„Zuallererst ein mentales Problem“
Für viele Hochschulleitungen ist Transfer nur ein Nebenschauplatz. Warum sich das dringend ändern muss – dazu ein Gespräch mit dem Politiker und Wirtschaftsexperten Thomas Sattelberger
Herr Sattelberger, warum funktioniert der Transfer aus der Wissenschaft in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht wirklich gut?
Es scheint zuallererst ein mentales Problem zu sein. Denn in den Köpfen etlicher Wissenschaftler und Hochschulverantwortlicher, Politiker und studentischer Verbände scheint eine fundamentale Barriere tief verwurzelt zu sein: gegen die Verwertbarkeit oder gar „Instrumentalisierung“ von Wissenschaft durch die böse Wirtschaft. Gepaart mit einem fast blauäugigen Verständnis von Unabhängigkeit und Freiheit von Forschung und Lehre. Wie in einem luftleeren Raum, obwohl doch Wissenschaft dem gesellschaftlichen Wohlergehen und Fortschritt zu dienen hat. Wenn man Wissenschaftsfreiheit zu introvertiert interpretiert, behindert das nicht nur Transfer, sondern zuvorderst gesellschaftlichen Fortschritt.
Transfer ist zudem ein Leadership-Thema! Innovation und Transfer müssen prägnant auf der Agenda von Hochschulleitungen stehen und fest verankert sein in Hochschulstrategien und -steuerung. Häufig sind sie dort aber eher rudimentäre Anhängsel. Science Leadership ist unterentwickelt, Effizienzmanagement in der Wissenschaft überbordend. Ich wünsche mir Hochschulpräsidenten und -präsidentinnen nicht nur als Geldbettler, sondern auch als Zukunftsgestalter.
Was muss sich an den Hochschulen ändern?
Das Thema Transfer hat sehr viele Facetten. Transfer ermöglicht technologische, organisatorische, künstlerische und soziale Innovationen. Wissenschaftliche Weiterbildung, das Wirken in Gesellschaft, Kommune, Region, soziale Neuerungen gehören ebenso dazu wie Ausgründungen, Vernetzung mit der Wirtschaft und die Kommerzialisierung neuer Produkte und Ideen. Da würde ich mich freuen, wenn bei Berufungen unternehmerisches Wirken eines Kandidaten oder einer Kandidatin ebenso berücksichtigt würde wie die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Hochschulen und ihre Professorenschaften sind eben nicht nur Abhängige staatlicher Alimentierung durch das Bundesforschungsministerium, sondern vor allem selbstbewusste Unternehmerinnen und Unternehmer ihrer eigenen originären Kreativpotentiale. Übrigens hat Forschungsministerin Anja Karliczek zu Beginn ihrer Amtszeit zwar vollmundig das Thema Transfer zu einem ihrer ganz großen Anliegen gemacht. Wenn man sich aber ansieht, was konkret umgesetzt wurde, fällt die Bilanz sehr kläglich aus.
Und wo sehen Sie Handlungsbedarf seitens der Politik?
Transfer muss signifikant in der Wissenschafts- und Forschungspolitik des Bundesforschungsministeriums (BMBF) als echte dritte Säule sichtbar werden. Der Transfergedanke muss die strategische Ausrichtung der Pakte mitbestimmen. Dazu gehören auch die Definition von Key-Performance-Indikatoren und internationaler Benchmarks. Es reicht nicht aus, ein strategisches Vakuum mit Geld zu füllen. Damit erreicht man keinen Impact.
Welche Strukturen brauchen wir in Deutschland, damit Transfer Innovationen vorantreibt und Lösungen für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik hervorbringt?
Ein Prototyp neuen Denkens könnte die Agentur für Sprunginnovationen werden. Doch sie muss sich ihre Freiheiten gegenüber kontrollbesessener Bürokratie erst noch erkämpfen. Aber solche experimentellen Freiräume kann es ja vielerorts geben. Ausserdem: Der von uns vorangetriebene Vorstoß für eine Deutsche Transfergemeinschaft (DTG) wurde vom BMBF rüde abgelehnt. Doch die DNA der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ist definitiv nicht dafür geeignet, anwendungsorientierte Forschung und Transfer zu integrieren. Das war eine Kernerkenntnis von Professor Dieter Imboden, der die Internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative geleitet hat. Er empfahl, dafür eine eigenständige Organisation zu schaffen, vergleichbar zur Innosuisse in der Schweiz oder zur Vinnova in Schweden. Und dies hat übrigens nichts damit zu tun, dass es der DFG immer noch nicht gelingt, forschungsstarke Fachhochschulen zu integrieren. Das sind zwei unterschiedliche Sachverhalte. Denn es gibt einige Fachhochschulen, die so grundlagenforschungsintensiv sind, dass sie in die Förderlinien der DFG voll integriert werden könnten – was jedoch seit Jahr und Tag nicht funktioniert. Jenseits dieser Herausforderung für die DFG brauchen wir einfach neue Strukturen für den Transfer von Wissen und Forschungserkenntnissen an Hochschulen mit hoher Anwendungsorientierung: eben durch die DTG.
Müssen wir das Thema Transfer freier denken?
Wie lange hat die Cross-Disziplinarität gebraucht, um sich im Wissenschaftssystem neben Disziplinarität ihren Platz zu erobern? Beim Thema Transfer sprechen wir zusätzlich von der Cross-Sektoralität. Aus dem Wissenschaftssystem in die Wirtschaft, in die Zivilgesellschaft, in die Arbeitswelt, in die Kultur, in die Politik. Früher ging es darum, aus den Elfenbeintürmen der Disziplinen herauszukommen. Heute geht es darüber hinaus darum, die sektoralen Silos zu überwinden. Es ist sehr bezeichnend, dass die Bundesregierung die außeruniversitären Forschungseinrichtungen MaxPlanck, Fraunhofer, Leibniz und Helmholtz vor kurzem mit circa 400 Millionen Euro für den Transfer unterstützt hat. Natürlich hatten sie alle corona-bedingt massive Einbrüche zu verzeichnen. Dies gilt aber ebenso für die Hochschulen. Ich kann mir das nur so erklären, dass der Blick des BMBF massiv getrübt ist, wenn es um die anwendungsorientierte Forschungsleistung von Hochschulen geht.
Brauchen wir auch einen Kulturwandel in den Hochschulen?
Wenn sich die ganze Welt in Transformation befindet, sind Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen keine Insel der Seligen. In einem Hochschulpakt für Forschung und Innovation müsste das Thema Transfer fest verankert sein und nachgewiesen werden. In der Führung von außeruniversitären Forschungseinrichtungen und von Hochschulen muss Transfer Thema auf der Führungsagenda sein. Es muss eine Strategie und Benchmarks geben. Und das Ziel der Transferstellen sollte sich nicht auf das bloße Einwerben öffentlicher Mittel beschränken, sondern auch das Schmieden von Kooperationen mit der Wirtschaft umfassen. Neue Erkenntnisse und Lösungen kommen sowohl aus den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Unternehmen als auch aus den Forschungsbereichen von Hochschulen. Hochschulen in Deutschland müssen sich als Biotope für Innovation positionieren. Sie könnten ähnlich erfolgreich sein wie renommierte ausländische Universitäten – zum Beispiel das CalTech, Stanford, Oxford, die ETH Zürich oder das Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dazu muss man allerdings auch die Sprache der Wirtschaft kennen. Damit meine ich: Im Land der Dichter und Denker sollte das Machen, Ausgründen und unternehmerische Handeln endlich mehr Wertschätzung erfahren. //
Thomas Sattelberger
Dr. h.c. Thomas Sattelberger, früherer Spitzenmanager (unter anderem Daimler-Benz, Deutsche Lufthansa, Deutsche Telekom), ist seit Oktober 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecher für Innovation, Bildung und Forschung der FDP-Bundestagsfraktion. In der Hochschulallianz für den Mittelstand engagiert er sich als Beiratsvorsitzender.
DUZ Magazin 12/2020 vom 18.12.2020