Ist Interdisziplinarität ein Karrierevorteil?
Schon seit der Promotion ist meine Forschung sehr interdisziplinär angelegt. Ich dachte immer, dass das ein Karrierevorteil ist – aber wenn ich mir anschaue, wer berufen wird, sind das meist disziplinär orientierte Leute. Wie sind also meine Chancen?, fragt ein Postdoc aus den Sozialwissenschaften
Dieser Artikel ist im DUZ Magazin für Wissenschaft und Gesellschaft in der Rubrik "Unter 4 Augen" erschienen und Teil der Online-Reihe "Ratgeber" auf DUZ Wissenschaftskarriere.
Coach Mirjam Müller antwortet:
In der aktuellen Forschungslandschaft scheint Interdisziplinarität das Gebot der Stunde zu sein: Häufig ist zu hören, dass sich die Herausforderungen unserer Zeit (seien es die Corona-Pandemie, Klimawandel oder Migration) nur durch gemeinsame Anstrengung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fächer lösen lassen. So ist nicht verwunderlich, dass viele Drittmittelprogramme, wie Forschungsgruppen oder Exzellenzcluster, Interdisziplinarität voraussetzen oder spezifisch fördern und dass Institutes of Advanced Study Forschenden die Gelegenheit geben, den Dialog zwischen den Fächern auf höchstem Niveau zu kultivieren. Auch während der Promotions- und Postdocphase werden fächerübergreifende Erfahrungen gefördert, nicht zuletzt in Graduiertenkollegs.
Ihr Gedanke, dass Interdisziplinarität ein Karrierevorteil ist, ist also naheliegend. Neben der Bedeutung, die fächerübergreifender Forschung heute zukommt, ist das Wissenschaftssystem, zumal in Deutschland, jedoch nach wie vor klar disziplinär geordnet. Um mit Gordon Wilson zu sprechen: „The world has problems while universities have disciplines.“ Auch für die inter- oder transdisziplinäre Forschung wird daher in der Regel eine fundierte disziplinäre Ausbildung vorausgesetzt. Drittmittel für Einzelforschende werden nach wie vor meist disziplinär vergeben und von disziplinär ausgewiesenen Expertinnen und Experten begutachtet.
Nicht zuletzt werden die allermeisten Professuren daraufhin besetzt, dass sie „das Fach in seiner Breite abdecken“, und nicht, um Brücken zwischen den Disziplinen zu schlagen. Entsprechend bewertet die Kommission, auch, um Vergleichbarkeit zu gewährleisten, die fachliche Einschlägigkeit der Kandidatinnen und Kandidaten. Haben sie die „richtige“ Ausbildung? Publizieren sie in den einschlägigen Journalen (für die die disziplinäre Passung schon zuvor Auswahlkriterium war)? Sind sie auf den Fachtagungen präsent und in Fachgesellschaften aktiv? Wenn Sie zwischen den Disziplinen forschen, stehen die Chancen, dass Sie für keines der Fächer ausreichenden „Stallgeruch“ mitbringen, hoch. Interdisziplinarität ist in diesem Spiel eine gern gesehene Zusatzqualifikation, nicht weniger, aber in aller Regel auch nicht mehr.
Strategisch ratsam ist es, frühzeitig der Markt zu analysieren: Sind in Ihrem Gebiet derzeit interdisziplinäre Berufungen, auch etwa auf Junior- oder Tenure- Track-Professuren, favorisiert oder zumindest möglich? Gibt es interdisziplinär ausgerichtete Institutionen, die für Sie passende Stellen vergeben? Wie wird für Ihr Gebiet in anderen Ländern rekrutiert? Bei Bewerbungen gilt es, die Logik der Auswählenden zu bedienen: Wenn Sie bei einer disziplinären Ausschreibung stolz Ihr interdisziplinäres Profil in den Vordergrund stellen und betonen, wie das die Professur bereichern würde, sind Ihre Erfolgschancen gering. Erfolgversprechender ist es, Ihr Profil entsprechend der disziplinären Ausschreibung zu präsentieren und Ihre zusätzliche Methodenkenntnis nachzuordnen. Umsatteln auf ein Forschungsthema, das fachlich einschlägig ist, Sie aber nicht interessiert, ist keine Option: Schließlich können Sie nur dort wissenschaftliche Spitzenleistung bringen, wofür Ihr Herz schlägt.
MIRJAM MÜLLER ist Personalentwicklerin und Coach an der Universität Konstanz. Sie engagiert sich im Coachingnetz Wissenschaft, das Partner der DUZ ist.
www.coachingnetz-wissenschaft.de
www.uni-konstanz.de/asd/
DUZ Magazin 11/2020 vom 20.11.2020