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Utopie der Universalsprache Englisch

Über Missverständnisse und offene Fragen der Anglophilie an deutschen Hochschulen im internationalen Vergleich

Mit „Englisch, so what?“ hat der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda im Oktober 2019 in seinem Blog zu mehr Gelassenheit in Fragen der Sprachenpolitik aufgerufen. Warum nicht beliebig viele englischsprachige Bachelor-Studiengänge einrichten, wie es Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler im September 2019 angeordnet hat? Wozu auf die besorgten Germanistinnen und Germanisten hören, wenn die aktuelle Englisch-Expansion doch die Tore zur Welt offenhalten soll und den lang ersehnten Traum einer perfekten Universalsprache zu erfüllen verspricht? 

Weitere Beiträge zu Deutsch als Wissenschaftssprache gibt es in DUZ Wissenschaft & Management 10.2020

Umberto Eco hat 1996 die Entwicklung dieser Utopie von der Sehnsucht, die Katastrophe der Zersplitterung von Babel zu überwinden, bis zur Schaffung internationaler Hilfssprachen wie Esperanto nachgezeichnet. Jürgen Trabant (2014, S. 19-20) vervollständigt das Bild mit einem Verweis auf Karl Marx und Friedrich Engels, die im Kommunistischen Manifest von 1848 die Entwicklung einer postnationalen Gemeinschaft mit einer Weltliteratur und, wie Trabant hinzufügt, einer Weltsprache prophezeiten.

Allerdings zeigt die sprachtheoretische Forschung spätestens seit den Studien des russischen Sprach- und Literaturwissenschaftlers Walentin Woloschinow, eigentlich bereits seit Wilhelm von Humboldt, dass ein derart naiver Umgang mit Sprache, als ob sie ein von Menschen losgelöstes, unschuldiges Naturobjekt wäre, irreführend ist. Sprachen, das heißt die aus unzähligen Interaktionsakten herauskristallisierten und normierten Einzelsprachen Englisch, Deutsch, Französisch und so weiter, sind die wirkungsvollsten Instrumente der Macht. Die Sprachwahl erfolgt auf der individuellen und gesellschaftlichen Ebene nach bestimmten Mechanismen, die von Prestige und Stigma, Hierarchien, Strategien von Ausgrenzung und Inklusion, subjektiven Zukunftserwartungen und anderen Faktoren bedingt sind. Zugleich hängt der Spracherwerb von der Konstruktion und Rekonstruktion von Identitäten ab (Bemporad 2016). Je besser die Sprechenden über diese Mechanismen informiert sind, desto reflektierter und verantwortungsvoller können sie den eigenen Sprachgebrauch steuern.

Die Macht der Sprachwahl

Nun, auf der politischen Ebene sind laissez faire in Sprachfragen oder die unkritische Akzeptanz dominanter sprachlicher Ideologien und die Umsetzung der dadurch auferlegten Maßnahmen gar unzulässig. Englisch als die Sprache der Supermacht USA und zweier weiterer G7-Mitglieder (Großbritannien und Kanada) darf nicht als eine neue unpolitische „Lingua franca“ propagiert werden. Die Hegemonie oder der „Imperialismus“ des Englischen (Phillipson 1992) wird durch die Etablierung und kontinuierliche Reproduktion struktureller und kultureller Ungleichheiten zwischen dem Englischen und den anderen Sprachen aufrechterhalten. Mit „strukturell“ meint Phillipson die Macht der Institutionen oder Ressourcenverteilung und mit „kulturell“ immaterielle oder ideologisch geprägte Werte (Einstellungen, pädagogische Grundsätze). Wie Ricento hervorhebt (2015, S. 32), gibt es keinen Grund, „zu glauben, dass eine globale Verkehrssprache in Bezug auf die vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und symbolischen Werte neutral ist“. Es gibt auch keine „große Garantie dafür, dass die Interessen von Gruppen, die von Sprechern vertreten werden, die Englisch als Zweit- oder Drittsprache verwenden, gleichberechtigt gehört werden können, geschweige denn, dass auf sie eingegangen wird“ (Ricento 2015, S. 33).

Kein globales Englisch

Die Idee einer globalen, postnationalen Wissenschaft ist genauso utopisch wie die Vorstellung, dass Fremdsprachenlerner den Muttersprachlern das Eigentumsrecht über das Englische womöglich bald entreißen und urheberlose Global Englishes hervorbringen werden. Schließlich ringen nach 200 Jahren politischer Unabhängigkeit die lateinamerikanischen Länder immer noch darum, sich vom kolonialen Erbe zu befreien.
Ist es wirklich sinnvoll, die deutsche Wissenschaftssprache aufzugeben, um später ein für wissenschaftliche Zwecke geeignetes und emanzipiertes German English generieren zu müssen?

Die Frage einer Weltsprache

Nach der Konferenz von Jalta 1945 konkurrierten Englisch und Russisch als Weltsprachen miteinander; mit dem Fall der Berliner Mauer ist Englisch aus den Gründen, die wir bereits erwähnt haben, in den Vordergrund gerückt. So wie im alten Weltsystem die internen Kämpfe zwischen zentralen und sekundären Zonen seine Dynamik sicherten und die Aneignungsweisen der Peripherie bestimmten, so erfüllt heute der Kampf zwischen den Wirtschaftsräumen diese Funktion, auch wenn er manchmal außer Kontrolle gerät. Als aktuelle Beispiele können der Handelskampf zwischen den Vereinigten Staaten und China, die unterschiedlichen Positionen der Großmächte gegenüber Venezuela, wo die Ölausbeutung im Mittelpunkt steht, oder die Bündnisse, die den Arabischen Frühling ermöglicht haben, genannt werden.

Das Coronavirus offenbart globale Machtverhältnisse

Die Globalisierung, die in den optimistischsten Diskursen als die Möglichkeit erschien, gemeinsame Unternehmungen zum Wohle der Menschheit und zur Bereicherung der Bevölkerungen anzugehen, zeigt ihre Grenzen unter anderem gegenüber dem Coronavirus. Es findet in viele Staaten ohne einen industriellen Apparat, der es ihnen erlaubt, selbstständig Atemschutzmasken herzustellen. Oder es trifft auf ein Gesundheitssystem, das nur national sein kann und sich in einem verheerenden Zustand befindet, weil die notwendigen Investitionen nicht getätigt wurden, da sie als unproduktiv galten, und das unfähig ist, den Auswirkungen der Epidemie mit Solvenz zu begegnen.

Auch wenn das Coronavirus gezeigt hat, welche Bedeutung die Staaten nach wie vor haben, so ist doch klar, dass in der gegenwärtigen Phase des Kapitalismus eine regionale Integration notwendig war. Eine Integration, die nicht nur im globalen Raum agiert, sondern auch intern eine gewisse Solidarität und die Suche nach einer Lösung oder Bewältigung der Asymmetrien beinhaltet. Ihre Bildung war in einem sekundären Gebiet wie der Europäischen Union leichter als in einem peripheren Gebiet wie Südamerika. In beiden Fällen gibt es jedoch gegensätzliche politische Positionen, die auch in Bezug auf den Status der Sprachen und insbesondere des Englischen zum Ausdruck kommen. In der Europäischen Union ist die Rolle des Englischen infrage gestellt worden, einerseits von denen, die sich nach der Rückkehr in den Nationalstaat sehnen, den sie sich als stark und autonom vorstellen, sowie von denen, die eine souveräne sprachliche Geste fordern. Auf der anderen Seite befinden sich die Befürworter der gleichberechtigen Vielsprachigkeit, die die Entwicklung einer demokratischen Integration mit der Möglichkeit defensiver Bündnisse anstreben, um auf die Wechselfälle der Globalisierung angemessen reagieren zu können.

Sprachliche Ungleichheiten stabilisieren Kognitions- und Wissensungleichheiten

In Deutschland bestehen die sprachbewussten Forscher immer wieder auf der Wissenschaftstauglichkeit ihrer Landessprache. Bereits seit 2006 gab und gibt es hier seitens wissenschaftlicher sowie sprach- und integrationspolitischer Einrichtungen viele Fachpublikationen, Memoranden, einschlägige Tagungen, Empfehlungen für Sprachenpolitik, politische Diskurse, beispielsweise Deutsch in der Wissenschaft (Oberreuter et al. 2012). In dem Maße allerdings, wie weite Kreise der deutschen Wissenschaft und die Hochschulverwaltungen die wachsende Vormachtstellung des Englischen selbst im Inland nicht kritisch hinterfragen, bemächtigen sich nationalistisch eingestellte Akteure mit zum Teil von Wissenschaft geliehenen Argumenten des Themas, so zuletzt etwa die AfD in ihrer Bundestags-Drucksache 19/19524 vom Mai 2020.

Auch in anderen nationalen Räumen wird das Englische als das „demokratische“ Instrument der Internationalisierung propagiert, nicht nur in Europa, sondern auch in Lateinamerika, wo weitverbreitete Sprachen wie Spanisch, Portugiesisch, Französisch oder Italienisch dem Englischen untergeordnet sind. Man geht sogar davon aus, dass englischsprachige Studiengänge im Hochschulbereich (Master und Bachelor) einerseits die Studierenden besser auf die wissenschaftliche Arbeit vorbereiten und andererseits ausländische Studierende anziehen.

Was den ersten Punkt anbelangt, so ist klar, dass, wenn wir eine Sprache nicht als einen einfachen Code betrachten, die prekäre Beherrschung der Fremdsprache das Niveau der erworbenen Kenntnisse beeinträchtigen kann. Ohne einen radikalen sprachlichen Relativismus vertreten zu wollen, wie in der Aufbauphase von Nationalstaaten, darf nicht verkannt werden, dass die Beherrschung unseres grundlegenden semiotischen Werkzeugs den individuellen und sozialen kognitiven Fortschritt beeinflusst.

Sogar bei Gelegenheiten, bei denen es notwendig ist, zu einer anderen Sprache überzugehen, wirkt diese Beherrschung auf verschiedene Weise. Darauf spielte Hannah Arendt 1964 in einem Interview mit Günter Gaus an. Sie sagt dort: „Ich habe immer bewußt abgelehnt, die Muttersprache zu verlieren. […] Ich schreibe in Englisch, aber ich habe die Distanz nie verloren. Es ist ein ungeheurer Unterschied zwischen Muttersprache und einer andern Sprache. […] Es gibt keinen Ersatz für die Muttersprache. Man kann die Muttersprache vergessen. Das ist wahr. Ich habe es gesehen. Diese Leute sprechen die fremde Sprache besser als ich. Ich spreche immer noch mit einem sehr starken Akzent, und ich spreche oft nicht idiomatisch. Das können die alle. Aber es wird eine Sprache, in der ein Klischee das andere jagt, weil nämlich die Produktivität, die man in der eigenen Sprache hat, abgeschnitten wurde, als man diese Sprache vergaß.“ (RBB Fernsehen)

Was ausländische Studierende betrifft, so wollen in den meisten Fällen diejenigen, die an unsere Universitäten kommen, dies offenbar aus dem Wunsch heraus tun, mit einer anderen Kultur (Grin 2014) in Kontakt zu treten, mit ihrer Art zu denken, sich auf Probleme einzulassen, Wissen zu aktivieren sowie in der Wissenschaft und in anderen Bereichen zu interagieren.

Sprachmacht als politisches Kampffeld

In Italien wurden Studiengänge, die ausschließlich in einer Fremdsprache angeboten werden, im Jahr 2018 für verfassungswidrig erklärt. Die Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichtshofs richtete sich selbstverständlich gegen Englisch und zielte darauf ab, die Marginalisierung der Landessprache an italienischen Universitäten zu verhindern.

Französische Sprachwissenschaftler haben 2019 ein „Manifest zur Anerkennung der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in der sprachbezogenen Forschung“ veröffentlicht, in dem sie herausstellen, dass die sprachpolitischen Wahlmöglichkeiten der Forschungseinrichtungen nicht epistemologischer oder methodologischer, sondern geopolitischer, wirtschaftlicher und industrieller Natur sind. Sie weisen auch darauf hin, dass die Nachfrage nach Veröffentlichungen in englischer Sprache zu einer Verarmung des wissenschaftlichen Diskurses und des Denkens führt, da man einerseits als Nicht-Muttersprachler die Kommunikationsstrategien dieser Sprache selten beherrscht. Und andererseits wird außer Acht gelassen, dass die mit Sprachen und Kulturen verbundenen intellektuellen Traditionen unterschiedliche und fruchtbare Lösungen bieten, um die Fragestellungen der Sozial- und Geisteswissenschaften anzugehen.

Pro-europäisch Gesinnte sind der Meinung, dass die zeitgenössischen Konzepte der Mehrsprachigkeit dringend auf Unionsebene angewandt werden sollten. Nach dem Brexit ist eine herausragende Stellung des Englischen aus politischer Sicht nämlich nicht mehr gerechtfertigt. Im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen wurde bereits 2001 das folgende Ziel festgelegt: „So weit wie möglich sicherzustellen, dass alle Bevölkerungsgruppen zu wirkungsvollen Mitteln und Wegen Zugang haben, Kenntnisse der Sprachen anderer Mitgliedstaaten (oder anderer Sprachgemeinschaften innerhalb des eigenen Landes) […] zu erwerben […]“ (Goethe-Institut 2001).

Im Gemeinsamen Markt Südamerikas (Mercosur) ist der politische Wert der Sprachen mit bemerkenswerter Klarheit zutage getreten, seit die konservativen Regierungen bei ihrem Amtsantritt die bisherige Sprachenpolitik, die auf dem regionalen Status von Spanisch und Portugiesisch basierte, aufgehoben haben. Sie haben also seit ihrer Annäherung an die Pazifische Allianz (2011 gegründet und von Chile, Peru, Kolumbien und Mexiko integriert), die im Allgemeinen eine kontinentale Integration mit den Vereinigten Staaten begünstigt, Englisch als grundlegende Fremdsprache im Bildungssystem eingeführt.

Im argentinischen Hochschulwesen bleibt jedoch die Resolution Nummer 2385 des Bildungsministeriums vom 9. September 2015 in Kraft, die besagt: „Die Abschlussarbeit wird im Falle von argentinischen nationalen oder binationalen Studiengängen in Spanisch oder Portugiesisch verfasst und die Verteidigung wird in Spanisch oder Portugiesisch durchgeführt“, obwohl die Möglichkeit der Verwendung einer anderen Sprache ausnahmsweise zugelassen wird. Darüber hinaus bekräftigt das im Jahr 2019 verabschiedete Dokument „Für eine Sprachpolitik, die den Zielen der argentinischen Universität dient“ „die Vorrangstellung von Spanisch und Portugiesisch als Wissenschaftssprachen der südamerikanischen Region“. Verschiedene Stimmen haben auch die Notwendigkeit einer Verlagspolitik angesprochen, die sich mit Übersetzungen der regionalen wissenschaftlichen Produktion in andere Sprachen befasst (es sei daran erinnert, dass die bemerkenswerte internationale Verbreitung von Werken deutschsprachiger Intellektueller durch Übersetzungen erfolgte).

Die unterschiedlichen Positionen zeigen im Falle der Europäischen Union und des Mercosur, dass die Sprache ein Feld des politischen Kampfes ist, in dem unterschiedliche Gesten mehr oder weniger relatives Gewicht haben. Wenn wir von Sprachen in der Wissenschaft sprechen, müssen sowohl „der Prozess der wissenschaftlichen Produktion, die Verbreitung ihrer Ergebnisse als auch die Bildung von Humankapital in den Wissenschaften und Berufen“ (Hamel 2013, S. 351) berücksichtigt werden.

Offene Fragen um Wissenschaftssprachen

Unter dem weit gefassten Begriff der „Wissenschaftssprachen“ werden derzeit verschiedene Probleme intensiv diskutiert, die sicherlich einer besonderen und detaillierten Herangehensweise bedürfen, die nicht im Rahmen eines Artikels erfolgen kann, deren Auflistung aber Orientierung hinsichtlich der Diskussionsachsen geben kann. Einige von ihnen sind die Folgenden:

  • Die Beziehung zwischen Sprache und Denken: Ist Sprache ein Werkzeug des Denkens oder ein Instrument der Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse? Und wenn sie Ersteres ist, erleichtert die gekonnt gehandhabte Sprache, im Allgemeinen die Muttersprache, den intellektuellen Fortschritt auf wenig begangenen Pfaden oder ist es ein sekundärer Aspekt?
  • Ändert sich die Rolle der Sprache(n) abhängig davon, ob der Bereich, in dem Wissen produziert wird, den „harten Wissenschaften“ oder den Geistes- und Sozialwissenschaften entspricht?
  • Beeinflussen Kulturen, akademische Traditionen und intellektuelle Reisen in einer Sprache die Art und Weise, wie Probleme behandelt werden? Und wenn ja, ermöglicht dies einen Erkenntnisfortschritt oder ist es ein Hindernis für die wissenschaftliche Produktion?
  • Was ist mit einem „internationalen akademischen Diskurs“ gemeint: Handelt es sich um den Diskurs, der sich in einer einzigen Sprache entfaltet, oder ist er vielmehr einer, der unter anderem die Argumentationsmodi, die Erklärungsdispositive und die Äußerungspositionen stabilisiert hat und in der einen oder anderen Sprache unterschiedslos zum Ausdruck gebracht werden kann? 
  • Stimuliert oder blockiert die Übernahme von Mustern, seien sie nun sprachlicher oder diskursiver Natur oder beides, durch Wissenschaftler, die anderen Sprachgemeinschaften angehören als der, in der sie entstanden sind, ihre Kreativität oder die Fähigkeit, originelle Fragestellungen zu formulieren?
  • Bedeutet die Diskursentfaltung in einfachen Sätzen einen analytischen Fortschritt? Spiegeln komplexe Satzgefüge mit untergeordneten Nebensätzen die Komplexität der Analyse von Phänomenen wider, die ebenfalls komplex sind? Zeigt der Gebrauch von Parenthesen und polemischen Diskursstrategien divergierende Positionen oder mögliche Alternativen an, wie es sich für eine nicht dogmatische wissenschaftliche Erkenntnis gehört, die im Dialog mit anderen geschärft wird? 
  • Haben bei der Konstituierung eines internationalen Wissenschaftsbetriebs auch die Muttersprachler der dominanten Sprache eine dominante Stellung, da sie sich durch allerlei Ausdruckswendungen geschmeidig bewegen können? 
  • Wenn eine Sprache an der Entwicklung der Wissenschaft und Technologie nicht teilnimmt und somit nicht angemessen ausgestattet wird, weil die Gesellschaft eine andere Sprache für diesen Zweck annimmt, wird sie dann minorisiert? Kann man sich die Minorisierung der großen Sprachen wie der suprazentralen Sprachen vorstellen (Calvet 1999)?
  • Ermöglicht Englisch als wissenschaftliche Weltsprache die Entwicklung demokratischer Praktiken in den Wissenschaften oder führt seine Anbindung an die politisch-wirtschaftlichen Zentren zu einer Unterordnung der anderen Weltzonen? 
  • Erfordert die Verbreitung von Wissen eine Weltsprache oder kann sie, wie es in den letzten Jahrhunderten der Fall gewesen ist, durch Übersetzungen getragen werden? Und wenn Letzteres zutrifft, in welchen Domänen sind Übersetzungen besonders relevant? 
  • Untergraben die erheblich verbesserten automatisierten Übersetzungs- und Dolmetschdienste den Wert einer Lingua franca in den Wissenschaften oder nicht? 
  • Bereichert die Möglichkeit zweisprachiger Dialoge, in denen sich jeder Teilnehmer in seiner eigenen Sprache ausdrückt und die des anderen versteht (und die je nach den Interaktionsräumen, den disziplinären Bereichen und der Besonderheit der behandelten Problematik variiert), gemäß dem Vorschlag eines „Europas der Polygoten“ von Umberto Eco (1996, S. 377), die wissenschaftliche Produktion oder beeinträchtigt sie diese?

Schlussbemerkung

Diese und viele andere Fragen, deren Komplexität niemandem entgeht, können nicht, auch nicht teilweise, von einem Nicht-Ort aus beantwortet werden. Wir sind historische Subjekte, eingeschrieben in spezifische Realitäten, die unsere Sichtweisen prägen. In diesem Sinne zwingt uns das Nachdenken über die aufgeworfenen Fragen dazu, nicht gleichgültig zu sein gegenüber dem Verhältnis der Sprachen zu den politischen Prozessen und dem, was jede Position impliziert, ebenso wie wir die Dynamik der Globalisierung in diesem Abschnitt der Menschheitsgeschichte nicht außer Acht lassen dürfen. //

Lidia Becker


Prof. Dr. Lidia Becker ist Professorin für Romanische Sprachwissenschaft mit den Schwerpunkten Soziolinguistik und Sprachpolitik an der Leibniz Universität Hannover.

Foto: privat​

Elvira Narvaja


Prof. Dr. Elvira Narvaja de Arnoux ist emeritierte Professorin für Interdisziplinäre Linguistik und Sprachsoziologie an der Universität Buenos Aires und Trägerin des Georg-Forster-Forschungspreises der Alexander von Humboldt-Stiftung.

Foto: privat

ZUR LITERATUR

  • Bemporad, Chiara (2016): Apprendre les langues: jeux de pouvoir et enjeux identitaires. Langage et Société 157, 9-17.
  • Calvet, Louis-Jean (1999): Pour une écologie des langues du monde, París: Plon.
  • Eco, Umberto (1996): La ricerca della lingua perfetta nella cultura europea, Bari/Roma: Editori Laterza.
  • Goethe-Institut (Hg.) (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen. Kapitel 1: Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen in seinem politischen und bildungspolitischen Kontext. www.goethe.de/z/50/commeuro/102.htm (01.05.2020).
  • Grin, François (2014): L’anglais à l’université: dépasser les idées reçues. In: Le Débat 178, 136-148.
  • Hamel, Rainer Enrique (2013): El campo de las ciencias y la educación superior entre el monopolio del inglés y el plurilingüismo: elementos para una política del lenguaje en América Latina. In: Trabalhos em Linguística Aplicada 52.2, 321-384.
  • Narvaja de Arnoux, Elvira (2016): Minorización lingüística y diversidad: en torno al español y al portugués como lenguas científicas. In: Rinesi, Eduardo; Smola, Julia; Cuello, Camila; Ríos, Leticia (Hg.): Hombres de una república libre. Universidad, inclusión social e integración cultural en Latinoamérica, Universidad de General Sarmiento. 
  • Oberreuter, Heinrich/Krull, Wilhelm/Meyer, Hans Joachim/Ehlich, Konrad (Hg.) (2012): Deutsch in der Wissenschaft: Ein politischer und wissenschaftlicher Diskurs, München: Olzog. 
  • Phillipson, Robert (1992): Linguistic imperialism, Oxford: Oxford University Press.
  • RBB Fernsehen (Hg.): Zur Person. Günter Gaus im Gespräch. Sendung vom 28.10.1964. Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt. Was bleibt? Es bleibt die Muttersprache.  www.rbb-online.de/zurperson/interview_archiv/arendt_hannah.html (15.05.2020). 
  • Ricento, Thomas (2015): Political Economy and English as a ‚Global Language‘. In: Ricento, Thomas (Hg.): Language Policy & Political Economy. English in a Global Context, New York: Oxford University Press.
  • Ricento, Thomas (2012): Political Economy and English as a ‚Global‘ Language. In: Critical Multilingualism Studies 1.1, 31-56.
  • Trabant, Jürgen (2014): Globalesisch oder was? Ein Plädoyer für Europas Sprachen, München: Beck. 
  • Wiarda, Jan-Martin (2019): Englisch, so what? In: Blog von Jan-Martin Wiarda, 23.10.2019, www.jmwiarda.de/2019/10/23/englisch-so-what/ (02.07.2020).
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