikuliert hat, erscheint nur zu gerecht; denn wie viele sind durch den Krieg um Jahre zurückgekommen in ihrem Studium, andere sind längst aus dem sonst üblichen Alter des Studenten heraus und müssen sich jetzt eine Existenzmöglichkeit schaffen. Darauf ist weitgehend Rücksicht genommen worden, und auch von den Frauen sind in erster Linie nur Kriegerwitwen und ältere Semester gelassen, bei denen ebenso wie bei den Männern die Existenzfrage im Vordergrund steht. Nun wird der Frau aber darüberhinaus der Vorwurf gemacht, sie nähme nicht nur den Männern die Plätze auf der Universität weg, sondern die Frau gehöre nicht auf eine so typisch männliche Bildungsanstalt.
Wenn man der Frau den streng wissenschaftlichen Forschergeist abspricht, so halten wir den Männern mit Recht entgegen, daß sie in ihrer Mehrheit nach Abschluß eines Universitätsstudiums auch nur gute Durchschnittsberufsmenschen werden, ebenso wie die meisten Frauen. Und in unserer Zeit ist die Frau aus Berufen wie Lehrerin und Ärztin einfach nicht mehr wegzudenken und wird von einsichtsvollen Männern auch gar nicht verdrängt werden wollen. Mit Recht sagen allerdings die Männer, daß 80 Prozent der studierenden Frauen doch heiraten und nicht zur Berufsausübung kämen, während der Mann unbedingt in das Berufsleben gehe. Und da die Universität ein staatlicher Zuschußbetrieb sei und der Student zum geringsten Teil sein Studium selbst finanziere, so entstände ein Geldaufwand, der dem Ergebnis nicht entspräche. Was soll für eine Lösung gefunden werden? (...)
„MEIST VERWIRREND“
Deutsche Universitätszeitung 15-16/1954: „Probleme der Popularisation“, von Karl Hecht
Man möchte also über Methoden und Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung unterrichtet werden und sucht dazu nach einer gemeinverständlichen Darstellung, denn die Naturwissenschaften sind in ihrer gegenwärtigen Entwicklung für Fachfremde nicht mehr ohne weiteres zugänglich. Das gilt in besonders ausgeprägter Form für die heutige Physik, auf die sich, pars pro toto, die folgenden Ausführungen beschränken. Die Sprache, in der die Physik ihre Methoden und ihre Ergebnisse ausdrückt, ist eine Fachsprache, gekennzeichnet durch eine genaue Begriffsbildung und die Benutzung mathematischer Formelzeichen. Damit ist nicht nur eine knappe, konzentrierte Ausdrucksweise, sondern zugleich eine in der Erfahrung verankerte präzise Formulierung der behandelten Erscheinungswelt erreicht. Ebenso unverständlich wie die Sprache ist dem Fernerstehenden die eigentliche Arbeit zur Sammlung neuer Erfahrungen, das physikalische Experiment. Der Aufwand und Aufbau von Geräten und Instrumenten ist meist verwirrend oder mindestens merkwürdig; wie die Physiker aus den Anzeigen solcher Apparaturen Ergebnisse ablesen und Schlüsse ziehen, können nur noch Eingeweihte verstehen. (...)
Jedes Studium eines Wissenschaftszweiges verlangt eine gründliche Eingewöhnung in ihre besondere Methode und Materie. Darauf aber muß gerade die gemeinverständliche Darstellung verzichten; denn man möchte, ohne sich einem ausgiebigen Studium zu unterziehen, die Ergebnisse der Forschung zur Kenntnis nehmen. (…) Man braucht ja nur an Mitteilungen über Forschungsergebnisse in der Tagespresse zu erinnern, um auf diese Gefahr, den wissenschaftlichen Charakter des Dargestellten zu verlieren, hinzuweisen.
„MAN KÖNNTE SCHIER VERZWEIFELN“
Deutsche Universitätszeitung 9/1960: „Aus der Berufsberatungspraxis mit Abiturienten und Studenten“, von Dr. Oda Behrend
(…) Es wäre lohnend, einmal die echten Motive zum Studienentschluß zu untersuchen. Zum größten Teil entspringt der Berufswunsch auch noch des Primaners bewußt oder unbewußt der Familienmeinung, sei er als Fortsetzung unerfüllt gebliebener väterlicher Berufsziele gedacht, sei er Tradition oder auch der Opposition zuliebe gewählt. Vor allem die eigentlichen Triebfedern aufzuspüren wäre interessant, die vielfach verdeckt sind von Irrtümern in der Meinung über sich selbst. Da gibt es Berufs- und Studienziele, die nur sozusagen als ,Werktitel’ benannt werden und nichts anderes als ein Schutz sind gegen lästige Befragung durch Eltern und Verwandte, Lehrer und auch Berufsberater und an denen der Jugendliche unter Umständen hängen bleibt, weil er nicht den Rang findet, plötzlich mit etwas Neuem herauszukommen. Diese Fragen sind deshalb so interessant, weil meiner Beobachtung nach das derzeitige Abiturientenalter von rund 19 Jahren um ein bis zwei Jahre vor dem Alter liegt, in dem die werdende Persönlichkeit zur Entscheidung reif und fähig wird und daher die meisten Berufsentschlüsse Provisorien bedeuten. In diesem Zusammenhang ist auch die Ableistung des Wehrdienstes vor Aufnahme eines Studiums zu begrüßen, weil sie verhindert, daß ein junger Mensch einfach der Gelegenheit folgend und weil er zufällig über die nötigen Mittel verfügen kann, aus der Schultür heraus und in die Hochschultür hineintritt, ohne daß ihm ein zeitlicher Abstand nach Verlassen des von Entscheidungen freien „Naturschutzgebietes Schule“ das Auffinden weniger ausgefahrener Gleise ermöglicht hätte. Darum muß man den jungen Menschen in diesem Stadium Hilfe anbieten. (…)
Eine der enttäuschendsten Erkenntnisse allerdings über die Wirksamkeit seiner Tätigkeit bezieht der Berufsberater aus der Tatsache, daß ein junger Mensch immer nur das heraushört, was er hören will bzw. was er aufzunehmen imstande ist im gegenwärtigen Stand seiner Entwicklung. Der wohlgesetzte, breit gestreute berufsorientierende Vortrag unterliegt einer starken Durchlöcherung durch die Interessen des Einzelnen. Man könnte schier verzweifeln, dürfte man doch nicht immer wieder erleben, daß auch scheinbar Untergegangenes eines Tages als unbewußt aufgenommene Erfahrung wieder auftaucht. (…)
IRRATIONALE ABHÄNIGIGKEITEN
Deutsche Universitätszeitung 11/1967: „Richtlinien zur Stellung der Assistenten an einer Reformuniversität – Ein Konstanzer Memorandum über Konstanz hinaus“, von Dr. Wolf-Dieter Narr
Probleme der Assistentenposition: Die knapp skizzierten Merkmale ergeben zusammengesehen mit der Struktur der Universität insgesamt und den von Forschung und Lehre her anfallenden Aufgaben folgende neuralgischen Punkte:
1. Die Selektion bleibt zu sehr dem Zufall persönlicher Bekanntschaft überlassen, der nicht nur beim gegebenen Zahlenverhältnis der traditionellen Universitäten in seiner Rationalität fragwürdig erscheint. (...)
2. Ebenso wie die Anstellung bleibt die Entlassung des Assistenten ohne sinnvolle Richtpunkte. Es kann fast jederzeit ohne weitere Begründung eine Entlassung verfügt werden, es kann ebenso über Jahre hinaus durch ein hohes Maß heteronomer Arbeit die Habilitation hinausgezögert werden, es kann aber auch ein leistungsmäßig völlig Ungeeigneter zu Habilitation gefördert werden. (...)
3. In gleicher Weise wie Anstellung, Entlassung und Habilitationstermin ist die Zahl der Assistenten, die dem einzelnen Lehrstuhl zur Verfügung stehen, verhältnismäßig beliebig. (...) Die Zirkulation der Assistentenpositionen bleibt nicht dem Aspekt der Forschungs- und Lehrerfordernisse untergeordnet, sondern etwa der Berufungszugkraft und dem Verhandlungsgeschick des Ordinarius. (...)
4. Bei der wachsenden Zahl der Lehraufgaben, bei der Erkenntnis, ja dem Zwang zur kooperativen Forschung erscheint es dringend, daß der Ordinarius über Mitarbeiter verfügt, wenn anders er in Forschung und Lehre bestehen will. An dieser Stelle scheint sich ein unaufhebbarer Interessenantagonismus zwischen dem Autonomiestreben der Assistenten und den Forschungsvorhaben des habilitierten Dozenten zu ergeben. Die Frage erhebt sich, ob sich unter dem Gesichtspunkt des Primats von Forschung und Lehre nicht eine Lösung finden lässt, die irrationale Abhängigkeit ebenso aufhebt wie Effektivität der Forschung befördert.
Alle historischen Auszüge lesen Sie ab 18. Dezember 2020 im DUZ Magazin 12.2020, kostenlos in der DUZ APP
Weitere historische Beiträge veröffentlichen wir in loser Folge im Rahmen unseres Jubiläums auf www.duz.de/75-jahre-duz/
DUZ Magazin 12/2020 vom 18.12.2020